Review: Kanye Wests "Donda" ist ein absolut stabiles Album
Porträt von Kanye West in schwarz-weiß

Eines vorweg: "Donda" von Kanye West ist kein perfektes Album. Es fühlt sich trotz mehrfacher Verspätung und trotz Kanyes releaseverhinderndem Perfektionismus nach einem gehetzten, schon beinahe unfertigen Projekt an. Dafür Schuld trägt vor allem die massive Überlänge des Albums mit 27 Songs und einer Laufzeit, die geradewegs auf die Zwei-Stunden-Marke zusteuert. Das lässt schnell den Anschein erwecken, als wäre schlichtweg jeder Song und jede Idee zu einem riesigen Potpourri aus Gospel, Hiphop und Gastauftritten zusammengewürfelt worden, ohne dass vorher großartige Gedankenarbeit ins Filtern oder ins Sequencing geflossen ist.

Aber reicht diese Tatsache allein aus, um die Qualität eines Albums zu ruinieren? Wohl kaum. In einer playlisttauglichen Musikära, in der viele Alben tendenziell unter einer viel zu kurzen Laufzeit leiden, fühlt es sich auch einfach falsch an, Artists für ein Projekt in Spielfilmlänge an den Pranger zu stellen. Außerdem bietet eine derart große Auswahl entsprechend viel Platz für gute Songs – und die kommen auf "Donda" nicht zu kurz. Also: "Donda" von Kanye West ist kein perfektes Album. Dafür aber ein ziemlich gutes.

"Donda" fängt sehr stark an

Gut, der "Donda Chant" als erste Anspielstation des Albums ist natürlich etwas... gewöhnungsbedürftig. In meinen privaten Playlists wird dieses Intro jedenfalls nicht landen. Aktuell macht sich unter Fans jedoch die These breit, dass der Chant die letzten Herzschläge von Kanyes verstorbener Mutter, nach der das Album benannt ist, symbolisieren soll. Diese Theorie ist zwar nicht bestätigt, würde den merkwürdig anmutenden Einstieg in Kanyes zehntes Solo-Album aber in ein ganz neues Licht rücken.

Danach kommt das Album aber sehr schnell in die Gänge. Gerade die erste Hälfte des Albums hangelt sich von Highlight zu Highlight und überzeugt mit einheitlicher Abwechslung: Die "Throne"-Reunion "Jail" als inoffizieller Opener, auf dem das Power-Duo aus Kanye West (jetzt auf Apple Music streamen) und Jay-Z wieder zusammenfindet und mit Stakkato-Bass sowie hymnenartigen Gesängen einen zeitlosen Sound kreiert, lässt das Album mit höchsten Tönen beginnen. "Off the Grid" vereint Playboi Carti und Fivio Foreign – eine unvorstellbar weirde, aber überraschenderweise unvorstellbar gut funktionierende Featurekombination. Der plötzliche Switch zu einem Drill-Beat allererster Güteklasse hypt jedes Mal aufs Neue. Auch wenn ich persönlich noch an den "80 Degrees"-Leak mit Ant Clemons aus der Yandhi-Ära gewöhnt bin, fügt sich die jetzige Version von "Hurricane" perfekt in das Gesamtbild von "Donda" ein und kommt mit einer himmlischen Epochalität daher, die vor allem durch The Weeknds Gesang gesichert wird. Weiter geht es mit "Praise God", ein düsterer Banger mit starken Featureparts von Travis Scott und dem aufstrebenden Baby Keem, der noch zwei Tage vor Albumrelease für das Quasi-Comeback von Kendrick Lamar verantwortlich war. Was ein Wochenende!

Auch zur Mitte des Albums scheinen die Hit-Songs nicht weniger zu werden. Ob "Remote Control" mit Young Thug und dem härtesten musikalischen Pfeif-Element seit "Kill Bill" oder dem ruhigen "Moon" mit Kid Cudi und Don Toliver, die wärmste klangliche Umarmung, die Musik 2021 zu bieten hat – schnell wird deutlich, dass es an vielen Stellen vor allem die Features sind, die glänzen und dem Album den letzten Schliff verpassen. Aber trotz der unzähligen Gastauftritte hört man jederzeit raus, dass "Donda" ein klassisches Kanye-Album ist. Er liefert den akustischen Rahmen für ein Projekt, auf dem unzählige, talentierte Menschen vereint werden.

Das merkwürdige Sequencing von "Donda"

Ganz furchtbare Ausreißer sind auf dem Album kaum zu finden. Außer vielleicht "Tell the Vision", das als Interlude mit der Message "R.I.P. Pop Smoke" verstanden werden kann. Eine schöne Geste, die leider alles andere als gut klingt. Schwächere Songs wie "Jonah", "Ok Ok" oder "God Breathed" bewegen sich schlimmstenfalls jedoch auf einem mittelmäßigen Level. Dennoch entlarvt die zweite Hälfte des Albums das Kernproblem von "Donda". Während die ersten Tracks noch vor Abwechslung und Ideenreichtum strotzen, entwickelt sich das Album im weiteren Verlauf immer mehr zu einem ziemlich homogenen Gospel-Album. Das lässt sich auch schon mehr oder minder von der Tracklist ablesen.

Eine solche Entwicklung könnte inhaltlich zwar weit entfernt als Metapher für Progression interpretiert werden, so oder so geschieht dies jedoch auf Kosten von Spannung und Dramaturgie. Gerade bei der enormen Länge des Albums ist es niemandem zu verübeln, wenn dort auf kurz oder lang Ermüdungserscheinungen auftreten. "Keep my Spirit alive", der 9-Minuten-Knaller "Jesus Lord", der Kim Kardashian-Reflection-Track "Lord I Need You", "Pure Souls", "Come to Life" – einzeln betrachtet sind das keine schlechten Songs. Ganz im Gegenteil, "Come to Life" beispielsweise erinnert mit der schönen Piano-Melodie schon beinahe an Kanyes All Time-Klassiker "Runaway". Nur klingen die Songtitel nicht nur nach einer ähnlichen Richtung, sie verfolgen auch musikalisch eine ähnliche Grundstimmung. Eine solche Sektion hätte entweder gekürzt oder von thematisch und klanglich anderen Songs aufgelockert werden sollen.

Die vier "Part Zwei"-Tracks am Ende des Albums hinterlassen auch einen eher faden Beigeschmack. Bei den zweiten Parts der Songs handelt es sich nämlich nicht um Fortsetzungen, sondern um die exakt selben Songs mit ausgetauschten Featureparts. Naja, so hätte man theoretisch die Möglichkeit, "Donda" mit der eigenen, bevorzugten Tracklist neu zu sortieren und einen bevorzugten zweiten Part durch den Originalsong zu ersetzen. Im Internet wird jedenfalls schon über das ideale Sequencing von "Donda" diskutiert. 

Textlich bleibt das neue Kanye-Album simpel

Dass sich das Album thematisch, textlich und inhaltlich dem Vorgänger "Jesus is King" anschließen wird, war wohl wenig überraschend – Kanye macht schließlich kein Geheimnis daraus, seinen Weg zu Gott gefunden zu haben. Rein textlich zeichnen sich hier auf vielen Songs also ähnliche Motive ab. Inhaltlich spannender wird es an den Stellen, an denen sich "Donda" mit dem Thema des Verlustes auseinandersetzt. Den verstorbenen Stars Pop Smoke ("Tell the Vision") und Kobe Bryant ("24") wurden eigene Songs gewidmet, die zerbrochene Ehe mit Kim wird auch mehrfach diskutiert.

Das alles steht natürlich unter dem Schatten seiner Mutter Donda West, die 2007 an den Folgen einer Schönheitsoperation verstorben ist. Im Laufe des Albums werden immer wieder verschiedene Voice Clips von ihr angespielt. Auf dem Song "Jesus Lord" verarbeitet er in guter alter "808s & Heartbreak"-Manier den Tod seiner Mutter mit emotionalen Zeilen.

„Mama, you was the life of the party
I swear you brought life to the party
When you lost your life, it took the life out the party
[…] And if I talk to Christ, can I bring my mother back to life?
And if I die tonight, will I see her in the afterlife?”

Solche Lines bilden den tragischen Kontrast zu seinem fröhlichen "Hey Mama", das 2005 auf "Late Registration" erschienen ist.

Natürlich sorgt so etwas inhaltlich nicht gerade für Überraschungen oder große Wow-Momente. Die lyrisch versierteste Poesie findet man auf "Donda" auch nicht. Aber das ist gar nicht zwingend nötig, da das Album auch ohne diese Elemente funktioniert. Die Texte wirken durch ihre repetitive Art wie eine Art Leitmotiv, das sich durch das gesamte Album schlängelt. Kanye widmet das Album seiner Mutter und Gott und drückt genau das aus – nicht mehr, aber dafür auch nicht weniger.

Ein Musikalbum mit starker Außenwirkung

Am Ende des Tages bleibt Musik eine reine Geschmackssache. Eines muss man "Donda" aber definitiv lassen: Kanye West hat hier ein Album produziert, das im Gedächtnis bleibt. Dafür ist der verkopfte Rollout maßgeblich mitverantwortlich. Klar, es ist natürlich relativ einfach, Aufsehen mit Beef und Kontroversen zu erregen. DaBaby und Marilyn Manson auf die Bühne und aufs Album zu holen, nur um... um was eigentlich? Um ein unbedarftes Statement gegen die Cancel Culture zu setzen? Frei nach dem Bibelvers "Vor Gott sind alle gleich"? Naja, solche Moves bleiben natürlich weiterhin mehr als fragwürdig und könnten den Hörgenuss des Albums vor diesem Hintergrund negativ beeinflussen. Trotzdem ist es nicht minder beachtlich, wie "Donda" als Musikalbum im Jahre 2021 auch weit über den Rap-Kosmos hinaus einen gewissen Stellenwert in der breiten Öffentlichkeit erreicht hat.

Spannend wird außerdem zu beobachten sein, wie das Kapitel "Donda" zu Ende gehen wird. Werden nochmals im Stile von "The Life of Pablo" Änderungen an dem Album nach Release vorgenommen? Wir werden es gespannt verfolgen, denn laut Kanye hätte Universal das Album ohne seine Zustimmung veröffentlicht.

Ein Fazit zu Kanye Wests "Donda"

"Donda" ist eines der wohl cineastischsten und theatralischsten, gleichermaßen aber auch chaotischsten und verworrensten Gesamtwerke, die Hiphop in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Um sich voll zu entfalten, braucht das Album seine Zeit. Viel zu viel Zeit. "Donda" birgt in meinen Augen großes Potenzial und hat wirklich viele starke Songs auf Lager, die vereinzelt jedoch angenehmer zu hören sind als im Komplettdurchlauf. Ob sich das ändern wird, ob manche Lieder noch zünden müssen, ob das Album gut altern wird – das alles sind Fragen für die Zukunft.

Zu Beginn erwähnte ich, dass "Donda" kein perfektes Album sei. Dafür aber ein ziemlich gutes. Und für mich als Hörer bleibt das auch so. Vielleicht könnte man aber so weit gehen und behaupten, dass es für Kanye West als Macher des Albums tatsächlich nahe der Perfektion liegt. "Donda" wirkt nämlich wie die logische Schlussfolgerung und Symbiose aus seinen letzten Solo-Alben. Es klingt wie das, was "Jesus is King" sein wollte. Nur wird die Gospel-Thematik hier besser aufgegriffen und umgesetzt. Teils minimalistische Instrumentals gepaart mit ernsten, introspektiven Themen gab es auf "Ye". Die verwirrende, kaum vorhandene Stringenz, die dafür vor Ideen und kreativen Ansätzen brodelt, erinnert stark an "The Life of Pablo". Und hier und da blickt immer mal wieder der experimentelle "Yeezus"-Ansatz durch. Sei es das Album selbst oder alles, was drumherum passiert ist: "Donda" bringt die Kunstfigur Kanye West auf den Punkt.

Aber nicht alle wurden von dem Album so sehr überzeugt wie ich! Meine werte Kollegin Alina hat sich das Album ebenfalls angehört und war deutlich weniger begeistert von der Hörerfahrung. Ihre Review kannst du dir hier durchlesen:

Review: Kanye Wests "Donda" ist nicht so gut wie alle sagen

"Donda" is here: Nachdem Kanye West seine Fans wochenlang mit immer absurder werdenden Listening-Partys gequält hat, ist das 10. Studioalbum des gebürtigen Chicagoers doch tatsächlich rausgekommen. Wer hätte es gedacht? Ich auf jeden Fall nicht. Denn Ye (so heißt er doch jetzt, oder nicht?) ist ja seit jeher bekannt für messy Promo-Phasen.

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