Pete Philly - Mission: Introspektion (Interview)


Wer sich auch nur mal für ein paar Minuten dafür interessiert hat, was in der Hiphop-Szene unseres nordwestlichen Nachbarlandes so angesagt ist, der ist garantiert nicht an den Namen Pete Philly & Perquisite vorbeigekommen. Zusammen avancierte das Rapper-Produzenten-Duo nach Release ihres Debüts Mindstate zum Vorzeige-Act der Hiphop-Szene Hollands und chartete dort mit dem zweiten Album Mystery Repeats selbst höher als ein gewisser Curtis Jackson . Trotz gemeinsamer Erfolge kam es 2009 jedoch zum Ende der achtjährigen Kollaboration. Was Hollands Hiphopper erst mal trauern ließ, war umso nötiger für Pete . Denn nach jahrelangem Dasein als Nur-MC standen nun die langerwartete,  künstlerische Selbsterprobung, das Auskosten neuer Freiräume und vor allem intensive Introspektion auf dem Plan. Das Ergebnis : One , Petes physikalisches Solodebüt, mit dem jetzt auch abseits der holländischen Staatsgrenzen Anhänger vom zurückgelehnten Soul-Sound des 31-Jährigen gefunden werden sollen. Und wer Pete doch schon kannte, der soll jetzt erfahren, dass er noch viel mehr ist als nur der MC, der auf Beats von Perquisite rappt. Hier steht Entwicklung fett und auf Schriftgröße 72 geschrieben. Dein neues Album One ist in den Niederlanden schon seit dem 7. Oktober erhältlich. Wie haben die Leute das Album bis jetzt aufgenommen? Ist das Feedback gut? Yeah, auf jeden Fall! Es wird von den Kritikern und Fans gefeiert und landete auf Platz 8 in den Top 100 Albumcharts.

Es ist also eher weniger so, dass die Fans sich wieder Perquisite als Produzenten her wünschen? Genau, und da bin ich auch sehr froh drüber, denn One ist ein sehr introspektives, künstlerisches Album. Es sind keine großen Hits auf der Platte.

Da stimme ich zu. Den Eindruck hat man vor allem, weil du deine musikalische Vielseitigkeit so intensiv auf dem Album auslebst: Rap, Produktionen, Gesang, Beatboxing, alles kommt ja von dir selbst. Mir kam es so vor, als hättest du die Möglichkeit gehabt, dich zum ersten Mal so richtig künstlerisch auszuleben. Würdest du da zustimmen? Eigentlich ist es so, dass ich mich während der Arbeiten an dem Album künstlerisch noch recht eingeschränkt gefühlt habe. Jetzt, nach dem Album, fühle ich, dass ich mich noch viel mehr entfalten kann. Ich freue mich also schon sehr auf die nächste Platte. Ich merke, dass ich jetzt bei vielen Dingen einfach noch sehr viel sicherer bin, als ich es während der Arbeiten an One war. Das Album ist der erste Schritt. Ich bin sehr sicher, dass das Album mein Startschuss dafür ist, in jeder Hinsicht großartige Musik zu schaffen. Es freut mich deshalb natürlich umso mehr, dass du schon jetzt so einen Eindruck hast.

In einem Interview, das während der Schaffungszeit von One geführt wurde, sagtest du, dass ihr dabei seid das Album komplett analog aufzunehmen… So begann es, ja, aber letztendlich wurden nur einige Tracks analog aufgenommen.





Okay, ich hatte mich schon gewundert. Wie sollte man einen voller Vocal Percussion steckenden Track wie Gemini Solo analog aufnehmen? Yeah, richtig. Das wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Viele Tracks auf dem Album wurden letztendlich also am Computer fertiggestellt. Aber besonders in Tracks am Ende des Albums, wie zum Beispiel in Caterpillar oder The Day , stecken noch Teile, die wir analog aufgenommen haben.

Würdest du dir denn wünschen, dass heutzutage mehr Musiker mal wieder versuchen würden, ihre Platten analog aufzunehmen? Die digitale Aufnahme hat die Musik so heftig revolutioniert, du hast so viele verschiedene Möglichkeiten und kannst so viel daraus machen, da sollte man nicht mehr drauf verzichten  müssen. Bei manchen Instrumenten ist es aber auch toll zur analogen Aufnahme zu greifen. Wenn du zum Beispiel einen elektronischen Bass analog aufnimmst und die Lautstärke anpasst, dann kannst du eine analog Tape-Compression erzielen. Das ist dann echt ein toller Sound! Aber weißt du, der Reiz bei der analogen Aufnahme ist ja auch die Unvollkommenheit. Wenn die Leute nur auf Tape aufnehmen könnten, dann müssten sie sich dermaßen darauf konzentrieren, die Töne so sauber wie möglich zu spielen. Nimm nur mal Michael Jackson s Thriller . Das wurde komplett analog aufgenommen, klingt aber komplett sauber...

Ja, eine unglaublich harte Arbeit. Du hast schon den Song The Day angesprochen. Auf dem Song rappst du folgende Zeilen: " Twisting, shifting to that introverted state and renew my view on things " und " I will redefine some things, so I can keep on building" . Ich schätze, als du die Lyrics geschrieben hast, warst du sehr tief in Gedanken und warst bereit als Person zu wachsen. Was hast du aus dem intensiven Nachdenken für dich gewonnen? Auf was für Resultate bist du gekommen? Während der Arbeiten an dem Album war ich tatsächlich auf der Suche nach vielen Antworten. Zwar war das auch schon zu den Zeiten so, als ich mit Perquisite gearbeitet habe, nur brachte die Arbeit dieses Mal so eine Einsamkeit mit sich. Weil es sich um ein Soloprojekt handelt, war ich viel alleine, bin nicht viel rausgegangen und habe nicht mit vielen anderen Künstlern gesprochen. Dadurch habe ich vieles für mich selbst analysiert und bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich an vielen meiner Verhaltensmuster etwas ändern sollte. Eddie Murphy sagte einmal: " I spent my thirties fixing everything I broke in my twenties ". Wahre Worte, das bringt es einfach sehr auf den Punkt. Denn in meinen Zwanzigern tourte ich extrem viel, war sehr selbstbezogen, hatte viele Ängste und Sorgen und habe mir viel selbst vorgelogen. Solche Verhaltensweisen und Gedanken fangen an sich in der Kindheit zu entwickeln, da erforschst du, wie deine Seele funktioniert. Dann, um die 25 herum gibt es eine Art Wendepunkt, das ging bei mir während der Arbeiten an Mindstate los ( Debutalbum von Pete Philly & Perquisite , das 2005 erschien - Anmerkung der Redaktion ) und One ist jetzt sozusagen der Höhepunkt meiner Entwicklung auf der Suche nach mir selbst. Jetzt bin ich an einem Punkt, an dem ich anfange zu jemand anderem heranzuwachsen, als Künstler, sowie als normale Person.



Den Egoismus zu überwinden und altruistischer zu sein gehört zu deinen Entwicklungszielen, richtig? Ja, zumindest versuche ich es, denn das ist  ja auch einfach eine gute Sache, die Teil unseres natürlichen Seins ist. Es hat mit dem Überlebensdrang zu tun: Wir müssen jemanden finden, mit dem wir leben können. Aber die Gesellschaft ist heutzutage so dermaßen egoistisch, besonders bei den Künstlern dreht sich viel um diese Ego-Scheiße. Ich meine, ich trete auf einer Bühne vor Tausenden von Menschen auf und will, dass mich die Leute alle ansehen. Das macht zwar auch sehr viel Spaß, aber du musst dir die Frage stellen, wie man dahin gekommen ist! Weitaus wichtiger als CDs zu verkaufen oder bekannt zu sein ist es, ausgeglichen zu sein. Und ich habe als Künstler den Luxus, oft und intensiv über mich selbst nachdenken zu können, während andere Leute nur Zeit haben, darüber nachzudenken, wie sie auf die Schnelle das meiste Geld machen, um sich über Wasser halten zu können. Ich kann meine Selbstreflexion auf meinen Alben dokumentieren, da bin ich sehr froh drüber.

I m Booklet von One dankst du Künstlern und Philosophen, die dir geholfen haben Dinge anders zu sehen und anders über manches zu denken. Wer sind diese Persönlichkeiten genau? Was die Musik angeht, haben mich Leute wie Miles Davis inspiriert. So jemand wie Miles Davis ist ein perfektes Beispiel dafür, wie man sich mit jedem Projekt weiterentwickeln kann. Oder Franz Zappa , solche Künstler. Was die Denker angeht, wurde ich sehr von Leuten wie George Carlin oder Doug Stanhope inspiriert. Die sind gleichzeitig lustig und großartige Denker, was sie sagen ist lustig, weil es wahr ist. Aber auch Leute wie Malcolm X gehören zu meinen Inspirationen. Ach, und unter den Künstlern darf man Michael Jackson nicht vergessen. Es gibt glaube ich keinen Künstler, der mehr Leute mit seiner Musik erreicht hat und dabei eine so liebevolle Message verbreitet hat. Aber auch 2Pac und Biggie haben mich inspiriert.

Ich hab schon darauf gewartet, dass du einen Rapper nennst (lacht). Denn auf dem Song The Game singst du "Why write rhymes when I’m stationed in a place where they don’t speak with this kind of technique". Ich habe die Zeile so verstanden, dass Rappen nicht mehr so stark zu deinem Umfeld und dazu, wo du deine Persönlichkeit gerade siehst, passt. Du distanzierst dich auf One ja auch etwas vom Rap und singst viel mehr. Oder wie ist die Line zu verstehen? In der Zeile geht es darum, dass ich in Amsterdam lebe. It’s like what the fuck am I doing in Amsterdam?! Weißt du, in Amsterdam gibt es keine Konkurrenz, keinen Wettbewerb. Hier gibt es eigentlich niemanden, der tut, was ich tue.

Ist die Hiphop-Szene in Amsterdam echt so winzig? Nicht nur was andere Künstler angeht, aber  gibt es dort tatsächlich auch wenige Hiphop-Fans? Auf jeden Fall nicht besonders viele. Es gibt hier zwar schon eine Hiphop-Szene, allerdings keine besonders große. Die Niederlande sind ja so groß wie Mexiko-City, das Land ist so groß wie einige Städte auf der Welt, hier leben so an die 16 Millionen Leute und davon hören 8 Millionen nur Schlagermusik (lacht). Die Niederlande sind für meine Musik also kein so fruchtbarer Grund wie Frankreich oder Deutschland.

Dass manche Zeilen so an der eigentlichen Aussage vorbei interpretiert werden können, wie ich es gerade getan habe, mag ja daran liegen, dass der Schreibstil auf One sehr indirekt ist.  Man kann viel für sich zwischen den Zeilen lesen, die Lines auf unterschiedlichste Weise verstehen. Hast du das absichtlich so getan? Ja, das habe ich. Normalerweise bin ich ja direkter in meinen Texten, schreibe sehr anschaulich und benutze nicht allzu viele Metaphern. Ich rede fast so wie ich schreibe, weißt du? In einer Line, die übrigens nicht auf dem Album zu hören ist, aber vielleicht auf das nächsten Album kommt, sage ich: " What it means to you is whatever it means to you /  No matter what they say it never means to you / See all you need to do is to find something meaningful, meaning a thing or two" . Die Zeilen handeln davon, dass die Worte, die ich schreibe, die Leute auf verschiedenste Weise erreichen. Zu erklären wie ich manche Zeilen meine ist etwas, dass ich ungerne tue, denn wenn dich ein Song auf One bewegt, dann soll er dich auf deine Weise bewegen. Es ist also absolut absichtlich, wenn ich Texte in dem Stil schreibe.



Eine andere Sache, die mir bei One sehr aufgefallen ist: Ich hatte beim Hören den Eindruck, dass die Vergänglichkeit und Unbeständigkeit der Welt dich sehr beschäftigt und inspiriert hat. Aussagen wie
 "time is passing quickly " oder  "everything changes" häufen sich auf der Platte und die Songs Leaves that are Green und Caterpillar nehmen besonders viel Bezug darauf, wie sich alles in der Welt verändert und seinen Lauf nimmt. Was ist in deinem Leben passiert, sodass dir die Vergänglichkeit so bewusst geworden ist? Warum hast du entschieden dich so intensiv auf dieses Thema zu beziehen? Ich denke, ich repräsentiere eine Generation, in der alles sehr schnelllebig ist. Die Dinge entwickeln und verändern sich heutzutage viel schneller als früher und unser Bewusstsein hat sich durch das Internet immens verändert. Wir haben jetzt sowas wie ein globales Bewusstsein, weshalb auch unter den Künstlern und in der Unterhaltungsbranche weltweit Ähnliches geschaffen wird und sich gemeinsam verändert. Der Monetarismus, der Kapitalismus, unsere Auffassung von ethnischer Zugehörigkeit, all diese Dinge verändern sich zusehends und das hat mich einfach sehr beschäftigt.
Die Ironie dahinter ist nur, dass, obwohl wir weltweit verbunden sind, wir trotzdem oft sehr einsam sind. Alle von uns. Wir leben in  großen Städten, sind umgeben von Tausenden von Leuten, die wir nicht kennen. Das ist einfach nicht unsere Natur. Unsere Natur ist es, in einer Gemeinschaft zu leben. Das tun wir aber kaum mehr. Was früher lokale, kleine Gemeinschaften waren, das sind jetzt Online-Communities. Jetzt hast du mit irgendjemand aus New York Kontakt, kennst aber nicht mal deinen Nachbarn. Und deshalb gibt es diese allgegenwärtige Einsamkeit.

In dem was zu sagst, kann ich mich auf jeden Fall wiederfinden. Ja, weil du und ich in derselben Zeit leben. Und ich schreibe einfach über das, was ich fühle und sehe. Und gerade bemerke ich überall diese Einsamkeit. Diese Welt, dieses Konstrukt, braucht eine positive Wende, und die wird auch kommen, denn die Leute sind dazu bereit etwas zu verändern und dafür zu kämpfen. Deshalb entstehen auch Bewegungen wie Occupy Wallstreet . Die Dinge werden sich also verändern und wir sollten uns fragen, wie wir an dieser Veränderung Teil haben können. Sich neu zu verbinden ist ein Ziel und ich glaube wir sind gerade an einem Wendepunkt hin zu diesem Ziel. 

Glaubst du, Occupy Wallstreet ist ein Vorzeigebeispiel dafür, für die richtigen Dinge zu kämpfen und dieses Ziel zu erreichen? Ich unterstütze die Bewegung, das ist alles eine gute Sache, aber es besteht dabei auch ein großes Risiko. Denn allem, dem du mit viel Energie begegnest, das wächst, egal ob es positive der negative Energie ist. Wenn du also anfängst dich auf die Millionäre, Milliardäre, die Kapitalisten eben, zu fokussieren, dann gibst du ihnen vielleicht mehr Macht, als sie schon haben. Wenn Occupy Wallstreet sich dahin entwickelt eine eigene Gemeinschaft zu errichten, die ihr eigenes System, ihre eigene Währung und ihre eigene Produktionsweise hat, dann wäre das noch viel besser. Alles wird von diesen großen Konzernen produziert, meistens haben wir keine Ahnung, was zur Hölle wir da gerade trinken oder essen. Was wir also meiner Meinung nach tun müssen, das ist unbeschwerte Leute zu finden und eine eigene Gemeinschaft mit einer eigenen Produktionsweise aufzubauen. Wir sollten unsere Energie, Mühe und Kreativität auf uns selbst richten, denn wenn wir uns nur diesen großen Unternehmen, den Königen und Königinnen und dem System, das hauptsächlich reichen Familien Vorteile sichert, zuwenden, dann helfen wir nicht. Wir sollten das Internet und all die anderen Möglichkeiten, die wir haben, nutzen, um unsere eigenen Gemeinschaften zu errichten. Schwer an der ganzen Sache ist halt nur die Tatsache, dass wir alle durch unsere Sprachen und unseren Hintergrund getrennt sind. Du kommst aus Deutschland und hast einen deutschen Hintergrund und ich habe einen arubanisch-holländischen Hintergrund. Zum Glück können wir beide Englisch, das Englische verbindet uns. Englisch ist so etwas wie meine Muttersprache und ich bin sehr froh darüber, denn das ermöglicht mir die universelle Kommunikation, ich kann mir viel mehr Leuten verbunden sein, als ich es ohne diese Sprache könnte. Ich war bereits in 18 Ländern auf Tour und hatte die Möglichkeit, die verschiedensten Leute kennenzulernen. Das macht mich sehr glücklich.

Zu einem ganz anderen Thema: 2010 hast du Open Loops herausgebracht. Das Projekt war deine Version von einem Mixtape, du hast jede Woche einen neuen kostenlosen Track herausgebracht und zu jedem dieser Tracks ein Video oder besser gesagt ein  "Motion Artwork", eine Art sich bewegendes Bild, herausgebracht ( Hier könnt ihr euch die Tracks anhören, herunterladen und die Motion Artworks ansehen - Anmerkung der Redaktion). Nachdem du dich auf dem Projekt so sehr um das Visuelle gekümmert hattest, war ich schon sehr gespannt auf die visuellen Eindrücke zu One , allerdings ist bis heute immer noch kein Video erschienen (Inzwischen gibt es das Video zum Titeltrack. Klicke dafür unten auf den Banner  "Pete Philly – One (Video)“ – Anmerkung der Redaktion). Warum hast du dich dafür entschieden, für dein richtiges Soloalbum auf Videos zu verzichten? Ich habe sehr viel Energie in Open Loops gesteckt, aber die Leute haben das Projekt irgendwie nicht so ganz verstanden, zumindest nicht in den Niederlanden. Dafür hat Open Loops mir aber international einiges ermöglicht, zum Beispiel habe ich Aufmerksamkeit aus den USA gewonnen. Allgemein hat es die Leute aber nicht so erreicht, wie ich mir das vorgestellt hatte. Darüber ärger ich mich sehr, denn eigentlich hatte ich geplant für One visuell wieder etwas Ähnliches zu tun. Weißt du, durch das Internet hat man jetzt wieder einen solchen Freiraum, Musik auf verschiedene Weise zu machen und zu präsentieren, aber das haben viele noch gar nicht begriffen. Da ist ein solches Potenzial. Jetzt ein richtiges Album zu haben, Videos für die Promotion drehen zu müssen - das begeistert mich null! Ich mag, was ich online tun kann. Da hast du viel mehr Freiraum. Da geht es weniger so nach dem Motto: Hier ist das neue Video zur neuen Single aus dem neuen Album und die Single muss jetzt ins Radio. Diese ganze Scheiße reizt mich kein Stück! Deshalb bin ich in der Beziehung einen Schritt von Open Loops zurückgegangen. Jedenfalls hatte Open Loops all diese Motion Artworks, aber richtige Videos und Singles gab es ja auch nicht. Deshalb war es schon schwierig, es unter die Leute zu bringen. Daraus habe ich gelernt, dass die Industrie und viele Leute noch nicht bereit für das sind, was ich machen möchte. Ich fühle mich, als müsste ich mich noch immer von der Enttäuschung erholen (lacht). Anderseits sehe ich es auch einfach so, dass ich ein bisschen zu früh dran bin. Viele Dinge, die wir gemacht haben, wurden zuvor nie gemacht, wir mussten regelrecht um ein Publikum kämpfen. Und dann haben uns andere Künstler imitiert und kamen damit kommerziell, nicht in kreativer Hinsicht wohl gemerkt, weiter als wir. Manchmal ist es ein Problem innovativ sein zu wollen. Jedenfalls wenn die Leute noch nicht bereit für deine Ideen sind. Dann sind der ganze Einsatz und die Mühe fast für die Katz.
Um aber wieder auf deine eigentliche Frage zurückzukommen: Es wird Videos für One geben In den Niederlanden kann ich problemlos Alben verkaufen, ohne im Fernsehen oder Radio sein zu müssen. Ich mach erst diesen ganzen visuellen Kram und dann, wenn das eigentliche Album kommt, gibt es erst mal kein Video und keine Single. Ich bin echt ein komischer Typ, Mann.

Nennen wir es doch lieber interessant als  "komisch". Klingt positiver (lacht). Ach nein, weißt du, ich bin einfach so komisch, bei mir ist das so: Wenn es zwei Wege gibt, einen einfachen und einen harten, dann wähle ich den harten...



Aber das macht dich ja auch besser und erfahrener. Ist doch gut, oder nicht? Es gab aber auch Zeiten, wo mich das fast zum Aufgeben gebracht hat. Und hier und da kommt es vor, dass ich mich dadurch selbst beraube, ich lege mir selbst Steine in den Weg. Weißt du, es ist ja nicht so, dass ich nicht wüsste wie man einen Hit schreibt, das ist ja das Lustige daran...

Aber du willst wohl das machen, was dich mehr fordert. Eigentlich eher etwas, dass die Leute als herausfordernd und schwierig sehen, das ich aber als etwas sehe, das einfach nicht die Norm ist, weißt du? Das Ding ist: Wenn die Leute zu meinen Shows kommen, dann empfinden sie das zwar auch als eine qualitativ sehr hochwertige Show, aber die Qualität der Show hat ja in dem Sinne erst mal nichts damit zu tun, wer da alles im Publikum ist. Das ist auch etwas, dass ich lernen muss: einfach zu relaxen, aufhören mir zu viele Sorgen um die Rezeption zu machen, zu viele Gedanken darüber zu machen, was ein authentischer Künstler sein sollte und was nicht. Denn ich glaube niemand stellt meine Authentizität und Ernsthaftigkeit in Frage. Apropos Live-Shows: Du hast ja mit mehr als 20 Musikern an One gearbeitet. Ich schätze, du kannst nur mit einer weitaus geringeren Anzahl von Künstlern zusammen auf Tour gehen. Macht es das nicht manchmal schwer, Live-Versionen deiner Songs gut zu arrangieren? Ich performe mit einem Typen, der Gitarre und Percussions spielt, einem Drummer, einem Bassisten, einem Klavierspieler und einem DJ. Ich habe alles, was ich brauche, die Live-Arrangements sind fucking sick! Sie sind richtig, richtig dope! Die Leute müssen die sich echt ansehen. Wenn es ihnen nicht gefällt, dann gibt’s das Geld zurück (lacht)! (Vom 28. März bis zum 04. April wird Pete durch Deutschland, die Schweiz und Österreich touren. Unter anderem wird er in Köln, Stuttgart, Berlin, Hamburg und München performen. - Anmerkung der Redaktion)

2009 hast du ja auch deine letzte Live-Show mit Perquisite gespielt. Danach habt ihr euch getrennt. Hast du die Entscheidung, die Arbeit mit Perquisite zu beenden, eigentlich schon mal bereut? Nein, denn es war wirklich nötig, getrennte Wege zu gehen. Das hat unsere Freundschaft gerettet, denn unsere Freundschaft hat am Ende unserer Zusammenarbeit wirklich stark gelitten. Wir haben uns gegenseitig so einem Druck ausgesetzt, wir haben beide so große Egos und Erwartungen und sind auch sehr verschiedene Persönlichkeiten: Ich bin extrovertiert, er introvertiert, ich bin sehr geradeheraus, er denkt eher einmal mehr nach bevor er redet. Das ist zwar auch der Grund, warum das zwischen uns erst so gut funktionierte, wir ergänzten uns super, aber wir haben uns letztendlich auch gegenseitig unsere Energie gestohlen. Als wir uns getrennt haben, haben wir uns für ungefähr zehn Monate nicht gesehen oder gesprochen. Jetzt sind wir wieder gute Freunde, und das ist fantastisch! Ich bin froh, dass wir das so gemacht haben.
Weißt du, ich bin ja Schauspieler, Produzent, Komponist, Singer, Grafikdesigner, das Artwork für One habe ich komplett selbst entworfen. Bei all diesen Dingen kann ich nun ganz ich selbst sein und das ist sehr wichtig für mich. Zwar bin ich auch jetzt noch in gewisser Weise eingeschränkt, denn Pete Philly ist nur eine Version von mir, so ehrlich diese Version von mir auch sein mag, aber bei Pete Philly & Perquisite war ich natürlich noch sehr viel eingeschränkter, denn ich war ja im Grunde nur der MC und wir mussten unsere musikalischen Visionen teilen. Ich musste da heraus, bevor ich deswegen verbittert geworden wäre. Ich hatte all diese Dinge, die ich gerne tun wollte. Das Lustige ist nur: Als ich aufgehört habe mit Perquisite zu arbeiten, wollte ich mich erst mal auf das Schauspielern konzentrieren, ich hatte die Schauspielagentur schon eingeschaltet, um Rollen für Filme zu bekommen, aber dann habe ich mir gesagt: "Warte mal, lebte dich doch zuerst musikalisch richtig aus". Damit bin ich jetzt auch sehr glücklich. Mit Open Loops habe ich mich dann besonders in visueller Hinsicht sehr davon befreit, was die Leute durch meine Projekte mit Perquisite von mir erwarteten. Und ich musste das wirklich tun, um mich neu zu positionieren und dieser Schritt hat mir sogar ein amerikanisches Management und Möglichkeiten in Ländern wie Großbritannien gebracht.

   

Meinst du irgendwann werdet ihr auch wieder zusammen arbeiten? Ich bin mir da nicht sicher, denn ich genieße den Freiraum, den ich gerade habe so sehr. Hinzu kommt, dass Perquisite ja sehr bestimmt bei seinen Produktionen ist. Er will die einzelnen Arbeitsschritte wirklich genau beleuchtet haben, bevor man auch nur mit der eigentlichen Arbeit beginnt. Er will im Voraus wissen, wie das kreative Ergebnis aussehen soll und das umschließt den gesamten Arbeitsprozess. Ich dagegen will einfach gucken, was passiert und was sich ergibt. Dann mag es vielleicht mal eine weniger gute Entscheidung geben, aber das ist dann halt so. Das ist die Freiheit, einfach mal verhauen zu dürfen, die Freiheit, experimentieren zu können.
Das Lustige dabei ist, dass ich bei One auf einmal angefangen habe, genau dasselbe zu machen... Weil ich alleine war, wurde ich selbst zu meinem eigenen Perquisite . Deshalb werde ich beim nächsten Album, glaube ich, wieder weniger produzieren. Ich mag es wirklich zu produzieren, aber ich glaube, wenn ich nur einige Songs, so vier Stück von 15, auf einem Album selbst produzieren würde und für den Rest andere zuständig wären, dann könnte ich mich mehr darauf konzentrieren, auf einem Beat meinen Style zu präsentieren und dem Beat meinen eigenen Flavour zu verpassen. This is where I come from. Ich denke es wäre besser, wenn ich mehr für andere Künstler produzieren würde, denn, sehr viel kreative Energie muss ja bereits in die Komposition, den Arrangements und den Sound gesteckt werden, fast zur selben Zeit, in der du deine Geschichte erzählen musst.  Ich bin zwar sehr froh, dass ich das jetzt einmal auf One so gemacht habe, denn das macht das Album zu einem sehr introspektiven Album, das du einfach komplett auf deinen Headphones durchlaufen lässt, ohne nervende Top-40-Hits. Du hörst es einfach durch ohne einen Song zu skippen. Aber ich glaube es steht nicht dafür, wer ich voll und ganz bin, die Energie steckt weniger darin, meine Lebensgeschichten zu erzählen, die sich nun mal hauptsächlich dadurch ergibt, dass ich eine extrovertierte Person bin. Auf den Teil meines Daseins als Künstler will ich mich mit dem nächsten Album wieder mehr konzentrieren. Aber jedes Album ist für diejenigen, die eben genau dieses Album hören wollen. Es gibt vielleicht Leute, die One nicht mögen und zu introspektiv finden, dafür aber Open Loops lieben. Oder Leute, die das Album feiern, aber nicht so der Fan von Open Loops sind. Oder selbst Leute, die weiterhin den Pete Philly & Perquisite -Alben Vorrang geben. Und das ist auch alles vollkommen okay so!

Folge dem Autor Gordon Wüllner auf Twitter

Groove Attack by Hiphop.de