Update vom 19.07.2024:
Inzwischen ist "The Death of Slim Shady (Coupe de Grâce)" eine Woche alt. Auch ich habe mir nach einigem Hören der Platte meine Gedanken gemacht und das Album in diese Liste eingetragen. Was meine Gedanken zu Eminems neustem Werk sind, könnt ihr weiter unten lesen.
Original-Artikel vom 11.07.2024:
Es ist wieder so weit: Eminem, der wohl erfolgreichste Rapper der bisherigen Hiphop-Geschichte, hat sein inzwischen zwölftes Solo-Album "The Death of Slim Shady (Coupe de Grâce)" veröffentlicht. Seit mittlerweile fast 30 Jahren ist die Detroiter Rap-Ikone auf der großen Hiphop-Bildfläche zu sehen.
Ein neuer Eminem-Release erzeugt aber in der Rap-Szene wie gewohnt einige Fragen und Diskussionen: Viele Fans stören sich an Eminems neuerem Output oder können vielleicht selbst nicht mehr viel mit dem "alten" Em anfangen. Andere lieben alles, was der Rap God je über drei Jahrzehnte releast hat. Auch mich, Jahrgang 1998, hat Eminem mein Leben lang begleitet. Er war einer der ersten Menschen, mit denen ich überhaupt das Wort und Genre Rap in Verbindung gebracht habe. Da habe ich mir persönlich die Frage gestellt: Wie sehe ich Eminems Diskografie eigentlich heute? Was ist das beste Album, was das schlechteste? Welche Platte finde ich überraschend gut, welche sind mir ans Herz gewachsen? Also habe ich an dieser Stelle mein ganz persönliches Ranking aller Eminem-Alben erstellt.
Aber zuerst ein paar Grundregeln: In dieser Liste beschäftige ich mich nur mit allen bisher zehn offiziell veröffentlichten Solo-Alben von Slim Shady. Eminems erstes Album "Infinite", welches schon 1996 spärlich erhältlich war und auch heute nicht auf Streaming-Diensten zu finden ist, sowie sein Output mit D12 oder als Rap-Duo Bad Meets Evil mit Royce Da 5'9'' werden nicht von mir behandelt. Die Reihenfolge beginnt von unten nach oben, heißt: Ich fange mit dem Album an, das ich am schlechtesten finde und arbeite mich Schritt für Schritt bis zur (meiner Meinung nach) besten Eminem-Platte hoch. Also, los gehts:
Platz 11: Revival (2017)
Mit einem wirklichen Hot Take fängt die Liste nicht an: "Revival", Eminems LP aus 2017, ist für mich mit großem Abstand sein schlechtestes Werk. So schlecht sogar, dass ich noch ganz genau weiß, wann und wo ich das Album genau zum ersten Mal gehört habe. Am Releasedatum, dem 15. Dezember 2017, war ich 19 Jahre alt, zwei Monate im ersten Semester meines Studiums drin und hatte in diesem Jahr nach einer längeren Zeit von pubertärer unreflektierter Abneigung wieder Hiphop für mich entdeckt. Als ich mich von meinen Freund*innen verabschiedet hatte und in den Zug nach Hause stieg, griff ich direkt zu meinen Kopfhörern und startete gespannt Eminems neue Platte "Revival".
Danach fühlte ich nur eines: pure Enttäuschung. Mir ist in diesem Moment bewusst geworden, dass Künstler*innen, die ich eigentlich feiere, wohl auch Alben veröffentlichen können, von denen ich nicht einem einzigen Song etwas abgewinnen kann. Trotz der teils politischen Motive auf "Revival" rappt Eminem auf dem Album nicht einmal unterhaltsamen lyrischen Unsinn, sondern ist einfach absolut nichtssagend. Die belanglosesten Pop-Features in Ems Karriere und cringe Rock-Samples aus Songs wie "I love Rock'n'Roll" helfen nicht wirklich dabei, dass die Platte mit rund 80-minütiger Laufzeit überhaupt mal einen kreativen Fokus findet. Mit Abstand der musikalische Tiefpunkt in Eminems Karriere.
Platz 10: Kamikaze (2018)
Nicht mal ein Jahr später kehrte Eminem schon zurück: Am 31. August 2018 veröffentlichte Em ohne Vorankündigung sein nächstes Werk "Kamikaze". Die Platte ist vor allem eine Antwort an die Kritiker von "Revival" und den damaligen, modernen Hiphop-Zeitgeist. "Kamikaze" ist nach "Revival" musikalisch zwar ein Schritt nach vorne, jedoch kein großer. Denn leider fühlt sich das ganze Album wie die Reaktion eines trotzigen, beleidigten Kindes an.
Direkt auf dem Introtrack "The Ringer" behauptet Slim Shady beispielsweise, dass Kritiker*innen sein vorheriges Album nicht richtig gehört hätten und nur schlechte Reviews veröffentlichen würden, um Aufmerksamkeit und Klicks zu generieren. Außerdem sei die moderne Rap-Szene mit ihren Trap-Flows und immer gleichen Themen schlecht oder zumindest nichts für Eminem. Mit diesem Grundtenor geht es auf den zwölf weiteren Tracks der Platte weiter. Einer der wenigen Entertainmentfaktoren ist dann doch, wenn Eminem andere Rapper erwähnt, was ja auch schlussendlich zu dem erneuten Aufblühen des Machine Gun Kelly-Beefs und den Disstracks "Rap Devil" und "Killshot" geführt hat.
Platz 9: Music To Be Murdered By (2020)
Bleiben wir bei den Überraschungsreleases: Eminems erster Release der 2020er "Music To Be Murdered By" landet zwar auf Platz 8 meines Rankings, ist aber dennoch qualitätstechnisch meiner Meinung nach ein großer Sprung von "Revival" und "Kamikaze". Auf der Platte befindet sich beispielsweise mit "Darkness", einem sehr gefühlvollen Track über den tragischen Massenmord in Las Vegas 2017, der wahrscheinlich beste Eminem-Song der letzten zehn Jahre. Ebenfalls hervorzuheben sind "Lock It Up" mit Anderson .Paak und "Godzilla" mit dem 2019 verstorbenen Rapper Juice WRLD. Ein weiterer Pluspunkt ist außerdem der kreative Fokus auf "Music To Be Murdered By", den Eminem mit dem Alfred Hitchcock-Konzept zumindest teilweise setzt.
Trotz alldem hat "Music To Be Murdered By" ein großes Problem: die Überlänge. Die "Side B"-Version des Albums beinhaltet ganze 36 Songs auf einer Länge von knapp zwei Stunden. Klar gibt es da wie schon oben genannt ein paar Highlights, jedoch neben sehr vielen nichtssagenden Tracks (wie beispielsweise die beiden inzwischen gefühlt überflüssigen Skylar Grey-Features) auch absolute Tiefpunkte. Zu nennen sind da vor allem der spätpubertäre und nervtötende Track "Stepdad" oder der scheiternde Versuch auf "Those Kinda Nights", Ed Sheeran und Eminem zu einer clubtauglichen Kombo zu machen.
Platz 8: The Death of Slim Shady (Coup de Grâce)
Zum Zeitpunkt dieses Updates ist der Release von "The Death of Slim Shady" inzwischen eine Woche her. Und ich muss sagen: Das Album hat mich leider nicht überzeugt.
Aber erstmal zum Positiven: Das Konzept ist eigentlich gut. Mir gefällt die Idee, die Persona Slim Shady zu Grabe zu tragen. Außerdem gibt es ein paar gute Songs, wie etwa "Fuel" mit JID, "Tobey" mit Big Sean und BabyTron und "Guilty Conscience 2".
Aber bedauerlicherweise ist die Umsetzung dieser Idee meiner Meinung nach überhaupt nicht gelungen. Nach dem "Tod" von Slim Shady auf "Guilty Conscience 2" hätte das Album entweder enden müssen oder Eminem hätte sich auf den folgenden Tracks mit dem Ableben seiner extremen Persona beschäftigen müssen. Stattdessen hat der Tod Slim Shadys keinerlei Konsequenz. Deswegen fühlen sich die danach noch ganzen fünf folgenden Songs sehr fehl am Platz an.
Ein weiterer Punkt, wegen dem ich "The Death of Slim Shady" so gut wie nichts abgewinnen kann, ist der Inhalt. Statt nach oben tritt Em auf dem Album fast permanent nur nach unten. Sei es gegen die Gen Z, Trans-Personen, Menschen mit Behinderung und viele mehr. Klar kann man das alles auf die Persona Slim Shady schieben. Aber der Tod dieser hatte nicht die Konsequenz, dass Eminem jetzt versteht, warum es peinlich ist, sich heutzutage noch über Christopher Reeves Querschnittslähmung und Caitlyn Jenners Geschlecht lustig zu machen. Also kann man nur davon ausgehen, dass Eminem zumindest teilweise die Ansichten vertritt, die er hier als Slim Shady rappt.
Platz 7: Encore (2004)
Das mag jetzt für einige Eminem-Fans überraschend sein, aber meiner Meinung nach ist "Encore" aus 2004, damals als letztes, großes Finale von Em gedacht, leider das schlechteste Werk des "alten" Eminems. Klar gibt es auf der einen Seite mit "Mockingbird", "One Shot 2 Shot" und "Like Toy Soldiers" absolut hervorzuhebende Songs auf der Platte.
Jedoch geht der übertriebenen, schrillen und zum Teil ekligen Schiene, die Eminem bis dato oft in seinen künstlerischen Werken gefahren ist, auf "Encore" die Luft aus. Denn Rap-technisch ist Eminem hier genau wie sein damaliger Gesundheitszustand: am Ende seiner Kräfte. Man merkt wirklich, dass Eminem laut eigenen Aussagen während der Produktion von "Encore" stark suchtkrank gewesen ist. Anders kann man sich die als Songs getarnten Unfälle wie "Puke", "Ass Like That", "Big Weenie" und "Just Lose It" nicht erklären. Aber eines muss ich sagen: "Rain Man" rappe ich mindestens einmal die Woche in meinem Kopf nach, der Track wird alleine aus Nostalgie-Gründen immer einen Platz in meinem Herzen haben.
Platz 6: Recovery (2010)
"Recovery" würde ich wohl als das erste Album in der Ära des "neuen" Eminems bezeichnen. Gleich in der Widmung wird Ems Herangehensweise an dieses Album klar: "An alle, die an einem dunklen Ort sind und versuchen, herauszukommen. Kopf hoch... Es wird besser!" Der Sound ist epischer, emotionaler und zugleich viel massentauglicher und poppiger, als es Eminem teilweise schon in der Vergangenheit war. Nicht umsonst ist "Recovery" dank absoluter Kassenschlager wie "Not Afraid", "Love The Way You Lie" mit Rihanna, "No Love" mit Lil Wayne und "Cinderella Man" seine kommerziell dritterfolgreichste Platte.
Ich persönlich oute mich hier auch mal als kleiner Fan des Albums. Vor allem die Hits haben es mir damals als 12-Jähriger beim Schauen von Viva Top 100 sehr angetan und gefallen mir eigentlich auch heute noch. Sei es aus Nostalgie-Gründen oder weil die Tracks einfach das halten, was sie versprechen. Die restlichen Songs von "Recovery", wie beispielsweise "Won't Back Down" mit P!nk, "25 To Life" und "Almost Famous", sind dann jedoch an vielen Stellen leider nicht der Rede wert. Nicht gut, nicht schlecht, aber in großen Teilen sehr langweilig.
Platz 5: The Marshall Mathers LP 2 (2013)
"The Marshall Mathers LP 2" ist meiner Meinung nach das bisher beste Album der Eminem-Ära nach 2010. Slim Shady verstand es hier, nach "Recovery" mit dem poppigen Sound etwas zurückzurudern, denn nicht nur Titel und Cover der Platte sind Rückbezüge: Eminem hat sich mit "MMLP 2" auch seinem alten Sound wieder angenähert. Jede Menge DJ-Scratches und oldschool Hiphop-Beats mit einigen Beastie Boys-Samples sind auf Songs wie "Berzerk" an der Tagesordnung.
Stringent durchgezogen hat Eminem diese Linie aber dann doch nicht: Passend zum Zahn der Zeit des Jahres 2013 rappt der Rap God auf dem gleichnamigen Track auf einem EDM/Dubstep-Beat. Mit dem Rihanna-Feature "The Monster" und "Headlights" mit FUN-Sänger Nate Ruesso kann Eminem aber auch die teilweise sehr kitschigen Pop-Rap-Balladen nicht lassen. Trotzdem ist "MMLP 2" vor allem wegen der vielen oldschool Einflüsse und Rückbezügen auf die erste Ausgabe ein deutlich spannenderes Projekt als "Recovery".
Platz 4: Relapse (2009)
"Relapse" und die Erweiterung "Relapse: Refill" haben einen merkwürdigen Status in Slim Shadys Diskografie inne. Knapp fünf Jahre nach der Veröffentlichung von "Encore" befindet sich "Relapse" inzwischen irgendwo zwischen dem "alten" und dem "neuen" Eminem. Und ich glaube, genau deswegen gefällt mir dieses Album im Vergleich zu "MMLP 2" und "Recovery" viel besser. Die Mischung macht es halt: Typische Eminem-Songs wie "My Mom", "Music Box", "3 a.m." und "We Made You" treffen auf Rap-Balladen wie "Beautiful" und Party-Hymnen wie "Old Time's Sake" und "Crack A Bottle".
Mein absolutes Highlight ist jedoch der Posse-Cut "Forever" zusammen mit Drake, Kanye West und Lil Wayne. Wer da nicht direkt nostalgisch wird und sich diverse Sport-Highlights zu dem Song vorstellt, dem kann ich auch nicht mehr weiterhelfen. Die Production auf "Relapse" mag zwar für einige aufgrund des Ende-2000er/Anfang-2010er-Sounds vielleicht ein wenig aus der Zeit gefallen sein. Aber vertraut mir, alle Trends kommen früher oder später zurück.
Platz 3: The Slim Shady LP
Für manche mag es überraschend sein, aber ja: "The Slim Shady LP", das legendäre Eminem-Debüt, das ihn 1999 von null auf hundert zum internationalen Rap-Star machte, ist für mich nur auf dem dritten Platz dieses Album-Rankings. Klar, der erste Auftritt von Slim Shady ist und bleibt ein absoluter Klassiker. Was soll man auch sonst sein, wenn man Banger wie "My Name Is", "Guilty Conscience", "'97 Bonnie & Clyde", "Role Model", "Just Don't Give A F*ck", "Bad Meets Evil" am Start hat? Die "The Slim Shady LP" ist gespickt mit beispiellosen Hits und hat Horrorkore in den Mainstream gebracht.
Dass die Platte auf meiner Liste dennoch auf Platz Drei landet, hat zwei Gründe: Ich komme im Gegensatz zu den zwei folgenden Alben nicht so oft auf "The Slim Shady LP" zurück. Außerdem sind dann Songs wie zum Beispiel "Cum On Everybody" ein bisschen too much für meinen Geschmack.
Platz 2: The Eminem Show (2002)
Was soll man dazu noch groß zu sagen? Für viele ist "The Eminem Show" das Magnum Opus des Rap Gods. Das meistverkaufte Hiphop-Album aller Zeiten ist persönlicher, rockiger und introspektiver als seine Vorgänger und beinhaltet zugleich die wahrscheinlich größte Hit-Dichte aller Zeiten: "Without Me", "Till I Collapse", "Cleanin' Out My Closet", "Sing For The Moment", "Superman", alles auf einer Platte. Auch die politischen Tracks wie "Square Dance", "White America" und "Sing for the Moment" sind zynisch, satirisch und treffen den Zeitgeist der Post-9/11-USA perfekt. Noch dazu präsentiert Eminem auf "The Eminem Show" auch sein Talent als Beatmaker, da er einen Großteil der Tracks selbst produziert hat.
"The Eminem Show" ist ein großartiges Album fast ohne Skips und objektiv wahrscheinlich sogar das beste Projekt des Rap Gods. Es gibt aber ein anderes Eminem-Album, das ich persönlich an der Spitze sehe:
Platz 1: The Marshall Mathers LP (2000)
"Shrek 2", "Das Imperium Schlägt zurück", "Der Pate 2": Ich habe eine Schwäche für so manche Fortsetzungen. Deswegen landet auch Eminems zweites Album "The Marshall Mathers LP" auf Platz Eins meines Rankings. Statt nur in der Psyche seines überzeichneten Alter-Egos, bewegt sich Eminem auf der "MM LP" zwischen seinem realen Selbst und der Slim Shady-Persona immer wieder hin und her. Deswegen ist die Platte meiner Meinung nach auch die perfekte Charakterisierung des Künstlers und der Kunstfigur Eminem.
Die meiner Meinung nach besten Eminem-Songs aller Zeiten sind alle auf diesem Album zu finden: Vom wundervollen Dido-Sample und Abhandlung mit den eigenen Fans auf "Stan", mit welchem er einfach mal den heutigen Begriff eines Super-Fans erfand, zum plötzlichen Kontrast über Eminems Eheleben aus dem schaurig-brutalen Anti-Love-Song "Kim" bis zur ehrlichen und ironischen Ode an die Drogen "Drug Ballad" und nicht zu vergessen weitere Classics "Bitch Please II", "The Way I Am" und "The Real Slim Shady" sind die meiner Meinung nach besten Eminem-Songs alle auf diesem Album zu finden. Für mich persönlich ist "The Marshal Mathers LP" das unantastbare Meisterwerk Eminems.
Wo sich "The Death of Slim Shady (Coup de Grace)" in meiner Liste einreihen wird, erfahrt ihr nächste Woche in einem Update. Eine Sache kann ich aber verraten: Die neuste Single "Tobey" mit Big Sean und Babytron gefällt mir schon richtig gut.