Von Boom Bap bis Drill: 10 der wichtigsten Subgenres aus 50 Jahren Hiphop

"Hat das noch was mit Hiphop zu tun?": Eine Abwägung, der sich so manch einer beim Hören neuerer Rap-Songs konfrontiert sieht. Mal mehr, mal weniger berechtigt. Fakt ist: Seitdem Hiphop vor über einem halben Jahrhundert das Licht der Welt erblickt hat, haben sich bereits unzählige unterschiedliche Subgenres von der Kultur abgezweigt. Die gemeinsamen Wurzeln in der "Back To School Party" von DJ Kool Herc und seiner Schwester im Jahre 1973 lassen sich dabei nicht immer heraushören.

Zum feierlichen Anlass von 50 Jahren Hiphop blicken wir auf zehn der größten, wichtigsten und essenziellsten Subgenres, die die klangliche Entwicklung unserer Lieblingsmusik gut abbilden.

Boom Bap

Beim Boom Bap ist der Name Programm: Eine tiefe Kickdrum (Boom) und eine harte Snare (Bap) bilden das Grundgerüst eines jeden Beats, der diesem Subgenre zugeordnet werden kann und die Hörerinnen und Hörer quasi zum Kopfnicken zwingt.

Dabei mündet es schon beinahe in einer Untertreibung, Boom Bap überhaupt noch als Subgenre zu betiteln: Weite Teile der US-amerikanischen Hiphop-Szene haben sich gerade in der golden era der 80er- und 90er-Jahre eben diesen Klang zu eigen gemacht. Aus heutiger Sicht ist Boom Bap nicht hundertprozentig als Synonym, wohl aber als Sinnbild für klassischen Oldschool Hiphop zu verstehen. 

Die Begrifflichkeit kam erstmals 1984 auf dem T La Rock-Song "It's Yours" zum Vorschein und wurde spätestens durch KRS-Ones Album "Return of the Boom Bap" im Jahre 1993 salonfähig. Insgesamt ist Boom Bap ein Subgenre, das so einige Klassiker hervorgebracht hat. Um mal nur einen zu nennen:

Auch im Deutschrap ist der Sound relativ bald angekommen. Beispielsweise haben die Stieber Twins mit ihrem Album "Fenster zum Hof" in den 90ern einen wahren Genre-Klassiker geschaffen. In den 2000ern gesellten sich Künstler wie Retrogott und Hulk Hodn zu den deutschen Boom Bap-Vertretern dazu. Was damals "state of the art" war, ist heutzutage jedoch eher wieder in den Underground gerückt.

Conscious Rap

Schon seit den frühen Stunden der Hiphop-Kultur ist auch diesem Subgenre eine bedeutsame Rolle inne. Kurz gesagt bezeichnet Conscious Rap politisch oder gesellschaftskritisch motivierten Hiphop. Es ist also nicht unbedingt ein konkreter Sound, über den sich dieses Subgenre definieren lässt, sondern der Inhalt.

Als sich Grandmaster Flash & The Furious Five 1982 auf "The Message" mit den von Armut geprägten Lebensverhältnissen in der Bronx beschäftigt haben, hätten sie wohl kaum ahnen können, dass sie hiermit die Blaupause für eine Sparte des Hiphops geschaffen haben, die auch 40 Jahre später relevant bleiben wird.

International bekannte Künstler wie Kendrick Lamar halten noch heute die Fahne für Conscious Rap in seiner besten Ausführung hoch. Gerade das 2015 erschienene Album "To Pimp a Butterfly" wird nicht nur von Rap-Fans als eines der besten musikalischen Werke der letzten Jahre bezeichnet.

Hierzulande haben Advanced Chemistry den Weg für deutschen Conscious Rap geebnet. Rapper wie Curse, Amewu oder Prezident sind nur ein paar von vielen Deutschrappern, die in diese Fußstapfen getreten sind.

Gangsta Rap

Ein weiteres Subgenre, das schon relativ früh entstanden ist und sich eher anhand inhaltlicher und nicht zwingend an klanglichen Maßstäben messen lässt. Dass sich Gangsta Rap-Songs inhaltlich um Kriminalität und den Gang-Alltag drehen, dürfte genauso wenig überraschen wie die Tatsache, dass der dazugehörige Sound einer härteren Sorte entstammt.

Zwar gilt Schoolly D aus Philadelphia als Gründer des Genres, dennoch ist es die US-amerikanische Westküste, die die bedeutsamste Pionierarbeit in den Anfangstagen des Gangsta Rap geleistet hat. Ice-T oder N.W.A haben viel zur Entwicklung des Sounds beigetragen, der im Laufe der 90er dank des sogenannten G-Funks auch einen melodischen Twist durchlebt hat. Rap-Legenden wie Snoop Dogg oder 2Pac konnten sich in dieser Zeit erstmals einen großen Namen machen.

Künstler wie 50 Cent - auch, wenn er als New Yorker die Ostküste repräsentiert - verbuchen noch heute große Erfolge mit der Gangsta Rap-Formel.

Die deutsche Adaption des Gangsta Raps hat nicht viel mit der Westküste gemein. Dennoch lässt sich das Subgenre aus dem Deutschrap-Kosmos kaum mehr wegdenken. Gerade in den 2000ern, als Aggro Berlin und ersguterjunge die beliebtesten Labels der Szene waren, war Gangsta Rap hierzulande auf dem Vormarsch. Einige Jahre später haben die Azzlackz rund um Haftbefehl die Frankfurter Sicht der Dinge geteilt.

Crunk

Ohne Crunk lässt sich die Hiphop-History nicht erzählen. Zumindest nicht vollständig. Schon in den frühen 90ern ist das Subgenre in den amerikanischen Südstaaten entstanden, populär wurde es aber erst in den frühen 2000ern. Klangtechnisch irgendwo zwischen Miami Bass, Eurodance und Down South-Hiphop angesiedelt, konnte Crunk damals vor allem durch seine Clubtauglichkeit herausstechen. Dazu beigetragen hat auch der oft "call-and-response"-artige Text, der eher gerufen als gerappt wurde.

Müsste man das Genre auf einen Interpreten herunterbrechen, dann wäre es wohl ohne Frage Lil Jon. Eine Party ausfindig zu machen, auf der es nicht Songs wie "Get Low" zu hören gibt, stellt sich bis heute als erstaunlich schwierig heraus.

Crunk hat es jedoch nie so richtig über den Atlantik zu uns geschafft. Um deutschsprachige Songs dieser Art zu finden, muss man sich hinab in mystische Tiefen begeben. "Schreit wie am Spiess" von Mach One, Vork und Darn sowie der ein oder andere Tony D-Track halten hier jedoch als gute Beispiele her.

Trap

Trap verhält sich zu modernem Rap in etwa so wie Boom Bap zum Oldschool Hiphop. Ein großer Teil des aktuellen Mainstreams ist eindeutig dem Trap-Genre zuzuordnen oder bedient sich zumindest an den dazugehörigen Elementen. Für den Ursprung des Subgenres müssen wir weit zurückschauen. In die Trap-Hauptstadt Atlanta, um genau zu sein.

Der Begriff wurde dort schon früh im Kontext von Hiphop-Musik genutzt. Eine "trap" ist demnach nichts anderes als ein Slang-Ausdruck für ein Haus, in dem Drogen hergestellt werden. Zwar galten schon damals all jene, die Betäubungsmittel zum Gegenstand ihrer Texte machen, als "trap rapper" – wie die dazugehörige Musikrichtung schlussendlich zu klingen hat, hat sich aber erst in den 2000ern so richtig herauskristallisiert.

T.I. veröffentlichte 2003 das Album "Trap Muzik" und setzte damit den Grundstein für das Subgenre, das sich bis heute im Aufschwung befindet. Tiefe Bässe und schnelle Hi-Hats sorgen für einen Rhythmus, der mit klassischem Boom Bap nicht mehr viel am Hut hat. Rapper wie Gucci Mane, Yo Gotti oder auch Lil Wayne haben für ganz ähnliche Klänge gesorgt. Noch etwas Autotune dazu und schon wurden die Futures, Lil Babys und 21 Savages der Moderne geboren.

Ufo361, der in den frühen Stadien seiner Karriere übrigens noch als Boom Bap-Rapper in Erscheinung getreten ist, befolgt die Trap-Formel in Deutschland so akkurat wie kein zweiter. Das hat ihm auch Features mit den großen Vorbildern des US-Rap einbringen können. Doch auch sonst gibt es im Deutschrap etliche Artists, die in ihrer Musik dem Atlanta-Sound nacheifern.

Grime

Grime ist womöglich eines der einzigartigsten Genres, das die britische Musikszene zu bieten hat. Da die Wurzeln von Grime mit musikalischen Vorbildern à la Jungle und UK Garage jedoch eher in der elektronischen Musik verankert sind, lässt sich natürlich debattieren, ob es überhaupt als Hiphop-Subgenre zählt. Da sich das Genre aus Großbritannien aber unter anderem durch Rap-Parts auszeichnet, in denen es oft um das Leben auf der Straße geht, ist diese Definition alles andere als abwegig.

Wiley und Dizzee Rascal haben Grime in den 2000ern maßgeblich geprägt. Gerade ersterer hat mit "Wot Do U Call It" einen musikalischen Wegweiser gesetzt, an dem sich auch ein Stormzy oder Skepta orientiert haben. Die beiden zählen bis heute zu den größten und erfolgreichsten UK-Rappern aller Zeiten.

Wie guter Grime auf Deutsch klingen kann, hat Sylabill Spill vor einigen Jahren mit seinem Track "Auf Grime" unter Beweis gestellt. Auch Marsimoto hat sich in seinen Projekten hörbar von dem britischen Subgenre inspirieren lassen. Darüber hinaus ist Grime im Deutschrap allerdings nicht viel größer geworden.

Drill / UK Drill

Eigentlich könnte man der amerikanischen und britischen Drill-Szene einen jeweils eigenen Absatz widmen. Zumindest in der Entstehungszeit hatten die beiden Subgenres klanglich nämlich nicht viel miteinander zu tun. Der gemeinsame Nenner findet sich vor allem in den Inhalten, viele (meist sehr junge) Drill-Rapper haben in ihren Texten Bandenkriminalität thematisiert. Mittlerweile können beide Nationen einen etwas homogeneren Sound vorweisen.

Aber blicken wir kurz zurück: Entstanden ist Drill Anfang der 2010er Jahre im Raum Chicago. Die Schlüsselfigur des Genres: Chief Keef. Mit gerade mal 17 Jahren hat er die Genre-definierende Hymne "I Don't Like" releast und konnte damit sogar die Aufmerksamkeit von Kanye West erlangen, der den Song geremixt und einer breiteren Masse vorgestellt hat.

Nur wenig später hat sich in England eine eigene Drill-Szene gebildet. Inspiriert vom Chicago Drill, jedoch auch mit einigen Einflüssen des eben erwähnten Grimes. Gruppen wie 67 oder 1011 haben den britischen Drill-Sound geprägt, Künstler wie Digga D oder Central Cee erreichen mit ihren Songs heute Millionen Menschen.

Ironischerweise hat sich ausgehend von der britischen Drill-Interpretation wiederum ein amerikanisches Pendant entwickelt, das gerade im New Yorker Raum in den letzten Jahren an Popularität gewonnen hat. Pop Smoke sei Dank.

Auch hier gilt: Deutschland kann keine Drill-Szene vorweisen, die auch nur annähernd mit der britischen oder amerikanischen Version zu vergleichen wäre. Dennoch sorgen große Künstler wie Luciano dafür, dass der Sound auch hierzulande ankommt.

Afrotrap

Ob Afrotrap wirklich zu den international wichtigsten Hiphop-Subgenres gehört, sei mal dahingestellt. In den USA spielt Afrotrap beispielsweise kaum eine Rolle, dort stellen sich lateinamerikanische Einflüsse als deutlich relevanter heraus. Doch gerade aus der deutschen Rap-Szene ist dieses Genre kaum mehr wegzudenken.

Sound-Vorbild vom Afrotrap ist der französische Künstler MHD. Er kann mittlerweile auf eine elfteilige Song-Reihe blicken, die gleichzeitig als Namensgeber für das Subgenre herhält. Afrotrap ist, wie der Name nahelegt, ein Hybrid aus tanzbaren Afrobeats und Trap.

Mit "Palmen aus Plastik" haben RAF Camora und Bonez MC 2016 den deutschen Musikmarkt mit bis dahin noch vollkommen frischen Dancehall-, Reggae- und eben auch Afrotrap-Einflüssen überrollt. Die folgenden Deutschrap-Jahre haben die beiden hiermit maßgeblich geprägt. Durch ein kurzes Reinhören in MHDs Diskografie wird schnell klar, woher die Einflüsse stammen.

Pop Rap

Rap, der es ins Radio schafft – von vielen Hiphop-Heads belächelt, vom Mainstream-Publikum dankend angenommen. Gut, immer mal wieder finden auch Rap-Songs Anklang in der breiten Masse, die eigentlich nicht den typischen Radio-Sound widerspiegeln. "Gangsta's Paradise" lässt grüßen. Wir spielen mit Pop Rap aber eher auf die Lieder an, die sich inhaltlich wie klanglich an der Leichtfüßigkeit und Catchiness vorherrschender - you guessed it -Pop-Songs bedienen.

Vanilla Ice und MC Hammer haben schon in den 90ern gezeigt, wie das Konzept funktionieren kann. Bis heute sind "Ice Ice Baby" und "U Can't Touch This" in der sonntäglichen Hot Rotation diverser Radiosender zu hören.

Die Black Eyed Peas haben den Staffelstab in den 2000ern übernommen – und schon steuern wir geradewegs auf die 2010er zu, in denen Artists wie Flo Rida, Pitbull oder Macklemore förmlich wie aus dem Boden geschossen kamen. Je nach Song lassen sich auch heute noch extrem relevante Artists wie Drake oder Nicki Minaj dieser Sparte zuordnen.

Deutschsprachiger Rap mit Pop-Anleihen reicht sogar noch viel weiter zurück. Zumindest, wenn man Falco als Rapper durchgehen lässt. Mit "Der Kommissar" hat er bereits 1981 seinen ersten internationalen Hit landen können. In den 90ern folgten dann Gruppen wie Fanta 4 oder Fettes Brot.

Cro, Casper & Konsorten sorgten in den frühen 2010er Jahren für eine ganz neue Welle von poppigem Rap, nachdem Deutschrap in den 2000ern doch eher "straßenlastiger" war. Und auch heute noch dominieren Künstler wie Apache 207 oder Ski Aggu die Charts.

Lo-Fi-Hiphop

Lo-Fi-Hiphop hat sich in der Internet-Kultur der letzten Jahre wie ein Lauffeuer verbreitet und sich somit einen Platz in dieser Liste mehr als verdient. Es ist das einzige Subgenre unseres Artikels, das in den allermeisten Fällen ganz ohne Rap auskommt. Und obwohl der Hype erst seit wenigen Jahren andauert, kommt Hiphop im Lo-Fi-Format ganz ohne moderne High-End-Produktion aus.

Denn hier entsteht ein Easy Listening-Sound, der bewusst "retro" klingen soll – so, als seien die Instrumentals mit technisch äußerst simplen Equipment aufgenommen worden. Selbst, wenn das nicht immer der Fall sein muss.

Wer auch immer sich zu diesen Lebzeiten auf die YouTube-Startseite begeben hat - die eigentliche Frage ist, wer das nicht getan hat -, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit schon mal auf das Lofi Girl gestoßen sein. (Beinahe) 24/7 schreibt sie in ihr Notizheft, während im Hintergrund die Beats laufen, zu denen es sich besonders gut lernen oder entspannen lässt.

Insgesamt lässt sich sagen: Die Hiphop-Kultur kann bereits eine enorme Bandbreite an unterschiedlichsten Subgenres vorweisen. Unser Artikel umfasst dabei längst nicht alle. Mittlerweile lässt sich beinahe jedes Subgenre in viele weitere Unterarten einteilen. Und selbstverständlich wird es auch in Zukunft spannend zu beobachten sein, in welche Richtungen der Sound sich entwickeln wird.

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