Sentino ist Deutscher Hiphop
Sentino (ehemals Sentence) hat nach einer langen Historie mit Höhen und Tiefen seinen Bestimmungsort bei 5vor12 gefunden. Nach zwei erfolgreichen, in der Szene geachteten, Mixtapes sind nun nicht nur die Fans der Meinung es wäre höchste Zeit, sprich 5vor12, ein Album zu veröffentlichen. Mit der ersten Single, die auch den Titel des Albums trägt "Ich bin Deutscher Hiphop" und dem zugehörigen Video wurde bereits vorab für Aufsehen gesorgt.

Wir haben für dich, passend zum Albumrelease am 20.10.2006, ein aufschlussreiches Interview, das angesprochene Video und ein Snippet MP3 zu "Ich Bin Deutscher Hiphop". Es ist fünf vor zwölf, Homie! Album Snippet (MP3)
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Alles gut bei dir? Momentan hast du bestimmt viel damit zu tun dein Album zu promoten. Wie sieht so ein typischer Sentino Tag in den letzten Woche aus?

Den typischen Sentino Tag gibt es zur Zeit gar nicht. Häufig habe ich tatsächlich Promotermine, das ist manchmal damit verbunden, dass man Magazine oder Sender besucht, manchmal spreche ich mit den Leuten übers Telefon. Jetzt in der heißen Phase gibt es natürlich auch viele Abstimmungsgespräche mit dem Label, Videodrehs, mal bin ich im Studio für ein Feature. Wenn man ein Album allerdings so aufwendig und lang produziert hat wie meines dann ist man ja auch nur dankbar dafür, wenn man mit möglichst vielen Leuten darüber sprechen kann, noch ein paar Sachen erklären kann, die vielleicht nicht verstanden werden. Die Longdrinks und Mädels treten auf jeden Fall gerade etwas kürzer.

Du hast auf dem neuen Album ein Azad Feature. Wie kam diese unerwartete Begegnung zu Stande? Habt ihr den Track zusammen im Studio aufgenommen? Wie unterscheidet sich seine von deiner Arbeitsweise?

Ich bin ja schon seit Jahren Azad Fan und Jonesmann kenne ich persönlich auch schon seit vielen Jahren. Ich wollte ihn unbedingt auf meinem Album haben und habe ihn deswegen angefragt, Azad hat sich das überlegt, sich Tracks vorspielen lassen und erst, als er davon überzeugt war, dass er auf einer guten Platte landet, war er auch dazu bereit. Das sagt auch viel über Azads Arbeitsweise aus. Wir haben lange im Studio gesessen, uns auf den Beat eingelassen, miteinander gechillt, bevor wir den Track aufgenommen haben. "Mein Weg" ist ein sehr gereifter Track geworden und darauf bin ich auch stolz.

Wie kommt es zu den vielen Brisk Beatz. Man könnte meinen er ist dein Exclusiveproducer. Ist das eine geschäftliche Beziehung oder seid ihr auch befreundet?

Brisk hat fünf Tracks auf dem Album produziert, da kann man glaube ich noch nicht von einem Exklusivproducer sprechen. Aber es ist schon wahr: Ich mag seinen Sound, seine Ideen und es ist auch ungemein entspannt, mit ihm zu arbeiten, weil wir beide ja eher nachtaktiv sind. Es war mir auf dem Album sowieso wichtig, nur mit Leuten zu arbeiten, mit denen ich auch eine persönliche Bindung aufbauen kann. Deswegen gibt es auch so wenige Features.

Dein Album heißt "Ich bin deutscher Hiphop" Trotzdem benutzt du auffällig viele Anglizismen und machst keinen Hehl daraus extrem von Amerika beeinflusst zu sein. Wie erklärst du unter diesen Aspekten den Titel?

Die Anglizismen sind ja genauso Teil des deutschen Hiphops wie der Blick über den Atlantik, auch Torch hat die Zulu Nation ja nicht erfunden, sondern aus Amerika importiert. Ich weiß, wo die Wurzeln der Hiphop Kultur liegen, ich habe aber auch eine distinktiv deutsche Art und Weise, auf Hiphop, auf Musik, auf meine Themen zu sehen. Das ist auch deutscher Hiphop. Und gerade mit dem Berliner Atzen Rap gibt es ja auch Hiphop in Deutschland, der auf diese Art und Weise gar nicht in Amerika existiert. Deutschland ist eine sehr bunte Mischung, was Hiphop betrifft. Und ich bin mittendrin.

In deinen Texten weißt du auch gerne auf deine chilenisch–polnischen Wurzeln hin. Inwieweit siehst du dich den selbst als Deutscher wenn du von dir selbst behauptest deutscher Hiphop zu sein?

Das meine ich ja: Die besten Rapper Deutschlands haben alle Wurzeln in völlig anderen Ländern: Sieh Dir Olli Banjo, Azad, Savas, Samy, wen auch immer an. Trotzdem sind das die Leute, die deutschen Hiphop geprägt haben. Podolski und Klose sind auch keine richtigen Deutschen im ganz engen Sinne. Aber sie spielen für Deutschland. Ich rappe für Deutschland.

Mit Sentinos Way I und II hast du definitiv zwei Tapes hingelegt, die neue Maßstäbe gesetzt haben. Ohne Fremdbeats und auf technisch hohem Niveau. Seit der Def Jam Affaire 2000 bist du zumindest in der Szene in aller Munde. Leider ist es bei vielen Leuten so gewesen, dass bei einem so langen Hype ohne Album, das Debüt Album meistens nicht mehr den Erwartungen entspricht. Hast du bei der Produktion diesen Druck gespürt? Wie konntest du dich nach den beiden "Tapes" noch einmal aufraffen etwas noch größeres zu schaffen, dass auch deinen Ansprüchen genügt?

Ich habe nach "La Vida Loca" tatsächlich ein paar Monate Auszeit gebraucht, um wieder mit neuer Energie an die Musik herangehen zu können. Die Überlegung war dann aber relativ schnell da, etwas ganz anderes zu machen und das Album viel persönlicher zu gestalten. Die Menschen, die mir immer vorgeworfen haben, nur erfundene Battlegeschichten zu erzählen, bekommen jetzt mein Leben serviert. Und diese Geschichten sind nicht weniger krass. Insofern steht das Album nur bedingt in der Tradition der Mixtapes und so konnte ich auch den Druck abschütteln. Das Album ist angstfrei, ehrlich und trotzdem harter, geiler Rap. So wollte ich das, so ist es geworden.

War die Herangehensweise an das Album die gleiche wie an die Tapes, oder hast du diesmal anders gearbeitet. Inwieweit hat sich auch der Bruch mit DJ Desue auf die Produktion ausgewirkt?

Ich habe ja immer mit einer Mischung aus Produzenten gearbeitet, Desue und ich waren ja nicht Gangstarr. Jetzt habe ich mit ganz unterschiedlichen Charakteren gearbeitet: Headrush, Ilan und die Drama Monks fordern sehr viel in der Zusammenarbeit, wollen einen bestimmten Ausdruck erreichen und arbeiten so auch sehr kleinteilig. Bei anderen Leuten lässt Du im Studio eher los, schreibst entspannt, lässt es einfach fliessen. Beides ist super. Für mich gibt es nicht den einen Produzenten, jeder hat seinen Sound und es ist immer spannend dann das jeweilige Endresultat zu sehen.

Begriffe wie "No Homo" und diese ganze Glamour und Punchline Sache haben du und vielleicht noch Snaga & Pillath in Deutschland eingeführt. Wie stehst du dazu, dass eine Zeit lang in Deutschland die 3XXL Dipsetbiter wie die Pilze aus dem Boden schossen? Inwieweit hast du dich auf dem Album von diesem Style wieder entfernt?

Ich habe mich im Endeffekt ja nur von den Floskeln verabschiedet, als ich nämlich gesehen habe wie scheiße dieser Style bei meinen Bitern rüberkommt, war ich so angewiedert und gelangweilt dass ich schnurstracks damit aufgehört habe. Ich trage immer noch 3xl, dass hat für mich auch gar nix mit dipset zutun. Das sieht einfach besser aus als ein Rentnerpulli in M zu einer Baggy in Größe 40.

Du sprichst oft über dich selbst und gestehst dir offen bestimmte negative Eigenschaften ein. So gibst du in deinen Texten zu Alkoholprobleme zu haben und immer broke zu sein. Machst du dies um deine Probleme zu verarbeiten oder um dem Hörer ein möglichst objektives Bild von deiner Person zu vermitteln?

Beides. Man muss den inneren Dämonen einfach mal den Weg nach draußen zeigen, sonst fressen sie dich irgendwann auf. Ich hoffe natürlich, dass auch die Leute, die die Songs hören und ganz ähnliche Erfahrungen gemacht haben, sich in den Tracks wiederfinden, dass ich dem einen oder anderen vielleicht etwas Positives mitgeben kann. Und am Ende nimmt es den ganzen Hatern natürlich auch die Angriffsfläche weg. Ich stehe zu mir selbst, auch wenn das für mich selber ziemlich anstrengend sein kann.

Ist eine Tour geplant? Warst du überhaupt schon mal richtig auf Tour?

Ich war in meinem Leben auf zwei richtigen Touren, einmal 2000 mit Jonesmann, Roey Marquis und noch 100 anderen, 2002 dann auf der ersten Optik Tour. Danach habe ich mit Phlatline und Bushido auch viele shows gespielt. Ich möchte mit meinem Album sehr gerne touren. Und gerade sieht es auch gar nicht so schlecht aus. Auf sentino.de findet man immer alle Neuigkeiten zu solchen Themen. Und an alle Booker: [email protected] ist euer Kontakt.

Erzähl ein wenig über dein momentanes Umfeld. Das Flymingoding war ja nicht so ganz ernst gemeint. Mit wem umgibst du Ddich zur Zeit? Hast du eine Crew, oder langfristig vor eine zu gründen?

Ich habe meine Leute in Berlin, darunter auch viele Rapper, aber wir sind eher ein loser Verbund, als eine feste Crew im Rapkontext gesehen. Wir sind einfach Homies.

In Deutschland von Rap leben tun die wenigsten. Wie sieht das bei dir aus? Hast du noch einen Job? Was wirst du tun, wenn mit dem Album nicht der Reichtum kommt? Eine Ausbildung machen? Studieren?

Ich bin Künstler. Ich lebe seit Jahren als Künstler, auf einem okayen Niveau. Und wenn das Geld mal nicht da sein sollte, werde ich mich nach anderen Quellen umsehen müssen. Aber ein richtiger Job und ich? Das verträgt sich glaube ich gar nicht gut und das wird wohl auch nicht passieren.

Einige Beats auf "Ich bin Deutscher HipHop" sind mit Gitarren unterlegt und klingen insgesamt recht organisch. Nach welchen Kriterien wählst du die Beats aus? Hast du selbst eine Ahnung von Musiktheorie? Spielst du ein Instrument und kannst Noten lesen?

Ich spiele selbst Gitarre, meistens nur für mich, ich traue mich aber auch immer mehr nach draußen damit. Musiktheorie dagegen kann ich gerade mal buchstabieren. Ich wollte aber an den Stellen, an denen die Möglichkeiten da sind, meine anderen Musikeinflüsse mit ins Spiel bringen. "Woher ich komm, was ich mach" von "La Vida Loca" hat das ja auch schon anklingen lassen. Beats müssen grundsätzlich die Stimmung eines Track wiedergeben. Und das habe ich auf meinem Album glaube ich sehr radikal und gut umgesetzt.

Was für Musik hörst du privat? Hörst du auch Deutschen Rap? Und wenn ja was?

Es gibt auf jeden Fall viele Sachen die ich mir ziemlich gerne anhöre, aber auch eher um zu sehen was die Konkurenz macht und da sind für mich Snaga und Kollegah ganz vorne mit dabei. Achso und Manuellsens Album ist auch überkrass. Ansonsten höre ich eigentlich alles was mir musikalisch gefällt, egal was für eine Musikrichtung.

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