Prodigy - Free P: Blogging aus der Zelle
Prodigys letzte Monate waren durchaus nicht einfach. Strauchelnde G-Unit, angeschlagene Musikindustrie, Haftantritt. Entgegen anderslautender Gerüchte haben längere Haftstrafen vor allem das Potential, Karrieren zu beenden. Gut vermarktete zwei Wochen mögen den Verkäufen helfen, dreieinhalb Jahre ohne Präsenz in der Szene sehen aber ganz anders aus. Veteran P hat allerdings nicht vor, sich von der Staatsmacht in Rente schicken zu lassen und beweist mit seiner Antwort dass er Up-to-Date ist: das Soloalbum HNIC 2 wird auf der groß angelgten Website per Blog aus dem Knast beworben. Moderne Technik sprengt die Ketten. Ganz so positiv fand unsere Redakteurin Marilyn Mungwande das Ergebnis allerdings nicht. Weder musikalisch auf HNIC 2 , noch auf dem Blog. Warum sich das diskutieren lässt und was da überhaupt abgeht erfährst du hier - ein kritischer Blick auf eine legendäre Gangster Rap Karriere und ihre Umsetzung im Web 2.0:


Was tut man, wenn man zu den einflussreichsten Hiphop-Künstlern gehört, ein außergewöhlich ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis hat und dreieinhalb Jahre hinter Gittern fristen muss? Richtig, man macht sich einen eigenen Blog zu Nutze. So auch  Prodigy , die Hälfte Mobb Deep s. Die Vorgeschichte: 2006 wird Prodigy bei einer Verkehrskontrolle mit einer nicht zugelassenen Schusswaffe im Handschuhfach erwischt. Anfangs leugnet er, der Besitzer des Fundstücks zu sein. Als allerdings klar wird, dass ein Geständnis seinerseits eine mildere Strafe bedeutet, tut er dies und wird zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Außerdem wurde zunächst auch Anklage gegen den Produzenten The Alchemist erhoben, die jedoch nach Prodigys Geständnis wieder fallen gelassen wird.
Dumm ist vor allen Dingen, die Art und Weise, wie die Waffe gefunden wurde. Denn hätte Albert Johnson, wie Prodigy mit bürgerlichem Namen heißt, nicht illegalerweise auf der 9th Avenue mit seinem Chevy Suburban einen U-Turn gemacht, wären er und Alchemist vermutlich nicht einmal angehalten worden.

Nun sitzt Prodigy im Knast und da Papier..., naja... so 'ne Tastatur ist's ja auch... geduldig ist, schreibt er sich alles von der Seele, was ihn beschäftigt.

"SO AS I SIT HERE IN MY CELL; I'M NOT GONNA CRY ABOUT IT BUT I WILL READ, LEARN AND WRITE ABOUT IT ALL WITH A FOCUS LIKE NEVER BEFORE"

Sei es Rassismus verbunden mit der Diskriminierung der Schwarzen in den USA, was er an Beispielen aus Disney Filmen und Märchen zu verdeutlichen versucht oder eine Nachricht, in der er zu fast jedem Rapper seine Meinung über Können und Nicht-Können niederlegt.
Er philosophiert über sein Leben, seine Familie, seine Karriere, die Clintons, Pläne einer zukünftig erscheinenden Biographie, seinen Sinneswandel bezüglich seines Auftretens... "I WANTED TO DO THE THINGS THAT PEOPLE AREN’T DOING:

#1  STOP WEARING JEWELRY! EVERYBODY GOT A CHAIN, BRACELET, RINGS OR A WATCH ON LOOKING LIKE A BUNCH OF CLONES, SO I DECIDED TO BE THE FIRST HARDCORE RAPPER TO OPENLY TELL PEOPLE THAT I DON’T WEAR JEWELRY ANYMORE. I’M NOT TRYING TO PREACH TO PEOPLE WHAT THEY SHOULD DO, I’M JUST TELLING PEOPLE WHAT I’M CHOOSING…"

Eigentlich lässt er nichts und niemanden aus.
Prodigy hat in seinen vier kalten Wänden genügend Zeit, solch' delikate Themen zu erörtern und tut dies mit einer erstaunlichen Inbrunst und Hingabe. Vermutlich schreibt er deswegen auch alles in Großbuchstaben, denn es scheint von großer Wichtigkeit zu sein.
Ganz im Sinne 'kleiner Mann ganz groß' verfasst er in propagandaähnlicher Weise seine Nachrichten und der Eindruck eines Verfolgungswahns drängt sich unweigerlich auf. Bereits vor seinem Haftantritt beginnt er in weiser Voraussicht mit dem Einrichten seines Blogs. In seinem ersten Eintrag mit dem vielversprechendem Titel "GRAND INTRODUCTION" berichtet er von dem Tag, an dem er und Alchemist von der Polizei überrascht wurden.

"Then the 2 dicks that pulled me and al started searching my truck without asking wich is called ILLEGAL SEARCH. [...]
I been threw alot of cases, Murder cases, Guns, Grand Theift, ect. I got away with so many crimes it's incredible. so me doing 3 1/2 aint shit compared to what i deserve. my time begins on JAN.9th so as i write this blog i got lil' over 20 days left on the street."
Prodigy vergewissert sich, dass
er bereits vor seinem Haftantritt ausreichend Interessenten seiner Sinnesergüsse erreicht.
"what up my people, thanks for signing up and supporting ya G. [...] YA BOY P ON HIS SHIT RIGHT NOW"

Am 9. Januar 2007 tritt er seine Haftstrafe und scheint aus seiner Not eine Tugend zu machen, denn seitdem erreichen uns via Blog in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen Mr. Johnsons Gedankensschübe.
Wie ein alternder Guru referiert er über den Unterschied zwischen R'n'B und dem HipHop den er Rebel Music nennt. Rebel Music steht anscheinend für Kredibilität, Authentizität und Integrität. Dinge, die er in letzter Zeit nach Meinung vieler und zweifelhafter Internetvideos verloren zu haben scheint.
Er sieht sich als letzten Highlander, der HipHop versteht und vor allen Dingen versteht, ihn zu machen.

"...AND I KNOW FOR A FACT I WAS THE ONLY ONE LETTIN’ IT BE KNOWN, BEFORE I GOT LOCKED.
I SERIOUSLY HOPE MY TEAM & OTHER NIGGAS CONTINUE TO CARRY THE
TORCH, BUT YOU KNOW WHAT?....... I SERIOUSLY DOUBT IT. I WAS
REALLY FEELIN’ LIKE THE LONE RANGER OUT THAT BITCH WHEN I WAS
DROPPIN’ IT ON THE WORLD IN MY INTERVIEWS AND ON STAGE. [...]
I’M TALKIN’ ABOUT THE REBEL MUSIC. IF YA SHIT AIN’T ON SOME REBEL TO THE SYSTEM SHIT THEN YA SHIT DON’T FLY IN THE HOOD NO MORE. IF YOU AIN’T GOT REBEL MUSIC THEN YOU GOT R&B, SO CHOOSE A SIDE. [...]"


Weitaus öfter als nötig misst er sich mit anderen Künstlern, wirft ihnen vor, ihn zu kopieren...

"O.K. LOOK AT THE NEW XXL COVER FOR NAS....I TOOK THIS FLAG PICTURE IN 2003 IT'S VERY OLD. I JUST DECIDED TO USE IT FOR MY MAIN PIC ON HNIC2.COM............THYE ARE OBVIOUSLY TAKING MY SHIT AND RUNNING WITH IT. NO BIG DEAL .........PEOPLE ALWAYS TAKING PRODIGY IDEAS. .........IM NOT MAD I START THE TRENDS AND THEY JUST FOLLOW............WELL THEY ARE 5 YEARS BEHIND !!!!!! YALL GOT ALOT OF CATCHING UP TO DO.....ITS 2008 MAN !!"

...stellt Mobb Deep über alles und erinnert an frühere Erfolge.

Stichwort 'frühere Erfolge'. Warum nutzt er die Zeit nicht, neue Songs zu schreiben?
Diese Woche ist HNIC2 erschienen und auch auf diesem neuen Soloalbum findet sich die andere Hälfte, Havoc, von Mobb Deep wieder.
Den Großteil der Beats haben jedoch Prodigy und Alchemist in Zusammenarbeit produziert.
Auch dieses Album repräsentiert die typische, dunkle Stimmung, die man von Prodigy gewohnt ist.
Davon abgesehen finden sich nur Feature von den Big Twinz , Big Noydz und Un Pacino .
Noch bevor er ins Kittchen ging, soll P zu jedem einzelnen Track ein dazugehöriges Video gedreht haben. Vereinzelt dümpeln sie bereits auf diversen Seiten im Netz.  Zur ersten Single ABC gibt es zudem eine spanische Remix-Version.
Nach Return of the Mack hat man bei HNIC2 jedoch eher den Eindruck, dass Prodigy nicht gerade sein ganzes Potenzial ausgenutzt hat - weder Beats- noch Lyrikstechnisch.
Der erhoffte Hype wird demnach höchstwahrscheinlich ausbleiben.

"[HNIC2] is definitly gonna be a world changing revolutionary album."

Ein ebenso revolutinäres Album wie Murda Muzik ?
Erinnern wir uns im Schnelldurchlauf an die Anfänge...
Havoc und Prodigy lernen sich auf der Queens Highschool kennen und sind vor allen Dingen durch den Hang zur Lyrik verbunden.
Ihr Debutalbum Juvenile Hell bringt ihnen noch keinen großen Erfolg, aber dies ändert sich 1995 mit der Single Shook Ones Part II - und das mit nachhaltigem Erfolg. Der Track gehört auch heute noch zu einem der einflussreichsten Songs der Rap-Geschichte.
Sie werden zum Inbegriff nüchterner Beats und dramatischer Samples, sowie authentischer Straßenpoesie. Wichtigstes und dominierendes Element ihrer Songs ist die melancholische und düstere Atmosphäre.
Schlussendlich stellt sich heraus, dass Havoc, der sich für die Beats veranwortlich zeichnet und Prodigy, der sich als einer der besten Lyriker seiner Zeit behauptet, das perfekte Team sind.
Mit ihrem Folgealbum The Infamous sichern sie sich nicht nur Platin, sondern ebenfalls einen sicheren Platz in der Hiphop Hall Of Fame.
Als in den Neunzigern die East Coast vs. West Coast Fehde Hiphop für sich vereinnahmt, befinden sich auch Mobb Deep mittendrin. 2Pac disst Prodigy schließlich in Hit Em Up und macht sich über seine Sichelzellenanämie lustig, eine Krankheit, die ihn seit seiner Geburt begleitet. Prodigys Antwort folgt in Form des Tracks Drop A Gem On Them .
1999 erscheint das vierte Mobb Deep Album Murda Muzik mit Features von Lil' Kim , Nas , Raekwon und Eightball .
Mit HNIC geht Prodigy 2001 auf Solopfade und verlässt sich  dabei beattechnisch nicht nur auf seinen Kumpel Havoc, sondern holt zusätzlich die Unterstützung vom Produzenten The Alchemist ein. Fast zeitgleich steht Infamy in den Läden. Das letzte Album, das Mobb Deep über Loud Records veröffentlichen.
Zwei Jahre ist es ruhig um die beiden Ausnahmekünstler und erst 2003 unterschreiben sie einen Vertrag bei Jive Records , der nicht lange währt. Zwar bringen sie noch die Mixtapes Free Agent: The Mixtape und Infamous Allegiance , wenig später allerdings, nämlich 2004 trennt sich das Label von ihnen, weil die Musik nicht kommerziell genug ist. Der Crossover aus klassischem Mobb Deep Underground Sound und Mainstream-Appeal war gescheitert, die kommerzielle Zukunft sah wenig rosig aus. Die Rettung kam in Form eines weiteren MCs aus Queens, der es inzwischen zu Weltruhm gebracht hatte: 50 Cent . Curtis Jackson zählte Mobb Deep zu seinen größten Einflüssen und gab ihnen die Möglichkeit, Straßenhärte und kommerziellen Sound besser zu vereinen als es zuvor mit 112 -Features möglich gewesen war. Viele Fans schrieen entgeistert auf, doch Mobb Deep schien die Sonne aus dem Arsch. Der Deal: Alle musikalischen Erzeugnisse des Duos kommen über G-Unit raus, wohingegen sie ihre Solo-Releases independent veröffentlichen. 2007 ist sowohl Havoc mit The Kush als auch Proidigy mit Return Of The Mac in den Plattenläden vertreten. Diese Alben begeistern vor allem die alteingesässenen Mobb Deep Fans. Denn im Gegensatz zu Blood Money erleben sie die beiden wieder weitesgehend pur, ohne G-Unit Begleitung.
Platin scheint nun jedoch nur noch Geschichte zu sein. Denn mit der Unit befinden sich Mobb Deep nun eher auf einem sinkenden Schiff. Längst machen sie nicht mehr nur durch musikalische Erfolge, sondern Streitig-, Unstimmig- und Peinlichkeiten auf sich aufmerksam.
Es bleibt weiterhin zweifelhaft, ob die Zusammenarbeit wahrlich ein Segen, oder nicht doch vielmehr ein Fluch für die Queensbridge-Rapper darstellt. Fragt sich nun, wie es in der Story um P weitergehen wird. Ob seine Fans irgendwann von den Predigten gelangweilt sind und sich vollkommen abwenden, oder ihm nachsehen, dass es einfach schwer für ihn ist, diesen ganzen Nichtsnutzen, Fakern und Möchtegern-Rappern dabei zuzusehen, wie sie tausende von Platten verkaufen, während er als verkanntes Genie der Lyrik, Musik und Rhetorik bloß in seiner Zelle sitzen und Tag für Tag seinen Blog schreiben kann.

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