Exklusives Statement: Sido distanziert sich von Verschwörungstheoretikern

Sido ist für einige Aussagen im kürzlich erschienenen Interview mit Ali Bumaye ins Kreuzfeuer geraten. In entspannter Atmosphäre sprachen die beiden unter anderem über Xavier Naidoo, Corona, entführte Kinder, Adrenochrom, die Rothschild-Familie. Ganz dünnes Eis – vor allem in dieser Kombination.

Der Rolling Stone stellt ihn in unter 100 Wörtern zu Xavier Naidoo in die Ecke, der Musikexpress zieht ihm den Aluhut an und die Bild widmet ihm nur wenige Zentimeter unter massiver Stimmungsmache gegen die Coronaregeln ein fettes Banner. Wir haben von Sido ein exklusives Statement bekommen, in dem er nicht alle Fragen klärt, sich aber deutlich von bestimmten Verschwörungstheoretikern distanziert.

Sido bezieht Stellung zu Adrenochrom & Xavier Naidoo

In diesen unruhigen Zeiten fliegen uns die wilden Verschwörungstheorien nur so um die Ohren. Corona hier, Bill Gates da und unter Europa 100.000 US-Soldaten, die sich auf die andere Seite der flachen Erde buddeln. Irgendwas in der Art.

An diesen Wahnsinn will kein langjähriger Rapfan auch noch Sido verlieren, der viele von uns begleitet, seit wir die Grundschule verlassen haben. In besagtem Interview mit Ali kommt der Berliner nach etwa 19:10 Minuten selbst auf das Thema Adrenochrom zu sprechen. Vorher geht es um die Todesursachen von Harald Juhnke und Helmut Schmidt. Sidos scherzhafter Einwurf:

"Vielleicht hat er [Helmut Schmidt] Kinderblut getrunken."

Trigger! Glaubt Sido also auch an die Verschwörungstheorie, nach der eine Elite aus dem Verborgenen die Welt kontrolliert und sich mit Kinderblut jung hält? Auf unsere Nachfrage distanziert er sich weder gänzlich von der Theorie, die Xavier Naidoo in Deutschland mainstream-tauglich gemacht hat, noch verteidigt er den Musiker: "Ich weiß genau so viel wie alle: nämlich nichts." Die differenziertere Version:

"Wenn es so ist, wie er sagt, ist es doch gut, dass jemand mit seiner Reichweite darüber aufklärt. Wenn es nicht so ist, wie er es sagt, [...] dann ist es einfach nur verrückt. [...] Ich bin auf keiner Seite. Ich weiß nicht, ob Dinge so sind oder nicht."

Ob Kinder entführt und nie wieder gefunden werden? Ja. Ob es Satanisten, Kannibalen und Geisteskranke gibt? Sure, leider. Das Problem ist, dass diese Fakten gemeinsam mit einer wirren Sammlung von kruden Vermutungen aktuell zur Vorstellung von einer weltumfassenden Verschwörung zusammenlaufen. Coroni hittet hart, wie Longus Mongus es vor einigen Wochen in einem anderen Kontext formuliert hat.

Kollegah & die QAnon-Verschwörungstheorien: Klare Distanzierung bleibt aus

Es mag auf den ersten Blick amüsant wirken: Kollegah ist Top-Kommentar unter einem Instagram-Post des Mannes, der mit Jeff Bezos permanent um die Position des reichsten Menschen der Welt ringt.

Distanzierung von Attila Hildman & KenFM

Zurück zum Talk mit Ali Bumaye: Dort thematisieren die beiden erst Adrenochrom, gehen dann fließend zu "sehr mächtige[n] Leute[n]" über und anschließend zur Rothschild-Familie. Das hinterlässt ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend, weil gerade die Rothschild-Theorien am Ende in der Regel auf einen antisemitischen Kern zurückzuführen sind. Egal, ob ihre Multiplikatoren das dabei im Hinterkopf haben oder nicht.

Seine Skepsis gegenüber Medien von beiden Seiten des politischen Spektrums ("Ich glaube niemandem. Ich glaube nur, was ich mit eigenen Augen sehe", sagt er in seiner Insta Story) mag aufgrund persönlicher Erlebnisse einerseits nachvollziehbar sein. Andererseits verstärkt es Unsicherheiten in einer ohnehin unsicheren Zeit, wenn er absurderweise behauptet die "großen Medien" seien allesamt "unterwandert" und würden "einem reichen Typen" gehören.

Generell scheint Sido das Gespräch mit Ali Bumaye bezüglich der problematischen Themen wie ein lockeres Herumspinnen mit einem Homie zu sehen, mit dem man sich über die Absurditäten austauscht, über die man 3 Uhr nachts auf YouTube stolpert. "Es kann sein, dass ich mich ab und zu vielleicht ein bisschen differenzierter ausdrücken muss, damit immer alle alles richtig verstehen", erklärte er sich auf Instagram.

Problematisch ist, dass (aktuell) 320.000 Leute dieses Herumspinnen gesehen haben und der eine oder andere Zuschauer es sicher nicht schaffen wird, so neutral wie Sido zu bleiben, der hier ins Blaue spekuliert und kombiniert. In der aktuell zu Recht sensiblen Berichterstattung und noch vielmehr auf diversen Twitter-Accounts gilt er dadurch unmittelbar als lost. Von den fabulierten Zusammenhängen, die diversen Verschwörungstheoretikern zurzeit Aufwind bringen, distanziert Sido sich uns gegenüber in aller Deutlichkeit:

"Im Grunde ist mir scheißegal, ob die Leute wieder versuchen, mir irgendwas in den Mund zu legen oder nicht. Meine ganze Karriere über läuft das so. Ich möchte nur nicht in einer Ecke stehen mit den Attila Hildmanns und KenFMs dieses Landes. Ich habe mit sowas nichts zu tun. Ich sitze zu Hause und gucke mir diese Videos an und lache mich kaputt über die. Ich habe mit diesen Menschen nichts zu tun. Deswegen finde ich es jetzt einfach grade richtig scheiße und gefährlich, dass mir diese Worte in den Mund gelegt werden und ich als Verschwörungstheoretiker verschrien werde."

Die Meinungen sind eben derzeit polarisiert wie seit Dekaden nicht mehr. Die extreme Situation, in der die Welt sich gerade befindet, verleiht einfachen Erklärungen für komplizierte Sachverhalte zusätzliche Attraktivität. Die Rattenfänger da draußen wissen ganz genau, mit welcher Tonlage sie ihr Lied spielen müssen. Zu Hildmann und Ken Jebsen aka KenFM fügt Sido zum Schluss hinzu:

"Ich halt die für sehr gefährlich."

Sido in Corona-Zeiten bisher oft vorbildlich

Abgesehen davon, dass er Tilman Knechtel aka TrauKeinemPromi in seine Live-Show eingeladen hat, der hinter jedem prominenten Todesfall ein satanistisches Ritual vermutet, erklärter Impfgegner ist, mit dem Rechtspopulisten Oliver Janich paktiert und Deutschlands Schuld am zweiten Weltkrieg relativiert, hat Sido sich in der Coronakrise bislang vorbildlich verhalten.

Mit seinem Format "Zuhause mit Sido" unterhält er jeden Freitag seine Zuschauer und animiert dazu, gefälligst nicht zu Tausenden gegen die Kontaktbeschränkungen zu demonstrieren. Er nutzt seine Reichweite, um Krankenhauspersonal Liebe zu schenken.

Wenn er also sagt, es sei gefährlich und scheiße, ihn jetzt als Verschwörungstheoretiker zu verschreien, hat er vollkommen Recht. Wer Leute vorschnell abstempelt, geht das Risiko ein, sie aus dem eigenen Kreis in die offenen Arme der Spalter zu treiben. Das spielt wiederum den Rechten in die Karten, deren egozentrische und menschenfeindliche Weltanschauung derzeit in einen Zweiteiler aus "Systemkritik" und "Freiheitskampf" gepresst wird.

Nur die Verlorenen sind verloren

Die TAZ resümiert hinsichtlich der Verschwörungstheoretiker in ihrem Artikel über Sidos Abwege:

"Es geht nicht darum, diesen Menschen zuzuhören oder sie in die Talkshows einzuladen, denn sie haben den Boden der logischen Argumentation meist verlassen. Man muss denen, die tatsächlich ehrlich auf der Suche nach Antworten sind, Alternativen bieten. Die Ungerechtigkeiten unseres Systems sind nicht wegzudiskutieren. Dass sich Menschen in diesem Land von vorne bis hinten verarscht vorkommen, ist legitim.

Dass sie deshalb antisemitische und faschistische Verschwörungstheorien teilen, ist es nicht. Jenen die Hand zu reichen, die sich verlaufen haben, ist eine der Möglichkeiten. Unsere absolute Pflicht ist es jedoch auch, denen entschieden entgegenzutreten, die die aktuelle Situation dazu nutzen, rechte Ideologien zu verbreiten."

Ja, es ist grade verdammt anstregend, ermüdend und desillusionierend, den geballten Bullshit der Menschen im Internet und auf den Straßen zu ertragen. Die Verlorenen sind verloren. Aber nicht jeden Homie, der sich von dem einen oder anderen Statement aus Ken Jebsens Video catchen lässt, sollte man unwiderruflich abschießen, entfreunden und ihm einen Stempel auf die Stirn drücken.

Das kategorische Stigmatisieren nicht geteilter Meinungen und Ansichten – mögen sie auch abwegig sein – hat Deutschland in den letzten fünf Jahren nicht näher zusammen gebracht. Ganz im Gegenteil: Es provoziert nahezu eine stärkere Polarisierung.

Natürlich ist es richtig und wichtig, Dinge zu hinterfragen. Erst recht als Journalist! Genauso sollte man aber auch zweimal nachdenken, bevor man mit der Keule auf Leute schlägt, die grade vom Weg abgekommen sind.

Sido hat sich "ein bisschen informiert", wie er uns sagt. Er ist niemand, der eine politische Gegenbewegung anführen wird oder aktiv eine Verschwörungsagenda durchdrücken will, um Leute aufzuwecken. Er hat offenbar ein paar strange Videos gesehen. Nicht weniger und hoffentlich auch nicht mehr.

Nichtsdestotrotz sollte sich jeder an die Fakten halten. Was für Sido und Ali im Gespräch nur halbernst sein mag, kann in anderen Köpfen zu einer gefährlich Botschaft reifen. Gerade als Mainstream-Figur, die Sido eben ist, muss man sich bewusst machen, welche Wirkung das 2020 hat.

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