Big Sean legt mit "Dark Sky Paradise" den Hebel um
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Was zur Hölle ist mit Big Sean passiert? Dark Sky Paradise zerreißt alles in der Luft, was in den letzten Monaten den Markt betreten hat. Mit seinem dritten Studioalbum und einer 8-Tage-Woche in bester Beatles-Manier schafft es Sean tatsächlich noch, das Ruder seiner Karriere in die richtige Richtung zu drehen bevor es zu spät wird. Wenngleich er etwa für eine Handvoll Sommerhymnen und Clubtracks der letzten fünf Jahre verantwortlich war, fragte man sich doch regelmäßig, was den allmächtigen Yeezus dazu bewegt haben könnte, "den dünnen Jungen" (Shoutout to Jan Böhmermann) unter Vertrag zu nehmen. Zwischendurch hatte man den Eindruck, Kanye stellte sich genau die selbe Frage: Als 2013 das zweite Album Hall Of Fame so hart floppte wie das Sequel zu Bruce Allmächtig, ließ er sich weit und breit nicht blicken, als sei es ihm fast schon peinlich, damals so sehr daneben gelegen zu haben.

Damals, 2005. Detroit. Als der dünne Junge die einzige Chance seines 17 Jahre jungen Lebens ergriff – den "one shot, one opportunity to seize everything you ever wanted", wie sein Lokalmatador Eminem so schön gesagt hatte. Vor der Tür einer Radiostation gab ihm Yeezy 16 Takte Zeit, ihn zu überzeugen. Zwei Jahre Bedenkzeit später steht Big Sean bei GOOD Music unter Vertrag. Doch erst zogen einige Jahre und mehrere Mixtapes ins Land, bevor Seandon von der Leine gelassen wurde. Nachdem Kanye die Rapszene mit Graduation und seinen Lebenswerken 808s and Heartbreak und My Beautiful Dark Twisted Fantasy in die poppigste Schiene lenkte, die die Kultur je erfahren hatte, schickte er endlich seinen neuen Zögling in die Welt. Das passte stilistisch schon sehr gut – Sean weiß, wie man mit Melodien umzugehen hat, dafür weniger mit Knarren und Crack. Trotzdem funktionierte es irgendwie nicht wie gewollt. Dance (A$$) und My Last liefen in Clubs weltweit auf und ab, aber kulturelle Tragweite: Fehlanzeige. Produktion, Flows und Hooks waren ja eigentlich immer on point. Vielleicht hat Weezy Recht, wenn er auf Deep rappt, dass Sean die "Tattoos und Gangsigns" fehlen. Vielleicht ist er einfach zu soft und langweilig?

Vielleicht passierte auch einfach genau das richtige letztes Jahr, als seine damalige Verlobte Naya Rivera ihn medienpräsent sitzen ließ um am Hochzeitstag lieber jemand anderen zu heiraten (ein Paradebeispiel, warum Gossipknowledge für die musikalische Entwicklung durchaus wichtig sein kann!). Die Energie, die I Don't Fuck With You im dünnen Jungen entfacht hat, versetzte offenbar Berge. Selbst Kanye hat plötzlich die Lust gepackt, den typischen Mustard-Beat nochmal soultechnisch zu regulieren. Platin an der Wand und die Tatsache, dass Justin Bieber mit dem gleichen Beat wahrscheinlich nicht erfolgreicher als Sean gewesen wäre, sprechen für sich. Doch Sean ließ nicht locker. Plötzlich lieferte er ab wie als hätte jemand eine Duracell in seinen Rücken gesteckt. Paradise und seine Parts auf dem Detroit-Posse-Cut und B-Boy waren nur die freundliche Vorbereitung auf das Album. Spätestens seit Blessings die Blogs und Soundcloud heißlaufen ließ, wussten wir, dass uns mit Dark Sky Paradise auf jeden Fall das beste Sean-Release erwartet. Das letzte Mal, dass wir 'Ye und sein musikalisches Spermium Drake auf dem gleichen Track gehört haben, ist immerhin ganze sechs Jahre her. Dass uns vielleicht noch das Jahrhundertalbum in Form einer Kollabo der beiden erwartet, verriet Kanye diese Woche mal nebenbei bei Charlamagne und Envy.

Am Release-Tag nahm dann Sean genau dort Platz um zu deklarieren, dass er sich selbst in der gleichen Liga wie die Fackelträger-Generation Kendrick, Drake und J. Cole sieht. Warum auch nicht? Die Frage, ob Sean den Billboard-Explosionen von Drake und Cole standhalten kann, sei mal außen vor gestellt. Aber einmal Dark Sky Paradise durchgehört, kann man eigentlich gar nicht so viel dagegen einwenden. Während All Your Fault schon im Februar als Brett des Jahres gehandelt werden kann, erfindet Sean auf der Reise von "My grandma just died, I'm the man of the house" bis hin zu "I sip the kamikaze while I bend the body" eine ganze Reihe neuer Maschinengewehr-Flows. Thematisch bleibt er sich durch alle musikalischen Fassaden stets treu: Detroit ist eine ziemliche Scheißstadt, das hat sich seit der Slim Shady LP immer noch nicht geändert – ansonsten schafft es Big Sean dieses Mal, Herzschmerz und cleveres Braggadocio nicht zu schnulzig oder poppig zu verpacken. Stattdessen hört es sich wie eine Kreuzung zwischen Travi$ Scott und Drake mit einer kleinen Prise vom frühen Lil Wayne an – und weil dieser Vergleich echt seltsam ist, sollte sich jeder selbst ein Bild von Dark Sky Paradise machen. Es lohnt sich. Alleine schon, um am Ende des Jahres mitreden zu können, wenn es um die besten Alben geht.

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Aria Nejati

Autoreninfo

Aria Nejati ist seit 2013 Teil des Hiphop.de-Teams. Neben seinen Artikeln und Reviews interviewte er schon US-Rapstars von 50 Cent über Ryan Leslie bis hin zu ScHoolboy Q.
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