Dendemann, Yassin, Döll: Weshalb Deutschrap solche Alben braucht

Deutschrap hatte 2018 total im Griff. Hits, Klicks, Streams – kein anderes Genre drückte dem letzten Jahr mehr seinen Stempel auf. Trotzdem oder gerade deswegen wurde die Kritik an diesem Zustand immer lauter. Gleichklang, Inhaltsarmut oder Technikmangel sind die am häufigsten auftauchenden Vorwürfe.

Direkt im Januar deutet sich dahingehend eine Wende an. Gleich drei Artists liefern genau das, was manche Rapfans sehnsuchtsvoll vermissen. Dendemann, Yassin und Döll kommen mit Alben, die noch als Gesamtwerk gedacht sind. Auf lukrative Playlist-Positionen scheint keiner von ihnen aus zu sein.

Diese drei Künstler stehen für eine andere Seite von Rap. Eine Seite, die letztes Jahr im kollektiven Erfolgsrausch ein wenig in Vergessenheit geraten ist. 2019 beginnt mit Kunst, die etwas mitteilen will. Hier hält sich niemand mit einem beliebigen Abklatsch von Afrotrap auf – und auch die stetigen Risse in der Gesellschaft werden nicht mit bloßer Ignoranz weggewischt.

Dendemann: Lyrische Finesse mit Gesellschaftskritik

Mit einer Comeback-Single nach acht Jahren Auszeit direkt politisch zu werden, ist mutig. Dendemann hat es trotzdem gewagt. Mit "Keine Parolen" legt er den Finger mitten in die offenen Wunden eines Deutschlands, das merklich nach rechts gerückt ist. Unter diesen Ambitionen leiden aber keinesfalls die lyrischen Fähigkeiten des Dendemeiers.

Wortspiele, Referenzen, Querverweise – Dendemanns Texte stecken weiterhin voller Feinheiten, die einem zum Teil erst nach mehreren Hördurchläufen oder Jahre später auffallen. Dass die Hook von "Keine Parolen" auf den Beginner-Track "K.E.I.N.E" aus dem Jahr 1992 (!) anspielt, der wiederum von der Punkband Slime inspiriert ist, checken auf Anhieb wohl nur Ultrafans der Hamburger Rapschule oder wandelnde Musiklexika.

Es sind diese Elemente, die Dendemanns Kunst einen Mehrwert verpassen. Einen Wert über das erste Hören hinaus, der bei vielen der Hitgaranten der letzten Zeit so nicht zu finden ist. Damit geht allerdings nicht einher, dass Dende auf irgendeinem Oldschool-Film hängen geblieben wäre. Die zweite Single "Littbarski" mit Trettmann ist zwar ähnlich vollgestopft mit Referenzen, aber verdeutlicht, dass Legendemann in den letzten Jahren genau auf die Szene geschaut hat.

Dendemann agiert auf den bisher gezeigten Songs aus "Da nich für!" als Gesellschaftskritiker, der den Zeigefinger stecken lässt und stattdessen auf die Kraft seiner Skills setzt. Die aktuelle Track-Auskopplung "Menschine" ist ein weiteres Signal in diese Richtung. Auf einem angetrappten Beat zeichnet Dendemann eine düstere Welt, in der das Menschsein mehr und mehr verloren geht.

"Draußen sind tausend Roboter in trendigen Farben / Alle lebendig begraben, egal – Handy geladen"

Yassin: Mit Autotune zum besseren Song

Mit Audio88 macht Yassin schon sehr lange äußerst "normale Musik". Ein Soloalbum ist bis dato aber noch nicht zustande gekommen. "Ypsilon" ändert diesen Umstand. Yassin schafft es, sich mit seinem ersten Soloalbum musikalisch zu entkoppeln. Die komplett düstere Ästhetik ist bereits bei den letzten Audio88 & Yassin-Alben verschwunden. Der Solo-Yassin geht hier noch einen guten Schritt weiter.

Yassin seziert schlau, was in unserem "Abendland" falsch läuft. Eine gesungene Line beschreibt treffsicher die Kluft, die zwischen Politik und Teilen der Bevölkerung entstanden ist:

"Doch was nützen die schönsten Metaphern / Wenn's die Dümmsten nicht raffen, es wird dunkel im Abendland"

Ohne sich an angesagte Sounds anzubiedern liefert Yassin auch auf "Meteroiten" eine Kostprobe von Songwriting, das eingängig, aber keineswegs belanglos ist. Den Autotune-Hatern rollen sich bei "Haare grau" bestimmt die Fußnägel noch. Der Track sensibilisiert gleich zu Beginn für das Soundgerüst, das Yassin auffährt. Mit Liebe zum Detail ist ein Kosmos entstanden, der erkennen lässt, das Yassin weitaus mehr ist als irgendein linker Szenerapper.

Yassins Platte dreht sich um Trennungsschmerz, das Aufwachsen in einem Deutschland, das für den Rapfan Yassin noch nicht ready war und den Wunsch endlich anzukommen. Er kratzt dabei nicht nur an der Oberfläche, sondern verleiht seiner Künstlerpersönlichkeit ein Vielfaches an Tiefe. Auf dem Track "Junks" berichtet er beispielsweise auf einem technoiden Beat schonungslos offen von eigenen Drogenproblemen.

Yassin scheint mit den Jahren immer mehr Abstand zu seiner Kunstperson im permanenten Beschwerdemodus gefunden haben. Selbstzweifel ziehen sich durch die Songs. Ob es mit der Mucke reicht? Mal gucken. Auch die Fans von Yassin in der Rolle des Misanthropen kommen auf ihre Kosten. Casper, Audio88 und Yassin sparen sich die "Eine Kugel" auf und haben nur Mitleid für die allzu oft belastende Menschheit übrig.

Den Zugang zu Yassin zu finden, ist eventuell ein wenig beschwerlich, aber es lohnt sich. Der Darmstädter bezeichnet sich daher selbst als "erster Kanacke, den Kanacken nicht feiern" ("Haare grau"). Das liegt wohl daran, dass er das Image eines Intellektuellen besitzt. Das macht ihn sicherlich nicht zum Teenie-Idol – aber er tut es für die Kunst.

Döll: Realer geht es kaum

Fabian Döll ist eine bemerkenswerte Figur in der Rapszene. Mit "Weit entfernt" schuf der Bruder von Mädness 2014 einen "Classic ohne Albumrelease" ("Sah es in mir"). Darauf folgte abgesehen von der Kollaboplatte "Ich und mein Bruder" eher wenig. Das ist mit "Nie oder jetzt." vorbei.

Döll hat eine der wohl persönlichsten Platten erschaffen, die man als Künstler schreiben kann. Viel näher wird man in die Gedankenwelt eines struggelnden Rappers nicht eintauchen können. Hier gibt es keine Filter und keine Beschönigungen. Auf mehrheitlich zeitgemäßen Boombap-Produktionen von Dexter, Torky Tork, Gibmafuffi, Enaka und vielen mehr reibt sich ein emotionaler Döll an seinem Leben auf.

Er spricht über seine Spielsucht, menschliche Abgründe, Bruderliebe – alles ist dermaßen klar mit Fabian Döll verbunden, dass es fast körperlich wehtut. Dölls Album ist authentischer und realer als der Großteil der Gangstarap-Alben da draußen. Die Extreme, die Döll auf "Für den Fall" skizziert, müssen einfach echt sein.

Zum einen ist da die tatsächliche Angst, in die Beschaffungskriminalität zu schlittern. Zum anderen formuliert Döll das bittere Eingeständnis, dass Talent allein nicht reicht, um von Rap leben zu können. Wenn Döll Bilanz zieht, hat er viel Zuspruch erlebt, aber auch besoffen vor 17 Konzertbesuchern in Essen gespielt.

Bei all diesen Einsichten setzt er die Reime präzise in den Takt und lässt keinen Zweifel daran, dass er ein begnadeter MC ist. Rap dient als Ventil, um klarzukommen. Wenn Döll im Interview bei der Backspin sinngemäß sagt, dass ihn der Schreibprozess in die Embryonalstellung gezwungen hat, dann ist das nach dem Hören dieses Albums mehr als nachvollziehbar.

Zu deutlich schreit aus den Lines die innere Zerrissenheit. Auf "Nie oder jetzt." schließt Döll mit dem bloßen Schreiben über das Schreiben ab und zieht den Hörer bis zum dreckigen Bodensatz der Welt eines Hoffnungsträgers, der der die Hoffnung selbst schon fast verloren hatte.

Rap 2019 – mit Botschaft

Es wäre übertrieben, diese drei Januar-Releases unter dem Schirmbegriff Conscious Rap zusammenzufassen. Trotzdem liefert jede Platte ihre eigene Message. Dende, Yassin und Döll haben sich bewusst dafür entschieden, etwas zu erzählen und es sich nicht im Windschatten von Trends bequem zu machen. Luxus, Ruhm und das Dauermantra vom Good Life sucht der Hörer vergebens.

Stattdessen setzten die drei einen starken Kontrapunkt zu allem, mit dem sich heute die erfolgsversprechende Deutschrap-Playlist füllen lässt. Was ihnen persönlich am Herzen liegt, spiegelt sich in ihren Songs. Rap war immer schon eine Form des Aufbegehrens gegen Etabliertes. Heute ist Rap selbst etabliert und muss nicht mehr mit Ellbogen um Anerkennung kämpfen. Diese Alben rufen vielleicht nicht zur großen Revolte auf, aber sie weisen gebündelt daraufhin, dass da noch mehr im Deutschrap los ist, als es die allgegenwärtigen Chartbreaker verdeutlichen.

Eventuell tragen solche Alben und Konzepte dazu bei, eine Kurskorrektur in Gang zu setzen. Der Trend zum gewissenhaften Album setzt sich in den nächsten Wochen erstmal fort. Die Releases von Kool Savas, Disarstar und Tua werden ebenfalls nicht versuchen, auf irgendeinen Hype aufzuspringen. Der Winter und das kommende Frühjahr geben Anlass, an ein Deutschrapjahr im Gleichgewicht zu glauben.

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