Wholetrain: Interview mit dem Regisseur
Gut anderthalb Jahre sind vergangen, seitdem  Wholetrain das erste Mal in den Kinos im Bundesgebiet zu sehen war. Die Folgezeit war geprägt von unzähligen Auszeichnungen und Kritiken, sei es von Künstlern, Schauspielern, Regisseuren, der Presse oder dem gemeinen Kinobesucher. Die offensichtlich positive Wirkung dieses Films wirft einige Fragen nach dem Ursprung des Erfolgs auf: Liegt der Ursprung beim Regisseur und Drehbuchautor Florian Gaag und seiner Biografie? Zumindest lassen sich in ihr einige Anhaltspunkte finden: Florian Gaag war lange Zeit aktiver Writer in München und entschied sich 1995 in New York Film zu studieren. Auch während des Studiums blieb Gaag der Writerszene nicht fern und arbeitete an einem Dokumentarprojekt über die Graffitiikonen PHASE 2 und FLINT 707. Doch reicht zum Erfolg ein talentierter Regisseur? Welches Filmgenre bringt einer breiten Zuschauermasse das Thema am ehesten nahe? Welche Besetzung wurde für den Film gewählt? Writer, die keine ausgebildeten Schauspieler sind oder Schauspieler, die keine gelernten Writer sind? Die Antworten auf diese und einige andere Fragen liefert Florian Gaag im folgenden Interview zum Erscheinen der Wholetrain DVD und zum Soundtrack, den Florian Gaag aka AERO ONE selber produzierte und mit Namen wie Afu-Ra , KRS-ONE , Grand Agent und El Da Sensei besetzen konnte. [dailymotion x4oris nolink]

Wholetrain hat in den letzten beiden Jahren zahlreiche Preise gewonnen und lief erfolgreich im Kino. Wie hast du vor allem die letzten beiden Jahre erlebt und kannst du bereits ein Fazit ziehen, inwiefern deine Erwartungen erfüllt wurden?

Den Großteil der vergangenen zwei Jahre habe ich tatsächlich mit Reisen verbracht. Wholetrain wurde auf Filmfestivals von Südafrika bis Südkorea gezeigt und ich war eingeladen, den Film dort persönlich zu präsentieren. Zu sehen, wie positiv der Film weltweit angenommen wurde, hat mich natürlich sehr gefreut. Besonders zufrieden bin ich damit, dass Wholetrain von Szene- und allgemeinem Publikum gleichermaßen gut angenommen wurde.

Kannst du sagen, was dir mehr bedeutet, bzw. was dich mehr beeindruckt hat: Die Anerkennung von anderen Künstlergrößen, wie zum Beispiel KRS ONE, oder die Preise, die du für den Film erhalten hast?

Beides bedeutet mir viel. Denn es war von Anfang an ein schmaler Grat und eine große Herausforderung, einen Film zum Thema Writing zu realisieren, der von der Szenen ernst genommen wird, sich nicht anbiedert und an den Mainstream verkauft, sich auf der anderen Seite aber auch einem Publikum nicht verschließt, das vielleicht noch nie mit dem Thema in Kontakt gekommen ist. Dass beides wohl funktioniert hat, zeigen das Feedback aus der Szene und eben die Preise, die natürlich eine schöne Auszeichnung für meine Arbeit als Regisseur sind.

Was einigen Leuten sicher erst mit dem Erscheinen des Soundtracks zum Film klar wurde, ist, dass du auch die Musik zum Film selbst produziert hast. Zuerst einmal die Frage: wie lange machst du schon selber Musik und war von Anfang an abzusehen, dass die Musik im Film auch von dir stammen würde?

Ich habe ca. 1992 angefangen, mich mit Musikproduktion auseinanderzusetzen, hatte zunächst mal nur das nötigste Equipment. Über die Jahre hatte ich dann mal mehr, mal weniger aktive Phasen und während meines Filmstudiums in New York einfach keine Zeit mehr, mich intensiv mit der Musik zu beschäftigen. Es war keineswegs von Anfang an klar, dass ich den Großteil der Tracks zu Wholetrain beisteuern würde, hat sich dann aber so entwickelt, weil ich eine sehr klare Vorstellung davon hatte, wie die Sachen klingen sollten und meine eigenen Beats dieser Vorstellung am Nächsten kamen.

Du konntest Größen wie Afu-Ra, Grand Agent, Planet Asia und KRS One auf dem Soundtrack vereinen und hast mit dem OST ein insgesamt sehr stimmiges Werk geschaffen. Gab es bei dir schon mal die Überlegung den Fokus deiner Tätigkeit komplett auf die Musik zu legen?

Nein, dafür bin ich mit zu großer Leidenschaft auch Filmemacher. Aber ich werde definitiv auch in Zukunft Musik produzieren, nicht nur im Rahmen von Filmscores. Warum hast du dich dafür entschieden im Filmbereich tätig zu werden? Das Klischee vom Graffitiartist der Karriere macht, sieht doch oft eher den Weg hin zu Pinsel und Leinwand.

Ich hatte schon sehr früh eine Faszination für Filme und sehe Filmemachen als die wohl umfassendste und komplexeste Möglichkeit, eine Vision in die Realität umzusetzen. Bei der Arbeit am Drehbuch erfindest du die handelnden Personen und eine Geschichte, als Regisseur visualisierst du diese fiktionale Geschichte und lässt sie Wirklichkeit werden und mit der Musik zum Film unterstreichst du die Grundstimmung und Emotionen der Protagonisten. Filmemachen ist ein großer Kasten mit verdammt vielen Bauklötzen, der alle meine Interessen vereint und mit dem es mir nicht langweilig wird zu spielen.

Du hast längere Zeit in New York gelebt und studiert. Inwieweit hat dich diese Zeit auch in Bezug auf Graffiti geprägt? Immerhin sieht man dort z.B. auf der  Linie 7 mehr Pieces, als in manchen deutschen Großstädten.

Die Zeit in New York hat mich insgesamt, aber auch was Writing anbelangt, stark geprägt. Noch während meines Filmstudiums habe ich mit der Recherche für ein Dokumentarfilmprojekt über die Pioniere der New Yorker Writing-Szene begonnen und mich dafür u.a. mit Leuten wie Phase 2 , Futura , Lee , Flint 707 getroffen und ausgetauscht. Das hat mich den Wurzeln der Kultur noch mal ein wesentliches Stück näher gebracht.

Wie genau entstand darauf hin die Idee das Thema in Form eines Spielfilms darzustellen?

Es gab damals, abgesehen von den bekannten Klassikern aus den 80er Jahren, keinen Spielfilm, der Writing thematisiert hat. Vor allem auch keinen, der sich aus der zeitlichen Distanz heraus und etwas komplexer mit der persönlichen Komponente der Kultur, mit den Menschen hinter den Bildern und ihren Geschichten, auseinandergesetzt hätte. Das hat mich gereizt und motiviert, das Drehbuch zu Wholetrain zu schreiben.

Wäre es nicht einfacher gewesen die Geschichte eines bekannten Graffitiartists zu verfilmen? Oder gab es bei dir die Überlegung einige Artists als Publikumsmagneten auch vor der Kamera zu zeigen?


Nein, die Überlegung gab es nicht. Im Zentrum der Geschichte von Wholetrain stehen Writing und die Leidenschaft und Hingabe, mit der sich die Protagonisten dieser Kultur widmen. Ein prominenter Name oder eine nacherzählte Biographie hätte den Fokus vom Wesentlichen abgelenkt.

Als ich den Film gesehen habe, war mir nie richtig bewusst, in welcher Stadt er spielt. War dies Teil des Konzepts? Dem globalen Aspekt von Graffiti, den du im Interview auf der DVD ansprichst, gerecht zu werden?

Ja, ich wollte eine universelle Geschichte erzählen. Eine Geschichte, die sich so oder so ähnlich überall auf der Welt abspielen oder ereignet haben könnte. Eine fiktionale Großstadt - in unserem Fall zusammengesetzt aus München und Warschau - sollte der Ort der Handlung sein. Wie wurde der Film vom Publikum bis jetzt wahrgenommen, eher als Jugenddrama, oder eher als klassischer Graffitifilm?

Sowohl als auch, beziehungsweise als Mischung aus beidem. Und das ist gut so, denn es war auch meine Absicht, genau das zu erreichen.
Bis jetzt beschränkt sich die filmische Aufbereitung des Themas Rapmusik in Deutschland oft auf kurze und nicht immer positive Doku-Beiträge im Fernsehen. Glaubst du, dass ein Projekt mit längerer Laufzeit im Spielfilmformat Erfolg haben könnte? Und wer könnte in diesem Film mitspielen?

Natürlich kann ein Spielfilmprojekt zu diesem Thema Erfolg haben. Einziges Problem könnten die Fördergremien sein, die die finanziellen Mittel für so ein Vorhaben zur Verfügung stellen. Mit Wholetrain habe ich eine jahrelange Erklärungs-Odyssee hinter mir, weil die Damen und Herren in diesen Zirkeln traditionell eher weniger über aktuelle sub- bzw. jugendkulturelle Strömungen informiert sind. Und in der Regel wird dann ja kein wertvoller, die Kultur ernst nehmender Film gefördert, sondern eine unlustige Komödie oder ein verstaubtes Sozialdrama, das mit den erfolgreichen Jungdarstellern der Stunde besetzt wird.
Wer dafür als Schauspieler in Frage käme, kann ich so nicht beurteilen. Die meisten Artists verfügen zwar über eine gewisse Extrovertiertheit, um eine überzeugende Performance als Schauspieler abzuliefern, braucht es aber noch erheblich mehr. An dieser Stelle noch mal großes Lob an meine Darsteller in Wholetrain !

Wie sehen deine konkreten Pläne für die Zukunft/zukünftige Filmprojekte aus?

Ich arbeite gerade an einem neuen Drehbuch und habe auch einige Musik-Projekte in Vorbereitung. Bald mehr.

Hast du noch einige abschließenden Worte für unsere Leser?

Don´t fake the funk.

Vielen Dank für das Interview!

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