Sido: Groß genug, um die richtigen F**ks zu geben

Sido ist nicht mehr einfach ein Goldjunge mit Goldplatten, Gold-Otto, Goldschwanz und Goldzunge. Er ist ein Platinmann mit dem meistgeklickten Deutschrap-Song aller Zeiten auf YouTube.

Und er hat ein neues Album, Das goldene Album, in der Pipeline. Die angenehm unaufgeregte Promophase zu der neuen Platte steht symbolisch für Sidos Selbstwahrnehmung und die aktuelle Stellung in der deutschen Musiklandschaft: Er ist zwölf Jahre nach Mein Block groß genug, um keinen F**k mehr zu geben.

(Kleiner Exkurs: Diese Formulierung kann etwas irreführend wirken. Besser müsste es heißen: "Groß genug, um sich die F**ks für wichtige Dinge aufzubewahren." Ab und zu kommt man nicht umhin, den ein oder anderen F**k zu geben – etwa, wenn es um Freunde oder die Familie geht. "Die Fähigkeit, die F**ks, die du gibst, zu kontrollieren und zu managen, ist die Essenz von Stärke und Integrität", hat mal ein weiser Mann geschrieben.)

Kein F**k (mehr) für den Mainstream

Nun, woran macht man das fest? Da wäre etwa die nicht zu unterschätzende Tatsache, dass Siggi beim bevorstehenden Release auf eine Ultra-Deluxe-Box verzichtet. Das ist 2016 schon fast ein Kuriosum. Hier wurde ein für die Chartsposition vorgesehener F**k für Wichtigeres aufgespart. In der aktuellen Juice-Ausgabe erklärt der Berliner:

Deswegen weiß ich auch, dass ich jetzt nicht hoch charten werde. Das werden einige zum Anlass nehmen, mir zu erklären, dass es vorbei ist. Aber das ist ja alles einkalkuliert. [...] Ich kann mir sogar vorstellen, dass Shindy in der zweiten Woche mehr verkauft als ich in meiner ersten.

Bewusste Tiefstapelei oder eine realistische Einschätzung? Jedenfalls will Siggi mit der neuen Platte eher die alten Fans und Hiphop-Liebhaber ansprechen. Die Promo findet nicht übers Radio und Mainstream-Medien statt. Bis auf ein Interview in der Juice nutze er nur seine Social-Media-Kanäle. Nach einem Hit des Formats von Astronaut sei ihm einfach nach etwas Kleinerem zumute gewesen:

Ich suche mir meine öffentlichen Auftritte viel, viel genauer aus.

Genau das ist die Sache mit dem F**ks-Management. Die Lead-Single Hamdullah gab direkt die Marschrichtung für Das goldene Album vor. Wer nicht weiß, wer Falk Schacht, Staiger oder dieser Rooz sind, dürfte Probleme damit gehabt haben, den Song komplett zu verstehen. Kein F**k für den Mainstream, aber einer für Hiphop. Mit einigen Zeilen im Hinterkopf könnte das etwas sarkastisch klingen, aber der Song war für uns, für die deutsche Rapszene, für Sidos Zuhause:

SIDO - Hamdullah (prod. by DJ Desue)

SIDO - Hamdullah (prod. by DJ Desue) Die Single jetzt kaufen und „Das Goldene Album" vorbestellen: iTunes: http://www.umgt.de/RIxZaS Google Play: http://www.umgt.de/VWhhGX Spotify: Alle SIDO Songs in einer Playlist: http://spoti.fi/29UAWZ8 Playlist folgen und nie wieder einen SIDO Song verpassen.

Währenddessen kommen die Hobbykritiker auf Facebook aus den Kommentarspalten gekrochen und wittern einen raffinierten Business-Plan vom berechnenden Pop-Mogul aus dem MV. Sido mache nur wieder auf Hiphop, weil Hiphop gerade laufe. Er solle wieder mit den Bouranis, Tawils und Forsters des Landes über Steine und Liebe singen. So richtig hat er sich zwar nie von Rap distanziert, aber nach dem Ausflug in die glattgebügelte Pop-Welt ist für viele der Zug abgefahren.

Seine wahren Beweggründe wird nur er selbst kennen, aber wer aus kommerziellen Gründen auf Deluxe-Boxen verzichtet und seine Präsenz wieder auf den Hiphop-Kosmos beschränkt, der muss schon ein sehr verwirrtes Marketing-Team beschäftigen. Just my two cents.

Die Maske ist zurück

Nicht ohne Grund ziert sein ehemaliges Markenzeichen das Cover des Goldenen Albums: "Der Sido mit der Maske ist schon der rotzigere", erklärt er Jakob Paur von der Juice. Dissen gehört irgendwie dazu, wenn der Maskenmann sich zurückmeldet.

Aber hier hat sich etwas getan. Explizite Lines gegen Rap-Kollegen sucht man weitgehend vergeblich. 1 F**k für wacke Aktionen, 0 F**ks für die Gegnaz. Alte Wegbegleiter verfolgen da einen ganz anderen Ansatz. Beispiele aus Ja man:

Ich habt die Muskeln immer angespannt / aber für meine Zunge brauch' ich keine Hantelbank

Oder:

Sag mal, wo komm'n wir denn da hin, wenn alle Blogs machen / lasst euch doch von Bibi vor der Cam auf den Kopf kacken

SIDO - Ja man feat. Estikay (prod. by DJ Desue)

SIDO - Ja man. Die Single jetzt kaufen und „Das Goldene Album" vorbestellen: iTunes: http://www.umgt.de/RIxZaS I Google Play: http://www.umgt.de/VWhhGX | Amazon: http://www.umgt.de/WKAEaX | MediaMarkt: http://www.umgt.de/yA36ry | Saturn: http://www.umgt.de/sBKztG | Apple Music: http://www.umgt.de/4POiOx Spotify: Alle SIDO Songs in einer Playlist: http://spoti.fi/29UAWZ8 Playlist folgen und nie wieder einen SIDO Song verpassen.

Ein Schelm, wer denkt, dass Sido noch immer etwas gegen Kollegah, Farid Bang und Co. haben könnte. Auf dem Album soll es weitere Zeilen geben, bei denen man den Adressanten erkennt, ohne dass Namen genannt werden.

Unbemerkt bleiben solche Seitenhiebe natürlich nicht. Besonders der online sehr aktive Chef von Banger Musik scheint im Berliner eine Art Lieblingsgegner gefunden zu haben – vielleicht auch, weil er der letzte Rapper war, den Siggi explizit in einem Song "gedisst" hat. Namen werden offenbar nur noch genannt, wenn es um Rap-Journalisten geht. Korrigiert mich, wenn ich etwas überhört habe!

Hamdullah, es geht ihm echt gut

Natürlich spielt die finanzielle Unabhängigkeit eine große Rolle für diese Gelassenheit. Zweimal Platz 1 der Albumcharts – mit 30-11-80 (2013) und mit Ich und meine Maske (2008). Gold und Platin gab es sowohl für Alben als auch Songs, Astronaut liegt bei 3-fach Gold und war außerdem Sidos erste Nummer-1-Single.

Kommerziell hat Sido die deutsche Musiklandschaft durchgespielt. Wenn er noch einen Radiohit mache, würde er wieder rund 200.000 verkaufen, erklärt er den Kollegen von der Juice. Deswegen sei er wahrscheinlich auch so entspannt:

Diesen Status habe ich mir über die letzten 15 Jahre hart erarbeitet. Mein jetziges Klientel werde ich immer haben. Wie ein Grönemeyer, wie ein Lindenberg.

Vielleicht ist er der einzige deutsche Rapper, der sich solch einen Vergleich erlauben kann. Als weiteren Grund für seine Gelassenheit nennt er im Gespräch seine Familie. Er fühlt sich "angekommen", sagt er und hat offenkundig die in diesem Artikel viel zitierte Kunst des F**ks-Gebens gemeistert. Wenn das mal kein gutes Schlusswort ist...

Die Juice #177 erschien am 20. Oktober.

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