Lunafrow - Aus dem Mikrokosmos
Es ist ein warmer Augusttag und ich steige aus der U-Bahn in Frankfurt Bornheim. Ich setze mich auf eine Bank und warte wenige Minuten, um Lunafrow die Treppe runterlaufen zu sehen. Wir reden ein bisschen, laufen zu seiner Wohnung, wo ich Frau und Kind kennen lerne und führen - nachdem mir sein Album und Mixtape vorgespielt wurden - dieses Interview, welches argwöhnisch von Lunafrows kleinem Sohn beäugt wird, der sich immer wieder bemerkbar macht wenn man ihm einen Augenblick keine Aufmerksamkeit schenkt.  
  
Wenn man Dich interviewt, drängt sich folgende Frage eigentlich als erste auf: Du bist als Flüchtlingskind nach Deutschland gekommen. Das ist nicht unbedingt die beste Voraussetzung um sich eine Sprache derartig anzueignen, wie Du es in Deinen Texten beweist. War es schon immer so, dass Du Dich für Sprache interessiertest, soll heissen: Interessierst Du Dich auch privat für Literatur und Lyrik, oder findet diese "Liebe für's Detail" lediglich in Deiner Musik Niederschlag?
Ich weiss garnicht, ob ich das hier so in ein, zwei Sätzen beantworten kann. Also, ich bin ja mit sieben Jahren nach Deutschland gekommen und Kinder lernen ja ohnehin schneller. Ich hatte auch zum Beispiel das Problem nicht, welches Türken zweiter oder dritter Generation haben, dass sie hier viele Landsleute haben und somit auch die Muttersprache noch viel sprechen. Meine Tante, bei der ich eben unterkam, hat von Anfang an viel Wert darauf gelegt, dass ich die deutsche Sprache erlerne, um auch in der Schule schnell Anschluss zu finden und es halbwegs leicht zu haben. Von daher habe ich innerhalb von etwa vier Jahren in dem Maße Deutsch gelernt, wie jedes "normale" gleichaltrige, deutsche Kind. Und zum zweiten Punkt kann ich sagen, dass mich die Musik - jetzt nicht nur Rap, sondern vor allem auch Reggae - zu anderen, vielleicht tieferen Themen hat kommen lassen. Und bei der Recherche dieser Themen stösst man immer auf Text-Passagen oder -Zeilen, welche man hinterfragt und hinter denen man eben den Sinn sucht. Und durch die Suche nach den "Geschichten" hinter den Texten bestimmter Künstler, kommt man eben auch eher in dieses "Ding" rein. Du bist seit geraumer Zeit sowohl Arbeiter und Rapper als auch Familienvater. Es muss doch sehr kräfteraubend sein, diese drei "Aufgabenfelder" unter "einen Hut" zu bringen. Wie schafft man es, neben der Berufstätigkeit und den Verpflichtungen Frau und Kind gegenüber noch musikalisch produktiv zu sein? Also dazu muss ich vorher sagen, dass ich kein Arbeiter im eigentlichen Sinne bin. Ich hab' keine fünfunddreissig Stunden Wochen, sondern arbeite meistens zwanzig Stunden, da ich eben auch noch als Student immatrikuliert bin. Natürlich muss ich meinen Teil dazu beitragen, dass gewisse Fixkosten gedeckt werden, was meine Frau aber auch tut, von daher liegt da nicht die ganze "Last" auf mir. Und was Rap angeht ist es so, dass ich nach der Geburt unseres Kindes aktiver bin denn je, da ich durch meinen Sohn einfach neue Motivation und auch Ambition geschöpft habe und noch immer schöpfe. Er gibt mir einfach viel Kraft. Natürlich ist die Rolle des Vater auch kraftzehrend aber sie spendet noch viel mehr Kraft, als sie nimmt. Es ist wie ein Quell positiver Energie, weil man etwas heranwachsen sieht. Man sieht einen Entwicklungsprozess. Was man eben beachten muss, ist auf jeden Fall, dass es ungemein wichtig ist, dass das Arrangement zwischen beiden Elternteilen gesund ist. Dass man darauf achten muss, wie man kooperiert, da das essentiell für den weiteren Werdegang des Kindes ist. Man lernt da einfach eine ganz andere Kompromisbereitschaft, da man "Partnerschaft" auch vollkommen neu kennen lernt. Seitdem Du Vater geworden bist, spielen doch sicher noch ganz andere Überlegungen in Deine musikalischen Schachzüge ein, oder? Ich meine: gab es da - vor allem angesichts dessen, dass Dein einziger Solorelease schon circa fünf Jahre zurückliegt - nie sowas wie eine "Identitätskrise" in der Du Dir überlegtest, ob es das alles überhaupt noch wert ist? Eine Prioritätenverlagerung also? Diese Fragen haben sich mir in extremer Form aufgedrängt, da ich mich eben immer wieder gefragt habe, wie weit ich mit dieser Musik kommen kann und werde, ob ich eine Familie davon ernähren können werde. Das wird bei mir zwar eher nicht der Fall sein, jedoch möchte ich das nicht - aufgrund der Hoffnung, welche ich immer noch hege - vollkommen ausschliessen. Ich hab' mir zum Beispiel überlegt, ob ich nicht lieber eine Ausbildung anfangen sollte, weil's dafür ja keineswegs zu spät wäre, um irgendetwas zu haben, womit ich auch richtig Geld verdienen kann. Dann war 'ne andere Überlegung, ob ich mein Studium richtig durchziehen sollte - dann kam die Studienregelung und es war bei mir - mit acht Semestern - einfach zu spät, noch richtig zu studieren ohne richtig viel Kohle dafür hinblättern zu müssen. Da es gegenwärtig jedoch in jeder Branche schlecht aussieht und zukünftig noch schlechter werden wird, habe ich mir eben gesagt "Mach' lieber das, was Dein Leben noch lebenswerter macht, anstatt etwas anzufangen und zu Ende zu bringen, nur um IRGENDETWAS gemacht zu haben, das Dich im Endeffekt doch nicht glücklich macht", einfach schon deshalb, weil das ganze dann nach hinten losginge. Also mache ich konkret gesagt meine Musik weiter und gehe nebenher arbeiten um Fixkosten decken zu können. Ich mache die Musik also mit der Hoffnung, damit etwas erreichen zu können, ohne mich jedoch einer Illusion zu ergeben. Ich mache mir parallel Gedanken darüber, mir eine Sicherheit aufzubauen, indem ich mir einen Job/Existenzbasis aufbaue, welche es mir erlaubt (m)eine Familie zu ernähren. Aber ich stehe da eben auch nicht alleine da. Meine Frau ist sehr qualifiziert, da eine erlernte Betriebswirtin. Wir kooperieren da also gut und zwar so gut, dass es uns nicht schlecht gehen muss und auch nicht schlecht gehen wird. --------------------------------------------------------------------------------
Ich bin auch kein wirklicher Mensch des Kollektivs, sondern gehe eher meine eigenen Wege. Das ist wohl auch der Grund, weshalb ich nicht mehr bei BOZZ Music bin.
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  Eines Deiner ersten (auf Deutsch vorgetragenen) Lieder hiess "R.e.volution", auf Releases Tape war "Verschaff' Dir Einblick". Das Wort "Babylon" hat man (früher) oft von Dir gehört - in wie weit spielt ein gewisses "revolutionäres" Element in Deine Texte ein? Soll heissen: ist es eher der mikro- oder der makrokosmische Aspekt, der Dich zum Schreiben bewegt, der Niederschlag in Deinen Texten findet? Also, ich würde sagen, früher war's eher der Mikrokosmos, weil man als Siebzehn-, Achtzehnjähriger einfach noch die Illusion hat, durch politisches Engagement die Welt zu verändern. Diese Illusion hatten unsere Eltern ja auch - man denke an die 68er oder die Hippie-Bewegung - wobei ich das ganze nicht als unmöglich abstempeln möchte. Es ist einfach so, dass man in diesem Alter empfänglicher für derlei Strömungen ist und sich deshalb auch auf solche Dinge konzentriert. Von daher war es eben eher der Mikrokosmos, da ich mir eben dachte, dass ich dadurch, dass ich revolutionäre Texte rappe die Welt ändern könnte - dem war natürlich nicht so, einfach schon deshalb weil die Industrie da sehr weit gegriffen hat. Heute ist es eher...hmmm...ich weiss nicht, ob ich von einem Makrokosmos sprechen kann, da ich - als Individuum - bei jeder (subjektiven) Äusserung ja eigentlich aus dem Mikrokosmos heraus agiere und argumentiere. Ich erzähle ja prinzipiell von den Dingen, die ich sehe, erlebe, denke und fühle. Wie sich das auf den Makrokosmos auswirkt, kann ich nicht wirklich sagen. Es ist bei der Beantwortung Deiner Frage ziemlich schwer, den Makrokosmos noch mit einzubringen. Wenn ich mir die Featureliste der Mix-CD ansehe, fällt mir auf, dass - bis auf Geis und Menoosha - kein anderer Künstler aus Frankfurt vertreten ist. Durchaus verwunderlich für die, die Deinen Werdegang schon etwas länger verfolgen. Wie kam's dazu? Zufallsprodukt? Bewusst gewählt? Es war eher ein Zufallsprodukt. Eigentlich hätten Jeyz und Sezai auf dem Track mit Menoosha sein sollen, am liebsten auch noch Chaker - wobei ich ihn nicht angefragt hatte - aber es kam eben nicht dazu. Mit Jeyz und Sezai hat's nicht geklappt, da beide sehr stark mit eigenen Dingen beschäftigt sind und der eigentliche Plan wegen unglücklichen Umständen, für die - bis auf einen Autoreifen - eigentlich niemand was konnte, einfach nicht realisiert werden konnte. Bei Geis war's so, dass ich ihn einfach gefragt und er Lust hatte - also haben wir das auch gemacht. Ansonsten wären mir auch nicht viele Leute eingefallen, welche ich hätte fragen können und selbst nicht in extremen Stresssituationen wegen Album-Aufnahmen oder was auch immer gewesen wären. Von daher muss man da auf jeden Fall eher von einem Zufallsprodukt sprechen. Zwar ist nun erstmal Dein Street Tape an der Reihe, doch was viele Hörer wohl brennend interessieren dürfte, wäre die Frage nach Deinem Debut-Album. Soweit ich weiss, wurde es bereits fertig gestellt. Kannst Du mir da vielleicht noch ein paar Details geben? Einen Titel zum Beispiel? Features oder Produzenten? Ausserdem hat man ja diverse Gerüchte über verschiedene Labels gehört - gibt's da auch schon was "festes" Was die Produktion angeht, ist das Album so gut wie fertig. Einige Gesangsparts müssen noch aufgenommen werden. Dann hab' ich noch zwei neue Beats bekommen, welche ich auch noch in Tracks umsetzen werde. Aber ansonsten ist der musikalische Teil eigentlich abgeschlossen und wartet nur noch auf's Mastering. Das Album wird "Psychotreibhaus 78" heissen. Die Erklärung dazu: ein "Psychotreibhaus" ist eben eine Anstalt in welcher psychisch gestörte Menschen theraptiert werden und da ich der Meinung bin, dass man davon ausgehen kann, dass in oder nach einem Bürgerkrieg der Grossteil der Menschen gestört ist und ich meine ersten sieben Jahre eben im ugandischen Bürgerkrieg verbracht habe, habe ich es so genannt. Hausnummer 78 eben deshalb, weil das mein Geburtsjahr ist. Das mal zur banalen Erklärung des Titels, wobei da natürlich noch diverse Assoziationen mit eingebracht werden könnten und können. Was Labels angeht, ist noch nichts konkretes vorhanden. Zumindest hat sich da noch nichts aufgetan, was wirklich spruchreif wäre. Ich mach' erstmal das Produkt, stell's den Leuten vor welchen ich es vorstellen wollte und hoffe dann einfach darauf, dass die auch Bock haben das zu veröffentlichen. Was die Masse interessiert: was ist mit Warheit? Das "Kopfschuss"-Mix-Tape war ja eigentlich für Ende des Jahres angekündigt, was nun recht unrealistisch ist. Ist die Crew überhaupt noch ein Thema? Es ist für mich als einzelne Person natürlich immer recht schwer, eine solche Frage - bei der es um eine CREW geht - zu beantworten. Ich bin auch kein wirklicher Mensch des Kollektivs, sondern gehe eher meine eigenen Wege. Das ist wohl auch der Grund, weshalb ich nicht mehr bei BOZZ Music bin. Dennoch verstehe ich mich noch mit den Jungs - mit den einen mehr mit den anderen weniger, das ist ja nur logisch und pflege mitunter auch gute Freundschaften mit ihnen und sie auch schätze und zu schätzen weiss, was von deren Seite für mich getan wurde. Also war die Frage nur, ob ich ein Mensch der Kollektive bin - was nicht der Fall war und ist und weswegen ich gegangen bin, um mich eben selbst (als Künstler) zu finden. Es gab da keine "triftigen" Gründe, ich wollte mich als Künstler einfach selbst definieren und nicht auf ewig als einer der BOZZ-Künstler plakatiert werden. ------------------------------------------------------------------------ --------
...um ein Album, ein Debut-Album zu veröffentlichen, welches sich an Trends orientiert - dafür mache ich keine zwölf Jahre Musik!
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  Wenn Du Dir den ganzen Trend der aktuellen Szene ansieht und mit Deinem Schaffen vergleichst, beschleicht Dich dann ein gewisses Unwohlbehagen? Ich meine, wenn man sein Debutalbum abliefert, steckt dort oft am meisten Seele drin. Man versucht sich vorzustellen, die Facetten seines Seins darzulegen - besteht da eine Angst, dass diese "Präsentation" im Strom der Gehirnweichspülwelle untergeht? Diese Ängste bestehen definitiv und haben auch ihre Berechtigung. Aber wenn ich mit solchen Dingen anfange, also mich selbst wegen Trends und Marktentwicklungen in Frage zu stellen, könnte ich gleich aufhören und mich (als Künstler) begraben. Es gab ja schon immer Trends und Dinge, welche dem contraire gegenüber stehen. Genauso kann man sich nie sicher sein, wie lange ein solcher Trend anhält, respektive wann die Leute von gewissen Dingen gesättigt sind. Also ist die einzige Möglichkeit die man hat, jene, dass man weiterhin das macht, was man will, fühlt und wie man sich selbst versteht. Das präsentieren - fertig, aus. Wie es an die Leute gebracht wird, ob es an die Leute gebracht wird ist dann wieder 'ne andere Frage. Aber um ein Album, ein Debut-Album zu veröffentlichen, welches sich an Trends orientiert - dafür mache ich keine zwölf Jahre Musik! Wie sieht der Weg des Wanderers in der nächsten Zeit (im Rahmen von Mix-Tape, Album, et cetera) aus? Der weitere Weg - erstmal wird das Mix-Tape über Starting Lineup veröffentlicht, was vor allem dazu dienen soll, (den Leuten) ein Update von sich selbst zu geben. Die Leute wissen zu lassen, dass der Künstler als solcher weiterhin besteht und aktiv ist. Das Album ist fertig, wird noch fein geschliffen. Danach werde ich mich umhören, wer Lust hat das zu veröffentlichen und es läuft im Endeffekt alles auf das Album hinaus. Natürlich wäre es schön auch Resonanz auf das Mixtape zu bekommen, was aber eben sehr schwer ist, da der Markt sich derzeitig als recht problematisch gestaltet. Welche Worte wählst Du für (D)ein Schlusswort? Ein wirkliches Schlusswort habe ich eigentlich nicht. Ich bin Dir einfach dankbar, dass Du hier herkommst, um mich zu interviewen, dass es unter diesen ganzen Magazinen noch Leute gibt, die Musik und auch den lyrischen Aspekt jener auseinander nehmen und sich damit beschäftigen und nicht nur - genau wie die Kiddies, respektive der Hauptbestandteil der Konsumenten, welcher entscheidet ob man chartet oder nicht - nach Trends entscheidet, darauf basierend ihre Kritik wählen und sich überhaupt Gedanken darüber machen, jemanden zu interviewen der nicht auf allen Plakaten zu sehen ist. Dafür bin ich sehr dankbar.    
 
  Vielen Dank für das Interview.
 
 

 

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