Raekwon vom Wu-Tang Clan: Rap-Rente? Nicht mit mir! (Interview)
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Der Chef ist back. Wu-Tang-Oldie Raekwon packt die Lust auf ein Soloalbum ein sechstes Mal – 20 Jahre nach dem legendären Purple Tape kommt Rae mit frischen Sounds auf klassischen Drums und liefert Fly International Luxurious Art. Nach dem kleinen Wu-Tang-Debakel des vergangenen Albums sind jetzt alle Kopfschmerz-Themen beiseite geräumt und der Weg frei für spannende Kollaborationen und der schwierigen Aufgabe, sich 2015 noch als 90er-Jahre-Rapper zu vermarkten. Wie er diese Aufgabe löst, was ihm nach zwei Jahrzehnten Karriere noch auf dem Herzen liegt und weshalb der Wu-Tang Clan sich nicht mehr so anfühlt wie damals, erklärte uns Raekwon exklusiv in einem sehr angenehmen Interview.

Alle weiteren Infos zum Album, das am 24. April 2015 erscheint, findest du auf Amazon:

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Hiphop.de: Ich hatte glücklicherweise schon die Chance, in dein Album reinzuhören und es ist sehr rund. Es klingt natürlich ungemein klassisch, aber nicht verstaubt. Du hast es mit vielen modernen Elementen versetzt. War das die Herangehensweise und das Ziel bei der Produktion? 

Raekwon: Ja, ich wollte die Balance zwischen neuem und altem Sound haben. Ich denke, es ist wichtig, sich als 90er-Rapper bewusst zu machen, dass irgendwann die Zeit kommt, wo man sich ein Stück weit anpassen muss. Also haben wir die Produktion ausgeweitet. Die Leute respektieren mich und uns für das, was wir in den 90er-Jahren gemacht haben. Aber es sind leider nicht mehr die 90er. Deshalb muss man irgendwann den Übergang hinbekommen. Dabei muss man natürlich immer noch darauf achten, dass man die perfekte Mischung aus Talent und Musik nicht aus den Augen verliert.

Lustigerweise habe ich vor wenigen Tagen mit Action Bronson gesprochen. Du und die anderen Jungs von Wu-Tang sind ja bekanntermaßen mit seine größten Vorbilder. Kennt ihr euch gut?

Action Bronson ist ein guter Freund. Wir kennen uns eigentlich schon seit seinem Durchbruch vor einigen Jahren. Er ist wirklich ein guter Freund. Bei ihm kann man ganz leicht erkennen, dass er eine alte Seele hat. Immer, wenn wir uns auf Events oder so sehen, sagt er mir, wie viel Respekt er für mich und meine Leute hat. Er lebt und lernt Hiphop richtig. 

Als ich mit ihm über die Entwicklung des New Yorker Hiphop-Sounds der letzten Jahre gesprochen habe, konnte man ihm deutlich ansehen, dass er sich bei der Südstaaten-Schiene absolut nicht wiederfindet. Er war sich aber ziemlich sicher, dass der gute alte Boom-Bap-Rap mit Lyrics zurückkommt. Bist du auch so zuversichtlich?

Ich denke, die Leute werden immer und bis in alle Ewigkeit auf Skills und Lyrics abfahren. Vor allem im Hiphop. Es wird immer wichtig bleiben, die Geschichte und Wurzeln zu kennen. Momentan gibt es vielleicht eine Welle in die andere Richtung, aber irgendwann wird es auch wieder langweilig. Dann wird die echte Kultur wieder Oberhand gewinnen. Künstler wie wir werden dann wieder wichtiger. Das wird nicht lange dauern, ich sehe das ähnlich. Aber wir müssen natürlich auch dafür arbeiten, dass es dann so bleibt. Action ist zum Beispiel ein guter Soldat. Er macht seine Sache wirklich sehr gut.

Sprechen wir mal über dein Album. F.I.L.A. ist dein sechstes und wahrscheinlich eines deiner besten, wenn man das so früh schon sagen kann. Gab es in Anbetracht der Tatsache, dass Only Built 4 Cuban Linx... dieses Jahr 20 Jahre alt wird, ein bestimmtes Mindset, das du bei diesem Album an den Tag gelegt hast? Mehr oder weniger Druck als sonst?

Ich habe immer Druck, wenn du meinen alten Hintergrund bedenkst. Ich weiß nie, ob mein Style überhaupt noch angesagt ist. Aber wie gesagt, man muss es einfach weiter versuchen. Natürlich habe ich genügend Fans, die mich kennen und lieben, und das weiß ich auch. Aber ebenso möchte ich auch neue Fans erfassen und neuen Leuten meinen Sound näherbringen. Am Ende des Tages spielt das aber eigentlich keine Rolle beim Musikmachen. Wenn man im Studio ist, folgt man letztendlich nur seinem Herzen. Von solchen Dingen kann man sich nicht ablenken lassen. Ich bin ja mittlerweile Profi. Ich bin seit über 20 Jahren dabei – und das heißt nicht, dass ich bald verschwinde. Die Zeit fühlt sich weniger wie Verschleiß als wie Erfahrung an. Jetzt weiß ich, was es benötigt, um einen Klassiker zu machen.

Für das 20-jährige Jubiläum werkelst du ja nebenbei auch an einer Dokumentation. Du bist da sehr eng in der Produktion verstrickt, oder? Das ist quasi dein Baby?

Ja, das liegt mir wirklich am Herzen. Die Doku zu machen ist wie eine Albumproduktion für mich. Ich stecke da genauso viel Leidenschaft und Kraft rein wie in ein Album. Wenn man so ein einschneidendes Album wie ...Cuban Linx auf die Beine stellt, das so viele Generationen übersteht, möchte man das natürlich nie in Vergessenheit geraten lassen. Als ich die Time Is Illmatic-Doku von Nas gesehen habe, gab es nochmal einen Motivationsschub. Diese Dokus sind wichtig, um diese Klassiker-Alben wirklich in der Geschichte zu zementieren und auch jüngeren Fans ans Herz zu legen. Wenn man heutzutage Musik hört, sieht man selten noch solche zeitlosen Projekte. Vielleicht benötigt es unsere Klassiker-Dokumentationen, um jüngere Künstler wieder dazu zu inspirieren. Die Purple Tape-Doku wird aber nicht wirklich wie eine Dokumentation gefilmt. Es wird mehr wie ein flüssiger Film sein, der einen durch die gesamte Produktionsphase des Albums trägt. Das Beste daran ist, dass Fans darin investieren können. Auf Fanbacked.com haben Fans die Möglichkeit, gewissermaßen am Projekt teilzunehmen. Ich mach das lieber auf diese Art und Weise, als mich an eine Riesenfirma zu binden und abhängig zu sein. Momentan sind wir zu etwa zu 35 bis 40 Prozent fertig. Ich beeile mich nicht mit dem Projekt. Ich lasse mir Zeit, wie bei einem Album.

Du sagst von deinen Featuregästen, dass da einige dabei sind, die man nicht auf einem Raekwon-Album erwarten würde. Das Purple Tape ist ja fast schon so alt wie manche von ihnen. Weshalb hast du speziell diese Rapper ausgesucht? Warum A$AP Rocky oder French Montana?

Sie repräsentieren die neue Garde an Streetrappern. Ich halte sie alle für echt und passend für die Tracks. Das hat alles mit der Anpassung an die neue Generation zu tun. Sie respektieren uns und schauen zu uns herauf. Einige von ihnen machen vieles sogar nach, was wir damals gemacht haben. Du hast Recht – es ist verrückt, wie jung manche von ihnen sind. Aber das ist ja cool, das freut mich. Deswegen gebe ich ihnen jetzt eine Hand und versuche, was mit ihnen zu machen. Bei einigen Tracks habe ich mir schon überlegt, welcher von den jungen Typen darauf passen könnte. Ich brauche schließlich wie gesagt auch neue Leute. Bei I Get Money war es direkt klar, dass der Beat zu A$AP Rocky passt. Ah, und dieses Mal war ich selber der A&R für dieses Projekt. Deswegen hatte ich bestmögliche Voraussetzungen, um das alles perfekt zu planen.

Inwieweit ist der Ansporn, diese jungen Rapper auf das Album zu nehmen, finanzieller Natur? Und wie sehr geht es dir wirklich um Inspiration und Motivation? Hand auf's Herz. 

Es ist ein bisschen von allem. Hauptsache, ich bleibe wirklich Teil der echten Kultur und drifte nicht zu weit ab. Ich will nach 20 Jahren zeigen, dass ich noch zu den Besten gehöre. Dass ich den Test der Zeit bestanden hab. Da kommt ein Kräftemessen mit den gerade heißen Rappern auf meinem eigenen Album doch gerade recht. Finanziell spielt das natürlich auch eine Rolle, ich kann nicht lügen. Ich muss aktuell bleiben. Aber wenn ich ehrlich bin, wäre ich sehr glücklich gewesen, als junger Rapper mit meinen Vorbildern zu arbeiten. Das erinnert mich heutzutage daran, den Teil der Kultur nicht aus den Augen zu verlieren. Im Hiphop geht's nicht ständig nur um Krieg und Beef. Wir müssen die Kultur zusammen aufbauen und einander helfen.

Erkennst du einen Unterschied, wenn du mit ihnen im Studio bist? Gibt es Angewohnheiten, die die jungen Rapper gar nicht mehr kennen – oder andersrum?

Nein, eigentlich nicht. Es ist immer noch alles sehr natürlich und authentisch. Mit A$AP Rocky habe ich es leider wirklich nicht ins Studio geschafft. Deswegen konnte ich es ihm dieses Mal nur schicken und beschreiben, wie ich es haben wollte. Aber mit Rocky war ich vorher schon gemeinsam im Studio – er wollte mich für eines seiner Projekte. Und da hat es sich gut angefühlt. Wir haben gechillt, getrunken, geraucht, über die alten Zeiten gesprochen. Es ist immer interessant, von den jüngeren Leuten zu hören, wie sie die Zeiten damals erlebt haben. Für sie bin ich so etwas wie ein großer Bruder. Auf mich hören sie, auch musikalisch. Für beide Parteien ist was dabei: Sie haben die Möglichkeit, mit einer Legende zu arbeiten, und ich kann neue Inspiration sammeln.

Momentan bist du in London. Letzte Woche gab es diese verrückte Kanye-Show mit einer Handvoll hochkarätiger Gäste. Du warst auch am Start. Konntet ihr in Ruhe sprechen? Habt ihr vielleicht sogar den nächtlichen Weg ins Studio gefunden?

Nein, nein, im Studio waren wir nicht. Ich saß Backstage und hatte die Gelegenheit, ein wenig mit ihm zu chillen und zu plaudern. Aber es war echt zu viel los, als dass wir über konkrete Musik hätten sprechen können. Aber so etwas ist immer geplant. Er war auf jeden Fall froh, dass ich vorbeikommen konnte. Ich kenne 'Ye ja jetzt schon eine ganze Weile. Just Blaze war auch hier! Wir sind alle gute Freunde miteinander, und wir werden alle immer wieder miteinander arbeiten. Mit Yeezy und mir ist auf jeden Fall was für die Zukunft geplant.

Du reist wirklich viel. Von all den Rappern bist du wahrscheinlich am meisten unterwegs. Ob Malaysia oder Frankreich – ist es schwierig, den typischen New Yorker Sound beizubehalten, wenn man so oft auswärts schläft? Oder hilft es, so vielen unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt zu sein? 

Ich versuche immer ganz klar mitzubekommen, was auf der Straße abgeht. Egal, wo ich bin. Die Kultur ist mein Leben, dazu habe ich mich quasi verpflichtet. Die Leidenschaft muss man wirklich beibehalten. Das ist ja auch irgendwie ein Job und man hat Aufgaben, die man zu erfüllen hat. Zum Beispiel die Dinge an die jüngeren Leute weiterzugeben, die ich in den 20 Jahren gelernt habe. Dieses selbstverständliche Unterstützen kommt heutzutage zu kurz – wir müssen das öfter machen. Deswegen ist es mir enorm wichtig, die lokalen Jungs auf dem Radar zu haben. Selbst, wenn ich auf der ganzen Welt unterwegs bin. Was natürlich auch ganz spezielle Vorzüge hat: In den exotischsten Ecken Shows zu spielen und Anerkennung zu bekommen, ist unvorstellbar. 

Der gesamte Wu-Tang Clan wird dieses Jahr auch in Deutschland beim Out4Fame Festival am Start sein. Du bist auch dabei, oder?

Nee, ich werde leider nicht dabei sein. Mein Zeitplan lässt das nicht zu. Ich bin dieses Jahr wegen des 20-jährigen Jubiläums vom Purple Tape anderweitig eingebunden. Im Sommer werde ich deswegen nicht gemeinsam mit dem Clan unterwegs sein.

Oh, schade... Wie ist es heutzutage, wenn ihr euch zusammensetzt? Fühlt es sich überhaupt noch richtig an oder passt der Anzug nicht mehr so ganz?

Weißt du, es fühlt sich schon anders an. Wir sind natürlich alle älter geworden... und viele von uns haben sich verändert. Einige wollen noch sehr hart arbeiten, die anderen wollen nur noch ab und zu 'ne Show spielen. Ich mag es trotzdem, wenn wir zusammensitzen, einfach der Nostalgie wegen. Und wir werden alle immer für einander da sein. Aber am Ende des Tages ist es auch Business, und einige sind mehr bei der Sache als andere. Ich gehöre zu denen, die noch sehr gerne zu 100% daran arbeiten würden. Aber wie auch immer – ich denke, Wu-Tang hat seine Sache sehr gut gemacht. Es war schon von vornherein klar, dass wir eines Tages als ein Haufen Solokünstler enden würden. So eine Gruppe kann ja nicht über Jahrzehnte bestehen, ohne dass einige ihr eigenes Ding machen. Wie das Leben halt so läuft.

Was hat es mit diesem mysteriösen Unikat-Album auf sich? Kannst du einige Worte über Once Upon A Time In Shaolin verlieren? Wir tappen da schon seit Monaten mehr oder weniger im Dunkeln.

Das ist ein Haufen Musik, den wir damals aufgenommen haben. RZAs Produzent Cilvaringz hat das damals aufgenommen. Das Release soll wie ein Gemälde released werden, schätze ich. Ein musikalisches Gemälde. Die brillante Idee kommt ursprünglich von Cilvaringz, nicht von RZA selbst. Er hatte diese ganzen Aufnahmen von uns und wollte das irgendwie speziell verarbeiten. Als er uns die Idee vorstellte, waren wir alle cool damit. Einige waren natürlich etwas unsicher, aber im Großen und Ganzen ist es eine fantastische Chance. Es ist nunmal etwas Historisches. Finanziell wäre das selbstverständlich auch lukrativ. Mal schauen, wer der größte Wu-Tang-Fan ist. (lacht) Was die 88 Jahre angeht – das ist viel zu lang. So lange kann man die Leute nicht warten lassen. Wobei historische Gemälde manchmal auch jahrzehntelang nicht sichtbar sind. Wäre die Mona Lisa Musik, wäre sie Wu-Tang. Wenn du ein Wu-Tang-Gemälde für dich alleine besitzen möchtest, dann ist Once Upon A Time In Shaolin dein Ding. Das Konzept ist absolut dope.

Unsere Leser werden sicher aufgeregt mitbieten! Bis dahin freuen wir uns aber auf Fly International Luxurious Art – besten Dank, Raekwon!

Lass die Leute wissen, dass sie sich im April mein Album holen sollen. Genießt F.I.L.A.! Wir sehen uns auf der Welttournee. 

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Interview: Aria Nejati
Foto: Ice H2O