Toxik vs Casper: Wer braucht den Rap-Retter in Röhrenjeans?
Casper s Album ist auf Platz Eins der Charts eingestiegen. In der ersten Woche hat XOXO  mehr verkauft, als Bushido s diesjähriges Album im selben Zeitraum, wie Casper die Welt wissen ließ.  Four Music hat ihn zum Major-Artist gemacht und die Investition hat sich ausgezahlt. Wichtiger für Hiphop, als ob von den 81 Millionen Deutschen 1000 mehr oder weniger Geld für das Album ausgegeben haben: jeder scheint XOXO zu mögen. Der Musikexpress vergibt fast Bestbewertung. Rhymin Simon schreibt bei rap.de "ich liebe Casper ". Deutschlands größter Radiosender Einslive vergisst, dass er eigentlich Rap boykottiert. ZDFKultur berichtet live vom Splash und bringt dem Volk " Casper , Marteria , Public Enemy und K.I.Z. " näher - nach Relevanz geordnet. Intro.de spricht vom "perfekten Album", "Rap 2.0" und dem "radikalsten[n] Werk dieser Szene". Die Süddeutsche Zeitung läd den "talentiertesten Rapper Deutschlands" zum Interview. Die Zeit nennt ihn "Die Rettung des deutschen Hip-Hop", er sei "als Messias auserkoren". Die Juice macht Casper zum Titelthema, er sollte "ein ganzes Genre aus dem Schlummerschlaf erwecken" und erschuf "das zukunftsfähigste, genreübergreifendste Künstlermodell [...], das unsere Subkultur aktuell hergibt". Die Szene jubelt: wir müssen uns nicht mehr schämen, wir können wieder stolz sein, Hiphopper zu sein, dank Casper und seinem Indie-Rock-Album! Casper wird seinen Stil nicht entwickelt haben, um sich dem Mainstream anzubiedern. Auch wenn das Album bei Four Music von vornherein darauf ausgelegt war, deutlich mehr als die Rap-Szene zu erreichen. Sie haben aus ihm Casper den Pop-Star gemacht, aber Casper war er schon vorher. Das einst von den Fantastischen Vier gegründete Label weiß besser als jedes andere, wie groß die Zielgruppe wird, wenn man von Rap nur das nimmt, was man braucht und die Szene ansonsten auf Distanz hält. Die Presse braucht Ansatzpunkte, um lobende Artikel mit "XYZ ist zwar Rapper, aber trotzdem..." anfangen lassen zu können. Dann klappts auch mit den Radio- und Zeitungsplatzierungen.
  Dass das Album mitreißend und umwerfend, anspruchsvoll, innovativ und individuell ist, kann man so stehen lassen. Inwiefern Casper als Aushängeschild und Vorbild der Rap-Szene taugt, ist eine andere Frage. Was er da musikalisch macht, klingt für uns eben wie Indie-Rock-Pop mit Rap-Vocals. Er rappt nicht, er singt, finden viele. Er sieht wie ein Emo aus und sagt , dass er "Post-Rap" macht, was eine Weiterentwicklung von Rap sein soll, eine höhere Evolutionsstufe. Was genau haben also andere Rapper davon?, fragte uns letztens ein Rap-Manager. Es macht doch niemand solche Musik wie Casper , die anderen machen "nur" Rap. Als einst die Beginner alle Augen auf sich zogen, hätten auch Samy Deluxe , Afrob und Ferris MC davon profitiert. Wer profitiert von Casper s-Hype außer Casper ? [Weiter: Was hat das mit Rap zu tun? ]

Was hat das mit Rap zu tun?

Was macht Casper da? Rap? Indie-Rock? Pop? Crossover? Das leidige Thema und die Savas -Frage "was hat das mit Rap zu tun?" Man könnte es mit Casper  sagen: "Vom technischen Anspruch her ist es eine Rap-Platte, aber vom Musikalischen her ist es sehr weit entfernt von einer Rap-Platte. In jedem Fall ist sie ein Ergebnis der letzten zwei Jahre auf meinem iPod." Aber Casper hat ja auch keine Ahnung von seiner Musik. Von ihm stammt ja auch der Satz: "Im Mainstream sehe ich die Platte überhaupt nicht" (Beides aus der Juice ). In der Zeit steht, was Casper will: "Weg vom klassischen Rap-Entwurf, hin zu einem Hip-Hop, den man anhören kann, ohne dass es einem peinlich sein muss." Das weckt ja erstmal Antipathie und Verteidigungswillen bei einem stolzen Hiphopper. Eine Erklärung für Casper s Vorhaben zitiert der ehemalige Juice -Chefredakteur Davide Bortot im Musikexpress : "Niemand hier hat als Kind Aretha Franklin und Marvin Gaye gehört. Es gibt in Deutschland ganz andere kulturelle Hintergründe." Das Gegenstück zu den Soul-Samples der Amerikaner ist im Fall des ehemaligen Sängers der Hardcore-Gruppe Not Now, Not Ever vereinfacht gesagt der Gitarreneinfluss . Genauer gesagt sind es Mannie Fresh , Fiend , Jack Beauregard The xx , Explosions In The Sky , Wolves In The Throne Room , How To Dress Well , Tyler, The Creator , The Smiths , Morrissey , Tocotronic , Waka Flocka Flame , Joy Division , Blumfeld , Fehlfarben Slime ,... oder so. Aus all dem, was ihn umgibt, wollte  Casper  Hiphop machen. Richtiger kann ein Ansatz nicht sein. 2008 behandelten wir auf Hiphop.de  den Trend der zerfallenden Genregrenzen in zwei Artikeln: Hipster Rap und Hiphops Zukunft? Electro Rap . "Vielleicht schaffen wir es mit dem aktuellen Trend ja zu eigenen Stilrichtungen, statt deutschsprachigen Adaptionen", war damals unsere Hoffnung. So wie es in England Grime gibt, eine Musikrichtung, die aus der Kollision von amerikanischem Rap und britischem Garage entstand, könnte ja auch Deutschland eine eigene Rap-Version bekommen. Hat das geklappt? Bislang nicht. Die Atzen , Marteria und Casper haben keine neuen Genres begründet, sie stehen für sich allein. Trotzdem unterscheidet sich ihre Musik von den Crossover-Songs der Neunziger, die einem manchmal jede Hoffnung nahmen, dass Rap auf etwas anderem, als einem klassischen Hiphop-Beat gut klingen könnte. "Crossover ist der Feind" hieß ja die Casper s Maxime im Studio. Erfolgreich umgesetzt? Casper hat das Album nicht allein aufgenommen. Dass Crossover im Studio der Feind war ist lustig, der Executive Producer von XOXO , Steffen Wilmking , ist der ehemalige Drummer der Crossover-Gruppe Thumb . Er hat drei Songs selbst produziert. Daniel Schaub, der auch schon für Lena gearbeitet hat, war ebenfalls extrem wichtig, aber auch Biztram , den man von Royal Bunker oder als Prinz Pi -Hausproduzent kennen muss, war dabei. Mit Dexter und Joshimixu sind zwei weitere Hiphop-Produzenten dabei. Beim Mischen hat dann unter anderem auch Stickle geholfen. Außerdem wurden Gitarren, Bässe und Keyboards gespielt. Die Mannschaft zeigt: XOXO ist Hiphop, aber nicht nur. Man kann Casper nicht vorwerfen, dass er einfach nur auf Indie-Rock rappt (selbst wenn, wäre das schlimm??). Auf und Davon ist ein Hiphop-Beat, Blut Sehen sowieso. Man kann aber auch nicht sagen, dass XOXO der gängigen Definition von Hiphop-Musik entsprechen würde. Was ist die Definition überhaupt? Das Sechzehner-Hook-Sechzehner-Arrangement ist Rap-üblich, aber kein Zwang. Zuallererst ist Hiphop-Musik elektronisch. Dass man Hiphop auch mit Instrumenten machen kann, ist aber landläufig akzeptiert. XOXO verwendet elektronisches Produzieren, mal ein Sample und eingespielte Instrumente, so wie es heute in jedem Genre üblich ist. Genre-prägend waren außerdem mal Breakbeats und Loops. Rap-Beats sind heute aber mehr als ein Loop plus Intro, Outro und Hook, obwohl der repetitive Charakter meist erhalten geblieben ist. Bei Casper tritt er stark in den Hintergrund. Damit man es Rap-Musik nennen kann, müsste jemand rappen. Spätestens seit den 2000ern darf man beim Rappen auch Melodien verwenden und Richtung Gesang changieren. Was Rap dann noch von Gesang unterscheidet, ist die hohe Silbenanzahl und die Menge an Reimen. Was das angeht, rappt Casper . Punkt. Man kann sagen, dass Casper Rap-Technik weiterbringt, indem er beim Texten fremde Einflüssen einbringt. Wenn er sich die Wie-Vergleiche verbietet, entsteht Platz für Neues. Er ist auch weniger direkt, als man es von Rap gewöhnt ist, er bleibt metaphorisch, vage, abstrakt. Rap sollte direkt bleiben, es schadet aber nicht, sich klar zu machen, dass ein Song über's Feiern nicht "Ich bin im Club" und einer über Liebeskummer nicht "Liebeskummer" heißen muss. Wie so viele Hiphopper, ist Casper auch von anderen Szenen beeinflusst worden, aber er ist Hiphopper. Selbst wenn er auf XOXO maximal trotzigen Kampfgeist beschreibt, aber nie den Swag aufdreht. Er macht melancholische, introvertierte Musik, das ist im Rap eher selten, aber durchaus Hiphop. Selbst wenn er den Emos und den veganen Hardcore-Punk-Skatern ebenso ähnlich ist wie uns. Und gefühlt? Gefühlt ist das kein Hiphop. Auch wenn es ein Hiphopper macht. Aber GUT, das ist es. Auch für einen Hiphopper. Das wenig überraschende Fazit: XOXO ist am äußeren Rand von Hiphop, mit halbem Arsch darüber hinaus. Hiphop ist nicht XOXO , aber XOXO ist Hiphop. Bleibt die große Frage, was uns das bringt. [weiter: Selbsthass ]  

Selbsthass

Wieso muss man heute mit Band auftreten, Gitarren einarbeiten, Techno-Remixe anbieten und mit simplen Reim-Schemata singen, um gute Musik zu machen? Kool Savas , dessen öffentlicher Kleinkrieg mit Casper wahrscheinlich einfach auf eine unterschiedliche Definition von Rap-Musik zurückgeht, schrieb letztens auf Twitter "Der chefredakteur eines Hip Hop Magazins unterscheidet zwischen Rap und "guter Musik". Das war's dann wohl." Wobei wir den Kollegen von der Backspin eher so verstanden haben, dass XOXO   zwar kein Rap-Album, aber einfach gute Musik sei. Nicht nur Savas hat das Gefühl, dass man in der Meinung vieler entweder Rap oder anspruchsvolle Musik machen kann. Das ist eine Meinung für den Rest der Welt, aber zumindest wir sollten doch eine bessere Meinung von uns haben. Dass sich deutscher Rap nicht mag, ist nicht neu. Journalisten profilieren sich damit, nur [denk dir hier irgendwas möglichst Anspruchsvolles] zu hören. Unter jedem Song, Video oder Artikel schreibt mindestens einer, wie peinlich die Protagonisten wären. Deutsche Rapper mochten jahrelang keinen deutschen Rap, außer ihrem eigenen. Sie sagen in Interviews, sie könnten niemandem erzählen, was sie beruflich machen. Dendemann gibt Hiphop.de keine Interviews, weil er mit Hiphop nichts zu tun haben will. Bushido kam auf die Badewiese und meinte, wir wären alle scheiße, Savas beendete die Karrieren von Ikonen. Und jetzt sagt Casper , dass er generell nichts von Songs mit dem klassischen Sechzehner-Hook-Sechzehner-Schema hält. Hat die Szene mit der größten Fresse die größten Komplexe? Ein großer Teil Deutscher Rap ist wirklich so gemacht, dass er maximal dem Protagonisten plus 100 Freunden gefällt. Aber Rap ist ja auch mindestens so sehr zum Machen , wie zum Anhören gedacht. Und es gibt so viel davon, dass es völlig sinnvoll ist, wenn jede Crew ihren eigenen Soundtrack hat. Dieses "Problem" der vielen Aktiven und wenigen Konsumenten gibt es ja nicht mehr nur im Hiphop. In der Süddeutschen Zeitung sagt der Buch-Autor Gary Shteyngart "Es gibt immer weniger Leser, aber immer mehr Autoren. Ein wunderbares Missverhältnis von Angebot und Nachfrage." Das kommt einem doch bekannt vor. "[Die USA] sind ein Land, das an self expression glaubt. Lesen ist als passive Aktivität verpönt. Man will der Held im Videospiel sein. Der, der die Leute abknallt." Hiphop ist über-amerikanisch. Wir glauben an "self expression". Rap hören ist als passive Tätigkeit verpönt. Man will im Song der Held sein. Der, der alle fickt. Nur dass vielleicht "jeder" ein Rap Star werden kann, aber ganz bestimmt nicht wir alle. Also hat eben jeder seinen eigenen Song. Die Idee von Hiphop war nicht, dass einige wenige das Glück haben sollten, mit massentauglicher Musik Millionäre zu werden, sondern dass sich jeder so individuell wie möglich ausdrücken soll. Sich selbst Auszudrücken, ist nichts, wofür man bezahlt werden muss. Immerhin sind wir uns mit dem Rest Deutschlands einig: Hiphopper sind die Schmuddelkinder in der Pop-Welt, sie sind beschränkt und lächerlich. Sie versuchen wie Schwarze zu sein oder sind sogar Kanaken. In Ordnung sind Hiphopper eigentlich nur, wenn sie sich von Hiphop entfernen, wie Max Herre , Dendemann , Clueso oder Jan Delay . Oder Casper ? [Weiter: Rap löst sich auf ]

Rap löst sich auf

Nicht nur, dass sich deutscher Rap irgendwie noch nie mochte, jetzt ist auch noch Hiphop tot! Nas hat das festgestellt als geistige Werte und musikalische Ansprüche gegen eine gemischte Tüte Weingummi getauscht worden waren. Schlimmer: nachdem sie es bis an David Beckham s Arsch geschafft hatte, verschwand auch die Baggy aus der Öffentlichkeit - Hiphopper sehen seitdem wie alles Mögliche aus! Musikalisch ging ja auch gar nichts: " Tot. Toter. Hiphop. " schrieb die Süddeutsche Zeitung noch Anfang 2010, als wären Kanye West und Lil Wayne damals nicht neue Megastars gewesen während Pi mal Daumen 25 elektronische Genres von Hiphop inspiriert wurden und die Black Eyed Peas die angesagteste Pop-Gruppe waren. Der Autor deutete die Vermischung mit anderen Genres als Auflösung und die verbliebenen klassischen Rapper wie Jay-Z (oder Kool Savas ) als Auslaufmodelle. Auch Die Welt beantwortet in ihrer XOXO -Review die Frage, was diese "Mischmasch-Musik" über Hiphop sagt: Rap löst sich im Mainstream auf und wird verschwinden. Da fragt man sich, ob Indie Rock und Electro nach der Argumentation nicht schon Humus sein müssten. Richtig ist natürlich, dass Indie eine einigermaßen neue Rock-Richtung ist und Electro eine neuere House-Variante. Falsch ist, Rap in der Rechnung nicht den Status von Rock und House zu geben. Rap stirbt nicht, Rap ist in Stein gemeißelt, wie Rock'n'Roll und Techno/House. Unter "Rap/ Hiphop" kannst du auf dem PC Unterordner aufmachen, wie du es auch mit deinem House- und deinem Rock-Ordner tun kannst. Hat Hiphop zurzeit neue Subgenres zu bieten?  Süddeutsche Zeitung vom 19. Juli 2011:  "der Low-End-theory Club gilt als Vatikan der Laptop-Tüftler [...] Er ist Heimatclub von DJ-Genies wie Flying Lotus . Die Liste der Gäste reicht von Thom Yorke von Radiohead bis Odd Future ." Der Instrumental-Hiphop-Club ist "Keimzelle der zeitgenössischen Pop-Avantgarde". Hiphop, nicht Electro, als innovativste elektronische Musikrichtung, sieh mal einer an. "Wo Afroamerikaner und Weiße, Latinos und Asiaten gemeinsam die Zukunft der elektronischen Musik vermessen." XOXO. Und Deutschrap? Natürlich haben Farid Bang , Haftbefehl und Nate57 Neues auf die Karte gebracht, aber das ist alles "nur" guter Straßenrap.  Wir haben "nur" Marteria mit seinem UK-Elektronik-Einfluss, Frauenarzt , mit seinem Ballermann+Electro-Stil und Casper mit der Indie-Rock-Band. Popstar Sido sucht noch seinen neuen Style, Bushido tritt künstlerisch auf der Stelle, Samy macht Raggae mit politischen Aussagen auf Tigerentenclub-Niveau und Kool Savas bringt weiterhin das Rap-Äquivalent zu meisterhaften Gitarrensoli. Die letzte Revolution ist tatsächlich ein paar Jahre her und Deutschland haben wir noch nicht verändert. Hilft da jetzt Casper mit seinem neuen Album? Wohl kaum. Casper wird viele Türen öffnen, aber alleine durchgehen. Wer auch immer sich hinter ihm durch die Tür drängen will, wird zu hören bekommen, dass er mit seinen Schuhen leider draußen bleiben muss. Sich Casper anzupassen, würde nicht helfen, natürlich kann, muss und darf nicht jeder Musik wie Casper machen. Dann wäre Hiphop mindestens suizidgefährdet. Es darf sich nicht mal jeder auf seine Art soweit vom klassischen Rap-Schema entfernen, wie Casper . Dann hätten die Weltuntergangs-Gläubigen doch noch Recht, die musikalische Vielfalt als Auflösung des Genres zu verstehen. Was Casper deutschem Rap geben kann, ist ein positives Beispiel, originelle, anspruchsvolle Musik zu machen. Er hatte nie vor, der Außenminister der Rapszene zu werden. Er wollte etwas individuelles, etwas neues schaffen, nicht deutschen Rap in seiner Person vereinen. Wenn man ihn zum Heilsbringer machen will, kann das nur schief gehen. Und doch ist er alles andere als alleine. [Weiter: Die deutschen Hipster-Rapper]

Die deutschen Hipster-Rapper

Was Casper macht, ist nicht vom Himmel gefallen. Die neue Generation ist mit Rock- und Electro-Einflüssen "groß geworden", kennt die Sonne-Mond-und-Sterne-Emotionalität von Kanye West und Kid Cudi , hat einen anderen Ansatz, als sich Texte schreiben zu lassen und auf der Bühnen die Landesfahne zu hissen. Montez , den Hiphop.de dieses Jahr mit der Juice zum aussichtsreichsten Newcomer wählte, ist so jemand. Er ist nicht der Einzige und durch Casper s Nummer-Eins-Album werden weitere dazu kommen. Der bedeutendste Pop-kulturelle Trend der letzten Jahre ist das Hipstertum. Rap ist von diesem Phänomen genauso erfasst worden, wie der Rest der Pop-Welt. Schließlich ist Hipster keine eigene Szene, es ist ein Stil, der sich gerade dadurch auszeichnet, Grenzen zu ignorieren. Die meisten Songs auf ihrem Handy sind mit "Indie Rock" getaggt, gefolgt von "Electro". Kein Wunder also, dass deutscher Rap einen Electro- und einen Indie-Rock-Rapper bekommen hat. Beide wurden auf Four Music gesignt und für den Mainstream aufbereitet: Marteria und Casper . Eigentlich könnte man über Marteria auch all das sagen, was oben über Casper steht. Beide haben sehr gute Alben vorgelegt, man kann ihnen und ihrem Label dankbar sein, dass sie einen weltweiten Trend auf optimale Art nach Deutschland gebracht haben. Beide haben einen weltweit einzigartigen Style. Rap-Musik bestand in seiner Ur-Form aus Samples anderer Musikrichtungen, es ist ihre Natur, Einflüsse aufzunehmen und zu verarbeiten. Das haben wir hier immer gelobt und gehofft, dass Künstler von der Qualität eines Marteria s oder eines Casper s die Gunst der Stunde nutzen. Da kann man nur Beifall klatschen, gute Arbeit! Doch wer Angst hat, dass Deutschrap jetzt im Mainstream angekommen ist und man sich als Hiphopper nicht mehr von der ekelhaften Masse unterscheidet, kann beruhigt sein: auch im Casper -T-Shirt wirst du verachtet. [ Weiter: Die Welt hasst uns immer noch ]

Die Welt hasst uns immer noch


Während in den vergangenen Jahren immer von den "bösen Buben" geschrieben wurde, vor denen man sich die Angst nahm, indem man sie lächerlich machte, heißt Casper s Artikel in der Welt zwar "So ein netter Junge!" , die zweite Überschrift allerdings " Casper gilt als deutsche Hip-Hop-Hoffnung - und taugt doch nur für das gute Gewissen der Eltern" . Casper s schwarzer Block im Video hat für die Autorin nicht mehr "politisches Potenzial" als "das Tragen eines Palästinensertuchs von H&M ". Nun ja, so ist das eben mit Alben, die auf die Eins gehen: Sie sind Pop, nicht Punk. Nahezu nichts in der Top 10 hat jemals künstlerische Relevanz oder erwähnenswerten Inhalt. In diesem Vergleich macht Casper eine gute Figur. Er ist immerhin das Palästinensertuch im H&M ! Auch sie hätte sich vielleicht in Michael X wiedererkennen können und Casper dafür geliebt. Aber Casper ist ihr zu sensibel, zu brav, zu weiblich, zu lieb. Dabei steht er tatsächlich für die aktuelle Generation der Jugend. Die Herzschmerz-Emo-Attitüde, das "voll schöne" Gruppenkuscheln, die Hipster-Art, betont uncool zu sein, all das, was in der Welt -Autorin den Hass anheizt, hat Casper nicht erfunden. Vielleicht ahnt und fürchtet sie das schon, wenn sie schreibt, dass Casper s Erfolg ein "besorgniserregendes Licht auf die Jugend" wirft. Eigentlich meint sie die aktuelle Jugend, wenn sie Casper aus den gleichen Gründen zerfetzt, wie Rap-Fans, die ihn im Internet als "schwulen [dein Schimpfwort hier]" beleidigen. Zynisch bilanziert sie schließlich: "Ein Land, das eine derart konservative Jugend hat, braucht sich keine Sorgen um die Zukunft der bürgerlichen Parteien zu machen." Vielleicht hasst die Frau von Welt gar nicht Rap, sondern hört zuhause Favorite und das Mietwagentape . Zumindest hätte sie mit ihrer mutigen Meinung einen Platz in jedem anständigen Hiphop-Medium. Auch manche anderen mögen Casper wenig. Im Boulevardblatt B.Z. , das ebenfalls zum Axel Springer -Verlag gehört, vergleicht ihn mit einem Butterkeks, der ein "harter Kanten" sein möchte. Dass Urteil zeigt, dass die Autorin maximal fünf Minuten mit halbem Ohr zugehört hat und sich von der künstlichen Brüllstimme gestört fühlte. Irrelevant. Der Focus meint, " Casper hat mit seinem Album ' XOXO ' einen ersten Trampelpfad angelegt – auch, wenn er ihn selbst noch nicht ganz abgeklärt beschreitet. Aber das Album? Ist es denn nun gut? Nein. Noch nicht richtig." Ein Trampelpfad zu nachdenklicherem Rap soll es sein, der nicht so dumm ist, wie der aktuelle (der ja bekanntlich nur aus Bushido besteht). Immerhin. Spiegel.de ? "Deutscher Rap, geeignet für die Indie-Disco? Igitt, meint  Jan Wigger , bescheinigt dem Bielefelder HipHop-Nachwuchs Casper aber immerhin das Talent, schön schlechte Laune zu erzeugen." Gut, das sollen die Indie-Discos selbst entscheiden, aber die schöne schlechte Laune erzeugt XOXO wirklich. Auch wenn der neue Rap-Star konservativ rüberkommt, Hiphop hat als rebellische Musikkultur alles richtig gemacht, so viel Hass wie uns entgegen schwappt. Der erhobene Mittelzeigefinger wurde wahrgenommen! Deshalb wurden wir Jahrzehntelang nicht ernstgenommen und dann, als wir auch im Mainstream angekommen waren, für tot erklärt. Respekt bekommen Musikkulturen immer erst in den Rückblicken, von den gleichen Leuten, die sie früher "peinlich" und "kindisch" oder "niveaulos" und "gefährlich" fanden. Wir brauchen nicht gerettet zu werden und Casper wollte nie ein Retter sein. Er hat die Idee von Hiphop perfekt umgesetzte, auch wenn kein Hiphop dabei rauskam. Er hat eine Menge was in der Luft lag in eine wunderschöne Form gegossen. Das wird ja wohl reichen, um ihn zu feiern. Fürs erste ist Rap, was er schon 1979 war: ein bunter Eintopf von allem was cool ist. Das Gute nehmen, das Schlechte weglassen und Rap oben drauf packen. Fertig! Ist doch schön! Wenn Casper s Stil wirklich etwas ist, dass über unsere eigene Welt hinaus Relevanz hat, umso schöner. Wenn nicht... wen interessierts? Eigentlich ist es schon beeindruckend, dass sich deutscher Rap von Frauenarzt , über Haftbefehl , zu Kool Savas und dann bis Casper strecken kann, ohne komplett zu reißen. Es gibt sogar Einige, die alle vier genannten Artist feiern. Manche hören dann sogar noch ODFWGKTA , Wiz Khalifa und Sonntags Jeru the Damaja . Die gute alte Unity könnte man wirklich öfter aus dem Schrank holen, wie wir in unserem "Wo sind all die Werte hin"-Gespräch mit Azad dieses Jahr feststellten. Stolz wäre auch cool, man könnte sich doch öfter mal Hiphopper nennen, anstatt mit Indie-Rock-Sachkenntnissen oder der Rassenangehörigkeit anzugeben. Aber vor allem haben wir zurzeit Vielfalt. Wir haben künstlerisch anspruchsvolle Pop-Acts, wie die beiden guten Jungs vom Fanta-4-Label, wir haben Technopiloten wie die Atzen , die den Ballermann bestrahlen, aber auch Leute wie Favorite und Farid Bang , die mit sauberem Rap erstmals neu in die Top Ten gingen. Wir müssen Casper also gar nicht auf ein Schild heben, ihn als Harry Potter gegen den Voldemort von ersuterjunge ins Feld schicken und zum ersten mal seit Jahren wieder laut "ja, ich höre Rap!" sagen. Wir sollten Casper einfach für gute Musik und neue Ideen feiern und anerkennen, dass er bei allem was er tut, immer noch Hiphop ist, genauso wie Public Enemy , Jay-Z , Lil B und Kool Savas und vielleicht sogar leider auch irgendwie all die Jungs mit ihren Ghostwritern. Wir sind der Grund, dass dir deutscher Rap peinlich ist. Rap will sehn, dass du Scheiße frisst. toxik
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Groove Attack by Hiphop.de