Independent-Labels schießen gerade in Deutschland wie Pilze aus dem Boden. Jüngst gründeten die Jungs von Genetikk ihr eigenes Baby "Outta This World" und verließen den sicheren Hafen von Selfmade Records. Weitaus weniger Künstler berufen sich noch auf traditionelle Major-Strukturen und ihre Vertriebsmöglichkeiten. Wer sich nicht vor Arbeit scheut, der macht es heutzutage selbst und bekommt im Endeffekt deutlich mehr vom Kuchen. Nichtsdestotrotz diktieren weiterhin gigantische Konzerne, wann und wie Musik den Hörern zugänglich gemacht wird. Aus dieser Rolle heraus äußert sich Carl Chery, der bei Apple Music für die Künstlerbetreuung zuständig ist, in einem Interview bei Complex. Er sieht beispielsweise den weltweiten Erfolg von Independent-Star Chance The Rapper als einen irreführenden Einzelfall an. Sein Werdegang sei abnormal.
DJBooth on Twitter
@ChanceTheRapper's independent success is "misleading," according to Apple Music's @carlcheryAM, but he doesn't owe anyone an apology. https://t.co/i7RfxS0QEs
Diese Einschätzung ruft Chance The Rapper selbst auf den Plan, der genau die entgegengesetzte Meinung vertritt. In einer Reihe von Tweets argumentiert er für die radikale künstlerische Freiheit. In den Vorstellungen des Chicagoers sind die Industrievorgaben durch Verträge, Fristen und Mindestabsatzzahlen eher kreativer Bremsklotz als wirkliche Hilfestellung. Das volle Potenzial eines Künstlers könne sich erst entfalten, wenn er vollkommen frei von diesem Denken sei.
Wessen Aufstieg hierzulande diese These stützt, ist zweifellos Trettmann und seine von vorne bis hinten durchgezogene "#DIY"-Mentalität. Mit den individualisierbaren Deluxe-Rollen, die dann auch aus Privatwohnungen verschickt worden sind, spiegeln der Chemnitzer und die Kitschkrieg-Familie die totale Eigenkontrolle über ihre Kunst wieder. Abseits riesiger Marketing-Kampagnen haben sie es trotzdem geschafft, ihre Musik erfolgreich zu platzieren.Chance The Rapper on Twitter
@DJBooth @carlcheryAM Also have some damn patience, all your favorite artists are locked up in deals and until they get out (and stay out) you wont see the realization of their full potential.
TRETTMAN - #DIY FANBOX
Shop & FanBOX: https://www.kitschkrieg.de/shop/ Spotify: http://spoti.fi/2fDP78Z AppleMusic: http://geni.us/TrettmannDIYAM iTunes: http://geni.us/TrettmannDIY Deezer: http://geni.us/DIYDeezer Amazon: http://amzn.to/2v49mmW Google Play: https://goo.gl/sLkAFr CD: http://amzn.to/2x1pbs0 Vinyl: http://bit.ly/2xfjHMj Info: http://phonofile.link/diy Ich geh auf Tour, wer kommt ? 03.10. München, Ampere 04.10. Nürnberg, Z-Bau 05.10. Frankfurt, Zoom 06.10. Münster, Skaters Palace 09.10. Köln, CBE 10.10. Hamburg, Übel & Gefährlich 11.10.
Was wiederum zu Chance führt, der jedem Artist etwas Besonderes oder den gewissen It-Faktor zuspricht. Mit dieser Einzigartigkeit ausgestattet könne es jeder zu einem erfolgreichen Musiker schaffen. Die Gegenseite hält ihm vor, die Sichtbarkeit außer Acht zu lassen. Wie soll jemand von meinen Vorzügen erfahren, wenn ich es nicht in die Timelines und News-Feeds der potenziellen Käufer schaffe? Brauche ich nicht die Hilfe von den erfahrenen Industrie-Playern?
Chance The Rapper on Twitter
@DJBooth @carlcheryAM EVERY ARTIST HAS "IT". If "it" means the access and ability to be successful (assuming this success is individual to the artist) while retaining ownership of your pub/masters and royalties from other media appearances, full oversight of metrics etc. THEY ALL HAVE "IT
Anhand von Daten-Analysen ist es für Labels und ihre Manager vergleichsweise objektiv möglich, die Durchstarter der Zukunft vorherzusehen und auch für ein größeres Publikum sichtbar zu machen. Ein Artikel auf DJBooth beschreibt, wie abstrakt der Zugang zu neuer Musik geworden ist. Die persönliche Verbindung zu einem Künstler gehe immer mehr verloren, weil man kaum noch in die Situation gerät, selbst auf etwas aufmerksam zu werden. Algorithmen trichtern, was einem tatsächlich gefällt. Und was gefällt, ruft die Industrie auf den Plan. Dass da nicht jeder der Verlockung des Geldes einfach so widersteht, liegt in der Natur der Sache. Auch in jenem Artikel dient Chance The Rapper als leuchtendes Gegenbeispiel, da er auch ohne so ein Trendscouting funktioniert hat. Dicke Deals abzuschließen und sich selbst treu zu bleiben, muss sich dahingehend nicht ausschließen. Die Ernte für die eigenen Mühen einzufahren, ist kein Verbrechen und nur, weil man sein Werk teuer entlohnen lässt, führt das nicht zwangsläufig zur Unfreiheit.
Trotzdem begibt sich auch Chance The Rapper so in den Daten-Dschungel, dem er abspricht, über den Markt zu bestimmen. Vielleicht sind es genau jene industriell vorgekauten Geschmäcker, die dazu führen, dass Soundcloud-Digging so ein beliebter Sport unter Musikfans geworden ist. Auf dieser, aber auch auf vielen anderen Plattformen existiert noch so etwas wie ein künstlerischer Freiraum, der zum Stöbern einlädt. Mit dem Spirit eines Platten-Stores inmitten der digitalen Gegebenheiten findet man die vertragsfreien Artists, die Chance sich herbeisehnt. Natürlich ist diese Versuchsanordnung nicht frei von Trends und automatisierten Vorgaben. Dennoch finden sich hier jede Menge ungeschliffene Diamanten, die ihre Arbeit zur Verfügung stellen und in keinem Major-Zusammenhang auftauchen. Chance vertraut auf die Kraft der Musik und die am Ende doch sehr persönlichen Vorlieben der Konsumenten. Er nimmt seine ihm zugeschriebene Rolle als Ausnahmerscheinung nicht einfach hin, sondern betont die Bandbreite an Möglichkeiten, die eigene Kunst an den Mann oder an die Frau zu bringen.
Chance The Rapper on Twitter
@DJBooth @carlcheryAM Algorithms don't determine people's taste in music and visibility on a platform's homepage/playlist doesn't matter as long as an artist's audience knows where to get their music. You're both acknowledging all the new ways music is distro'd and promoted AND saying there's one way.
Der Mut zum Handeln ist wohl die Grundvoraussetzung für den Schritt aus dem Keller-Studio in die Playlists der Generation Internet. Ab dann heißt es: fressen oder gefressen werden. Wer es gemäß Chance schafft, seinen It-Faktor an eine Hörerschaft zu vermitteln, dem wird es wahrscheinlich ebenso gelingen, sich gegenüber der millionenfachen Konkurrenz durchzusetzen – Major hin, Major her. Chance The Rapper bringt es dann nochmal für sich auf den Punkt: Solange das erspielte Publikum wisse, wo und wie es die Kunst unterstützen kann, seien riesige Netzwerke und üppige Strukturen ziemlich irrelevant.
Ein gutes Anschauungsbeispiel bietet hierzulande die Immer Ready-Gang um und mit Marvin Game. Der eigene Shop läuft, mit Output ist immer zu rechnen und die Touren wachsen stetig an. Sie werden wahrgenommen und scheinen es auf ein solides Level geschafft zu haben, ohne die mächtigen Strippenzieher im Hintergrund zu wissen. Eventuell ist auch das abnormal, aber mit Blick auf den hiesigen Musikmarkt scheinen solche Achtungserfolge sich in letzter Zeit zu häufen. Die Vorstellungen von Chance The Rapper sind in diesem Kontext vielleicht zu romantisch und bilden unweigerlich auch einen gewissen Hang zum Optimismus ab. Es kommt leider auf mehr als nur Talent an, aber etwas ist wohl wahrer denn je: seit einiger Zeit hat jeder noch so kleine Act zumindest die Möglichkeit in den Zirkel der Stars überzutreten.