Genetikk – D.N.A. [Review]
Schon Jim Carrey erkannte 1994 in The Mask , dass eine Maske das Leben um einiges leichter machen kann. Bands wie Daft Punk und Slipknot , DJs wie SBTRKT , DJ Deadmau5 oder Zomby und auch Rapper wie MF Doom haben das Verhüllungsphänomen auf Musikebene gehievt – hierzulande zogen Sido , Marsimoto teilweise und jüngst auch Cro , Lance Butters oder Genetikk nach. Andere Rapper der neuesten Generation halten es ähnlich mysteriös und ihr Gesicht bedeckt wie beispielsweise Sierra Kidd oder DCVNDS , der das Ganze mit seiner Brille karikiert. Gründe, sein Gesicht zu verstecken, gibt es einige, aber darum geht es ja auch gar nicht. Wichtig ist doch die Musik, nicht das Gesicht hinter der Maske – oder? Naja, in einer perfekten Welt vielleicht, in der man Luftblasen pupsend auf Wolke 7 gen Sonnenuntergang schwebt. Es ist kein Geheimnis, dass durch Maskierungen Images kreiert und Hypes heraufbeschworen werden. Oftmals rückt dadurch zweitklassige Musik plötzlich in den Vordergrund oder wird überhaupt interessant. Das Duo Genetikk , das sich aus dem Rapper Karuzo und dem Produzenten Sikk zusammensetzt, zeigt sich in den Medien stets maskiert – läuft auch das hier nach dem gleichen Prinzip ab? " Ich bin so Rap, ich ess' Spaghetti mit der Stimmgabel " – Karuzo auf Triumph D.N.A. ( Hörproben ) steht für Da Neckbreaker Aliens ( hier geht's zur Tracklist ) und erscheint am 21. Juni über Selfmade Records . Via Amazon kann man sich das Album vorbestellen . Zu Features von Sido , MoTrip und Kollegah gesellt sich auch Wu-Tang-Clan -Gründer RZA . Schwarz auf weiß klingt das äußerst vielversprechend – aber das tut der FC Barcelona auf dem Papier auch und gewonnen haben sie die Champions League trotzdem nicht. Vorab: Genetikk mischen auf dem Album altbewährten Straßenrap mit harten aber simplen Beats, geben dazu eine Prise Coolness und würzen das Ganze mit technischer Raffinesse. Entstanden ist ein Album irgendwo zwischen 2Pac und Nate57 , Mobb Deep und Favorite . Klassische Rapresenter wie Spezies oder D.N.A. machen schnell klar, dass sich die beiden Saarländer Genre-typisch für die Besten halten. Die Frage ist, wie man den Maßstab legt. Was macht den besten Rapper aus? In Sachen Punchlines (" Du weißt, ihr kriegt nichts auf die Beine außer Low Kicks " – Karuzo auf A La Muerte ) gibt es sogar auf dem eigenen Label kreativere Künstler, die auch in Sachen Reimtechnik und Storytelling überragen. Flow? Zwar rappt Karuzo solide, aber auch hier ist er nicht Klassenprimus. Was also macht das Genetikk so besonders? " Maske oder nicht – ich bleib' ich/ [...] Ich bin kein weiser Mann, aber ich kann euch versprechen/ Was aus einer Katze kriecht, wird immer Mäuse fressen/ " – Karuzo auf Packets in den Boots
Es ist die lässige Art, mit der die Texte vorgetragen werden. Karuzo s markante Stimme, die vielen Ausflüge in spanisches Sprachgut, sein – verzeiht mir das Wort – Swag, die exakt getimten Reime, der solide Flow und absolut keine Fremdscham in Text und Ton. Man kann das Album D.N.A. im Auto hören und muss an keiner Stelle verschämt das Radio leiser drehen, wenn man mal an der Ampel wartet. Besondere Neckbreaker: Champions , Represent und Alles möglich . " Ich hab' während der Schwangerschaft Mama in den Bauch getreten/ Denn ich wollt' so schnell wie möglich raus, um meinen Traum zu leben/ Damals teilten sich die Zellen schnell/ Heute teilt man sich schnell 'ne Zelle wegen schnellem Geld, schlechte Welt/ " – Karuzo auf Yes Sir
Auch Themensongs wie das großartige Liebs oder lass es mit einem sehr guten Sido -Part oder Strawberry Fields , auf dem Karuzo hörbar sauer über Schwätzer und falsche Freunde abkotzt, überzeugen auf ganzer Linie. Auf Plastik wird dann – zugegeben etwas oberflächlich –  auch Gesellschaftskritik geäußert. Tracks wie Alles möglich oder Du bist weg zeigen dann auch nochmal Karuzo s persönliche Seite. Beattechnisch hält es Sikk originell, aber simpel. Seine Produktionen grenzen sich stark vom 0815-Synthie-Gewummer ab; aktuelle Trends wie Trap-Sounds oder Achtel-Claps sucht man vergeblich. Stattdessen gesellen sich zu harten, trockenen Snares ( Packets in den Boots ) diverse Chöre ( Spezies ), Orgelklänge ( Champions ), Streicher ( D.N.A. ), Oldschool-Sounds ( Yes Sir ) oder einfache Klaviermelodien ( A La Muerte ).  Du bist weg stellt dann allerdings aber auch einen von zwei absoluten Tiefpunkten des Albums da: Durch die verschobenen Claps, die jeweils auf die Offbeats der Schläge zwei und vier gesetzt worden sind, entsteht zwar ein interessanter Rhythmus, den Karuzo auch einwandfrei berappt, allerdings nervt der Rhythmus auf Dauer, da das menschliche Ohr durch jahrelangen Musikkonsum so geschult ist, dass es die Claps auf die zwei und die vier erwartet. In anderen Genres wie beispielsweise Dancehall, Ragga oder auch immer öfter im Pop-Bereich sind versetzte Claps Gang und Gebe – da ist allerdings dann auch die Bass Drum dementsprechend gesetzt. Dass auch für Karuzo der Beat nicht optimal ist, verdeutlicht die gesungene Hook dann umso mehr. Der zweite Tiefpunkt ist der Auftritt von RZA . 2008 erschien sein letztes, teilweise enttäuschendes Soloalbum Digi Snacks – seitdem widmet sich der Martial Arts-Fan vermehrt der Schauspielerei vor und hinter der Kamera. Karuzo und Sikk haben den Amerikaner wohl aus der Rap-Rente geholt und das hört man auch. RZA stolpert sich durch den Beat wie ein betrunkener Storch durch eine Schar von Autoreifen und das Ganze hört sich an, als hätte er seinen Part auf einem komplett anderen Beat aufgenommen. Ein solides Wu-Tang-Clan -Feature stellt man sich anders vor. Auf der anderen Seite überzeugt Karuzo durch seine Raps. Zwar begrenzt er sich reimtechnisch meist auf dreisilbige Reime, allerdings finden diese immer wieder auch rekursiv statt und werden mit absoluter Treffsicherheit gedroppt. Packend vorgetragen boxt sich Karuzo durch die Rapszene – ohne Namen zu nennen – und sorgt dafür, dass auch der Letzte erfährt, dass er den Längsten hat. Inhaltlich geht es neben den battlelastigen Tracks um Rap... nein falsch, es geht um " Raaaaap " ( Champions ), Drogen ( Packets in den Boots ), Rap und Drogen ( Gift ), Aliens ( Outro ) oder der eigenen Kindheit ( Liebs oder lass es ). Außerdem gibt es einige Ausflüge in persönliche Gefilde gegen Ende – für Abwechslung ist also gesorgt, allerdings geschieht das alles im Genetikk -Kosmos. Storytelling über die Chantals und Jaquelines dieser Welt sucht man – zum Glück! – vergeblich. 

Fazit:

Genetikk liefern mit D.N.A. ein innovatives und in sich stimmiges Album mit überdurchschnittlich anspruchsvollen Battlerap-Texten ab. D.N.A. fällt inhaltlich zwar als eher leichtere Kost aus, entertaint aber auf vielen Ebenen. Allen, denen Cro zu sehr Hipster, Capo zu sehr Azzlack und EstA zu deutsch ist, bekommen mit D.N.A. den perfekten coolen Sound für den Sommer. Bis auf RZA zeigen sich die Features alle von ihrer besten Seite und fügen sich hervorragend ins Gesamtbild ein. Den originellen Klangteppich von Sikk s simplen, aber kraftvollen Bretterbeats weiß Karuzo überwiegend gut zu nutzen. Technisch versiert zeichnet er dem Hörer ein Bild seiner Welt in den Kopf, während Sikk mit seinen Beats Gehirnwäsche betreibt. D.N.A. bedeutet Entertainment im großen Stil – und dazu gehören sowohl Maskierung als auch Vermarktung und Videoproduktion. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass auch hier Masken als pushendes Element genutzt werden, im Falle von Genetikk aber steckt hinter der Promomasche auch gute Musik!

Bewertung:

Beats: 7 von 10
Texte: 7 von 10
Features: 8 von 10
Flow: 7 von 10
Insgesamt : 7,25 von 10
Kategorie
Artist

Groove Attack by Hiphop.de