OK Kid: "Hiphop führte immer in Nischen" [Interview]
Es ist der letzte Gig der kleinen Vorstellung-Tour des Hauses Four Music und die drei Wahl-Kölner Jonas , Raffi und Moritz geben zu, etwas fertiger zu sein als gedacht. Kurz vor ihrem Gig verkrichen wir uns in den kleinen Backstage-Raum unter die Bühne des CBE und sprechen über Veränderung. Davon, dass sich mit dem Alter Ängste vor Pop- und Genre-Scheuklappen abbauen, Alkohol ein böser Geist sein kann und Seelenstriptease bei melancholischen Texten nicht zwangläufig vollzogen werden muss.
Das Tourleben hat doch mehr geschlaucht als angenommen. Wieso ist das so? 
Jonas: Wir sind gerade dabei auch auf Promotour und haben täglich viele Interviews und spielen nebenher viel. Zum Beispiel haben wir für das ZDF Bauhaus gespielt, was krass ist, weil wir da eine Stunde spielen mussten und uns natürlich sehr gut vorbereitet haben. Und letztendlich ist dann doch jeden Abend Feiern angesagt. Das ist auch geil, wird bei einer größeren Tour aber bestimmt anders werden. Jetzt gerade genießen und begießen wir die Zeit.  Wie sehen eure Tourvorbereitungen so aus? 
Raffi: Das ist zwar unsere erste Nightlinertour, aber die geht nicht drei Wochen. Für uns war nur ein bisschen anstrengend, dass neben Fourabend-Tour und ZDF Bauhaus noch sehr viele Promotermine anfallen. Wir freuen uns drüber und machen das gern. An Tagen wie diesem, der komplett vollgepackt ist, merkt man schon, dass es doch mal anstrengend wird. Außer Proben gibt es darauf keine wirkliche Vorbereitung. Jonas und ich haben uns vor einigen Wochen mal nach einem Konzert der Orsons getroffen und unterhalten. Da sagtest du mir, dass eine bestimmte Ungewissheit herrscht, was und wie das alles funktioniert. Wie hat sich das in den letzten Wochen entwickelt? 
Jonas: Langsam geht es aufwärts und uns kennen immer mehr Leute. Ich finde es aber falsch, von einem krassen Hype um uns zu reden. Die Leute, die das Album bislang gehört haben, haben positive Resonanz gegeben. Es haben aber im Moment nicht so viele Menschen gehört. Es fühlt sich gut an. Über einen Major zu releasen hört sich für Viele groß an, aber wir haben keinen Druck und keine riesigen Chartserwartungen. Nur noch auf Charts zu gucken ist komisch. Auch im Rap redet jeder zweite über Charts, wir wollen lieber über das Album und den Inhalt reden! Natürlich wollen wir, dass Leute das Album feiern. Aber das Ding ist nicht dazu gemacht, die Charts zu stürmen.
Moritz: Deswegen fühlen wir uns bei unserem Label auch sehr wohl, weil Four Music dafür bekannt ist, Künstler langfristig aufzubauen und nicht irgendeinen Schnellschuss zu machen. Wie viel Jona:S steckt noch in OK Kid? Das Intro in der Mitte des Albums zeigt ja auch einen Break.  
Jonas: 3/7 der Anfangsformation.
Raffi: Es ist nicht so, dass wir gesagt haben, dass es einen Cut zwischen Jona:S und OK Kid geben soll. Es war nicht die Idee eine neue Band zu gründen. Wir haben den Namen gewechselt, weil wir Änderungen in der Besetzung hatten. OK Kid ist soundmäßig die logische Entwicklung.
Jonas: Ich kann verstehen, wenn Leute die alten Sachen nicht so feiern, wie die neuen, weil's noch nicht da war. Wir wussten, dass sich das noch entwickeln wird. Aber es gab auch ein paar Sachen, da würde ich meine Unterschrift heute nicht mehr so drunter setzen. Es war für seine Zeit mit den Möglichkeiten damals geil, aber musikalisch und von der "Ausdefiniertheit" noch nicht so wie jetzt. Es gibt jetzt nicht mehr dieses: 'Das ist schon cool, kann man so machen, aber…' , weil wir uns ein Jahr Zeit genommen haben das so zu machen, wie wir es perfekt haben wollen. 

Produzenten, Bandknatsch und Songwriting-Camps  

  Inwiefern haben die beteiligten Produzenten damit zu tun?  
Raffi: Robert und Sven waren unsere Wunsch-Produzenten. Der maßgebliche Faktor war aber wirklich die Zeit. Wenn man zwei Mal am Wochenende gespielt hat und dafür dann schnell noch Donnerstags davor geprobt und gemerkt hat, dass man vielleicht noch einen neuen Song drauf ziehen will, blieb einfach keine Zeit. Ein anderer Faktor ist, dass wir drei zusammen nach Köln gezogen sind. Du gehst abends zusammen saufen, hängst tagsüber miteinander ab... Wir haben uns im letzten Jahr bestimmt 300 Tage von 365 gesehen. So reifen natürlich auch gemeinsame Soundideen.
Jonas: Es ist nicht so, dass wir uns Robert und Sven ausgesucht haben, weil wir deren Sound haben wollten, sondern die meisten Vorproduktionen kommen von uns. Es ist schwer jemanden zu finden, der eine Band auch gut aufnehmen kann, so wie Sven. Und Robert, als jemanden, den wir als stilsicheren Musiker kennen, haben wir mit ins Boot geholt um dann als Fünferteam zusammen zu arbeiten.
Wie hoch ist die Gefahr, dass ein Lagerkoller entsteht, wenn man so viel Zeit miteinander verbringt und jeder sein Künstlerego mit einbringt?  
Moritz: Das funktioniert erstaunlich gut, weil man den anderen kennen und verstehen lernt. Aber gleichzeitig gibt’s bei drei Leuten keine Demokratie und man muss schauen, wie wichtig Sachen einem oder dem anderen sind. Bei 1live.de habe ich gelesen, dass Alkoholabstürze das größte Konfliktpotenzial in der Band bergen. Was waren denn die schlimmsten Abstürze hier im Club Bahnhof Ehrenfeld in Köln? 
Jonas: Das haben wir gesagt, weil wir eigentlich keine Differenzen haben. Nur wenn man besoffen ist, verhalten sich Menschen manchmal daneben. Darüber reden wir dann am nächsten Tag mal.
Raffi: Aber wir sind jetzt auch nicht die besoffenen Schläger. (lachen) 
Ein Mitglied musstet ihr rauswerfen. Wie kam es dazu? 
Jonas: Über die Vergangenheit und den Streit wollen wir eigentlich nicht mehr reden. Er ist raus, es gab ein wenig Beef aber das alles tut bei dem, wie wir heute hier sind, nichts mehr zur Sache. Hat man, je erwachsener man wird, weniger Angst vor Pop?
Jonas:  Ich weiß nicht ob ich unseren Sound in meiner krassen Hiphop-Phase von 15 bis Anfang 20 abgefeiert hätte. Raffi und ich kommen eher aus der Gießener Trueschool-Ecke. Als ich angefangen hab' meine Hooks zu singen war das komisch. Damals gab's auch noch nicht wirklich viele deutsche Rap-Bands in Deutschland mit Bandbesetzung. Aber vor diesem Genre-denken hat man ja auch schon jede Menge Musik gehört. Ich war in der frühen Jugend immer in Bands, irgendwann war es scheiße in Bands zu spielen, da brauchte man einfach DJ und Turntable. Letzendlich hab ich gemerkt, das Deutschrap zu meiner Düsseldorfer Zeit - 2004/2005 - immer in Nischen führte, wo ich mich nicht zu Hause fühlte. 

Seelenstriptease, Melancholie und Doppeldeutigkeiten 

  Die Songs spiegeln eine klare Gefühlswelt wieder und zitieren hier und da Artists (z. B. The Streets, Rocko Schamoni in „Kaffee warm“). Wie viel muss man von sich selber noch zurückhalten oder streicht man raus?  
Jonas: Texten ist für mich nicht das Ventil um mit mir selber klar zu kommen. Es geht mir eher um Sachen, über die ich reden möchte. Natürlich fangen viele Songs von der Grundstimmung her bei mir an. Du hast ja auch gemeint, das ist depressiv und melancholisch [ gemeint ist die Review im  Juice Magazin #150, die vom Interviewer stammt - Anmerkung des Verfassers] Ich würde es eher nachdenklich nennen. Es gibt Sachen, über die Leute gerne einen Schwamm drüber wischen, aber ich will die Dinge wissen und denen auf den Grund gehen. Da schau ich mir zuerst die Leute in meinem Umfeld an. Da sind viele kluge Köpfe dabei, die aber einfach ohnmächtig chillen und nicht wissen, was sie mit sich anfangen sollen. Die haben ihr Ding einfach noch nicht gefunden und sind auch schon knapp 30. Darüber erzähl ich. Aber ich werde niemals mein Seelenleben in Musik verpacken. Es ist schön, dass man die Kunst hat, wo man Sachen ausdrücken kann. Hätte Tarantino alles erlebt, was er in Filmen gemacht hat, wäre auch schon Tod.
Du machst also keinen Seelenstriptease, weil du nicht alles aus der kompletten Ich-Perspektive erzählst, sondern dich als Künstler in etwas hineinversetzt.  
Ich kann jeden Track auf dem Album emotional nachfühlen. Die Songs sind Geschichten eines Protagonisten, die er vom ersten bis zum letzten Song durchleben könnte. Ich hab auf jeden Fall eine Menge Sympathie mit dem Protagonisten. Auf jeden Fall ist das ein cooler Typ. Er ist auch ähnlich zu mir und Moritz und Raffi . Sonst würden wir ja nicht als Band hinter den Texten stehen. Aber Seelenstriptease ist es nicht. Du brauchst da eine Schutzfunktion.

Songwriting, Features und Doppeldeutigkeiten  

Wie viel lässt sich Jonas in die Texte reinreden?  
Raffi: Viel! Er darf uns ja genau so reinreden. Jeder darf jedem reinreden. Jonas mischt in der Musik mit rum und andersrum genauso. Wenn mich ein Text nicht flasht, sag ich das.
Moritz: Wenn alle drei down sind, dann geht das auch raus. Und das hinterfragen wir an jeder Ecke.
Jonas: Die Jungs geben musikalisch irgendwas und ich texte.
Raffi: Seinen Bereich hat schon jeder, ja.
Jonas:  Also ich setz mich jetzt nicht zu Hause ans Drum-programming und Moritz und Raffi haben jetzt keine Lines, die sie unbedingt mal kicken wollen. Wobei wir Moritz zum splash! dazu kriegen wollen.
Somit angekündigt (Moritz lässt leichte Einwände erkennen). Das Feature mit Olli Banjo kam über ein Songwriting Camp zustande. War das ein Camp für eure Albumproduktion?  
Jonas:  Wenn es soweit kommen würde, hätte ich schon lange aufgehört! Wenn das Label denkt, dass Künstler noch Songs brauchen, werden solche Camps veranstaltet. Das geschieht bei mehr Künstlern, als man denkt. Es ist aber auch eine andere Herangehensweise, weil du für ein anderes Produkt schreibst. In einem Camp bei den Beatgees waren Curse und Banjo dabei und wir haben in einer Gruppe Songs für andere geschrieben, was ein ganz guter Nebenverdienst sein kann. Wir haben gemerkt, dass wir gut miteinander flowen können. Wir alle haben Olli seit Sparring ...
Raffi: ... seit der Erste Hilfe/Notruf ...
Jonas: ... stimmt... abgefeiert. Wir haben dann mal zusammen hier in Köln gechillt und dem Ding auch Zeit gegeben. Wir wollten keine Spuren hin- und herschicken. Uns war wichtig, dass wir kreativ zusammenarbeiten, dass es sich in den Kontext des Albums einpasst.. Auch mit Gerard war das so. Es ist kein Feature drauf wegen des Names des Featuregastes.
Raffi: Es ist ja auch kein klassischer Olli Banjo Part auf dem Track. Der ist echt krass ehrlich und privat.   In Hellwach heißt es: "eine gute Line versetzt Flügen...", was nur eines von vielen Beispielen von Doppeldeutigkeiten in den Lyrics ist. Wie viel Drogeneinfluss ist denn bei der Platte dabei?
Jonas: Das ganze Album ist geprägt von Doppeldeutigkeiten und ich stehe auf Redewendungen und diese umzudrehen. Auch Querverweise und Zitate zu bringen. Ich find's geil, wenn Leute zwei Mal hinhören müssen. Ich glaube, man braucht mit dem Album so seine Zeit, damit du checkst, was jeder einzelne Text ist. Irgendwie erwarte ich das auch von unseren Hörern, dass sie sich Zeit nehmen. In Zeiten, wo Leute sich aufgrund von 30-Sekunden-Snippets auf YouTube eine Meinung bilden, hoffe ich, dass die Leute sich Zeit für das Album nehmen und es auch bewusst und aktiv hören. Zum Thema Drogen: Ich gebe mir gerne ausführliche Sessions, in denen ich meinen Kopf vergessen kann.   

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