Warum ganz Deutschland auf einmal "Talahon" sagt

"Ta3al Lahon, ich geb dir ein Stich / Bin der Patron" – wer die letzten Monate nicht unter einem Stein gelebt hat, wird diese Zeilen unendlich mal auf der Social-Media-Plattform seiner Wahl gehört haben. Der TikTok-Sound, der einem Deutschrap-Song entsprungen ist, hat allerdings viel mehr losgetreten als ursprünglich gedacht. Das Wort "Talahon" hat sich nicht nur innerhalb kürzester Zeit in der Jugendsprache etabliert – sondern auch Diskussionen rund um Rassismus losgetreten.

"Talahon": Ein TikTok-Trend überschwemmt Deutschland

Dabei liegt der Ursprung des Ganzen nicht mal zwei Monate zurück: Irgendwann Anfang Juni posteten Meme-Accounts Videos von Jugendlichen beim Schattenboxen. Mal in einer Gruppe, mal alleine. Unterlegt sind alle diese Videos mit dem Song "Ta3al Lahon" von dem Newcomer-Rapper Hassan. Das Ganze sieht dann ungefähr so aus:

Anders als sonst blieb das Meme allerdings nicht lange in seiner Bubble. Schon nach einigen Tagen reagierten zahlreiche TikTok-Creator auf die schattenboxenden Jungs, die ab sofort den Titel "Talahon" tragen sollten.

An der Stelle kommt natürlich die Frage nach einer Definition auf. Und auch dafür reicht ein Blick in die TikTok-App. Schaut man sich eine Handvoll Erklärvideos zum Prototyp Talahon an, lernt man, dass sich diese Gruppe an Menschen vor allem über ihren Kleidungsstil definiert. Gucci-Caps und Trainingsanzüge gehören genauso wie Schlaghosen und kleine Taschen zum klassischen Talahon Outfit. Hinzukommt ein aggressives Verhalten und fragwürdige Meinungen, wie man sie sonst aus Frankfurt-Straßenumfragen kennt.

Dabei war "Talahon" ursprünglich nicht als Bezeichnung für Menschen gedacht. Wie schon am Anfang erklärt, entspringt das Wort dem Song "Ta3al Lahon", wobei der Titel auf Arabisch so viel wie "Komm her" bedeutet. Hassan, der Vater des Talahon-Songs, hat übrigens bis dato zwei Tracks veröffentlicht: "Ta3al Lahon" und Ta3al Lahon 2". Der Release des ersten Tracks liegt bereits zwei Jahre zurück:

Jedenfalls hat sich der Begriff in den letzten Wochen so stark in der Jugendsprache etabliert, dass er auch von Menschen in der echten Welt genutzt und von überregionalen Tageszeitungen aufgegriffen wird. Das Ganze beschränkt sich also nicht mehr nur einfach auf einen Online-Trend.

Was "Talahon" mit Farid Bang zu tun hat

Der stille Begründer des "Talahon"-Trends könnte - wenn man ganz genau recherchiert - eventuell Farid Bang sein. Dieser postete schon 2022 einen TikTok, der mit dem nun viralen Track von Hassen unterlegt war. Die Vermutung, dass Meme-Accounts den Song so überhaupt erst gefunden haben, liegt nicht fern. Das und eine generelle Erklärung zum Phänomen hat auch die Schweizer Zeitung NZZ unter anderem in einem Instagram-Post aufgegriffen und dafür ein Bild von Farid genutzt. Der Banger-Chef selbst kann mit dieser Zuschreibung offenbar nur wenig anfangen: Er hat auf den besagten Post der NZZ reagiert – und erklärt, dass die "Medien" ihn plötzlich zum "Talahon Vorstand" gemacht hätten.

Was "Talahon" mit Rassismus zu tun hat

In diesem Artikel wurde es noch nicht erwähnt, aber es ist eigentlich ganz offensichtlich, wenn man sich die Tausenden Talahon-TikToks anschaut: Der Begriff "Talahon" bezieht sich oft auf Menschen, deren Migrationsgeschichte aufgrund ihrer Haar- und Hautfarbe deutlich erkennbar ist. Vor allem sind damit Menschen aus dem arabischen Raum gemeint, wobei eigentlich jeder ein Talahon sein kann, solange das Outfit und Verhalten stimmt. In dem Sinne bezieht sich Talahon nicht zwangsläufig auf die Herkunft, sondern eher auf die soziale Schicht.

Eine negativ-konnotierte Einordnung von Menschen, die grundsätzlich eher einer konkreten Gruppe angehören, klingt erst mal problematisch. Das Ganze ist allerdings ursprünglich ein ironisches Meme gewesen und wird auch von TikTokern wie dem Araber mit Seitenscheitel als scherzhafte Selbstbezeichnung genutzt – erst mal also harmlos. So zieht der Spiegel in einem Artikel den passenden Vergleich zum UK-Slangbegriff "Roadman". Auch hier ist das Wort in seinem Ursprung nicht diskriminierend gemeint und aus der Community heraus entstanden.

Problematisch wird es allerdings, wenn Menschen mit faschistischer Gesinnung das Talahon-Meme als Freifahrtschein für ihren Rassismus nutzen – und das passiert auf Social Media aktuell zunehmend. So postete kürzlich der Landtagsabgeordnete Miguel Klauß, ein AfD-Politiker, bekannt für seine Social-Media-Aktivitäten, einen Bildpost auf TikTok mit "Talahon-freien Orten". Darunter fallen AfD-Infoveranstaltungen und die Partei an sich. Die Kommentare sind - wie erwartet - fragwürdig. So schreibt an User, man bräuchte eine "Talahon-Warnapp", andere rufen zur "Selbstjustiz" gegen Talahons auf.

Um Rassismus in Bezug auf den Begriff Talahon zu finden, muss man allerdings nicht auf die Profile von irgendwelchen AfD-Politikern gehen. Eigentlich reicht nur ein Blick in die Kommentarspalten von viralen Videos. Unter diesem Video beispielsweise die Aussage, dass man die meisten Talahons in Moscheen finden könne (der Creator hatte ursprünglich religiöse Orte als Talahon-frei bezeichnet).

Dass der Begriff in rechten Kreisen Anklang findet, berichtet auch der Spiegel. Online diskutieren Social-Media-User und Creator darüber, dass "Talahon" von Rechten als Ersatz für das Wort "Kanake" genutzt wird - und sich dadurch zu einer rassistischen Fremdbezeichnung entwickelt, die aufgrund ihres Ursprungs allerdings nicht ernst genommen wird. Das findet übrigens auch Animus, der laut Spiegel vor dieser Entwicklung warnt.

In diesen Diskussionen findet sich außerdem immer die Erklärung, Talahons seien halt "Assis", so auch in der Kommentarspalte zu einem Video von Christian Solmecke. Damit hat der Begriff, wenn man es genau nimmt, zumindest klassizistische Tendenzen – wertet also Menschen ab, die aus einer bildungsfernen Schicht stammen.

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