Haftbefehls Welt in "Lass die Affen aus'm Zoo": Eine übertriebene Textanalyse

Haftbefehls Kunst wurde zu Beginn seiner Karriere fast höhnisch aufgenommen. Die Verweigerung von klar verständlichen Reimen, die stimmliche Präsenz eines Dons – das war erstmal zu viel für die Ohren einiger Rapfans. Irgendwann hat es jedoch kollektiv Klick gemacht und der Offenbacher Cho schlingerte sogar als "der deutsche Dichter der Stunde" durch das Feuilleton großer Tageszeitungen. Hafti Abis Texte sind voller Codes, Verweise und Slang. Das gefällt auch Redakteuren des Kulturteils.

Wir treiben die Faszination für Haftis Lyrik spaßeshalber auf die Spitze. Bereits ein Part genügt, um das Tor in eine eigene Welt aufzustoßen. Haftbefehl gelingt es mit wenigen Worten, ein regelrechtes Universum zu erschaffen. Daraus lässt sich eine Systematik ableiten. Wie Baba Haft seine Kunst strukturiert und herstellt, haben wir anhand der Hook samt der ersten Strophe von "Lass die Affen aus'm Zoo" analysiert.

"Lass die Affen aus'm Zoo, cho / Lass die Affen aus'm Zoo, Blanco /
Lass die Affen aus'm Zoo, cho / Lass die Affen aus'm Zoo, pu pu pu pu"

Ketten gesprengt: Zurück zum Natürlichen

Auf welchen Grundkonflikt setzt Baba Haft hier? Er greift auf Gegensatz zurück, der so alt ist wie die Menschheit selbst: Das Natürliche prallt auf das Künstliche. Haft zieht ursprünglich wilde Tiere heran, die vom Menschen aus ihrem natürlichen Lebensraum entfernt worden sind. Der ebenfalls direkt zu Beginn erwähnte "Zoo" ist ein Ort, der den Affen zwar ein Zuhause bietet, aber ebenso die Freiheit einschränkt.

Die höchst entwickelte Rasse demonstriert dort, dass sie in der Lage sein kann, die Umwelt zu kontrollieren. Haft eröffnet seinen Track also mit der Vorstellung von natürlicher Kraft und ihrer größten Gefahr – den kulturellen Errungenschaften des Menschen. Den Drang nach Freiheit setzt Haft durch die explosive Lautfolge "Pu pu pu pu" ins Spotlight, die für sich genommen keine eigenständige Bedeutung transportiert. Bei Hafti verstärkt sie den Aufschrei der Unterdrückten.

Direkt zu Beginn der Strophe kommt eine Warnung zum Ausdruck. Es heißt: "Attention". Schließlich kündigt sich der "Azzlack Stereotyp" an. Dieser hat keine Angst vor der entfesselten Natur, sondern sehnt den Ausbruch natürlicher Gewalten geradezu herbei. Er treibt dabei seine eigene Abgrenzung voran. Er inszeniert sich als "asozial wie nie zuvor" – er will gar nicht als Teil einer funktionierenden Ordnung wahrgenommen werden.

Haftbefehls Welt: Amerikas Mafiosi in FFM

Die Gesellschaft unterteilt der Text in zwei Teile. Einerseits etabliert Haftbefehl ein Deutschlandbild. Er spricht von "Germany", nennt seine Herkunft Offenbach und hat auch mehrere Verweise auf Frankfurt eingebaut. Auf der anderen Seite skizziert Haft auf ähnliche Weise Amerika. Er erwähnt die Städte Michigan und New York und reichert sein Amerika mit luxuriösem Alkohol wie "Hennessy", nationalen Symbolen (Freiheitsstatue) und US-Stars wie 50 Cent und Swizz Beatz an.

Schon in Haftbefehls Hinweisen auf seine deutsche Herkunft ist jedoch zusätzlich eine Aneignung des Amerikanischen angelegt. Er sagt "Germany" und nicht "Deutschland", Frankfurt mutiert in Anspielung auf Manhattan zu "Mainhattan". Hafti Abi holt sich bereits über den Sprachgebrauch ein Stück Amerika nach Hessen. Der Hang zur Räubermusik ist dabei in der Wortwahl selbst präsent.

 

Ordnung und Struktur in Haftbefehls Text
Ordnung und Struktur in Haftbefehls Text

Haftbefehls Übernahme als Gewaltexzess

Kein Rumgeplänkel. Haft geht direkt zur Attacke über. Um geltendes Recht schert sich der Babo nicht. Er erschießt "diesen Swizz Beatz", ohne ein erkennbares Motiv. Mit der Freiheitsstatue erhält zudem ein amerikanisches Wahrzeichen eine Abreibung. Haft dringt in Amerika ein, um zu zerstören und sich zu bereichern. Er befindet sich auf Beutezug.

Was Hafti an Amerika zu schätzen weiß, sind Mafiosi und Berühmtheiten, die mit der Mafia in Verbindung standen. Die Strophe ist durchzogen von bekannten Namen aus diesem Kosmos: Lucky Luciano, Teflon Don (John Gotti), Sinatra. Haft erwähnt diese Ikonen der Unterwelt jedoch nicht nur, sondern vereinnahmt sie für sich. Er hat den "Lucky Luciano Flow" – aber nichts für den Lebensraum in Übersee übrig: "f*ck New York". John Gotti wandelt er zu "Hafti Gotti" ab und Frank Sinatra, dem stets Kontakte zur Mafia nachgesagt wurden, singt nur, weil Haft ihn bedroht. Der "Original Gangster" ist nicht in Amerika zu Hause. Er lebt in "O-F Main".

Roh und gewissenlos beansprucht Haftbefehl diesen Status für sich. Die eingesetzten Mittel sprechen eine eindeutige Sprache. Swizz Beatz muss durch eine Schusswaffe dran glauben, Freunde von Reimketten kriegen ein "Messer in den Arsch" und bei Drive-bys kommen AKs zum Einsatz. Es regiert zügellose Gewalt. Fast alles, was gesellschaftlichen Normen, Regeln und Konventionen entspricht, besitzt keinen Wert mehr. Einzig der Kapitalismus darf als anerkanntes System existieren. "Kapital hardcore" fördert den Reiz am Verbrechen.

Haftbefehl: Eine Urgewalt verteidigt sein Revier

Wie der Affe, der sich instinktiv und triebgesteuert in der Welt behauptet, ist auch Haftbefehls Text angelegt. Neben dem Gesetz des Stärkeren hat der Urinstinkt schlechthin eine Daseinsberechtigung: S*x. Die Freiheitsstatue degradiert der Text zu einer "H*re". Haftbefehls Folgehandlung? "Ich f*ck sie". Andere Rapper würden zudem in Michigan "blasen" – also sich s*xuell unterwerfen. Haft sieht sich hingegen als dominante Urgewalt, die über alles hinwegfegt.

Verbunden ist Haftis Einritt in Amerika mit dem Bewahren der eigenen Realness. Frankfurt und Offenbach repräsentieren Orte, die keine Fakes erlauben. Außenstehende aus dem weniger urbanen Umland müssen draußen bleiben. Sie dürfen sich nur im Dorf sicher fühlen. Die Stadt und das Ghetto sind Hafts natürlicher Lebensraum. Diesen verteidigt er mit den Mitteln, die ihm auch in Übersee tauglich erscheinen.

All diese Gegensatzpaare erzeugen ein Spannungsfeld, in dem Haft sich austobt. Ausgehend von Frankfurt zersägt er amerikanische Träume und Ikonen, um sie sich anzueignen. Er jagt seine Beute wie ein hungriges Wildtier. Dies geschieht derart regel- und kontrolllos, das Haftbefehl fast entmenschlicht scheint. Ohne Gewissen oder einen moralischen Kompass zertrümmert er gesteuert von niederen Instinkten all das, was er nicht als seine Heimat wahrnimmt.

Haftbefehls permanenter Hinweis: Es ist nur Rap

Haft bricht die harten Ansagen damit auf, dass er immer wieder deutlich macht, um was es sich bei seinem Werk handelt: Rap. "Azzlack Stereotyp zwo" spielt auf dem Nachfolger zu seinem Debütalbum "Azzlack Stereotyp" an und die Selbstbetitelung als "Baba Haft" stellt heraus, dass es sich hier um lyrischen Kampfsport dreht. Der Lucky Luciano Flow wird ausgepackt, weil es in der Kunst des Rappens möglich ist.

Auch der Hinweis darauf, dass Haftis Produzent Benny Blanco (heute: Bazzazian) den Beat liefert, macht den Text zu etwas sehr Selbstreferenziellem. Darüber hinaus formuliert Haft noch eine Antihaltung gegenüber zu technikfokussierten MCs, die sich mit "Reimketten" den Gefahren der Straße nicht erwehren können.

Die Mischung aus Rap über Rap und dem Übertritt zu einem triebgesteuerten Wesen erzeugt eine brutale Energie. Halt findet der Hörer am Bewährten, nur um von Haft dann wieder durchgeschüttelt zu werden. Das dichte Netz aus Gewalt, S*x und Kriminalität generiert eine immense Wucht. Durch die Zusammenführung von Elementen, Szenarien und Handlungsweisen, die abseits des Alltags liegen und total überspitzt sind – Hafti hat Swizz Beatz nämlich nicht erschossen und ihm kann auch kein intimes Verhältnis zur Freiheitsstatue nachgesagt werden – entsteht etwas Rohes, Wildes und Unverfälschtes. Ganz so, als hätte Haft einfach seiner natürlichen Wut freien Lauf gelassen. Ein Räuber geht hier seinen Trieben nach und beansprucht seinen Platz als Oberhaupt der Unterdrückten und Eingesperrten.

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