Chance für den Untergrund? Wie Spotify den Streaming-Markt verändern will

"Über die Playlisten kommt man schlussendlich an das richtige Geld", sagt Das Glas, schaut auf den Bildschirm und schiebt die Drums in den Takt. Das Glas ist Rapper und Produzent aus Hamburg. Noch findet er eher selten auf Spotify statt. Er könnte als Untergrund-Musiker von einem neuen Feature des schwedischen Unternehmens profitieren.

Es erlaubt ausgewählten Artists, ihre Musik direkt auf Spotify hochzuladen. Bisher waren dafür Vertriebsdienstleister wie DistroKid, TuneCore - oder ganz klassisch - die Labels mit ihren Vertriebspartnern zuständig. Diese Form der Zwischenschaltung zwischen Künstler und Plattform fällt nun erstmals weg.

Der Weg von Noname

Das Aushängeschild der Spotify-Neuerung ist die Independent-Rapperin Noname. Ihr aktuelles Album "Room 25" steht symbolisch für den Weg, den Spotify einschlägt. Sie war mit anderen Künstlern an der Entwicklung des Features beteiligt und kann nun genau das tun, was sie immer schon wollte – ihre Musik einfach unter die Leute bringen:

"I know how other musicians' music has affected me. Putting music out and allowing people to feel connected to another human […] is extremly important."

Noname speaks Chicago culture, Future Album, artists she'd work with & MORE!

Noname touches on a few topics on this interview. "Telefone" out NOW! "Room 25" coming soon!

Das Verwalten des eigenen Outputs stellt sich auf den ersten Blick einfach dar. Spotify gewährt offenbar alle Freiheiten. Bilder, Daten und Metadaten können dauerhaft beliebig abgeändert werden. Der Erlös aus den Streams landet zu größeren Teilen beim Künstler. Eine Begrenzung für Uploads scheint vorerst nicht angedacht. Kene Anoliefo aus dem Creators Team von Spotify sagt in einem Gespräch mit dem Rolling Stone, dass Künstler davon ein wenig genervt gewesen seien, wie sie ihre Musik auf die Plattform bringen. Diesem Empfinden wolle Spotify mit Offenheit begegnen:

"Artists have told us that releasing their music on Spotify can sometimes be a little nerve-wracking, so we wanted to give as much transparency to the process as possible."

Der Kieler Rapper und Producer Junjo M aka Ebbe Funk ist schon einen Schritt weiter als das Glas. Er stellt aktuelle Releases wie "Fördeventura bis Knoopacabana" auf Spotify online und lädt dort auch regelmäßig seine Produzenten-Tapes hoch. Daraus erzielt er keinerlei Gewinn. Er erzählt, dass er aktuell ein Minusgeschäft machen würde: "Ich nutze diese Anbieter [Distributoren, Anm. d. Red.] und zahle drauf". Ähnlich wie bei Noname geht es ihm schlichtweg darum, dass seine Musik gehört wird. Es ist sein Antrieb und seine "Hauptintention".

Der Streaming-Markt

Noname und weitere Independent-Artists sind Teil einer Beta-Testphase. Die Teilnahme ist nur auf Einladung gestattet. Eine aktuelle Studie der RIAA (Recording Industry Association of America) zeigt, dass 75 % des Gesamtumsatzes im amerikanischen Musikmarkt inzwischen auf Streaming zurückgehen. Wer Gehör finden will, muss gestreamt werden können. Über das neue Feature ließe sich sein Publikum direkt erreichen – ohne Labelstrukturen und ohne ein Major im Rücken.

Spotify CEO Daniel Ek sagte im Vorfeld der Veränderung, dass sich der Streaming-Gigant nicht als Label-Ersatz begreife. Die Künstler behalten die kompletten Rechte an ihrer Musik und können sie damit weiterhin auf anderen Portalen zum Streaming anbieten. Es gilt, die passende Balance zu finden. Die eigene Förderung von Independent-Artists darf nicht zum Konflikt mit den großen Playern in der Branche wie Sony, Warner und Universal führen.

Neben dem Radio sind heutzutage Playlisten die absoluten Hit-Maker. Prominent platzierte Tracks erreichen automatisch viele Zugriffe und Hörer. Wo im Radio noch redaktionell ausgewählt wird, welche Songs es in die Sendungen schaffen, überspringt das Feature von Spotify diesen Voreingriff. Ob es dann in den Playlisten nach oben geht, entscheiden der Track, Glück, Timing, Algorithmen und sicher auch die Majorindustrie mit eigenen Kurationen von Playlists. Trotzdem ist der Künstler dauerhaft auf Sendung. Er muss nur gefunden werden.

Das Glas sieht in der totalen Freiheit zweifelsfrei den künstlerischen Vorteil. Da aber Spotify bisher noch die Auswahl darüber vornimmt, wer an dem Projekt teilnehmen darf, findet hier eine dem Radio ähnliche Vorauswahl statt. Kene Anoliefo spricht aber bereits davon, dass man es zukünftig jedem Artist einfacher machen wolle, seine Kunst auf Spotify zu teilen:

"We have intentions to make it easy for anyone who has music to share it on Spotify."

Chance für den Untergrund?

Die Aussicht, direkt mit seiner Musik Live zu gehen, fasziniert Junjo M. Es mache die "Evolution von Musik nachvollziehbar". Erste Versionen von Tracks könnten so immer wieder abgeändert werden. Der Hörer wäre beim Entstehungsprozess der Musik dabei. In eine ähnliche Richtung argumentiert das Glas. Beide Rapper wünschen sich dennoch eine Qualitätssicherung bei den Uploads. Das Glas sieht einen gewissen "Exklusivitätsverlust", wenn wirklich jeder, der es darauf anlegt, auf Spotify stattfinden kann.

Junjo M sagt es noch direkter: "[...] dann wäre Spotify voll mit Schmutz". Wer beim Projekt von Spotify wohl sehr aufmerksam zuschaut, ist Soundcloud. Viele Rapper der neuen Generation haben ihre Tracks bisher auf Soundcloud zur Verfügung gestellt. "Soundcloud-Rapper" haben sogar eine Art eigenes Genre erschaffen. Der Vorteil dort: Jeder kann prinzipiell hochladen, was er möchte.

Spotify bringt sich nun als ernsthafter Konkurrent ins Spiel. Der Streamingdienst erweitert die Optionen für aufstrebende Musiker und nicht zuletzt Rapper. Solange jedoch keine Einladungs-Mail im Postfach landet und die Neuerung ausschließlich in den USA getestet wird, bleibt vorerst alles, wie es ist. Das Glas macht trotzdem weiter – aus Liebe zum Spiel.

In Nonames aktuelles Album "Room 25" kannst du hier reinhören:

Room 25

Room 25, an album by Noname on Spotify

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