Lil Wayne – The Carter IV: President Carter regiert wieder

Lil Wayne blickt auf eine bewegte Zeit zurück. 2009 wurde er wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt. Da er sich geständig zeigte und sich benahm, konnte der Gefängnisaufenthalt um drei Monate verkürzt werden. Eine harte Zeit liegt also hinter dem 28-Jährigen. Seinem immensen Output und seiner Kreativität hat dies allerdings nicht geschadet. Zwar mussten die Fans länger als geplant auf den vierten Teil der Carter -Reihe warten, doch Lil Wayne wäre nicht Lil Wayne , würde er in der Zwischenzeit nicht einfach weiter unbeirrt Tag für Tag Tracks aufnehmen.

Als Entschuldigung für die lange Wartezeit auf The Carter IV haute er dann mal schnell ein kostenloses Mixtape raus, dessen Sinn und Zweck mit dem Titel Sorry 4 the Wait bereits ausreichend erläutert ist. Bis der vierte Teil der Carter -Serie veröffentlicht werden konnte, sind zwar drei Jahre ins Land gegangen, der Young Money -Künstler war aber keineswegs untätig. Auf dem 2010er Release Rebirth genehmigte sich Weezy F. Baby einen gewöhnungsbedürftigen Ausflug in die Welt der E-Gitarren und schob im gleichen Jahr mit I Am not a human being noch ein Album hinterher.

Hinzu kommt die unglaubliche Entwicklung des Young Money / Cash Money -Imperiums. Die aktuelle Entwicklung als zweiten Frühling zu bezeichnen, wäre noch untertrieben. In den Neunzigern hatte Cash Money mit den Hot Boys und Big Tymers dasGame im Griff. 2005 explodierte Lil Wayne dann auf The Carter II und wurde zu einem der besten und innovativsten Rapper aller Zeiten. Das Angebot bei Jay-Z zu unterschreiben lehnte er ab, um bei Cash Money als Chef des eigenen Sublabels weiterzumachen. Dass Mister Carter als Präsident eine gute Figur machen würde, war allerdings eher unwahrscheinlich. Zwischen Hustensaft und Rap-Orgien Talente fördern und ein Label leiten? Klang unwahrscheinlich, kam aber so.

Die neue Generation von Rappern wurde nicht nur von Lil Wayne beeinflusst,  Young Money ist auch die erste Adresse für den nächsten Schritt. Drake und Nicki Minaj sind die größten Entdeckungen der vergangenen Jahre. Während die Bedeutung von Crews und Labels allgemein zurückging, wurde Young Money zu einem neuen Powerhouse. The Carter IV reiht sich mit seinen 15 respektive 18  Anspielstationen (wenn man stolzer Besitzer der Deluxe-Edition ist) sowohl lyrisch als auch stilistisch nahtlos in die Carter -Serie ein, da zum einen die Produktionen konsequent an Lil Wayne s Art zu rappen und zu, nennen wir es mal singen, angepasst sind und der Künstler selbst im typischen Carter -Style ignoranteste Protzerei und Pöbelei mit persönlichen Inhalten verbindet.

The Carter IV hinterlässt dabei trotzdem irgendwie einen schizophrenen Gesamteindruck. Es gibt Stücke, die so durchdrungen sind von Melancholie und selbstreflektierenden Metaphern, dass man für einen kurzen Moment das Gefühl hat, dem wahren Ich dieses Weltstars mit all seinen Lastern und Skandalen gegenüber zu stehen. Dazu gehören Songs wie Nightmares at the bottom , Abortion und vor allem der unglaublich starke Track Mirror , der allerdings zu den Bonus-Songs der Deluxe Edition gehört. In Letzterem widmet sich Weezy thematisch dem Nichtverstandenwerden und analysiert sein Spiegelbild mit Zeilen wie "I ain't even look good in the broken mirror" .


Auch in Abortion gibt es solche selbstkritischen Zeilen, wenn sich Lil Wayne in der Hook selbst als "A Hell of a Smoker, a bit of a drinker, im a critical thinker" beschreibt. Eine absolute Stärke der Platte ist Weezy s Kunst, eine scheinbar neu gewonne Selbstreflektionsfähigkeit in seine Musik zu integrieren. Das klingt dann beispielsweise so:  "So, love or hate me, I stay hate free, they say we learn from mistakes that's why they mistake me" ( Blunt Blowin ). Auf der anderen Seite versteht es Birdman Junior weiterhin auch einfach zu unterhalten. Dafür sorgt zum Beispiel die Singleauskopplung 6 Foot 7 Foot , das stark an A Milli erinnert und auf dem sich Lil Wayne s Stimme arg krächzend an der Grenze des Erträglichen bewegt. Wenn er darauf allerdings Zeilen wie "Okay, I lost my mind, it's somewhere out there stranded, I think you stand under me, if you don't understand me“ spittet, darf er auch ruhig krächzen. Und sowieso, Weezy s Lyrics gehören eindeutig zu den Stärken von The Carter IV .

Was diesen Longplayer wirklich prägt, sind Gegensätze. Laut und leise, ehrlich und ignorant, selbstkritisch und Fuck-you-Attitüde. Sowohl textlich als auch musikalisch gibt es teilweise enorme Sprünge. In 6 Foot 7 Foot wird ein hochgepitchtes Frauenstimmen-Sample als Loop benutzt und mit ordentlich Bass versehen, während das direkt darauf folgende Nightmares at the Bottom auf Melodie und Piano setzt.  Textlich geht es dann von "Talking to myself I am my own consultant, married to the money, fuck the world, that's adultery" zu "Who am I to talk, I ain't shittin roses, we in the same picture, but we all got different poses" .

Ein Thema beschäftigt Lil Wayne offenbar zuhauf: die gute, alte Liebe. Auch hier setzt man wieder, ob gewollt oder nicht, auf Gegensätze. So findet man auf dem Album den Track How To Love und das mit T-Pain aufgenommene Gegenstück How To Hate . Letzteres hat Weezy wohl einer Ex-Freundin gewidmet, die ihn während seines Knastaufenthaltes mit einigen seiner Homies betrogen haben soll: "She used to always say 'fuck my niggas', and when I went to jail she fucked my niggas" . Inhaltlich macht der Track absolut Sinn, allerdings sorgt das nahezu unerträgliche T-Pain- Geträller vor allem zu Beginn des Songs für Unwohlsein.

Womit wir auch schon bei den Gästen angelangt wären, denn davon gibt es auf The Carter IV reichlich. Wenn man einen Track einfach nur Interlude nennt, dann aber Tech 9ne und  Andre 3000 auftauchen, ist das auch schon ein gewisses Statement. Lil Wayne ist auf den Tracks der Gäste gar nicht vertreten, sie liefern Skits auf allerhöchstem Niveau. Auf einem Lil Wayne -Album will jeder zeigen, was er drauf hat. Zwei Gastauftritte müssen noch aus genau konträren Gründen erwähnt werden. Zum einen sorgt Nas mit seinem großartigen Auftritt auf dem Outro (wieder so ein Skit, auf dem man neben Nas auch Bun B, Busta Rhymes und Shyne zu hören bekommt) für ein absolutes Highlight. Und da sind wir schon bei dem Gegenpunkt zum beeindruckenden Nas -Part auf einem minimalistichen Down-South-Beat, dem Gastauftritt von Shyne . Direkt im Anschluss an Nasir Jones ' gewohnt lyrischer und technischer Lässigkeit, kommt Shyne mit einem unglaublich anstrengenden und penetranten Flow daher, dass man aus Reflex schnell die Skip-Taste drückt, um sich danach erst einmal zu versichern, ob das wirklich Shyne war.


Ein, zwei schlechte Gastauftritte trüben allerdings nicht den Gesamteindruck von The Carter IV , denn der ist nämlich durchaus positiv. Zumal die hohe Zahl der Features insgesamt positiv wirkt und die meisten Gäste über sich hinaus wachsen. Das zu Beginn des Hörens noch leicht schizophren anmutende Soundbild macht letztendlich einfach Sinn. Spätestens bei President Carter , für das Onhel und Infamous einen unglaublichen Beat hingelegt haben, ist alles gesagt. The Carter IV  wirkt  in sich stimmig, egal ob Wayne gerade über Bitches and Money oder über sich selbst als Mensch mit seinen Fehlern und Zweifeln spricht. Deswegen weiß The Carter IV zwar nicht auf den ersten Blick, aber letztlich doch zu überzeugen. Lil Wayne s Stimme mag um einiges krächzender geworden sein, seinem Können hat dies aber keinen Abbruch getan. Das sieht offenbar auch die Mehrheit seiner Fans so, sie haben dafür gesorgt, dass Lil Wayne s Carter IV den iTunes -Verkaufsrekord, den Kanye Wes t und Jay-Z erst vor kurzem aufgestellt hatten, zu brechen. Die musikalische Erfolgsgeschichte des Rappers aus New Orleans geht also trotz privater Tiefschläge weiter. Was macht den 28-Jährigen so interessant und gleichzeitig so kontrovers? Es heißt, entweder man hasst oder man liebt diesen arbeitswütigen, ständig Sizzurp schlürfenden Kerl aus New Orleans. Möglicherweise sind es die Gegensätze, die seine Musik und auch The Carter IV prägen. Um der Platte gerecht werden zu können, muss man sie als Gesamtwerk betrachten und da fällt auf, dass das Album sowohl einen roten Pfaden besitzt als auch die verschiedenen Facetten des Künstlers und Menschen Lil Wayne auf einen gemeinsamen Nenner bringt. Die vielen Gegensätze wirken nicht konstruiert und sorgen immer wieder für Überraschungen. Simples Fazit: President Carter regiert wieder.

Artist

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