"Jung Brutal Gutaussehend" war seit jeher mehr als eine Aneinanderreihung von Adjektiven. Die Buchstaben J-B-G stehen für eine Kampagne, eine schonungslose Art von Musik, einen Kampf gegen Hypes und Trends. Kollegah und Farid Bang zählen selbst zu den prägenden Figuren in einer stetig wachsenden Branche – trotzdem scheint ihre Mission keinesfalls abgeschlossen.
Beim dritten Teil der Serie geht es eindeutig nicht darum, sich generell in den Fokus der Öffentlichkeit boxen zu müssen. Viel mehr konkurrieren die beiden Rapper um die wichtigste Währung im Social-Media-Zeitalter: Aufmerksamkeit. Wie die beiden Label-Besitzer dieses Spiel bewerkstelligen, stellt so ziemlich alles in den Schatten, was sich je Promophase geschimpft hat. Nach der Kollegah-Latenight-Show und unzähligen YouTube-Videos im Zuge der Albumkampagne zu "King" hätten Fans glauben können, dass keine Steigerung möglich ist. Der Herbst 2017 schreibt eine andere Geschichte.
Die Verkündung
Kein einfaches Instagram-Bildchen, kein reduzierter Twitter-Post (gut, das fällt bei Farid eh weg), keine simple Presse-Mail – die Ankündigung von "JBG 3" erfolgt in Warm-ups und als trashiger Kurzfilm. Mit vielen Waffen, Trainingseinlagen und der Jagd nach der lange vergessenen "JBG"-Essenz erschaffen die beiden eine Welt, die das Publikum auf einen Marathon einstimmt. Gleichzeitig wird hier klar gemacht: Wir sind zwar älter geworden, aber kein bisschen erwachsen. Wir haben den gleichen asozialen Humor, besitzen die nötige Selbstironie und wir werden abliefern.
Die Teilhabe
Für viele Fans sind ihre Idole kaum greifbar. Es sind Stars, die auf Bühnen und – noch weiter weg – im Internet existieren. Der persönliche Austausch tendiert meist gen Null. Ganz anders gehen Kollegah und Farid Bang mit ihrer Anhängerschaft um. Blogs informieren über jeden kleinen Schritt auf dem Weg zum Release. Das Beste daran ist, dass diese Transparenzoffensive für wirkliche Nähe zwischen Künstler und Konsument sorgt. Die bekannten Stars, die es nicht nötig hätten, bringen Merchandise-Pakete persönlich nach Hause. Sie sind sich für nichts zu schade und verteilen eigenhändig Gutscheine in der Innenstadt. Der bisherige Gipfel ist das 180.000 Euro-Gewinnspiel. Inklusive persönlicher Übergabe verlost das "JBG"-Duo Luxusgegenstände, die Boxinhalte der Konkurrenz zum netten Gimmick degradieren.
Die Gradlinigkeit
"JBG" – das bedeutet schon immer Kollegah und Farid Bang, viel Übertreibung und dennoch eine klare Haltung. Diese Kernthemen verschwinden nicht etwa, sondern werden eiskalt fortgeführt. Es sieht zum Beispiel so aus, als wäre die Sache mit den Deluxe-Boxen langsam an einem Scheidepunkt angekommen. Die Kritik für minderwertige Artikel häuft sich und nicht jeder Artist scheint darum bemüht, die beigelegten Gegenstände hochwertig erscheinen zu lassen. Nun wenden sich Kollegah und Farid Bang nicht direkt gegen diese Verkaufsstrategie, sondern überreizen sie fast ins Absurde. Jegliche neuen Absatzerfolge setzt das Duo wirkungsvoll in Szene, die einzelnen Boxinhalte bekommen eigene Werbeclips und gelegentliche Wetten heizen die Stimmung immer weiter an. Generell statuiert die Kampagne ein Exempel für die Möglichkeiten von Album-Promotion. Was vorher schon als Königsdisziplin von Kollegah und Farid Bang galt, ist nun auf seinem vorläufigen Höhepunkt angelangt. Jeder soll wissen (und jeder weiß vermutlich auch), was der Winter noch bereithält.
Die Direktheit der beiden Künstler drückt sich genauso in Bildern aus. Die 2017 so beliebt gewordene Unschärfe, die Videos einen künstlerischen Touch verleiht, sucht das Auge vergebens. "JBG" erlaubt keine Grobkörnigkeit, Farbspielerein oder Wackeloptik. Was du siehst, ist was du kriegst. Auf übliche Gesprächsformate verzichten die beiden vor Album-Release rigoros. Lediglich ein Interview mit der Backspin weit vor Release der ersten Tracks existiert. In ihrem eigenen Podcast "Road to JBG" interviewen sich die Protagonisten einfach selbst und umschiffen so auch geschickt die Möglichkeit für Nachfragen. Erst nach der Veröffentlichung des Albums erschien ein umfangreiches Interview mit Rooz.
Die erdachten Feinde und "Freunde"
Es ist schon sehr speziell, dass Künstler die Fantasie dazu aufbringen, sich neben real existierenden Battle-Gegnern noch zusätzliche Feindbilder ins Leben zu rufen. Die pädagogisch wertvollen Charaktere von Farid Ben & Friend bilden die Anti-These zu den Grundwerten von "Jung Brutal Gutaussehend". Sie geben sich nämlich "alt, reif, vorbildlich". Diese familienfreundlichen Versionen von Farid Bang und Kollegah werden nicht nur vorgestellt, um einmal einen Lacher zu ernten. Sie greifen fortlaufend aktiv in den "JBG"-Trubel ein: mal in Form eines Disstracks, mal mit Social-Media-Aktivitäten.
Ähnlich wirkungsvoll ebnet Kollegah seinem neuen "Signing" Bello191 den Weg. Hierbei handelt es sich wieder um eine erdachte Figur, die als Einzelperson quasi alles verkörpert, was "JBG 3" nicht sein will. Bello191 bedient beispielsweise die überregionalen Mode-Trends, singt mit Autotune und bildet in seiner Außendarstellung ungefähr jedes Klischee ab, das Trap-Cloud-Mumble-Meme-Rapper transportieren könnten.
Die Cliffhanger
Diese Freude an der Parodie drückt sich auch musikalisch aus. Zieh den Rucksack aus nimmt Afro-Trap volley und hebt sich ironischerweise tatsächlich kaum von dem ab, was als angesagt gilt und in den Playlisten rotiert. Neben dem Unterhaltungsfaktor hält der Track aber noch etwas anderes parat. Er ist Teil einer Ansammlung von klugen Cliffhangern. Seit der einsetztenden Berichterstattung um "JBG 3" warten die Fans auf den ersten offiziellen Song. Ist es genauso so hart wie früher? Wer wird gedisst? Funktioniert dieser Rap anno 2017?
Kollegah und Farid Bang unterlaufen diese Fragen komplett und führen einen Song als erste Single vor, der die "JBG 3"-Essenz mit Füßen tritt. Was automatisch folgt, ist der Gedanke, dass es das nicht gewesen sein kann – und nach ein paar Stunden des Wartens erscheint dann endlich "Sturmmaske auf". Ein Track, der durch das vorige Manöver noch viel brachialer wirkt, als er eh schon ist. Die Musik samt Video führt diese Cliffhanger-Taktik fort. Es wird gedisst, es fallen Namen, aber die Artists verweisen textlich und visuell ständig auf ein größeres Kaliber am Battle-Horizont.
In dieses Herbeisehnen eines neuen Höhepunkts fügt sich "Gamechanger". Auch hier: Disses, Namen, harter Rap – aber ein Angriffsziel wird ausgespart, um es weiter in Aussicht stellen zu können. Nicht zu vergessen ist die rechtlich relevante Zeile, die auf dem Release gerappt sein soll. Es ist unbestreitbar: kleine und größere (zumindest auch fragwürdige) Anreize, um die "JBG 3"-Phase immer weiter zu verfolgen, liegen überall.
Die Endlichkeit
Ein weiterer entscheidender Punkt bei dieser gefühlten medialen Omnipräsenz ist, dass wir alle die Zuschauer*innen eines finalen Akts sein sollen. Die Herren werden nicht jünger und die "JBG"-Reihe ist als Trilogie angedacht. Jeder veröffentlichte Informationsschnipsel entpuppt sich somit als wahrscheinlich letzter seiner Sorte. Es wird keine Fortsetzung, keinen vierten Teil geben – zumindest kommunizieren es die Künstler so. Die gemeinsame Tour gereicht dabei zum krönenden Abschluss und ist natürlich nicht weniger clever in dieses strategische Gesamtkunstwerk eingebettet. Durch das Wissen um das baldige Verschwinden einer liebgewonnenen Künstlerkombination erreicht der bewusst stumpfe Rap mit dem Freifahrtsschein für den Index zwangsläufig eine gewisse emotionale Tiefe. Es gibt danach nichts mehr zum Daraufhinfiebern. Es ist wahrscheinlich für viele Hörer so, als würde sich ein Stück ihres Erwachsenwerdens verabschieden. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt – Gerüchte um ein "JBG"-Filmprojekt existieren seit einer Weile.
Die Auswirkungen
Diese bunte Mischung aus unzähligen Unterhaltungselementen führt zu Theorien, Interaktionen, Austausch – also im Prinzip zu all dem, was für eine Promophase als wertvoll gilt. Es dürfte kaum einen minimal Rap-Interessierten geben, an dem vorbeigegangen ist, dass bald "JBG 3" auf den Markt kommt. Die kreative Dimension, in der sich diese Kampagne bewegt, dürfte für Deutschrap einzigartig sein. Die Kanten mit dem 44er Bizeps haben ihren Großangriff auf den Zeitgeist total durchorganisiert. Unabhängig davon, ob die Platte tatsächlich die Wucht besitzt, um die Szene zu verändern oder es schafft, Rap dauerhaft wieder eine härtere Gangart zu vermitteln – wer auch immer sein Album demnächst anpreist, wird sich unweigerlich mit diesem alles verschlingenden Marketing-Coup vergleichen müssen. Vielleicht ist das bei genauer Betrachtung sogar der größte Diss überhaupt. Besser lassen sich die technischen Gegebenheiten der heutigen Zeit wohl kaum ausnutzen. Hier wurde ohne übermäßig viele Bars jede Menge verbrannte Erde hinterlassen. Oder um es abschließend mit den Worten des Outros zu sagen: Kollegah und Farid Bang waren "Älter Brutaler Skrupelloser".