Joe Rilla - Wir sind die Hoffnung - Portrait
Zusammen mit Abroo und Mirc schenkt dir Joe Rilla das Hiphop.de Exclusive "Wir sind die Hoffnung" ! Die musikalische Erklärung des Böhse Onkelz-Prinzips. Rilla s lange Karriere fand in seinem, bei Aggro Berlin erschienenem, Album "Auferstanden aus Ruinen" vielleicht ihre Bestimmung - sicherlich aber ihren bisherigen Höhepunkt. Das Ostler-Image scheint nicht nur ihm selbst authentischer als alles, was er oder andere zuvor in ihrer Musik verkörperten. In der Szene hatte diesmal niemand ein Problem mit den aggrossiven Vermarktungsstrategien und auch die General Interest Medien stürzten sich bloß in freundlichsten Absichten auf den bekennenden Hooligan-Symphatisanten aus Marzahn. Harmloser als seine Straßenrap-Kollegen ist Rilla in seinen Texten dabei garnicht und die eigene Herkunft auf hymnischen Beats in Pathos-triefende Durchhalteschlager zu transformieren, ist auch kein neues Konzept - sondern Straßenrap 101, der Grundkurs. Eeeyyy . Unser Redakteur Nils Huber sprach mit Joe Rilla um im Portrait zu erklären, was den Ostler für viele aus all den Ruinen herausstechen lässt. Leerstehende Häuserzüge. Jugendkriminalität. Arbeitslosigkeit bei 15 Prozent. Verwahrloste Bordsteine, durch die das Unkraut bricht. Böhse Onkelz-Heckscheibensticker und Pit Bull-Shirts. Willkommen im Osten. Klischees sind schnell bedient. Zumindest hier - in Eisenhüttenstadt, Berlin 65, Dessau oder einem der anderen Handlungsorte des Stückes „ Deutsche Einheit “. Wo Jugendliche heilige Lieder singen und die Schule abschließen, nur um der Arbeitslosigkeit entgegen zu sehen, dort ist die Phrase „ Aufbau Ost “ nicht mehr als ein schlechter Witz. Bananen und Schokolade gibt's hier schon lange. Besser macht das aber gar nichts. Einer dieser Plattenbausiedlungen entsprang vor etwas mehr als dreißig Jahren ein Junge, den man damals noch als Hagen Stoll kannte. Ein Junge, der DDR-Meister im Tischtennis werden- und dem in seinem langen Leben nur wenig erspart bleiben sollte. Heute kennen sie diesen Jungen als "Joe Rilla ". Die meisten nennen ihn nur " diesen Rilla" . Schnell finden sich Umschreibungen, Bezeichnungen und Spitznamen. König des Ostens, Ostler der Ostler, Stimme des Ostens, Gewissen der Platte – Rilla gibt einer ganzen Region die Identität zurück. Hoffnung ist es, woran es den Kids der Platte mangelt. Und genau diese Hoffnung wird in den Raphünen projeziert. Ein Held der Arbeit ist er. Ohne Frage. Bis zum Anfang der Neunziger kann man die großen Fußspuren des Mannes mit der eindringlichen Stimme zurück verfolgen. Egal ob " Da Mash" (mit Joy Denalane ), AnAlphaBeten oder Ostblokk – diesen Rilla nicht zu kennen, ist fast unmöglich. Lange Zeit dämmerte es. Es brodelte im Dunstkreis von Aggro Berlin . Wer Veröffentlichungen wie "Gunz nach oben " oder " Aus der Platte auf die Platte" verfolgte, merkte, dass da etwas passieren würde. Etwas großes. Doch meistens kommt es anders. Vor allem dann, wenn es am wenigsten passt. Und ohnehin – manche Dinge "passen" nie. Der Verlust eines Kindes ist etwas, das weder "passt", noch zu verkraften ist. Etwas, das Joe Rilla und seine Frau nach einer unproblematischen Schwangerschaft bitter erfahren mussten. Denn noch während der zweiten Schwangerschaft, traf die Diagnose wie ein Schlag – das gemeinsame zweite Kind, der liebevoll erwartete Sohn, wäre nur bedingt lebensfähig. Und die Geburt selbst, könnte das Leben der werdenden Mutter in Gefahr bringen. Ein Schwangerschaftsabbruch die Folge. Das Kind starb. Die Mutter lebte. Die Fehldiagnose brachte zwei Menschen fast um den Verstand. Doch scheitern war keine Option. Da waren eine Frau und ein Kind, die beide essen mussten. Die Wärme zum Leben brauchten. Also raffte sich der Große auf. Zerriss die Ketten, zerbrach die Depression und stand auf – aus den Ruinen seiner Vergangenheit. Seiner Schmerzen, Ängste und Verzweiflung. Auferstanden aus Ruinen. Die Lösung war gefunden. Und so spuckte Rilla in die Hände. Alles oder Nichts. Es entstand ein Album, das seines Gleichen sucht. Nun wusste er wofür er rappte, wie er sagt. Nun wurden die Präferenzen neu strukturiert. Rap war kein Hobby, kein Zeitvertreib und vor allem mehr als Musik. Musik war Perspektive. Jeder Zeile merkt man den Straßenstaub der Herkunft, den Schweiß der Arbeit, die Tränen und das Blut an. Jedes Lied wie ein Sonnenaufgang, nach einem Gewitter. Der Osten rollt. Mit Bomberjacke und Glatze. Mit Trabbi-Maker und Viva los Tioz. Diese Straßen haben eigene Zahlencodes. Die Dechiffrierung liefert Rilla auf einem Album, das so monumental, überwältigend und brachial auf den Hörer einprescht, das all das, was dieser Mann da zusammen geworfen hat, Adrenalin in die Venen, Blut in die Muskeln und Tränen in die Augen treibt – alles auf einmal. Und genau dieses Gefühl stellt sich ein, wenn man mit dem Macher selbst spricht. Vor allem spürt man, dass hier mehr hinter steckt, als ein Kind, das ein paar Arschlochansagen machen wollte. Rilla ist ein Mann. " Auferstanden aus Ruinen " ist kein Grown Rap-Album. " Auferstanden aus Ruinen" ist das Album eines Mannes, der es auf den Punkt bringt. Das Böhse Onkelz -Prinzip. Wer spricht von Double Time-Flows? Hier geht es um Gefühl, um Identität, um Zusammenhalt. Und vor allem geht es hier um mehr, als um einen " dummen Ossi ", der heult, weil irgendwer, irgendwann unfair war. Auf " Auferstanden aus Ruinen " steht ein Mann auf und zertritt alles, was ihn zerstören will. "Die Platte" ist in jedem Lied präsent. Ob Rilla dieses Wort nun benutzt oder man einfach den Vibe spürt. Die Platte ist da. Und vor allem ist die Platte kein Ostlerding. Jeder kennt die Platte. Im Pott, wie in Stuttgart. In Frankfurt wie in München. Die Platte ist der Ort, an dem keiner leben will. Das abgefuckteste Viertel der Stadt. Der Bezirk, um den die Bürgerschaft einen Bogen macht. Die Platte ist die neue Unterschicht. Aufbau Ost? Gescheitert. Abbau West? In vollem Gange. Deutschland hat keine Ghettos. Aber Deutschland hat Problembezirke, in die sich die Polizei nicht traut. Deutschland hat Drogentote, Bandenkriminalität und Menschenhandel. Deutschland hat die Platte.  
Und Deutschland hat eine Stimme, die dieses Gefühl so präzise formuliert. So simpel auf den Punkt bringt und direkt ausspricht, dass es wehtut, dass es leichter ist, es zu leugnen und klein zu reden. Doch, wie Rilla selbst sagt, um die Platte zu erleben, muss man nur mal von der Hauptstraße runter und an der Tafel vorbei fahren. Die hunderten von Menschen sehen, die sich nicht nur im Osten Berlins versammeln, um ein paar Brötchen oder ein bisschen Eintopf ab zubekommen. Und DASS es all dies gibt, dafür sprechen hunderttausende von Klicks auf MySpace, eine Millionen YouTube-Plays und eine Gefolgschaft, die ihres Gleichen sucht. Gäbe es all dies nicht, gäbe es auch Joe Rilla nicht. Gäbe es keine sozialen Missstände, hätte dieser Ostler keine Kundschaft. Doch die hat er. Er hat sie, weil er nicht vom Koksticken oder Nuttenficken erzählt, sondern von den Dingen die er sieht und kennt. Von minderjährigen Müttern, von Jugendarbeitslosigkeit und von Hooligandasein, um IRGENDWO dazu zu gehören. Aus den Augen eines Mannes. Durch Worte aus dem Munde eines Mannes, der weiß, wovon er spricht. Straßenpolitik. Hier trägt man keinen Nadelstreifenanzug. Doch den braucht man nicht, um zu verstehen, wie sich Hunger und Armut anfühlen. Joe Rilla tut dies. Und er täte es gerne in größerem Rahmen. Entgegen der hiesigen Trends auch gerne in Zusammenarbeit mit einem Politiker. Einem Politiker, der nicht nur redet, sondern auch handelt. Deutschland hat kein Ghetto. Doch Deutschland hat den Plattenbau OST. Deutschland hat Joe Rilla.

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