Ein "King" dankt ab: Was Kollegah hinterlässt

"Still King" soll das große Finale sein, das letzte Soloalbum von Kollegah. Der selbst ernannte Boss will sich auf diese Weise von der Deutschrapbühne verabschieden. Doch was bleibt übrig, wenn das Alpha Music-Oberhaupt seine Karriere tatsächlich für immer an den Nagel hängt? Ein Ruf als unumstrittener "König aller Könige", wenn es nach Kollegah selbst geht. Und es wäre wirklich vermessen, dem Selfmade-Hustler seine Verdienste für Deutschrap in Abrede zu stellen.

Mal ganz ohne übertriebenes Waffengelaber müssen sich jedoch auch die härtesten Alphas eingestehen, dass ihr Idol nach knapp 20 Jahren im Game kein komplett unantastbares Monument für die Nachwelt hinterlässt. Kollegah hat Pionierarbeit geleistet – check! Kollegah hat eine ganze Generation von Rappern und Rapfans geprägt – check!  Es käme dennoch wenig bosshaft rüber, sich vollständig auf die Selbsteinschätzung eines Weltmonarchen zu verlassen.

Kollegah hat Punchline-Rap revolutioniert

Was Wortspiele und Punchlines angeht, kann Kollegah wohl niemand das Wasser reichen. Selbst in den Staaten dürfte es keinen vergleichbaren Rap-Artist zu hören geben. Die Wie-Vergleiche, die vielsilbigen Reimketten, der immense Wortschatz und all die sprachlichen Feinheiten können kaum genug gewürdigt werden. Kollegahs Lines sind mitunter so vielschichtig und originell – bis sich da die Pointe erschließt, braucht es manchmal halt ein bisschen. "Ich habe Punchline-Rap revolutioniert", rappt Kollegah bereits auf der "King"-Single "Alpha" vor gut zehn Jahren. Diesen Punkt dürfte ihn kaum jemand bestreiten. Selbst im Rap fürs Partyvolk von Ski Aggu findet sich bis heute die Saat, die Kollegah einst gesät hat.

Aber: Kollegahs lyrische Raffinessen fußen zumindest in Teilen auch auf der Kreativität anderer (laut Kollegah ungefähr 1 Prozent). Nicht jede Zeile in jedem Track ist eine Schöpfung eines allein vor sich hin schreibenden Universalgenies. Braucht Kollegah diesen Input von außen? Nein, eher nicht. Die mitunter absurd um die Ecke gezirkelten Wortspiele und irrwitzige Spits sind fester Bestandteil seiner Rap-DNA. Es ist schwer vorstellbar, dass jemand in der Lage sein könnte, die Sprache auf diese Weise noch weiter auszureizen.

"Zieh' die Handgun, zersieb' zehn Rapper /
Ach, was sag' ich, ich zersieb' siebzehn Rapper /
Zersieb' siebzig Rapper, ich kann sie gar nicht mehr zählen /
Sagen wir's einfach so, Kid ich zersieb' zig Rapper" – (Kollegah auf "Mörder")

Kollegah hat Promophasen revolutioniert

Kollegah setzt nicht nur was Lyrik in Deutschrap angeht, sondern auch im Bereich Marketing neue Maßstäbe. Der Ex-Selfmade-Rapper spult Promophasen ab, die so gewaltig sind, dass Deutschrapfans von ihren Lieblings-Artists fortan ein ähnliches Entertainment-Feuerwerk erwarten. Blogs, Fan-Nähe, Late-Night-Shows, die berühmte "Lyrik Lounge" – Kollegah überschüttet seine Anhängerschaft mit zusätzlichem Content. Vor allem auf der Humorebene punktet der Boss und dürfte den einen oder anderen Beobachter zum Fan gemacht haben. Die Speerspitzen dieser Entwicklung bilden wohl die Promophasen zu "King" und "JBG 3". Die Früchte seiner Arbeit erntet Kollegah in Form von etlichen Rekorden, Auszeichnungen und Chart-Erfolgen.

Aber: Wer für die kleinen Strolche einmal derart vorgelegt hat, bei dem fällt auf, sobald das Investment abebbt. Obwohl es sich jetzt um das letzte Kollegah-Album handeln soll, bleibt es um "Still King" herum auffällig ruhig. Das große Takeover bleibt irgendwie aus. Im Vorlauf zur Platte fliegt Kollegah nicht wie einst zu "Monument"-Zeiten nach New York, sondern arbeitet mit Footage-Material, um einen NY-Vibe zu erzeugen. Außer ein paar Ansage-Videos geschieht für Kollegah-Verhältnisse vor Veröffentlichung relativ wenig. Das Album "Free Spirit" kommt 2022 abgesehen von zahlreichen Musikvideos auch mit einer überschaubaren Anzahl von Extras. Das sei Absicht, wie Kollegah in einem Monolog erklärt. "C.B.A – The English Album" bekommt gar kein Spotlight, sondern erscheint ohne Erklärung oder begleitende Informationen.

Kollegah hat Deutschrap-Promo definitiv in völlig neue Bahnen gelenkt. Wohl wissend, dass es nicht unbemerkt bleibt, wenn er in einer seiner Paradedisziplinen nachlässt. Wer über den Humor überhaupt erst an Kollegahs Musik herangeführt wurde, ist womöglich einfach nur verwirrt, wenn auf "Cross Border Armageddon" ohne erkennbare Ironie "rough, tough and Deutsch" in den Verse geslidet wird.

Kollegah hat Selbstoptimierung revolutioniert

Kollegah ist nicht zur Spitze des Deutschrap-Universums hofiert worden. Die Karriere beginnt irgendwo bei Battle-Runden in der RBA und führt über ein Zuhälter-Image zu Social Media-Kanälen mit einer Reichweite im Millionenbereich. Kollegah formt einen Kult um seine Person, der ihn zur Galionsfigur des Siegeszugs von Selfmade Records macht. Das inzwischen geschlossene Düsseldorfer Indie-Label schreibt seine Erfolgsgeschichte an der Seite von und mit Kollegah. Der Boss hat auf Samplern, Tapes und Alben der Selfmade-Legacy wichtige Bausteine hinzugefügt, wenn nicht sogar das Fundament gelegt. Es ist die Personifikation von Hustle, wenn es ausgehend von einem Kellerstudio, das "100 Euro im Monat für Miete" abverlangt, so dermaßen durch die Decke geht, dass der Labelboss vor eine Wand mit Auszeichnungen relaxen kann. Kollegah hat es vollbracht.

"Ich hab' den Aufstieg von nichts revolutioniert", erklärt der Deutschrapstar berechtigterweise auf der ersten "Still King"-Single "Sigma". Kollegah hat seine Marke und seine Werte in zwei Jahrzehnten an Scharen von Menschen vermittelt. Und nein: "Mütter f*cken" ist kein Wert. An sich glauben, im Gym schwitzen, Finanzen im Blick behalten – "Die 10 Boss Gebote" gibt Kollegah an seine überwiegend männliche Anhängerschaft weiter. Kollegah schafft es, ein Mindset zu vermitteln. Im Gegensatz zu der besonderen Spezies der Life Coaches hat der Rapper ein zusätzliches Tool, um seine Ansichten an den Mann zu bringen: die Musik. "Von Salat schrumpft der Bizeps" ist zwar ein Spaß-Song, aber transportiert schon 2014 die Abgrenzung zu den "Lauchgestalten" da draußen. "Das ist Alpha!" ist Jahre später die ausformulierte Formel zu einem regelrechten Movement.

Aber: Neben all den Wins schleichen sich auch Rückschläge ein. Kollegah kommt nicht auf allen Ebenen ans Optimum. Seine Arbeit als Labelboss ist nicht von übermäßigem Erfolg gekrönt. Ob Gent, Jigzaw oder Seyed – eine wirklich steile Karriere hat keiner unter der Alpha Music-Führung hingelegt.

Auch im Bereich Life Coaching geht bei Weitem nicht alles auf. Das eigene Mentoring-Programm bleibt durch eine Vice und BuzzFeedNews-Recherche vor allem als Auffangbecken für nicht ganz so gefestigte junge Männer in Erinnerung. Dass Jan Böhmermann die Losung "Das ist Alpha!" in einem satirischen Video aufgreift, ist für Kollegahs kaum lustig gemeinte "Alpha Offensive" auch nicht förderlich. Die ganze Unternehmung crasht. Wie Kollegah sich im Video für "Wie ein Alpha" mit einem Bären in den Infight stürzt, zeigt vermutlich, wie sich der Rapper in dieser Zeit selbst begreift: ein furchtloser, starker Anführer.

Kollegah hat Beef revolutioniert

Wer aus der RBA hervorgeht, der weiß, wie man battlet. Und Kollegah weiß sehr genau, wie man battlet. Ein Beef mit dem Boss kann unschön enden. Diese Erfahrung macht beispielsweise Separate bereits 2007. Wahrscheinlich wird er bis heute noch gefragt, ob er wirklich nur mit einem Ei ausgestattet ist. Eine bloße Behauptung so tief in den Deutschrap-Gedächtnissen zu verankern, muss man erstmal schaffen. Kollegah hat es geschafft. Auch Tracks und Lines gegen vornehmlich ehemalige Aggro Berlin-Artists hallen bis heute nach. Manchmal gewinnt Kollegah seine Streitigkeiten auch einfach durch clevere Moves. Laas lässt er von einem Stimmenimitator battlen. Ein Knockout ohne größere Anstrengung.

Die Liebe für den Battle-Sport spiegelt sich auch in einer der legendärsten Kollaboalbum-Reihen wider. Kollegah – das ist nicht nur der durchs Rotlicht flanierende Wortakrobat, das ist auch die eine Hälfte von "JBG". Im Zusammenspiel mit Sportsfreund Farid Bang wird der Szene "Jung, brutal, gutaussehend" der Stempel aufgedrückt. Das ergibt Battlerap in seiner erbarmungslosesten Form.

Der erste Teil sensibilisiert die Hörerschaft noch für diese Art von Album. Rap ist hier einfach nur hart, kompromisslos und testosterongeladen. Mit "JBG 2" kann das Gespann schon erahnen, wo die Reise einmal hingehen wird. Der deutschsprachige Markt hat Bock auf das lyrische Gemetzel. Es ist auch der zweite Teil der "JBG"-Reihe, der Deutschrap abseits der Strömungen um Casper, Marteria und Haftbefehl neues Leben einhaucht. Den Beef an diversen Fronten bringen Kollegah und Farid Bang mit angespanntem Stiernacken in das Albumformat. Das geschieht auf eine so radikale Weise und mit einer so großen Unnachgiebigkeit, dass aus "JBG" ein eigener Mythos erwächst.

Aber: Auch der oftmals zerberstende Boss setzt mal nicht aufs richtige Pferd. Der Fler-Diss "Fanpost 2" kann an die früheren Großtaten nicht so wirklich anschließen. Beim über Monate ausgetragenen Beef mit Shindy lässt sich ebenfalls darüber streiten, wer hier letztlich als Sieger aus dem Battle hervorgegangen ist. Kollegah fährt hier eine "Punching-Ball"-Taktik und drischt immer mal wieder auf Papi Pap ein – so auch auf der "T.O.N.I. Style EP".

Revolutioniert Kollegah doch noch weiter?

Was Kollegah hinterlässt, sind nicht nur unzählige Punchlines für die Ewigkeit, sondern auch reihenweise offene Fragen. Wann Kollegah unter dem Deckmantel der Kunstfigur agiert und wann wirklich Felix Martin Andreas Matthias Blume seine persönliche Weltsicht präsentiert, ist nicht immer klar ersichtlich.

Was allerdings gewiss ist: Es bleibt haften, wenn einer der größten Deutschrapstars öffentlich dazu aufruft, doch einmal wegen "Pizzagate" ganz genau zu recherchieren oder mit der Code-Sprache von QAnon hantiert. Zumal am Ende solcher Verschwörungserzählungen nicht selten die Erklärung wartet, dass eine mächtige Elite die Strippen auf der Welt zieht.

Im kollektiven Bewusstsein dürfte auch nach "Still King" verankert sein, dass Kollegah und Farid Bang den Musikpreis ECHO mit einer antisemitischen Line eingesargt hätten. Vor allem Kollegah gerät im Zuge des Ganzen ins Kreuzfeuer, obwohl er den betreffenden Auschwitz-Vergleich gar nicht gerappt hat. Immer wieder wird Kollegah in seiner Karriere mit Vorwürfen des Antisemitismus konfrontiert. Das Futter dafür liefert er selbst. Mal werden Juden in epischen Erzählungen wie "Apokalypse" ohne einleuchtenden Grund weggelassen. Mal kommt Bild- oder Symbolsprache zum Einsatz, die sich mit der jüdischen Weltverschwörung connecten lässt. Diese schier unendliche Geschichte von Vorwurf und Widerrede muss an dieser Stelle nicht noch einmal vollends ausgerollt werden. Wer vor "Free Spirit" Kollegah kritisch beäugt hat, wird nach Release kaum davon abgewichen sein. Auf "Sigma" ist Kollegah noch einmal um Klarstellung bemüht. Er sieht sich abseits der "Wokeness" als "Mann mit Prinzip", der "nie ein Antisemit" gewesen sei.

Aber: So richtig schlau wird man aus all dem dennoch nicht. Es gibt auf der einen Seite mit Sicherheit Menschen, die durch Kollegah motiviert, vielleicht sogar durch schwerste Lebensphasen geführt wurden. Auf der anderen Seite gibt es aber auch sicher Leute, die wegen Kollegah eine mehrere tausend Euro teure Kristallmatte besitzen und sich viel zu gut mit den Stammbäumen jüdischer Familien auskennen. Womöglich überschneidet sich das in vielen Fällen auch.

Kollegah selbst nennt seine Person "vielschichtig wie ne Matroschkapuppe". Jeder kann sich ja auch sein Stück Kollegah rauspicken. Der Punchline-Virtuose, das Marketing-Monster, der Mindset-Boss, das Beef-Genie – für all das wird der Rapstar geschätzt und stellenweise angehimmelt. Der 40-Jährige tut sich auch immer wieder bei der Unterstützung von sozialen Projekten hervor. Kollegah bietet viel an. Vielleicht manchmal zu viel, wenn er den Boss mal Boss sein lässt, um seine persönliche Weltanschauung auszubreiten. Was aber auch zur Wahrheit gehört: Kollegah hat sämtlichen Kontroversen, sämtlichen Negativschlagzeilen und sämtlichen Trends getrotzt. Über seinen Abschied entscheidet er selbst und bringt dabei genau den Rap, den er vor Dekaden etabliert hat.

Auch eine Rückkehr ist nicht ausgeschlossen. Denn: Hinweise auf "JBG 4" streut Kollegah auf "Still King" beziehungsweise auf der mit dem Album veröffentlichten "T.O.N.I. Style EP" erneut ein. "Vielleicht sieht man sich ja irgendwann wieder" schickt Kollegah im "Prime (Outro)" vorweg. Auf "GOAT" rappt Kollegah: "Bald wieder machen die Übermenschen Welle" und meint damit genau "diese Zwei", die das Aus vom ECHO besiegelt haben.

Zu guter Letzt kommen auch die "Big City Dreams" - das Outro der "T.O.N.I. Style EP" - noch mit einem Hint auf "JBG 4". Die physische Version lässt statt eines Reims auf "schroffer Saphier" das typische Lachen von Farid Bang folgen. Kurzzeitig war die Stelle auch beim YouTube-Upload des Tracks zu hören. Eventuell blitzt das königliche Siegerlächeln also schon in absehbarer Zeit wieder auf.

"Ich war ein Diamond in the Rough wie ein schroffer Saphir /
Und jogg' mich hier nur schon ma' bisschen warm für — "

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