Azads "Faust des Nordwestens" schlägt auch heute noch gnadenlos zu

Azads zweites Album Faust des Nordwestens feiert Geburtstag. Anlässlich des Jubiläums habe ich mir das gute Stück aus der Prä-Bozz Music-Ära nochmal in Ruhe zu Gemüte geführt und stelle fest: Es ist nicht nur in Würde gealtert und immer noch ein Bomben-Album, sondern war seiner Zeit 2003 auch meilenweit voraus.

Ja, es stimmt: Ich schreibe diese zutiefst subjektiven Zeilen als bekennender Azad-Fan. Wie sich herausgestellt hat, kann ich einen Großteil der Texte auf Faust des Nordwestens auch nach etlichen Jahren immer noch auswendig. Aber wenn mein Vorhaben auch nur halbwegs gelingt, geht es dir bald sehr ähnlich: Ich will im Folgenden zeigen, was an dem Album so besonders ist, um meine steile These aus dem ersten Absatz zu untermauern.

Dabei komme ich natürlich auch nicht umhin, zu erläutern, was ich an Azad so besonders finde. Um es mit seinen Worten zu sagen:

"Ich werd' euch voller Inbrunst zeigen/ihr verdammten Nieten zerplatzt an mir wie kleine Fliegen an der Windschutzscheibe/Der Chef in dem Scheiß, der wie ein Tanker steht/Das Land erbebt/Salutiert der Ein-Mann-Armee!"

Azad macht knapp zwei Jahre später nämlich haargenau da weiter, wo er mit seinem legendären Debüt Leben aufgehört hat. Was nicht bedeutet, dass er sich als Künstler nicht weiter entwickelt hätte, ganz im Gegenteil. Aber er bleibt sich eben auch treu. Und genau deswegen eröffnet er den Reigen nach dem Intro (siehe oben) mit einem brachial-brutalen Monster, das auf den Namen A hört:

"Wer geht als Einziger Gegen den Strom in dem Scheiß? A! / Wer ist am Brennen wie Napalm, wenn er steppt ans Mic? A! / Wer gibt sein Leben für Hiphop und bringt echten Scheiß? A! / Sagt es mit mir, Brüder! A!"

Man beachte das grandiose Musikvideo zu A, bevor es gleich um Disses gegen MC Rene und Samy Deluxe geht. Außerdem: Azads Tochter, seine mentalen Krisen und einer der besten Kollabotracks der deutschsprachigen Rapgeschichte.

Kool Savas und Azad lassen sich nicht lange bitten und kommen direkt im Anschluss an A mit #1 um die Ecke. Gleichzeitig legen sie damit den Grundstein für ihr gemeinsames Kollaboalbum, das bekanntlich zwei Jahre später Wirklichkeit wurde und One heißt:

"Die Meister am Mic, wir scheinen zu zweit, mit tighteren Rhymes / Noch immer Number One / Wir schicken euch drauf, knipsen euch aus, bringen den Sound / S und Azad: Number One!"

Wie gut Azad und Kool Savas zusammen passen, wird hier überdeutlich. Erst recht, wenn uns die beiden gegen Ende des Songs ihre Zeilen abwechselnd um die Ohren hauen. Wilde Flow- und Geschwindigkeits-Variationen inklusive:

"Ihr vereint Scheiße und nennt es Kollabo / Leute fragen uns, wann ist euer Album endlich im Laden? / Wir bangen mit Granaten, bringen euch unendlichen Schaden / Verschwend' nicht deinen Atem, da sämtliche Gegner ständig versagen / Ihr seid ständig in Panik und schiebt nen künstlichen Max / macht künftig mal Platz, denn ihr rappt nicht vernünftig zum Takt / Ich wünsch' mir, ihr packt's und seht das Game aus unserer Sicht / erhebt euch aus der unteren Schicht, kommt und landet unter dem Tisch / Wundert euch nicht, denn unter dem Strich / gibt es höchstens zwei, drei Rapper hier wie Azad und mich!"

Bumm. Beziehungsweise Bang. Was "AZ the tight Chab" hier an wirklich irrsinnigen Style-Wechseln abzieht, hat nicht nur 2003 für herunterklappende Kinnladen gesorgt, sondern schafft das auch heute noch. Mal ganz davon abgesehen, dass Goldkehlchen J-Luv hier den lässigsten R&B-Flavour aller Zeiten versprüht. Da kommt allerhöchstens noch Samson Jones aka Jonesmann mit F*ck dich ran:

Die wahrscheinlich größte Veränderung in Azads Leben stellt 2003 seine Tochter Lea dar. Um sie dreht sich ein Großteil der Zeilen aus Drama (mit der britischen Sängerin Linda Carriere) und ihr hat Azad auch den gesamten Song Mein Licht gewidmet. Beide Songs gewähren tiefe Einblicke in Azads Seelenleben und haben das Zeug dazu, jeden zu Tränen zu rühren.

Azad baut auf dem zweiten Album seine Stärken aus, anstatt groß zu experimentieren. Ihn bestimmen und bewegen nach wie vor in erster Linie offenbar Aggression und Trauer: Hasskicks des Todes oder mentale Krisen, dazwischen geht oft nicht viel. Auf Faust des Nordwestens schafft Azad es aber, seine Gefühlswelt noch ein bisschen besser auszudefinieren und so nochmal deutlich an Charaktertiefe hinzu zu gewinnen.

Dabei spielt es letzten Endes keine Rolle, ob es um Azads Beziehung zu seiner Tochter, offene Fragen wie in (in dem Azad sogar seinen Beef mit Samy Deluxe beendet), um Konzepte wie Ehre & Stärke oder einfach nur um Schmerz/Überleben geht: Ich kann den ruhigen Tracks auf Faust des Nordwestens mittlerweile sogar noch mehr abgewinnen als früher. 

Darf auf einem Azad-Album eigentlich nicht fehlen: Ein Posse-Track mit der Warheit-Crew. Und was eignet sich besser, um sich auf die härtesten Lieder von Faust des Nordwestens einzustimmen, als ein Song, der Ruhe vor dem Sturm heißt? Eben.

Schon 2003 haben Azad, Jeyz, Sezai, Lunafrow und Chaker das gemacht, was heute tausendfach wiederhallt: Rohen, düsterenen Straßenrap aus Frankfurt am Main. Leider scheinen aber zumindest Sezai, Chaker und Lunafrow Rap den Rücken gekehrt zu haben. Das wäre jedenfalls mal eine Reunion, über die ich mich wirklich freuen würde!

Einen der unterhaltsamsten Disstracks, die mir je untergekommen sind, stellt MC U Reen (Fliegenklatsche) dar. Mit dem Ergebnis, dass ich MC Rene danach leider nie wieder richtig ernst nehmen konnte. Ohne allzu nostalgisch werden zu wollen (wofür es sowieso schon zu spät ist): Damals wurde Beef noch mit solchen Tracks geklärt, die dann auf den Alben der Künstler erschienen sind. Mit gerappten Zeilen und nicht mit Video-Statements, die nach ein paar Minuten wieder gelöscht werden:

"Ich mach' dich zum lebenden Mahnmal / Jeder soll es wissen: wer versucht, mich auf Platte zu dissen, wird zerrissen / Du bist 'n Kissen-weicher Chab, der nicht der Rede wert ist/machst jetzt bös' auf hart, doch ich spuck ne Zeile und erledige dich / Du kannst nicht mehr weiter, doch ich hör' nicht auf wie Ultimate Fighting / Ich pumpe die tighten, unbeschreiblichen Reime in deinen Schädel / Wie Schläge, du schäbiges Ekel, gib auf oder bete / Dass ich nicht kurzerhand dich Haufen zertrete"

Last, but definitely not least holt Azad mit F*ckt Euch nochmal zum alles vernichtenden, finalen Rundumschlag aus. Und der kommt genau richtig, wenn du gerade wirklich sauer bist. Einen wütenderen, hasserfüllteren Azad findest du wohl nirgendwo. Was habe ich diesen Song geliebt, als ich ihn mit 17 Jahren zum ersten Mal hören durfte! Ähnliche Glücksgefühle löst in mir allerhöchstens noch Zahltag vom indizierten Azad-Album Der Bozz aus (gibt es aber leider nur noch in der etwas schwächeren Remix-Version).

Im Anschluss findest du die Songs MC U Reen (Fliegenklatsche) (im Video ca. ab Minute 1:35) sowie F*ckt Euch. Weil der Text von F*ckt Euch so zeitlos schön ist, findest du ihn nachfolgend nochmal in seiner vollen Länge und ganzen Pracht. Darin bekommen wirklich alle ihr Fett weg: Rapper, Bullen, Fans, die sich Alben brennen, Menschen, die Tiere quälen oder auch Bundestagsabgeordnete.

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