Die Hiphop.de Awards sind vergeben: Zeit für ein Fazit

Die Hiphop.de Awards 2020 sind vergeben. Auch dieses Jahr gab es mehr als 100.000 Votes zu den Nominierungen in 18 Kategorien. Vielen Dank an alle, die abgestimmt haben! Besonderer Dank gilt außerdem unserer breit aufgestellten Jury für die Zeit, die mit ihren Nominierungen eine wichtige Rolle einnahm. Das Publikums- und Jury-Voting fließen zu je 50 % in die Endergebnisse ein, die ihr hier im Überblick findet.

Ufo361 & FFM-Legenden räumen ab

Der größte Gewinner des Jahres ist wohl Ufo361, der mit Bestes Album ("Rich Rich") und Bester Rap-Solo-Act gleich zwei MVP-Kategorien geholt hat. Auch bei Song, Video und Line landete der Berliner in den Top 3 – eine deutliche Anerkennung für den unermüdlichen Hustle, der ihn seit 2015 an die Spitze des Games gebracht hat.

Xatar konnte sich im zum zweiten Mal in Folge den Award als Macher des Jahres sichern, den wir erst 2019 eingeführt haben. Major-Moves, Meme-Baba, Köftespieß-Imperium. Parallel dazu die vermeintlich "normalen" Aktivitäten als Labelboss und Rapper, der auch knapp anderthalb Dekaden nach der AON-Gründung noch locker am Puls der Zeit bleibt und sich experimentierfreudig wie nie zuvor zeigt.

Der im Vorfeld vor der Pandemie getourte RIN holt sich nach 2018 bereits seinen zweiten Award als Bester Live-Act. Nachdem der Bietigheimer letztes 2019 von BHZ beerbt wurde, macht er damit 2020 das Triple für die Rapkonzerterlebnisse der neuen Schule perfekt.

Viel Zustimmung gab es insbesondere für die FFM-Veteranos Celo & Abdi, die erstmals als Beste Gruppe ausgezeichnet wurden. Auch bei einer weiteren FFM-Legende besteht weitgehend Einigkeit: Den Preis fürs Lebenswerk haben wir nämlich dieses Jahr an Moses Pelham vergeben. Der Frankfurter gilt zu Recht als Wegbereiter der genreprägenden Straßenrap-Szene in seiner Heimatstadt, signte 1999 einen gewissen Azad, der bei Moses' Label Pelham Power Productions (3P) seinen Klassiker "Leben" veröffentlichte, und kämpft zudem – ebenfalls seit 1999 – vor diversen Gerichten für das Sampling-Recht.

Kritik an den Awards & der Line des Jahres

Unser umfangreichstes Projekt des Jahres war wie immer auch das kontroverseste. Kritik an den Nominierten und den Gewinner*innen gehört bei einer Preisverleihung einfach dazu. Ganz besonders in einem Genre, das wie kein zweites im Spannungsfeld zwischen Tradition und Innovation gedeiht.

Für jede*n Gewinner*in gibt es neun Nominierte, die leer ausgehen. Und 99, die man auch hätte nominieren können. Zum Teil muss man damit leben, aber besser geht es immer. Wir haben die Kritik von Fans und bekannten Persönlichkeiten wie Fler und PA Sports natürlich mitbekommen und checken, wie wir das System in Zukunft optimiert bekommen.

Diskussionen gab es vor allem um die Kategorie Line des Jahres. Der Preis geht an Apache 207, der mit einer Kinderlied-Referenz mehrere Tage vor dem Release seines neuen Songs ein Setup für seine Punchline aufgebaut hatte. In der Single "Fame" gipfelte das Ganze dann in der Ansage, dass die Konkurrenz nicht mal gegen einen Kinderlieder zitierenden Apache eine Chance habe. Extrem feierbar für viele, für andere kein bisschen.

Schon seit Jahren dürfen auch Lines nominiert werden, die nicht besonders komplex geschrieben sind, aber umso mehr knallen oder für Gesprächsstoff sorgen. Weil sie zum Beispiel genau auf den Punkt bringen, was eine Künstlerin oder einen Künstler in diesem Jahr ausgemacht hat.

Viele dieser Lines sind allerdings aus der Kategorie "muss man dabei gewesen sein, um es zu checken". Wenn man solche Kandidaten ohne Kontext liest, hat man nicht das Gefühl, etwas Pulitzer-Preis-Verdächtiges vorgesetzt zu bekommen. Vielleicht bitten wir die Jury in Zukunft, nach klassischen Punchlines Ausschau zu halten? Sollten nur mehrfach gereimte Doppeldeutigkeiten à la Kollegah, Farid Bang, Snaga & Pillath oder Ali As in dieser Kategorie stattfinden? Oder hätte mit dem "Punchline-Zeitalter" auch diese Rubrik enden sollen?

Dass Rap in den vergangenen Jahren erst sehr melodisch wurde und dann Vibe über Technik setzte – nennen wir es Streaming-Zeitalter – ist kein Geheimnis. Dass viele Rapfans dabei die technischen oder lyrischen Skills vermissen, hat man auch längst mitbekommen. Worauf kommt es bei Hiphop an, von Rap über Tanz bis Graffiti? Auf Style und Skills.

Style war lange Zeit keine deutsche Stärke, mittlerweile ist das anders. Endlich! Skills sind dafür zum reinen Mittel zum Zweck geworden. Dadurch geht dann selbst Rekordsieger Kool Savas mal leer aus (nominiert war er mit seinem Song "AMG"). Auch Kollegah war lediglich als Gast in Farid Bangs Video "Public Enemies" vertreten.

Nicht-Nominierungen sorgten für Ärger – verständlich!

Mit dabei war hier auch Fler, der lauteste Kritiker der diesjährigen Nominierungen. Im traditionellen #waslos Jahresrückblick erklärte er, was ihn störte: Er war gemeinsam mit Katja Krasavice, Specter und DRKNSD für "Million Dollar A$$" nominiert, nicht aber für das ebenfalls von Specter produzierte Triple-Video "Light up the Night/Modelface/Jo-Jo". Hätte eher dieser Clip nominiert werden müssen als "Million Dollar A$$"? Gut möglich – niemand zweifelt daran, dass Flizzy und Specter einen absoluten Movie mit beeindruckender Atmosphäre abgeliefert haben. Kann man verstehen, dass jemand wütend ist, der viel Geld und Energie in ein Video steckt, das Maßstäbe setzt, aber bei den Awards leer ausgeht? Natürlich.

Noch ein Thema, das sich durch die letzten zwei Jahre zieht: Klassischer Straßenrap und Gangsterrap kommen zu kurz. Oder zumindest kürzer als in den zehn Jahren zuvor, in denen diese Genres die Szene regierten. Beispielsweise fehlte vielen Azads Album "GOAT" unter den Nominierungen, das man durchaus berechtigt unter den Top 15 des Jahres sehen kann. Innerhalb unserer Teams gibt es genauso Kolleg*innen, für die die LP klar zu den Highlights 2020 gehörte wie für einige andere Rapfans.

Auch PA Sports und sein Team gingen bei den Nominierungen leer aus. Als Gruppe (gemeinsam mit Kianush), Macher (mit spannenden Acts bei seinem Label) und in anderen Kategorien hätte sein Name auftauchen können. Life Is Pain-Signing Fourty hätte als Newcomer oder mit "Weisser Rauch" für den Song des Jahres nominiert werden können sowie Jamule als Gast auf Kitschkriegs "Unterwegs". Auch PA kritisierte öffentlich die Zusammenstellung der Nominierungen, auch bei ihm ist das absolut nachvollziehbar.

Schon vor der Bekanntgabe hatten wir überlegt, ob eine Frauenquote sinnvoll wäre – es hatte nach der Veröffentlichung der Nominierungen Kritik gegeben, es seien zu wenige Frauen nominiert gewesen. Dass Rapperinnen eine immer selbstverständlichere Rolle im deutschen Rap spielen, zeigt sich schon in den vergangenen Jahren etwa durch Jujus Awards 2019 (Bestes Album und Bester Song). Nun gibt es mit badmómzjay auch erstmals eine Newcomerin des Jahres. Korrekt! Aber reicht das? Unsere Gedanken dazu könnt ihr hier nachlesen.

Was ist also das Resümee?

Die Hiphop.de Awards bilden selten bis nie die komplette Meinung einzelner Personen ab. Das ist unserer Ansicht nach auch unmöglich in einem derart vielfältigen Kosmos. Der Nominierungs- und Votingprozess hat seine Stärken und Schwächen, wobei erstere für uns überwiegen. Die Hiphop.de Awards sollen die relevantesten und besten Leistungen des Jahres abbilden.

Das 50/50-Prinzip soll verhindern, dass ausschließlich diejenigen mit dem größten Hype und den meisten Fans gewinnen können. Gleichzeitig wollen wir aber auch nicht mit der Jury an den Fans vorbei entscheiden. Manchmal gibt es Einigkeit über die Gewinner*innen, manchmal führt das System zu Kompromissen, mit denen keine der beiden Seiten wirklich glücklich wird.

Von der Grundidee sind wir weiterhin überzeugt. Wie wir in der Praxis unser Ziel erreichen und an welchen Stellschrauben wir nachjustieren, steht 2021 auf dem Prüfstand.

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