Ob kompromissloser Straßenrap, gefühlsbetonter Singsang-Rap der neuen Generation oder ein nie dagewesener Mischling aus den unterschiedlichsten Genres – wer heute kein Release für sich findet, hört nicht richtig hin. Neben RIN und Casper, die das Spotlight in den letzten Monaten oder Jahren auf sich gelenkt haben, haben auch das ehemalige 187-Mitglied AchtVier, die Gute-Laune-Kalifornier Audio Push und gleich zwei Audiolith-Künstler neue Platten veröffentlicht. Wir stellen die Neuerscheinungen kurz und knapp vor.
Casper - Lang lebe der Tod
Um fast ein Jahr hatte Cas sein heiß erwartetes neues Album 2016 verschoben, jetzt ist es da. Nach dem ersten Durchgang kann man bereits festhalten, dass der Rapper und sein Team mit einer beeindruckenden Selbstverständlichkeit Einflüsse von Punk und Indie über Rap, Pop, Grime und Trap bis hin zu diversen elektronischen Subgenres unter einen Hut bringen. Und trotzdem klingt das Album kohärent – das ist Kunst.
Inhaltlich widmet Casper sich vorzugsweise dunklen Themen, was angesichts des Albumtitels kaum jemanden überraschen sollte. Mit Deborah zeichnet er ein intensives Bild davon, wie eine Depression sich anfühlen muss, Morgellon ist eine Abrechnung mit den Supportern, der Psychologie und den Ursachen von Verschwörungstheorien im digitalen Zeitalter, Alles ist erleuchtet übt Kritik am egozentrischen Lebensstil vieler Menschen. In den letzten Jahren hat sich einiges bei Casper angestaut und das wird er auf seiner neuen Platte los.
Dabei schmeißt er mit Referenzen auf Musik, Film, Literatur und Popkultur um sich, dass es den Fans eine Freude sein wird, Lang lebe der Tod in zahlreichen Sessions für Genius zu zerpflücken.
Casper - Lang Lebe Der Tod
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RIN - Eros
RINs Hype ist seit der Genesis EP (2016) gefühlt exponentiell angestiegen. Turnup-Anthems wie Blackout und Bros haben die Messlatte in den letzten Monaten hoch gelegt. Und wenn man mit den bisherigen Singles wenig anfangen konnte, wird man nur schwer Zugang zu Eros finden.
Wie der Albumtitel eigentlich schon verrät, stehen Gefühle im Mittelpunkt. Das zeigt sich nicht nur in den Lyrics, die um Shawty, RINs Donnerstagsgewohnheiten, seine Jungs aus Bietigheim und die nächste Packung Kippen kreisen. Die Instrumentals decken eine ganze Bandbreite von stilistischen Einflüssen ab, bekommen aber durch eine gewisse Verträumtheit und liebevoll inszenierte Synthies einen roten Faden – da können auch mal "Waka Flocka"-Adlibs auf einem Beat landen, der den frühen Funk von ATCQ aufgreift (Vagabundo), oder RIN sucht mit 80er-Jahre-Sound im Rücken Intimität mit Shawty (Sag mir wenn du high bist).
Eros bietet Musik zum Feiern, zum Lieben, zum Glücksein und auch zum Traurigsein. Damit bleibt RIN sich treu. Technik steht nach wie vor am unteren Ende der Nahrungskette, Melodie und Gefühl dafür ganz oben. Rap-Fans der alten Schule werden ungläubig mit den Köpfen schütteln. Parallel dazu dreht irgendwo ein feierwütiger Mob zum "neuen Sch*iß" komplett durch. Die Hype-Kurve dürfte nach Release weiter nach oben zeigen:
Rin - Eros
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AchtVier - Mr. F
AchtVier aka Fizzle alias Mr. F ist zurück! Der "alte Achti" bleibt sich wie immer treu und das hört man sofort. Klatschende Drums treiben die Platte von Anfang an nach vorne. Wenn man den Sound der neuen Platte mit einem Wort beschreiben sollte wäre dies "Straße"!
Lyrisch bewegt das ehemalige 187-Mitglied sich dabei meist auf gewohntem Terrain. Mal todernst, mal mit ein bis zwei zwinkernden Augen geht es um das Leben aufm Kiez, das AchtVier in- und auswendig kennt. Mit von der Partie ist die Steuerfreimoney-Gang mit Veli, TaiMO und Itan sowie der Berliner Mosh36:
AchtVier - Mr. F
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Audio Push - Last Lights Left
Nach haufenweise Mixtapes sind Audio Push jetzt auch bei "richtigen" Studioalben angekommen. Knapp ein Jahr nach 90951 legt das Duo aus Kalifornien seinen zweiten Langspieler nach. Von einem Großteil ihrer Kollegen unterscheiden sich Oktane und Price durch die Grundausrichtung ihrer Musik. Die beiden wollen gute Vibes rüberbringen und sich als die "letzten verbliebenen Lichter" gegen die Dunkelheit stellen. Man mag Bildsprache im heißen Südwesten der USA:
"In einer Generation, in der es cool ist, dunkel und satanistisch zu sein, den Anderen in jeder Line umzubringen, ohne Kreativität oder Originalität in der Musik, mit falschen Leuten und falschen Erfolgen, haben wir gemerkt, dass wir die letzten Lichter sind, die aus der Dunkelheit scheinen."
Ein ambitionierter Anspruch, den die beiden an sich selbst stellen. Trotz der offensichtlichen Abneigung gegen einiges, das in der Szene abgeht, kommt der Sound sehr modern. Wem 21 Savage, die $uicideboy$ und Konsorten zu düster sind, aber der aktuelle Style aus den Staaten zusagt, der sollte Last Lights Left eine Chance geben:
Audio Push - Last Lights Left
Stream, Videos und eine Doku.
Johnny Mauser - Mausmission
Im Intro brüllt eine Kinderstimme: "Anarchie!", und bei der zweiten Anspielstation stellt Johnny Mauser dann direkt die Fronten klar:
"Ok, ich gebe zu, ich laufe weiter mit dem schwarzen Block."
Mauser übt Kritik am Staat, an teils beschämenden Ereignissen der letzten Jahre, am Zeitgeist, an der Leistungsgesellschaft. Das passiert größtenteils auf Boombap-Instrumentals, aktuelle Einflüsse werden dann im zweiten Teil des Albums präsenter. Es wird etwas elektronischer und man kann auch mal ein paar hektische Hi-Hats durch den Beat fliegen hören oder durch runtergepitchte Vocals an den A$AP Mob erinnert werden.
Die LP ist wie gewohnt kein Easy-Listening-Material, sondern Musik zum Zuhören. Wer unbedingt will, kann zwar auch gedankenlos zu den meisten Songs mit dem Kopf nicken, aber dafür ist Johnny Mausers Musik eigentlich nicht gedacht:
Johnny Mauser - Mausmission
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Captain Gips - Klar zum Kentern
Captain Gips grenzt sich weiter ab. Wie sein Neonschwarz-Partner Johnny Mauser tritt er nach oben und reicht seine Hand nach unten. Dafür er sich selbst als "desillusioniert" bezeichnet, hat der Captain sich nach 20 Jahren Rap noch eine gute Portion bissigen Humor aufbewahrt, um dem Spießertum und dem Schwachsinn die Stirn zu bieten.
Dass er seine Inspiration offenkundig nicht nur aus dem Hiphop-Bereich bezieht, sorgt für eine musikalisch abwechslungsreiche Platte. Bauchige Bläser á la Seeed gehen hier und da gut nach vorne, Gips' Punk-Sozialisierung ist bei Menschheit und Wahwahwah unüberhörbar und auch moderne Einflüsse finden ihren Weg auf Klar zum Kentern (z. B. Cap is back, Kopfkino):
Captain Gips - Klar Zum Kentern
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