Album des Jahres? "Trettmann" lässt uns hoffen & zweifeln

Am Freitag erscheint das neue Album von Trettmann und KitschKrieg. Wo geht die Reise für den Nachfolger von "#DIY" hin? Das Album nach einer der besten Platten der letzten Jahre steht natürlich unter besonderer Beobachtung. Auch innerhalb der Hiphop-Redaktion verfolgen wir aufmerksam Trettis Moves. Die Erwartungen an "Trettmann" driften dabei auseinander.

Michael: Trettmann wird eines der Alben des Jahres abliefern

Trettmanns Aufstieg ist fast zu schön, um wahr zu sein – er ist mit "#DIY" in einem Alter durch die Decke gegangen, als manche Kollegen schon lange jede Hoffnung begraben hätten. Wem muss er also etwas beweisen? Niemandem. Meine Erwartungshaltung an den Nachfolger des KitschKrieg-Tretti-Meilensteins ist bisher auf einem moderaten Level. Alles andere wäre ungerecht.

Es ist relativ einfach: Wenn es nur annährend gelingen sollte, das Niveau von "#DIY" zu halten, ist wieder eine der Platten des Jahres entstanden. Die Zeichen dafür stehen gut. Eine gelungene Mischung aus Bekanntem und Neuem stimmt mich im Großen und Ganzen zuversichtlich.

Trettmann & KitschKrieg schließen an "#DIY" an

Die Ästhetik spielt bei der Figur Trettmann eine elementare Rolle. Der Schwarz-Weiß-Film ist auch fester Bestandteil der aktuellen Kampagne. Es fällt daher leicht, den Anschluss an "#DIY" und die Bildsprache zu finden. Im "Intro" des Albums lässt der Don den Hörer an seiner fast schon kuriosen Erfolgsgeschichte teilhaben und schlägt auch textlich die Brücke zwischen "#DIY" und 2019. Seine Herangehensweise an die Musik hat sich dabei hörbar nicht verändert:

"Was mich zu Tretti macht / Ich tu' das, was mich happy macht"

Dazu zählt offensichtlich, gelungene Kunstgriffe zu wiederholen. Etwas anderes als die oft gespielte Gzuz-Karte hätten sich wohl viele – mich eingeschlossen – erhofft. Insofern die Gedanken nicht um Vorwürfe zu Trettis Feature-Partner kreisen, ist "Du Weißt" ein stabiler Song, der im Kontext des Albums noch mehr aufgehen könnte. Auch der deepe Vorabtrack im Geiste von "Grauer Beton" wirkt. Die "Stolpersteine" treffen genau ins Mark. Dabei wendet sich Tretti den dunkelsten Jahren der deutschen Geschichte zu. Er begegnet dem Grauen der Deportation mit großartigem Songwriting. Allein das geht schon inhaltlich tiefer als manche Diskografien und verdient tiefen Respekt.

Trettmann wird wieder zum "Raver"

Was Trettmann trotz dieser direkten Anknüpfungspunkte nicht tut, ist seine Erfolgsplatte Stück für Stück nachzubauen. Das Rave-Konzept, was er schon auf dem Frauenfeld angekündigt hatte, durchzieht die Tracks und erweitert die Figur Trettmann. Der Rauscherlebnis scheint die Platte zu einem homogenen Gesamtprodukt zu verbinden. Auch wenn ein Song wie "Stolpersteine" nicht nach kollektiver Ekstase klingen mag, so ist die Feierei doch auf textlicher Ebene präsent. Damit schmückt Trettmann eine Facette seiner Figur weiter aus, die schon 2016 auf der "KitschKrieg 2"-EP direkt auf dem Track "Raver" konkret zum Tragen kam. Apropos KitschKrieg: Die reduzierten Produktionen des Künstlerverbunds sind wieder über jeden Zweifel erhaben. Wer das hatet, dem ist nicht zu helfen.

Trettmann setzt auf weibliche Impulse

Mit KeKe und Alli Neumann schlägt Tretti auf der Feature-Seite einen neuen Kurs ein. Auf "#DIY" gaben sich vermehrt die großen Namen der Szene die Klinke in die Hand. Die Wienerin KeKe steht noch am Beginn ihrer Karriere und bekommt durch Tretti die Möglichkeit, ein größeres Publikum von ihrem Talent zu überzeugen. Alli Neumann scheint musikalisch direkt aus den Achtzigern entsprungen zu sein. Welchen Einfluss ihre Neue Deutsche Welle–Attitude auf einen ravenden Trettmann hat, wird spannend zu beobachten sein. Allein diese beiden weiblichen Gäste lenken das Trettmann-Album in eine neue Richtung. Von den vereinzelten "Palmen aus Plastik"-Tunes auf "#DIY" bleibt augenscheinlich wenig übrig.

FREITAG

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Trettmann & KitschKrieg machen Kunst

Kein Künstler will sich wiederholen. Trettmann und KitschKrieg bilden da keine Ausnahme. Sie haben klargemacht, dass das neue Album kein zweiter Teil von "#DIY" sein kann und wird. Statt jedoch einen harten Bruch voranzutreiben, vollziehen sie mehr einen gut überlegten Ausbau des eigenen musikalischen Universums. Dieser ist einerseits raffiniert genug gestaltet, um zu untermalen, das hier etwas Neues und Eigenständiges auf den Markt kommt. Andererseits reichen Tretti und KitschKrieg den Fans die Hand und erleichtern den Übergang zum Rave.

Alles läuft auf ein Stück Musik hinaus, das 2019 in dieser Form noch nicht zu bieten hatte, aber dennoch enorm vertraut wirkt. Erwartungsdruck scheint Trettmann und Kitschkrieg dabei nicht aus der Bahn geworfen zu haben – viel zu klar zeichnet sich die die Konturen eines in sich geschlossenen Albums ab. Es würde mich wirklich wundern, wenn "Trettmann" als Gesamtwerk nicht zündet.

David: Gzuz-Feature und "Stolpersteine" dämpfen die Vorfreude

Meine Hoffnungen im Hinblick auf das neue Trettmann-Album halten sich leider in Grenzen. Um das gleich vorweg zu sagen: Ich finde "#DIY" ist eines der besten Alben, die der deutschsprachige Hiphop-Kosmos hervorgebracht hat, ein rares Meisterstück. Gerade deshalb dürfte es aber eben auch extrem schwierig sein, daran anzuknüpfen, ohne die Erwartungen zu enttäuschen, beziehungsweise ein derart hohes Level zu halten.

Wird "Trettmann" wie die 3 "KitschKrieg"-Tapes?

Das "Intro" gefällt mir allerdings schon mal sehr gut. So gut, dass ich wirklich positiv überrascht war. Das klingt einerseits erfreulich stark nach dem alten Trettmann, bietet aber gleichzeitig auch genug frischen Wind. Bei mir weckt das sofort Erinnerungen an die drei grandiosen "KitschKrieg"-Tapes von Trettmann.

Auf denen wurde allerdings auch schon das Rave-Thema bereits ausgiebig beackert, und zwar mit Bravour. Ich kann mir irgendwie nicht recht vorstellen, dass dem noch etwas wirklich wertvolles Neues hinzuzufügen ist, das den Tapes gefehlt haben sollte, lasse mich aber natürlich wirklich gern eines Besseren belehren.

Auch stilistisch stimmt hier für mich alles, die Arbeit von awhodat ist sowieso über jeden Zweifel erhaben (was selbstverständlich auch für die KitschKrieg-Produktionen gilt). Obwohl ein Schwarz-Weiß-Look oder das Cover-Artwork zu "Trettmann" jetzt auch nicht unbedingt die größten Neuerfindungen des Jahres 2019 darstellen. Sei's drum, das zündet trotzdem alles und ergibt ein stimmiges Gesamtbild.

Gzuz-Feature? Du weißt, dass da mehr geht

Aber "Du weißt" mit Gzuz hat mir dann doch wieder einen gehörigen Dämpfer verpasst. Auch ich kann nicht so recht nachvollziehen, wieso Trettmann sich dazu veranlasst sieht, einfach nochmal dasselbe zu machen. Zumindest wirkt es im Hinblick auf den Track mit Gzuz so, als solle hier einfach schablonenartig der Erfolg von "Knöcheltief" beziehungsweise "Standard" wiederholt werden. 

Im Hinblick auf Gzuz hat es Trettmann leider versäumt, auf befriedigende Art und Weise Stellung zu beziehen. Was insbesondere deshalb so ärgerlich, frustrierend und enttäuschend wirkt, weil Trettmann sonst eigentlich nie darum verlegen ist, die richtigen Worte zu finden oder klare Kante (zum Beispiel gegen Rechts) zu zeigen. Wieso nicht auch hier?

"Stolpersteine" fehlt die emotionale Wucht

Der "Stolpersteine"-Funke will bei mir leider überhaupt nicht überspringen. Klar, ein derartiges Thema anzugehen, verdient Respekt. Aber ich frage mich ernsthaft, was die in diesem Zusammenhang doch arg simple Hook soll und vor allem: Wozu braucht es hier die Rave-Rahmenhandlung und diese Beziehungskiste? Auch wenn ich das Mahnende, das Warnende und den Bezug zur heutigen Zeit als wichtig erachte, passt das Ganze für mich nicht richtig zusammen und ich finde, das fällt zu eindimensional aus. Und das ist doppelt schade, weil doch gerade das unfassbar traurige "Geh ran" ein unglaublich starker Song (und vielleicht Trettmanns bester) ist. Vielleicht fehlt mir bei "Stolpersteine" das Persönliche, was "Geh ran" für mich so treffsicher gemacht hat.

Was zählt, ist das Gesamtkunstwerk

Andererseits: Vielleicht fügt sich das Ganze ja aber wirklich auch noch zu einem großartigen Gesamtbild zusammen, wenn der Song im Kontext des Albums zur Geltung kommt. Das ist einer der Punkte, die wir Trettmann und KitschKrieg definitiv zugutehalten müssen und etwas, das in den letzten Jahren gern vernachlässigt wird: Ein richtiges Album abzuliefern, als stimmiges Gesamt-Kunstwerk, mit Konzept und rotem Faden.

Trotz des Gemeckers auf hohem Niveau und einigen wenigen, vermeintlichen Haaren in der Suppe: Wenn alles gut geht, erreicht uns am Freitag von Trettmann und KitschKrieg das Album des Jahres 2019. Um genau diesen hohen Ansprüchen und der damit verbundenen möglichen Enttäuschung entgegenzuwirken, versuche ich meine Erwartungshaltung herunterzuschrauben.

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