Der wichtigste Grund, weswegen Michelangelos Skulptur des David zu solch einem Weltruhm gelangte, liegt im Detail. Die Figur zeigt David erstmals vor dem Kampf gegen Goliath – ungewiss des bevorstehenden Sieges, angespannt, doch selbstbewusst.
Manchmal ist die Vorbereitung ebenso wichtig wie das Ereignis selbst. Bei Musikalben, so sollte man meinen, ist das ohnehin der Fall. Die zweite Platte aus der Feder von Deutschlands Golden Boy kommt nicht von ungefähr. Mama ist das Ergebnis der aktuellen deutschen Hiphop-Formel. Eine Abrechnung mit der Szene, ein Ventil für Frust und Ärger über alles, was seit Embryo geschehen ist. Die Entladung der Anspannung, die David vor dem großen Kampf gegen Goliath gespürt hat.
Schreiben, schreiben, schreiben
MoTrips geliebtes Schreiben-Schreiben musste in den letzten Jahren seinen Platz abtreten. An sogenannte Shisha- und Baklava-Rapper, Maskenträger, Unterwasser-Gangsterschwämme, Hipster (die natürlich nichts mit Hiphop zu tun haben) und Deutschrapper, die scheinbar gar kein Deutsch rappen. Allesamt sehr erfolgreich, zum großen Teil auf ungeahnt hohem Niveau und gelegentlich sogar genreprägend und unerlässlich für die gesunde Evolution der Kultur. Doch irgendwer muss die Waage halten. Irgendwer muss die Wurzeln deutschen Hiphops tief genug schlagen, damit die Kultur nicht aus den Fugen gerät. Das ist notwendig und wichtig, wenn die Baumkrone des Genres sich in neue Sphären vorwagt und auf der Reise massig Prinzipien links liegen lässt, um zum Ziel zu gelangen (was wohlgemerkt ebenso wichtig ist).
Genauso wenig wie Mama also das Rap-Rad neu erfinden möchte, ist dies auch kein unabdingbares Merkmal für ein gutes Stück Rapgeschichte. Seit Haftbefehl vergangenen Winter den Gasherd angeschmissen hat, folgte eine erstaunliche Anzahl an Alben der vom Azzlack-Kommandant und Bazzazian vorgelegten Blaupause. Oder zumindest dem ähnlichen Denkansatz, am liebsten etwas möglichst Bahnbrechendes auf die Beine zu stellen. Star Wars-Beats. MoTrip folgt viel mehr Drakes Mantra: "It ain't about who did it first, it's about who did it right", und macht damit alles richtig.
Fast zeitgleich zu Russisch Roulette stampfte Deutschraps Allzeit-König Kool Savas ohne Rücksicht auf Szenetrends sein neues Magnum Opus Märtyrer in den Boden und sorgte Ende 2014 somit schon für ein Gleichgewicht der Waage. Die Rückkehr des Schreiben-Schreibens hätte sich keine bessere Vorarbeit wünschen können als das beste SAV-Album seit Jahren. MoTrip und Savas sind ohnehin quasi Teil einer gemeinsamen Traditionskette. Beim Großmeister ist Trip gereift – nicht nur musikalisch. Bock auf Comedyblogs und Kostümierung haben beide nicht, vielmehr wird auf die Qualität vertraut. Wie MoTrip gar nicht so falsch auf Wut feststellt, reguliert grundsätzlich die Nachfrage das Angebot. Aber so ganz stimmt es dann doch nicht immer und vor allem soll es nicht als Ausrede für die Künstler dienen.
Kunst und Unterhaltung
Regelmäßige rap.de-Kolumnen sorgen eben leider nicht dafür, dass die GFK #newrules-mäßig Chartzählungen ändert und für den Untergang der Deluxe Box sorgt. MoTrips Bandübernahmevertragspartner Universal hat verständlicherweise ebenso wenig Lust darauf, die Revolution einzuläuten. Und so gibt's eben doch eine Menge #waslos, die Mama-Box, das Juice-Cover und teure Mikis-Fontagnier-Streifen aus Los Angeles. Er ist Teil der Maschinerie. Trip kann sich nicht der Tatsache entziehen, Entertainer zu sein. Viel wichtiger: Er braucht sich von der Bezeichnung keineswegs reduziert zu fühlen. Kunst und Unterhaltung sind mitnichten unvereinbar. Mama ist der beste Beweis. Vielmehr geht es auch um die vermittelte Mentalität als um verkaufstechnische Nichtigkeiten. Das, was am Ende übrig bleibt. Und da macht MoTrip so gut wie nie Fehler, verpackt seinen Verdruss auf die Platte statt in Tweets und verleiht seinem Appell nach mehr Substanz und Ernsthaftigkeit auch einen aufrichtigen und glaubhaften Unterbau.
"Sido und Savas, Samy, Bushido und Azad" sind die Urgesteine, denen auf Fan gedankt wird. In absehbarer Zeit wird wohl auch MoTrip im gleichen Atemzug genannt werden, wenn er nicht zu weit von seiner Route abweicht. Aber dafür gibt es keinen Anhaltspunkt. Ganz abgesehen davon, dass er zur Handvoll stärksten Lyriker des Landes gehört. Ob Trip mit Projekt Nummer Zwei jetzt tatsächlich auch direkt auf die Eins zieht, oder ob ihm der zeitweilige Prinz von Belvedair die Pole Position streitig macht, ist nur noch nebensächlich. Endlich. Es geht ja um die Krone. Hiphop und so.