Jede Verschwörungstheorie zu Corona ist eine zu viel

Was haben der 11. September, der Tod von Nipsey Hussle und das Coronavirus gemeinsam? Es gibt wahnwitzige Alternativversionen zu der offiziell kommunizierten Nachrichtenlage. Oder kurz: Verschwörungstheorien.

Diese werden heutzutage nicht ausschließlich von dubiosen Gestalten in privaten Chat-Gruppen geteilt, sondern von reichweitenstarken Rappern und Rapperinnen wie Juju und Ramo aufgegriffen. An vorderster Front kämpft zudem Leon Lovelock, der vergangenes Jahr besonders mit Hauptaugenmerk auf Verschwörungstheorien in Deutschrapinterviews aufgefallen ist.

Leon Lovelock zu Corona: "Wacht auf!"

Der Mannheimer Fitnessfan, der gerne die Stars der Szene zu sich ins Café einlädt, hat sich in seinem neuesten Video 20 Minuten auf eine Treppe gesetzt, um zu erklären, "wie sie uns langsam lahm legen". Sie? Das sind in Leon Lovelocks Welt die da oben, die Medien oder eine wie auch immer gestaltete Machtelite.

Der selbsternannte "Skeptiker der Mainstreammedien" setzt das Virus direkt zu Beginn seines Monologs in Anführungszeichen. Auch ruft er namentlich Xavier Naidoo, Kollegah und Kianush auf, ihm beizustehen und "alles zu sagen, was sie wissen". Ohne jetzt alle Geschichten aufwärmen zu wollen – die herbeigesehnten Unterstützer sind kürzlich oder im letzten Jahr ebenfalls nicht damit aufgefallen, die Welt mit seriösen Informationen zu bereichern.

Ebenso führt er aus, dass er auf jeden Fall rausgehen und sich keinesfalls einschränken werde – komme, was wolle. Das Virus könne schließlich nicht töten – das betont er gleich mehrfach. Zusätzlich stimmt er alle anderen Querdenker auf Revolution ein. "Macht auch ready für den Kampf", ist eine dahingehende Ansage.

Was Leon Lovelock auf keiner Ebene zu begreifen scheint, ist, warum gegenwärtig solche drastischen Maßnahmen ergriffen werden. Es ist nicht von Belang, dass einem jungen, trainierten Mann das Virus vielleicht nur ein Husten oder ein bisschen Unwohlsein abringt. Es geht darum, dass wir Mütter, Väter, Großeltern, älteren Menschen und Personen mit Vorerkrankungen nicht leichtfertig einer Todesgefahr aussetzen.

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Es geht nicht mehr darum, zu verhindern, dass Menschen mit dem #Virus zusammenkommen. Das ist eine #Pandemie. Sie ist nicht mehr zu stoppen. Es geht um die Verlangsamung. #coronavirus #WHO https://t.co/44w3PHMLvX

Deutschland hat nicht die medizinischen Kapazitäten, um auf eine ungebremste Ausweitung der Krankheit angemessen reagieren zu können. Wir müssen daher alle dabei mithelfen, die Verbreitung zu verlangsamen. Mit größtmöglicher Ignoranz und Verantwortungslosigkeit ist dieses Vorhaben zum Scheitern verurteilt. Wozu es führt, wenn dringend erforderliche Maßnahmen zu spät angegangen werden, sehen wir in Italien.

Dort kann man aktuell die Versorgung aller Patienten nicht mehr gewährleisten. Ein Narkosearzt aus Bergamo erzählt gegenüber italienischen Medien aus seinem Alltag:

"Wenn jemand zwischen 80 und 95 Jahre alt ist und große Atemprobleme hat, führen wir in der Regel die Behandlung nicht fort."

Damit das hierzulande nicht passiert, müssen wir alle dafür Sorge tragen, das Gesundheitssystem im Rahmen unserer Möglichkeiten zu entlasten. Auch wenn das unsere persönliche Freiheit einschränkt. Wir sind angehalten, die Umstände zu akzeptieren und nach Lösungen für ein gutes und vor allem ansteckungsfreies Miteinander zu streben. Der Egoist, der mit dem Kopf durch die Wand rennen will, um ungehindert seine Klimmzüge zu genießen, zeigt keinerlei Reife. Mit solch einer unsachlichen Herangehensweise tun sich auch bekannte Gesichter der Rapszene hervor.

Juju & Ramo stimmen mit ein – PA Sports sucht den Dialog

Juju und Ramo reagieren zwar nicht direkt auf Leon Lovelock, aber leisten ebenso einen Beitrag zur Verwirrung mit Posts in ihren Stories. Auch wenn die beiden Artists ihre Posts nicht vollkommen uneingeschränkt absondern, geben sie ihren Fans dennoch fadenscheinige Erklärungsmodelle an die Hand.

Hinter all den Geschehnissen vermutet der von beiden rumgereichte Text eine nahezu sämtliche Bereiche umfassende Weltverschwörung. Die "Beispiele zum Nachdenken", wie Juju sie nennt, erzählen vom "Alibi für den Zusammenbruch des Finanzsystems" und beschreiben die Möglichkeit, dass alle Menschen "zugleich verchippt werden können". Auch Leon Lovelock stimmt seine Anhängerschaft darauf ein, sich derart alternativ zu informieren. Die angekündigten Quellen für seine kühnen Gedanken finden sich in der Videobeschreibung übrigens nicht.

Dass diese Ideen überhaupt Einzug in deutsche Jugendzimmer halten, ist gefährlich. Teenies, die im Bett liegen und in ihrer Story bestätigend mit dem Kopf wackeln, sind vermutlich die, die es für eine guten Plan halten, sich für eine Corona-Party zu versammeln.

PA Sports hat relativ schnell das Gespräch mit Leon Lovelock gesucht und ihm nachvollziehbar dargelegt, dass er auf dem Holzweg ist. Dazu gehört auch die offenbar notwendige Erklärung, dass Aussagen der Regierung und Berichte der Boulevardpresse nicht das Gleiche sind.

Statt auf alles und im Endeffekt auf jeden Menschen aus der Risikogruppe einen gehörigen F*ck zu geben, ist es vielmehr an der Zeit, solidarisch zu sein. Sierra Kidd ruft in seiner Insta-Story genau dazu auf und teilt die Seite quarantaenehelden.org, die ein Forum für hilfesuchende Menschen bietet, die direkt oder indirekt von Quarantäne-Maßnahmen betroffen sind.

Egoismus à la Lovelock stellt Ärzte, medizinisches Personal und im Endeffekt unsere gesamte Zivilgesellschaft vor unnötige Herausforderungen. Pflegenotstand hat in Deutschland auch schon vor der Ausbreitung von Corona existiert. Diese Situation wird sich weiter zuspitzen.

Wir sollten uns alle darüber einig sein, dass den Worten von anerkannten Wissenschaftlern mehr Glauben zu schenken ist, als jemanden, der das Virus aus einem bloßen Gefühl heraus für nicht tödlich hält. In der Unterhaltung mit PA Sports gibt Leon Lovelock letztendlich zu, bei dem gesamten Themenkomplex schlichtweg "überfragt" zu sein. Keine Pointe.

Verlässliche sowie hilfreiche Informationen zu Corona und COVID-19 stellen zum Beispiel die WHO oder die Webseite der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung zur Verfügung. Aktuelle Entwicklungen und Daten finden sich zudem auf der Page vom Robert Koch Institut.

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