Das war Selfmade: Eine Chronik aller Signings
Elvir Omerbegovic sitzt vor Gold- und Platinplatten

Selfmade geht, eine Legacy bleibt. Das neben Aggro Berlin vielleicht prägendste Deutschrap-Label der letzten 20 Jahre ist Geschichte. Wo stehen all die Künstler mit Selfmade-Vergangenheit heute und was ging alles bei einer der schillerndsten Marken, die Rapdeutschland je hervorgebracht hat? Ein Überblick zum Abschluss einer großen Erfolgsgeschichte made in Düsseldorf.

Favorite verliert den Halt

Die tragischste Figur der Selfmade-Ära ist wohl Favorite. Statt vor tausenden Fans steht der Harlekin-Rapper vor einem ziemlichen Scherbenhaufen. Dabei geht es so vielversprechend los. Favorite bringt 2005 zusammen mit Jason das Kollaboalbum "Rappen kann tödlich sein" über Selfmade raus. Das zweite Release des Labels überhaupt. Mit seinem anarchischen Humor katapultiert sich Fav ins Spotlight. Sein drittes Album "Christoph Alex" landet 2011 in den Top 5 und kann mehr als 20.000 Einheiten absetzen.

Auf der anderen Seite ist Favorites mangelnde Arbeitsmoral sagenumwoben. Nur wenn Selfmade-Boss Elvir Omerbegovic Druck macht, scheint die Sache zu laufen. Oder wie der Essener auf "Alle Scheiße" (2011) zu sagen pflegt: "Ich mach nichts, solange Slick mich nicht schlägt."

2018 ist der Druck schließlich weg. Nach 13 Jahren ist Schluss bei Selfmade. Das letzte Album "Alternative für Deutschland" kann nicht mehr an die früheren Erfolge anknüpfen. Die Drogenprobleme und der damit einhergehende Qualitätsverlust sind schwer zu übersehen.

Der Essener dreht sich fortan immer weiter in einer Abwärtsspirale. Neue Anläufe führen ins Nichts. Er wandelt sich von einem Aushängeschild zu einem Schatten seiner selbst. 2020 verkündet er, das Rappen endgültig sein lassen zu wollen. Alles, was danach ins Internet gespült wird, legt den Verdacht nahe, dass dieser Impuls so verkehrt nicht gewesen ist.

Die 257ers bringen Wahnsinn auf Platin-Level

Der Weg der Essener Kombo, die inzwischen nur noch aus Shneezin und Mike besteht, beginnt mit Mixtapes in Eigenregie zum kostenlosen Download. Die 257ers sind schon früh in ihrer Karriere für Song-Konzepte bekannt, die sonst nicht jeder hat. Der Wahnsinn ist Programm. 2011 erfolgt das Signing bei Selfmade Records. 2012 wird der Deal auch offiziell bekannt gegeben.

Plump gesagt: Dann geht's richtig ab. Das Album "HRNSHN" crasht in die Top 10. Der Ausdruck "AKK!" konkurriert um das Jugendwort des Jahres. Das nachfolgende Album "Boomshakkalakka" verkauft sich noch einmal doppelt so gut und plötzlich ist Gründungsmitglied Keule raus – er will sich mehr der Familie widmen. Mit "Mikrokosmos" gelingt Shneezin und Mike im Anschluss als Duo ein weiteres Nummer-1-Album. Der 257er-Run bringt mit "Holz" und "Holland" Gold- und Platin-Singles hervor. Egal, wo sie aufschlagen, es heißt: Abgehn!

Nach der Hochphase kehrt ein wenig Ruhe ein. Dann folgt eine regelrechte Release-Flut. Innerhalb von nicht einmal drei Jahren erscheinen die Alben "Alpaka", "Abrakadabra", "Hömma!" und "Das Ende vom Anfang". Bevor das Label seine Pforten schließt, verabschieden sich Shneezin und Mike im April 2022 von ihrer langjährigen Labelheimat.

"Wir bedanken uns für eine fast 12 Jahre lange, gemeinsame Reise, Höhen, Tiefen und einfach ne sau geile Zeit."

Kollegah verändert Deutschrap

Niemand steht wohl so stellvertretend für die erfolgreiche Selfmade-Ära wie Kollegah. Im Gründungsjahr des Labels stößt der selbst ernannte Boss dazu und - man muss es so sagen - verändert Deutschrap. Die übertriebene Selbstinszenierung mit Wortspielen, die sich mitunter nur durch umfangreiche Recherche aufschlüsseln lassen, sorgen für einen neuen Wind. Der technische Aspekt von Rap bekommt eine völlig neue Wertigkeit. In mehr als zehn Jahren bei Selfmade Records bricht Kollegah allerhand Rekorde und sammelt Auszeichnungen wie am Fließband.

Die ersten vier Teile der legendären "Zuhältertape"-Reihe sowie der Startschuss und die Fortsetzung von "JBG" erscheinen über Selfmade. Nicht zuletzt das bis heute erfolgreichste Kollegah-Album "King" fällt in diese Zeit. Danach geht es 2016 mit einem eigenen Label weiter. Signings kommen und gehen. Inzwischen ist Kollegah alleiniger Herrscher über sein Alpha Music Empire.

Auch tritt er vermehrt als Geschäftsmann auf. Ob Shisha-Lounge, Fitnessprogramm, Mental-Coaching oder sogar Wasser – Kollegah hat sich in den Jahren an verschiedenen Fronten ausgetobt und immer wieder auch Kritik einstecken müssen. Sein Wikipedia-Eintrag zu Kontroversen ist auffällig umfangreich. Vorwürfe des Antisemitismus gehen oft Hand in Hand mit Hinweisen auf Verschwörungserzählungen, denen Kollegah einiges abgewinnen können soll. Nebenher finden weiter Releases statt. Das Album "Free Spirit" ist für den Sommer 2022 angekündigt.

Selfmade legt Casper keine Steine in den Weg

Knapp ein Jahr nach Veröffentlichung seines Soloalbums "Hin zur Sonne"
landet Casper 2009 bei Selfmade. Sein Engagement ist jedoch nur von kurzer Dauer. Er wirkt an dem Sampler "Chronik 2" mit und ist dann auch schon wieder "Auf und davon". Die Auflösung des Vertrages verläuft recht geräuschlos, bevor auch nur ein Album auf den Markt kommt.

Vor allem die Performance auf der Single "Mittelfinger hoch" zusammen mit Favorite und Kollegah verhilft Casper zu einer größeren Öffentlichkeit. Auch wenn es kaum ein Jahr gehalten hat: Der Selfmade-Deal ist eine der Stufen auf Caspers Karriereleiter, die ihn letztendlich in schwindelerregende Höhen führen sollte.

Nach dem Gamechanger "XOXO" und dem darauffolgenden "Hinterland" ist Casper in der Kategorie Festival-Headliner angekommen. Der groß angelegte "Champion Sound" wird zusammen mit Marteria 2018 auf Albumlänge ausgerollt ("1982"). 2022 erscheint sein nunmehr fünftes Album "Alles war schön und nichts tat weh". Eine persönliche Würdigung von Caspers Impact gab es passend zum Release.

Johnny Illstrument ist überall

Der Weg von Johnny Illstrument zu Selfmade Records führt über die 257ers. Auf den ersten Alben des damaligen Trios produziert Johnny einige Tracks. Auch für Favorites "Ne Pille" (2011) zeigt sich der gebürtige Baden-Württemberger verantwortlich. Kurz nach der Veröffentlichung des 257er-Albums "HRNSHN" im Jahr 2012 sichert sich Selfmade dauerhaft die Dienste von Johnny Illstrument. Er produziert daraufhin auf "JBG 2", "Neues von Gott", "Boomshakkalakka" und "Chronik 3" – kaum ein Selfmade-Release, das ohne Beats von ihm auskommt.

Nebenher werden auch jede Menge andere Rapper*innen mit Musik versorgt. Johnny Illstruments Diskografie umfasst Zusammenarbeiten mit Vega, Majoe, Silla, Hanybal, Manuellsen, Fard, Kianush, Majoe, Massiv, Nazar, Kurdo, Milonair, Asche, Zuna und vielen mehr. Wahrscheinlich wäre es einfacher, die Deutschrap-Artists zu benennen, die noch nicht mit Johnny Illstrument zu tun hatten. In der Konsequenz pflastern Gold- und Platinauszeichnungen seinen Weg. Auch in Polen gehen Platten mit Johnny Illstruments Instrumentals Gold.

2022 wird gnadenlos weiter durchgezogen. Es vergeht eigentlich kein Release Friday, ohne dass Deutschrapfans gleich mehrfach auf Johnny Illstrument stoßen. Speziell beim Anhören von Artists, die in direkter oder indirekter Verbindung zu Banger Musik, Alpha Music Empire oder Bikini Bottom Mafia stehen, trifft man auf Johnny Illstrument.

Vielleicht ist auch bald auf ähnliche Weise der US-Markt fällig. 2020 sagte er gegenüber der Rheinischen Post: "Ich habe große Lust darauf, was im US-amerikanischen Hip-Hop-Bereich zu machen.“

Wer Selfmade sagt, muss auch Shiml sagen

Der Rapper aus Bremen ist vielleicht DER Underdog in der Selfmade-Historie. 2006 erscheint sein Album "Hinterm Horizont" als eines der ersten Selfmade-Releases überhaupt. Drei Jahre später folgt "Im Alleingang". Beide Veröffentlichungen sowie Auftritte auf Touren und Placements auf den beliebten Samplern setzen Shiml auf die damals noch lange nicht so ausdifferenzierte Deutschrapkarte.

Doch von der Idee einer steilen Karriere verabschiedet sich der Selfmade-Künstler um 2009 herum. Das Studium rückt in den Fokus. Die Trennung von Selfmade ist die Konsequenz. Dennoch droppt im Herbst 2010 ein weiteres Kollaboalbum über das Düsseldorfer Label. "Generation Null" mit MontanaMax (heute Label-Manager und A&R bei Universal) könnte eingefleischten Fans noch ein Begriff sein. Aus dem Nichts lässt Shiml 2018 sein Comeback-Album "Agora" folgen, was sich auch in den Top 100 der Albumcharts platzieren kann.

In den letzten Jahren ist Shiml vor allem durch seine musikalische Verbundenheit zu Bremen aufgefallen. 2019 ist er auf dem Song "Mein Herz schlägt" samt MontanaMax & JokA vertreten und bringt dort seine Liebe für Werder zum Ausdruck. 2020 ist Shiml auf "Immer so" zu hören. Bremen-Support spielt auch hierbei eine Rolle. Der Ex-Selfmade-Artist unterstützt den Kollegen Moe Zech, mit dem er schon vor der Jahrtausendwende als Team Bremen Ost durch den Untergrund streift.

Das Genetikk-Universum

Genetikk bewegen sich seit jeher in ihrem eigenen Universum. Die künstlerische Vision ist schon früh erkennbar. Die Masken, die Signature-Beats von Sikk, der in Rap vernarrte Karuzo / Kappa – so ein Duo hat es Selfmade Records angetan. Nach dem Freedownload "Foetus" erscheinen die folgenden vier Alben allesamt über das Düsseldorfer Label. "D.N.A." und "Achter Tag" gehen Gold. Mit "Fukk Genetikk" sind die Jungs wieder raus und verabschieden sich in andere Sphären.

Im Dezember 2017 findet der Übergang hin zu "Outta This World" statt. Von Groll ist dabei keine Spur. Das macht Kappa auf dem ersten Verse nach der Gründung des eigenen Labels klar:

"Stopf' alte Verträge in die OCBs / Schmeckt nach Freiheit / Danke, Selfmade, aber so langsam war die Zeit reif"

Bei Outta This World stehen Künstler wie Tiavo, Mu$A386 und Mortel unter Vertrag. Genetikk selbst bringen nach der Trennung von Selfmade vier Alben auf den Markt. Das 2021 releaste Album "MDNA" geht auf Platz #1. An einem neuen Album wird aktuell gearbeitet, wenn man den umtriebigen Twitter Fingers glauben schenken kann.

Karate Andi schaltet kurz in den "Turbo"

2014 signt Selfmade Karate Andi als einen der heißesten Deutschrap-Acts. Das Debüt "Pilsator Platin" setzt im Vorfeld bereits ein erstes Ausrufezeichen. Auf dem anschließenden Album "Turbo" spielt Andi konsequent seine Stärken aus. Er liefert den Bukowski Way of Rap vom angestammten Platz in der Eckkneipe. Auf Produktionen von Die Achse stapeln sich respektlose Zeilen und Kettenreime. Das dritte Album "Asap Kotti" fährt diese Schiene Jahre später weiter und erweitert Andis Soundspektrum.

Und auch ohne weit ausgerollte Promophasen lässt sich anno 2022 festhalten: Die Menschen haben Karate Andi nicht vergessen. Sein "Handelsgold Tape" geht in die Top 20. Der Boss vom Hinterhof hat zudem noch einen speziellen Auftrag zu erfüllen. Er ist nun das letzte Stück aktive Selfmade-Legacy. 2022 soll noch ein finales Release von ihm über das Düsseldorfer Label kommen.

Der legendäre Rizbo

Rizbo ist einer der ersten Künstler, die bei Selfmade andocken. Er gehört quasi zur Grundausstattung. Seine Producer-Qualitäten sind bereits auf dem Sampler "Schwarzes Gold" - das erste Release aus dem Hause Selfmade - zu vernehmen. Apropos Gold: Auch für Bushido baut Rizbo Beats. Das Ergebnis sind mehrere Goldene Schallplatten.

Ikonische Selfmade-Auskopplungen wie "Guck auf die Goldkette 2007" oder Tracks auf dem ersten Teil der "JBG"-Reihe gehen aufs Konto von Rizbo. Auch beispielsweise zu "Asphalt Masskaker 2" des Düsseldorfer Kollegen Farid Bang steuert er diverse Produktionen bei. Rizbo hinterlässt in der Deutschapszene tiefe Spuren, aber tritt in den Jahren immer weniger in Erscheinung. Er ist so weit raus, dass Favorit die Rizbo-Konstellation gesondert hervorhebt, als er auf die erste Single seines Albums "Alternative für Deutschland" hinweist. Jeder langjährige Selfmade-Fan weiß einfach, dass sich Rizbo-Beat auf "Discospeed" reimt.

Elvir Omerbegovic auf neuer Spielwiese

Last but not least: Der Mann, der die Fäden in der Hand gehalten hat. Mit dem richtigen Riecher und einem guten Händchen fürs Geschäftliche baut Elvir Omerbegovic ein Label auf, dessen Erfolge für sich sprechen. Hier und da rappt der Chef auch noch selbst. 2009 gibt sich Slick One das letzte Mal so richtig auf "Chronik 2" die Ehre. Zu Beginn von Kollegahs Karriere sind Feature-Parts auf "Ein Junge weint hier nicht" und "Rauch" zu hören. "Von der Gründung bis 2014" schmeißt Elvir den Laden mit seinem Geschäftspartner Thomas Burkholz allein, wie er im Interview in der MusikWoche erzählt. Der Vorteil: "Kurze Wege, wenige Fehler und viel mehr Fokus auf das Produkt".

Business-Moves erfolgen auch auf anderem Parkett. Mit Pusher Apparel bringt der Selfmade-Gründer ein Modelabel an den Start. Auch ein alkoholhaltiges Wassereis landet auf dem Markt. 2016 verschlägt es den Selfmade CEO damit sogar in das bekannte Format "Die Höhle der Löwen".

Im gleichen Jahr schafft sich Elvir eine weitere Spielwiese. Beim neu gegründeten Label Division wird ganz bewusst auf Künstler gesetzt, die Musik über das Rapgame hinaus denken. RIN, Kynda Gray und Schmyt stehen allesamt für neue Sounds und Ästhetiken. Elvir begreift Division als die "logische Evolution von Selfmade".

Insofern ist ein Hauch von Selfmade Records immer noch da draußen, auch wenn die Chronik 2022 endet. Erste Risse haben wir bereits 2018 diagnostiziert.

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