Dein Lieblingsrapper und sein vielleicht größtes Problem

"Wir wollen Azzlack Stereotyp 2!", hört man Haftbefehl-Fans von rechts und links sagen. Trotz des Album des Jahres 2014, Russisch Roulette, hat man hin und wieder das Gefühl, Haft kommt an seinem eigenen Debütalbum nicht vorbei. Er ist nicht der einzige. Vermutlich geht es keinem Rapper in dieser Hinsicht schrecklicher als Nas. Sein zweites Werk It Was Written ist mittlerweile stolze 20 Jahre alt. Es ist sein erfolgreichstes, vielen Fans gefällt diese Platte am meisten. Doch: An seinem Debütalbum Illmatic von 1994 scheint Nas nie vorbei zu kommen. Bis zum heutigen Tag wird jedes seiner Alben mit dem Klassiker verglichen.

Woran liegt das? Und gibt es tatsächlich einen sogenannten Sophomore-Fluch?

Viele Debütalben wie eben Illmatic und Azzlack Stereotyp besitzen aufgrund der Tatsache, dass sie Erstlingswerke sind, eine immense Dichte an interessanten Geschichten. Klar, Haftbefehl hatte ganze 25 Jahre Lebenszeit, die er auf seinem Debüt verarbeitete. Nas immerhin noch 20 Jahre – das sind 18 Jahre mehr Erfahrungen, als er dann für das nächste Album sammeln konnte.

"Plötzlich rappen alle wie ich!"

Illmatic wurde 1994 zum all time Hiphop-Klassiker. Dass It Was Written zwei Jahre später ebenfalls eine sehr starke Platte war, blieb kaum einem bis heute hängen. Dabei ist letzteres an den Verkäufen gemessen sogar das erfolgreichste Album von Nas, ging über vier Millionen Mal über den Ladentisch. Selbst Zahlen können an der Mythenbildung also offenbar nichts ändern. Unnötig zu erwähnen, dass Russisch Roulette selbstverständlich auch ein Vielfaches von Azzlack Stereotyp absetzen konnte.

"Ich habe nach Illmatic gemerkt, dass plötzlich mein Style in einer Menge anderer Rapper steckte. Ich wusste, dass mein nächstes Album 1000 Mal besser als Illmatic sein muss, sonst kann ich nach Hause gehen. [...] Auf Illmatic hatten die Leute gespannt gewartet, aber die Spannung auf das zweite Album war unfassbar! Viele Künstler haben es nie weiter als das erste Album geschafft", erzählt Nas, als er an die Zeiten zurückdenkt.

Dass It Was Written derart erfolgreich war, hat es nicht zuletzt musikalischeren Singles wie If I Ruled The World mit Lauryn Hill zu verdanken. Oft sieht sich ein Künstler auf seinem zweiten Album dem Druck ausgesetzt, etwas gänzlich Neues zu kreieren. Der erste Gedanke? Es muss was Großes her, die Charts und Clubs müssen erobert werden. Man möchte nicht mehr nur die Szene beeindrucken wie auf dem ersten Album, sondern weitergehen. Daher wie auch bei Haftbefehl und Nas die Konsequenz, massentauglichere Songs zu produzieren. Poppig und mainstreamig, könnte man böswillig sagen. Oder einfach: Auf der Suche nach einem Hit. Kanackis ist voll von eingängigen Hooks, musikalischerem Sound und clubtauglicheren uptempo Beats. Diese Entwicklung verfeinerte Haft auf Blockplatin, als er mit Chabos Wissen Wer Der Babo Ist sogar tatsächlich einen bundesweiten Hit landen konnte.

"Sonst wird man zur Retro-Band..."

Trotzdem schaffte es keines seiner Platten in Sachen Legendenbildung in die Nähe von Azzlack Stereotyp, seinem rohen, ungeschliffenen, echten Debüt. Scheinbar unbeeindruckt und authentisch genug für die Leute. Auch Eko Fresh kennt dieses Problem und sprach dieses Jahr mit Toxik darüber:

"Das ist die Tragik eines jeden großen MCs: Du wirst immer an deinem ersten Ding bemessen. Die Leichtigkeit und das Unbeeindrucktsein gegenüber der Industrie, die wirst du ganz schwer reproduzieren können. [...] Man muss auch in die Zukunft schauen, sonst wird man zur Retro-Band. [...] Es bringt einem dann nichts, wenn die Leute ständig sagen 'Das erste Album war aber besser!'"

Des Rätsels Lösung?

Künstler wie Eko, Haftbefehl oder eben Nas haben es nicht geschafft, ihr Erstlingswerk mit dem Nachfolger zu übertreffen – es gibt allerdings auch positive Beispiele: The Notorious B.I.G. wäre ein prominentes Beispiel für das Besiegen des Sophomore-Fluches. Sein zweites Album Life After Death gilt ebenso wie sein erstes, Ready to Die, als Klassiker. 

Kendrick Lamars Majorlabel-Debüt good kid, m.A.A.d city adelten genügend Kritikerstimmen bereits ein Jahr nach Release als Klassiker. Mit To Pimp A Butterfly drei Jahre später legte er zweifellos einen drauf.

In Deutschland hat es wohl kaum einer so eindrucksvoll geschafft wie MoTrip, der vergangenes Jahr mit Mama das Deutschrap-Album des Jahres ablieferte. Nach dem hochgelobten Debüt Embryo war der Druck vermutlich unerträglich groß – Trip ließ sich allerdings ganze drei Jahre Zeit für den Nachfolger, feilte daran und präsentierte dann ein formvollendetes Werk. Vielleicht liegt hier der Schlüssel dazu, ein starkes Debüt zu übertrumpfen: Genug Zeit verstreichen zu lassen und nicht in eine Hektik verfallen?

Tracks von Debüt-Klassikern wie Illmatic und Capital Punishment von Big Pun und ebenfalls große "zweite" Alben wie eben das nun 20 Jahre alte It Was Written oder The Score von The Fugees findest du übrigens in der Filtr-Playlist Old School Hip Hop auf Spotify.

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