Sexuelles Fehlverhalten: Frauen erheben schwere Vorwürfe gegen Rapper

Triggerwarnung: Der folgende Artikel beschäftigt sich mit sexualisierten Gewalthandlungen und deren Folgen für Betroffene. Dies kann belastend sein und retraumatisierend wirken.

Aktuell gibt es schwerwiegende Vorwürfe gegen einen bekannten deutschen Rapper. Eine Frau wirft ihm auf Instagram sexuelle Gewalt vor. Ihr Profil wurde seitdem mehrfach aus unbekannten Gründen gelöscht. Der beschuldigte Rapper hat sich bislang nicht geäußert. Sein Label äußerte sich ebenfalls nicht zum konkreten Fall, entfernte den Rapper aber offenbar von seiner Website. Mehrere Rapmagazine und Influencer berichteten, Videoproduzenten kündigten in einem Kommentar die Zusammenarbeit. Shirin David kündigte an, positive Erwähnungen des Rappers von ihrer kommenden Single zu entfernen. 

Den Namen des Beschuldigten nannte Shirin David nicht. Auch für Rapper, die in der Öffentlichkeit stehen, gilt die Unschuldsvermutung, ihr Persönlichkeitsrecht ist im Grundgesetz geschützt. Auch Medien ist es nur sehr eingeschränkt erlaubt, über unbewiesene Vorwürfe zu berichten, wenn diese für den Beschuldigten existenzgefährdend sein können. Auch im aktuellen Beispiel haben wir von Kolleg*innen von Anwaltspost nach wenigen Stunden erfahren.

Für die Frage, ob Berichterstattung erlaubt ist, gilt vielen als ausschlaggebend, ob die Polizei Ermittlungen aufnimmt und einen Anfangsverdacht bestätigt. Im aktuellen Fall möchte die Betroffene nicht zur Polizei gehen. Sie schreibt, sie wolle dem Rapper nicht im Gerichtssaal begegnen und sich dort nicht von seinem Anwalt vorwerfen lassen, sie sei nicht missbraucht worden.

Wieso gehen viele Betroffene nicht zur Polizei?

Viele Frauen, die Opfer von sexualisierter Gewalt werden, scheuen den Weg zur Polizei, weil sie die Sorge haben, dass die Chance, Recht zu bekommen, gering ist. Manche Betroffene fürchten eine medizinische Untersuchung, die Bloßstellung, die Nachfragen. Besonders hoch ist die Hemmschwelle, wenn der Täter deutlich machtvoller erscheint.

In einer Studie der London Metropolitan University heißt es, "Polizei und [...] Justizbehörden" hätten die "weit verbreitete Auffassung, dass Falschanschuldigungen ein groβes Problem" seien. Der Anteil der "Falschanschuldigungen bei Vergewaltigung" liegt laut der Studie aber bei nur drei Prozent. Weitere Gründe, wieso Verfahren eingestellt werden: Die Täter können nicht ermittelt werden, die Tat ist nicht beweisbar oder es ist unklar ob das, was passiert ist, als Vergewaltigung einzuordnen ist. Im Zweifel entscheidet die Justiz natürlich für den Angeklagten.

Wie aus Opfern Täter gemacht werden

Auch in der digitalen Öffentlichkeit steht nicht jeder auf der Seite der mutmaßlich Betroffenen. Im aktuellen Fall zeigt sich häufig sogenanntes "Slut Shaming". Die mutmaßlich Betroffene veröffentlicht auf Instagram erotische Fotos und ist auf OnlyFans aktiv. Manche meinen, man dürfe ihr deshalb weniger glauben oder geben ihr sogar eine Mitschuld an etwaigen Übergriffen. Plötzlich hat die Schuld, die angegriffen wurde. Kein Outfit der Welt, kein Nacktfoto rechtfertigt eine sexuellen Übergriff. Sich mit einem Mann privat zu treffen, ist kein Einverständnis zu Sex. Auch drei Schritte mitgegangen zu sein, räumt einem Mann nicht das Recht ein, auch den vierten Schritt zu gehen. Sex ohne vollständigen Konsens ist ein Verbrechen. 

Das Gefühl, in der Gesellschaft keine Hilfe zu bekommen, verstärkt das Problem. Laut der Bundeszentrale für Politische Bildung sind "12 Prozent der in Deutschland lebenden Frauen über 15 Jahre (...) in ihrem Leben schon mal Opfer strafrechtlich relevanter sexueller Übergriffe geworden".

Lösen lässt sich das wohl nur, wenn Männer anfangen, ihr Verhalten stärker zu hinterfragen. Sich zu fragen, ob wirklich immer Einverständnis herrschte und auf die eigenen Denkmuster zu achten. Wird eine Frau für dich weniger glaubwürdig, wenn sie erotische Fotos veröffentlicht? Denkst du auch manchmal, eine Frau würde "sicher übertreiben" oder prüde sein, wenn sie sexuelle Belästigung anspricht?

Wo die Übereinstimmung endet und die Straftat beginnt

Seit 2016 ist in Deutschland jede sexuelle Handlung gegen den "erkennbaren Willen" eine Straftat. Es gilt seitdem der Grundsatz: "Nein heißt Nein". Sexualisierte Gewalt kann viele Formen annehmen. Was verboten ist, regelt aber das Gleichbehandlungsgesetz. Dazu gehören neben körperlicher Gewalt auch "bedrängende körperliche Nähe", "die Aufforderung zu unerwünschten sexuellen Handlungen", ungewollte Berührungen und "unsittliches Entblößen". Um herauszufinden, was gewollt ist, hilft es im Zweifel, tatsächlich einfach zu fragen. 

In Schweden geht man noch einen Schritt weiter. Beide Partner müssen sich seit 2018 gegenseitig klar zu erkennen geben, dass sie Lust auf Sex haben. Passivität wird nicht als stilles Einverständnis gewertet. Dass häufig Frauen bei der Vermeidung sexueller Straftaten in die Pflicht genommen werden, ist Teil des Problems. 

Wie geht es weiter?

Die Frau, die die Vorwürfe erhob, hat mittlerweile mehrere Stories gepostet, in denen andere vergleichbare Vorwürfe gegen verschiedene Rapper erheben. Visa Vie kritisierte den Umgang vieler Rapper mit Frauen. Eventuell stehen wir also am Beginn einer intensiven und überfälligen Debatte über sexuelles Fehlverhalten. Es ist auch möglich, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen einleitet, selbst wenn die Betroffenen keine Anzeige erstatten. Zu wünschen wäre, dass mehr Betroffene den Schritt zu einer Anzeige wagen, damit die Chance einer Aufklärung besteht. Dass sich auch Rapper äußern – und angehört werden. Es sollte nicht darum gehen, fehlende juristische Urteile durch öffentliche zu ersetzen. Der Beginn einer Debatte darüber, was korrekt ist und was nicht, wäre aber ein großer Erfolg, unabhängig von konkreten Fällen.

Was können Betroffene tun?

Wie Betroffene auf sexuelle Belästigung reagieren können, ist auf zahlreichen Blogs und Websites festgehalten, zum Beispiel bei gofeminin.de.

Frauen, die Missbrauch erlebt haben oder noch erleben, finden auf hilfetelefon.de verschiedene Beratungs- und Hilfsangebote. Außerdem gibt es entsprechende Notfallnummern, bei denen Betroffene und Angehörige sich melden können.

Bundesweites Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen: 0800/0116 016

Hilfe- und Beratungsstelle der Antidiskriminierungsstelle des Bundes: 030/18 555 1865

Hilfetelefon sexueller Missbrauch: 0800-22 55 530