Endgame: Wie Rapperinnen Deutschraps Sexismus therapieren

Captain Marvel, Black Widow, Nebula, Scarlet Witch und Gamora. Man könnte meinen, im Marvel-Universum werden Filme aktuell frei nach dem Motto „The future is female“ produziert. Dieser Eindruck entsteht beim Betrachten des aktuellen Deutschrapgeschehens leider nicht.

Sexismus ist ein Problem

Nein, dieser Artikel ist keine Sammlung gewaltverherrlichender Lines von Rappern, um die sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen weiter zu reproduzieren.

Nein, dieser Artikel soll auch nicht als erhobener Zeigefinger verstanden werden.

Aber Deutschrap hat ein Problem. Und das zeigt sich nicht nur in den Texten einiger Rapper. Sexismus wird toleriert, reproduziert und akzeptiert. Von Rappern, ja. Aber auch von Rapmedien, von Rapfans und von Konzert- beziehungsweise Festivalveranstalter*innen.

#raptoo reicht nicht aus

Die Debatte um sexistische Raptexte gibt es schon seit Jahren. Ach was, seit Jahrzehnten! Aktuell wird sie aufgrund möglicher Straftaten von Rappern und der Reaktionen auf diese wieder lauter geführt. Es wird eine #raptoo-Debatte gefordert. Die Weiterentwicklung der Bewegung #metoo, die auf Social-Media-Kanälen auf Sexismus aufmerksam machte, soll nun spezifisch auf den Rapkosmos bezogen werden.

Aber war #metoo überhaupt jemals eine Debatte?

Die Bewegung hat Aufmerksamkeit auf ein wichtiges Thema unserer Gesellschaft gelenkt. Frauen, die Opfer sexueller Übergriffe wurden, fanden eine Öffentlichkeit für ihre Probleme.

Es waren also die Opfer, die einen mutigen Schritt wagten. Ihr Lohn waren oft Spott und Häme. Darunter mischte sich auch gern eine Portion Whataboutism. Sexismus schön und gut, aber was ist eigentlich mit … ?

Eine Einordnung der eindrucksvollen und beängstigenden Menge der Erfahrungen von Frauen mit Sexismus und sexuellen Übergriffen fehlte. Es entstand kaum eine Debatte. Wenn diskutiert wurde, dann meistens lieber mit Gleichdenkenden. Mich lässt der Eindruck nicht los, dass vor allem Menschen sensibilisiert wurden, die auch schon zuvor ein Bewusstsein für die Thematik hatten.

Eine bloße Übertragung von #metoo auf den Rapkosmus kann also nicht ausreichen.

Die Rapperin Sookee antwortet auf die Forderung nach einem #raptoo folgendermaßen:

"Es braucht kein #raptoo. Es braucht nicht wieder die Betroffenen, die den Mut und die Kraft aufbringen ihre Erfahrungen öffentlich zu machen, die die Strapazen der öffentlichen Anfeindungen, die Schuldumkehr und die Lächerlichmachung ertragen und gegebenenfalls juristische Prozesse im Shitstorm durchlaufen müssen."

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Sie fügt ihrer Argumentation auch hinzu, dass natürlich kein Opfer von sexueller Gewalt schweigen muss. Aber Handeln müssen wir nun einmal gemeinsam.

Sookee kommt die Debatte zudem scheinheilig vor. Fordern da gerade die Männer eine #raptoo-Debatte, die sich sonst in der Deutschrap-Industrie „eine lustige Nase an der gut geflowten vergewaltigungsphantasie [sic] verdienen?"

Du kannst die Texte nicht ironisch hören

"Aber ich höre seit Jahren diese Texte und war noch nicht gewalttätig."

"Aber ich bin selbst eine Frau und finde es nicht schlimm, wenn Rapper so etwas in ihren Texten sagen."

"Ich bin kein Sexist, aber…"

Diese Argumentation ist häufig zu lesen, geht es um Sexismus und gewaltverherrlichende Texte im Deutschrap.

Du kannst von dir und anderen Einzelpersonen nicht auf die Gesellschaft schließen.

Du kannst den Bachelor nicht ironisch gucken. Du unterstützt damit ein rückständiges Frauenbild.

Du kannst Heidi Klum nicht ironisch bei ihrer Modelsuche mitverfolgen. Du unterstützt damit ein ungesundes Frauenbild.

Du kannst den frauenverachtenden Texten deutscher Rapper nicht ironisch zuhören. Du unterstützt damit ein sexualisiertes Frauenbild.

Deine Ticketkäufe, deine Streamingaufrufe, dein Musikwunsch auf der nächsten Party, dein CD-Kauf, dein Klick auf das neue Video, ja selbst dein Gespräch über diesen einen Rapper unter Freunden beeinflusst die Raplandschaft und damit das Frauenbild der Zukunft.

Oder wie es auf YouTube so schön heißt: Du entscheidest, was in die Trends kommt.

Das heißt nicht, dass du diese Fernsehsendungen und Musik nicht mehr konsumieren darfst. Aber du solltest dir darüber bewusst sein, was dein Verhalten bedeutet und was es für Folgen hat.

Frauenrap ist tot

Männer spielen Fußball. Frauen spielen Frauenfußball (Props an den Spiegel, der sich bezüglich seiner Sportberichterstattung derzeit hinterfragt). Männer haben Power. Frauen haben Frauenpower. Männer machen Rap. Frauen machen Frauenrap?

Warum werden Frauen immer über ihr Geschlecht definiert? Es gibt schon lange keinen Frauenrap mehr. Künstlerinnen, wie Cardi B, Nicki Minaj, Nura, Juju, Shirin David, Sookee und viele weitere Rapperinnen stehen ihren männlichen Kollegen in nichts nach. Warum also sollten sie "Frauenrap" machen?

Juju – Feministin wider Willen

Nura und Juju kannten das Schicksal, auf ihre Funktion im Rap als Frau angesprochen zu werden, schon zu SXTN-Zeiten.

Ihr Auftreten, ihre Sprache und ihre Texten bergen feministisches Potential. In Tracks wie "Hass Frau", "Er will S*x" und "Von Party zu Party" setzen sie sich offensiv gegen Rassismus und für Frauenrechte ein.

"K*naken und Schwarze haben Hiphop erfunden - doch der Türsteher lässt sie nicht rein"

"Du willst mich f*cken / Aber du darfst es nicht, weil ich’s verbiete"

Juju hat sich dennoch schon zu ihrer Zeit bei SXTN gegen die Bezeichnung "Feministin" gewehrt. Sie erklärte 2017 in einem Interview mit Rooz:

"Wir sind jetzt nicht da, um Feminismus irgendwie groß hochzuhalten oder irgend so einen Scheiß. Sondern wir machen’s einfach, weil wir das für selbstverständlich halten."

Auf ihrem aktuellen Album bleibt sie bei dieser Meinung und rappt auf dem Intro von "Bling Bling":

 "Ihr nennt es Feminismus / Ich nenn‘ es einfach Menschlichkeit"

Auch hier schwingt wieder die Selbstverständlichkeit mit, mit der Juju ihre Rechte als Frau im Rapgeschäft wahrnimmt. Auf dem Remix von Capos "Lambo Diablo GT" rappt sie allerdings auch von anderen Erfahrungen, die nicht für eine selbstverständliche Akzeptanz von Frauen im Rap sprechen:

"Und sie haben sich am Anfang so krass gewundert / Eine Frau, die ihr Maul aufmacht, oh Wunder"

Ihre ehemalige Bandkollegin Nura teilt die Ablehnung des feministischen Aspekts ihrer Kunst heute vermutlich nicht mehr. In einer Instagramstory erzählt sie, wie unwohl sie sich teilweise backstage auf Festivals fühlt, die durch ein männliches Line-Up auffallen.

Festivals sind zu männlich

Nura empfindet die Situation backstage als unangenehm. Und sie ist nicht die einzige Künstlerin, der die männlichen Line-Ups von Festivals auffällt. Betrachten wir die drei größten deutschen Festivals, die für Rapmusik in ihrem Line-Up stehen, ist es tatsächlich auffällig, wie wenig Beachtung Frauen bei den Planungen der Festivals finden.

Zunächst soll das Line-Up des Wireless Festivals Anfang Juni in Frankfurt betrachtet werden. Für den ersten Festivaltag wird auf dem Plakat als Frau ausschließlich Shirin David angekündigt. Ihr gegenüber stehen 13 männliche Rapper, mit denen für diesen Tag geworben wird. Für den zweiten Festivaltag ergibt sich ein ähnliches Bild. Cardi B ragt als Headlinerin groß über neun männlichen Acts. Weibliche Unterstützung erhält sie nur von Rita Ora und Grace Carter.

Auch auf dem Splash muss man dieses Jahr nach Frauen im Line-Up suchen. Von den 79 Auftritten auf dem Festival werden lediglich zwölf von Frauen oder mit weiblicher Beteiligung sein. Auf dem Deichbrand-Festival kommen 16 dieser Auftritte auf 103 männliche Acts.

Nura & Schwesta Ewa: Aneignung von Männlichkeit

Auf den ersten Blick mag es vielleicht eine gewagte These sein. Aber auch Schwesta Ewa kämpft auf ihre Art für Frauenrechte. Sie eignet sich die Verhaltensweisen an, die sonst nur männlichen Künstlern vorbehalten sind. Schwesta Ewa ist eine verurteilte Kriminelle. Sie spielt in ihren Texten mit dem Image, ihr Geld mit der männlich konnotierten Beschäftigung der Zuhälterin zu verdienen. Das kommt vor allem bei den männlichen Zuhörern und Kollegen nicht immer gut an.

Juju kommentiert die Scheinheiligkeit im Rapbusiness in dem Track "Tabledance" mit Nura und Schwesta Ewa so:

"Ihr wollt alle Gangsta-Rap, doch keine realen Rapper / Wäre sie ein Mann, dann wärt ihr leise, Free Ewa"

Ähnlich funktioniert auch Nura. Schon zu SXTN-Zeiten spielt die Rapperin mit ironischer Übertreibung und einem Wortschatz, der sonst eher Männern zugesprochen wird. In dem Video zu "Was ich meine" tanzen halbnackte Männer für sie. Ein Job, der in Musikvideos gewöhnlich eher an normschöne Frauen vergeben wird.

Nura - Was ich meine (prod. by SAM SALAM X YUNG MOJI)

Limited Deluxe-Box vorbestellen: http://nura.fty.li/NuraDeluxeBox Single: "Was ich meine": http://nura.fty.li/WasIchMeine Tickets für die "Allo Leute"-Tour: http://fty.li/NuraTour2019 ALLO LEUTE TOUR: 17.09.19 Leipzig − Felsenkeller 18.09.19 München − Milla 19.09.19 AT-Wien − Grelle Forelle 21.09.19 CH-Zürich − Exil 22.09.19 Stuttgart − Wizemann Club 23.09.19 Frankfurt a.M.

Antifuchs: Kapitulation statt Antihaltung

Wiederum eine andere Strategie verfolgt Antifuchs. Auf den ersten Blick erscheint die Künstlerin, die ihr 2017 noch auf den dritten Platz eurer Lieblingsrapperinnen gewählt habt, vorlaut und feministisch. Auf "Wie ein Mann" gibt sie sich stark und erklärt, nicht nur emanzipiert zu sein, sondern auch mehr zu verdienen als ein Mann. Sie stellt fest:

"Rap ist kaputt und hat einen Vaterkomplex"

Weiter zeigt Antifuchs, dass sie negative Begriffe für sich zu nutzen weiß. Sie schafft es, diese positiv für sich umzudeuten.

"Ich definiere das Mannsweib neu und mach, dass es mir steht"

Antifuchs - Wie ein Mann [RMX x RMX] prod. by Joshimixu & The Stereoids [Official Video]

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Mit dem Vorwurf ein "Mannsweib" zu sein, sehen sich erfolgreiche Rapperinnen schnell konfrontiert. Auch Juju rappt auf "Die Ftzn sind wieder da":

"Realtalk von nem Mannsweib / das ja doch ein bisschen rappen kann anscheinend"

Es ist nur eine Umdeutung, wenn Frauen selbst die Begriffe benutzen. Nein, du darfst Nura nicht "B*tch" nennen, nur weil sie sich selbst "B*tch" nennt.

Antifuchs möchte sogar selbst als "Rapper" bezeichnet werden, nicht als Rapperin. Bei "Germania" erklärt sie:

"Ich finde zu wirklicher Gleichberechtigung gehört auch die gleiche Bezeichnung."

Antifuchs über ihre Maske, Frauen im Rap und Klischeebruch

Ein ANTIFUCHS pfeift auf die Norm und lässt sich nicht zähmen. Emilia Reichert aka ANTIFUCHS ist „Rapper" und Ex-Cheerleader. In Kasachstan geboren, in Flensburg aufgewachsen, ist das Spiel mit Klischees zu ihrem Markenzeichen geworden, der ANTIFUCHS zum Alter Ego.

Für mich ist diese Ansicht ein Problem. Es ist wichtig, dass Frauen auch in der Sprache sichtbar werden. Antifuchs trägt ihre Maske, um weniger weiblich zu wirken. Das ist weniger eine Revolution als eine Kapitulation.

Eine Künstlerin setzt sich auch 2019 noch eine Maske auf, um für ihre Leistung und nicht ihr Aussehen und ihr Make-up bewertet zu werden. Hiphop braucht eine Veränderung.

Das müssen wir ändern

Es wurde so viel gesagt, so viel geschrieben. Es wurde so viel wieder vergessen und auf die anderen geschoben. Aber es wurde so wenig verändert.

Also, was machen wir jetzt dagegen? Es reicht nicht, jedes Jahr einen Artikel darüber zu schreiben, wie furchtbar sexistisch die Texte deutscher Rapper doch sind. Die Veränderung kann von keiner Einzelperson ausgehen. Wir müssen als Rapcommunity gemeinsam Regeln finden, für die wir eintreten möchten.

Künstler und Künstlerinnen müssen sich der Macht von Sprache bewusst werden. Hiphop ist die größte Jugendkultur, die wir haben. Mehr Potential, bei jungen Menschen Gehör zu finden, ist kaum irgendwo anders zu sehen.

Medien sollten aufhören, die gewaltverherrlichenden Texte ständig zu zitieren. In den meisten Artikeln zu diesem Thema waren die Zeilen immer wieder zu lesen. Auch wichtig ist das Empowerment von Künstlerinnen. Es gibt weibliche Rapperinnen. Aber sie müssen gehört werden. Nura sagte in dem Interview mit Rooz:

"Es gibt ja nicht so viele Vorbilder für junge Mädels, die dann auch gerne laut sein wollen und so."

Vorbilder sind also das Zauberwort. Rapperinnen, die in den Medien präsent sind, ihre Musik vorstellen dürfen, auf Festivals auftreten, Follower generieren und einen weiblichen Input für die Szene bereithalten.

Und wichtig ist auch die Rapcommunity – die Fans. Achtet aufeinander und tretet auch online für die Rechte ein, dir ihr in der realen Welt verfolgt.

Am wichtigsten ist, dass wir uns alle immer wieder reflektieren. Welche Musik möchten wir hören? Welche Künstler*innen sollten unterstützt werden? Welche Messages gehören in die Welt getragen? Ich bin mir sicher, dass wir uns alle über unser Konsumverhalten oft unsicher sind. Manchmal meldet sich das schlechte Gewissen zu spät. Fehlerlos ist in dieser Hinsicht sicher niemand.

Fingerschnipsen gegen Sexismus

Anders als bei den Avengers kann die Sexismus-Debatte im Deutschrap sicher nicht durch ein einfaches Fingerschnipsen beendet werden. Das Marvel-Universum kann uns aber dennoch lehren, dass der erfolgreiche Kampf nur gemeinsam möglich ist.

Kategorie

Groove Attack by Hiphop.de