Kassel Representing
Dokumenta? Gebrüder Grimm? Geografischer Mittelpunkt Deutschlands? Na klingelt es? Nicht? Die Rede ist von Kassel und der Kassler Szene - New Jack Kassler wenn ihr so wollt und was in Kassel geht wurde jüngst mit dem "Kassel Mixtape Vol. 1" bewiesen. Aber was geht bitte in Kassel? Genau dieser Frage gehen wir nach, indem wir die Hauptdarsteller der Kassler Szene zum Interview baten.

Neben den Infos gibt es noch ein Video von DJ Jones sowie eine exklusive Belohnung in mp3-Form. Jintanino & Tim Taylor -  Durch die Strassen (Hiphop.de Exclusive - MP3) Video: Die Chance Meines Lebens [youtube 4zM8btsFGbQ nolink] Kassel? Ja klar, liegt in Hessen und damit ist auch gut. In Bezug auf eine lebendige HipHop-Szene? Gab es da nicht Gambit? Und sonst? Geben wir es zu: Kassel ist nicht gerade der Nabel der HipHop-Welt und vielen alles andere als ein Begriff. Genau das schicken sich nun einige Aktivisten an zu ändern. Da wäre zum einen das Gambit-Kollektiv, die mit ihren internationalen Produktionen und ihrer Clothingline bereits für Buzz sorgen. Aber es gibt auch weitere Köpfe, die Kassel nach vorne bringen wollen. Dies zeigt das jüngst erschienene Kassel Mixtape Vol. 1, das einen repräsentativen Querschnitt durch Kassel bietet. Wir baten einige der Kassler Köpfe zu Tisch, um über Kassel zu sprechen...

Kassel? OK! das liegt in Hessen, aber bei den meisten wird es dann auch dünn mit Fachwissen kann das sein?


Tim Taylor: Ja das kann sein. Hier gibt es zum Beispiel die Dokumenta, die vielen wohl ein Begriff sein wird. Die Brüder Grimm haben in Kassel gelebt und die berühmten Märchen, die sie gesammelt haben, stammen alle aus der Gegend hier.

Kuma: Kassel ist die Geburtsstadt der Gebrüder Grimm und der geografrische Mittelpunkt Deutschlands.

Was macht Kassel für euch aus? Ich meine einerseits zeigt ihr auf dem Mixtape, dass ihr nicht gerade begeistert von eurer Hometown seid, auf der anderen ist es ja auch die Base, die man rep'en möchte oder nicht?

Tim Taylor: Natürlich möchte man seine Heimatstadt representen, wir sind hier aufgewachsen und die Stadt ist ein Teil von uns geworden. Pablow rappt ja: "Kassel ist berühmt für schlechte Laune und Rumgeheule"; das trifft es wohl ganz gut. Mensch von ausserhalb sind oft geschockt, wie finster, unfreundlich und mürrisch die Leute hier sind. Wenn du jemanden fragst wie es ihm geht, bekommst du schon mal "total beschissen" als Antwort. Andererseits ist das vielleicht ehrlicher als immer zu behaupten, es ginge einem gut.

Kuma: Auf jeden Fall will man seine Hometown representen. Immerhin ist Kassel die Geburtsstadt unserer Musik und unseres Raps. Wir weisen mit unserer Musik allerdings nur auf soziale Brennpunkte hin und wollen nichts werten.

Wenn wir gerade über die schlechten Seiten sprechen. Läuft es in Kassel wirklich so krass, wie auf "Kassel City" erzählt wird?

Kuma: Natürlich läuft es in Kassel krass. Aber es ist wie es ist und es ist doch überall so. Ich denke auch in anderen Städten geht es krass ab – da steht Kassel nicht allein da.

Ich meine "Krieg zwischen Arm & Reich" ist ja nicht nur in Kassel angesagt, aber die Kriminalitätsstatistik anführen? Ich meine da dürften doch Frankfurt und/oder Berlin viel weiter vorne in der Liga mitspielen oder nicht?

Kuma: Über so einen Scheiß red ich nicht.

Tim Taylor: Naja jede Stadt hat wahrscheinlich Ecken, wo es ein bisschen krasser ist. Kassel ist glaub ich nicht mehr auf Platz 1 in Deutschland (nur noch in der Kategorie Mord), aber bezogen auf die Einwohnerzahl ist hier schon viel los. Nach der polizeilichen Kriminalitätsstatistik 2005 hat Kassel 6.674 Verbrechen auf 100.000 Einwohner, Frankfurt 2.716 und Berlin 443. Bei Straftaten gegen das Leben sieht es leider ähnlich aus: Kassel: 14 auf 100.000 Einwohner, Frankfurt und Berlin je 6 (es gibt aber auch ein paar Städte im Osten Deutschlands wo es noch ne ganze ecke krasser ist). Das ist aber nichts worauf man stolz sein sollte. Hier gibt es halt viele arme Menschen, wenn sie deshalb anfangen Drogen zu verkaufen oder Autos zu klauen finde ich das noch okay. Wenn Leute abgestochen oder vergewaltigt werden ist das total ätzend. Ein blaues Auge ist kein Weltuntergang, aber die Menschen sollten wohl generell mehr Respekt vor dem Leben der Anderen haben.

Wie sieht die Szene in Kassel aus und v.a. wie hat sich diese in Kassel entwickelt? Gibt es quasi lokale Helden, die zwar für Kassel große Bedeutung haben, aber innerhalb Deutschlands eher unbekannt geblieben sind?

Groupie: Also ich finde in Kassel gehts total ab und Jintanino, Pablow, FDW, Tim Taylor und die ganzen Jungs sollten auf jeden Fall deutschlandweit ROCKEN !

Kuma: Kassel ist Underground. Zur Entwicklung kann ich selbst nicht viel sagen, ich bin Jahrgang 81 und hab die Zeit folglich nicht mitgemacht. In Kassel entwickelt sich derzeit allerdings vieles und jeder kocht sein eigenes Süppchen hier in Kassel. Nur ab und an kommen wir eben zusammen, um gemeinsam zu kochen.

Wie passt hier z.B. Vogelfutter rein?

Tim Taylor: Mr. Phonky Vogelfutter ist der Kassler Hiphop-Vater!

Wie unterstützt die Stadt Kassel die Szene? Gibt es Förderungen oder ist straight hustlin angesagt?

Kuma: Ich hab noch keine Förderung gesehen. Kassel fördert lieber den Musik- & Gesangsverein als Streetkids oder ein kulturelles Movement.

Tim Taylor: Von Förderung weiss ich nix, nur von einer GraffittiSoKu.

In wie weit seid ihr eigentlich mit der Berichterstattung der relevanten Medien zufrieden? Sprich: Denkt ihr, dass Kassel genügend Beachtung erfährt?

Tim Taylor: Naja, es ist auf jeden Fall klasse, dass Deutschlands Hiphop Website Nr.1 einen Bericht über Kassel bringt. Ich muss aber wohl niemandem erzählen, dass die meisten Medien darauf angelegt sind den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Die meisten Fernsehsender scheren sich doch einen Dreck darum, ob das was sie bringen kulturell wertvoll ist. Ich habe das Gefühl, die Menschen sollen dumm gehalten werden.

Kuma: Ich glaube, dass genügend Beachtung da ist. Allerdings ist Beachtung auch nicht so wichtig. Wir in Kassel versuchen uns nur selbst zu verwirklichen und wir selbst zu sein. Nicht mehr aber eben auch nicht weniger.

In wie weit seid ihr in Kassel eigentlich connected? Ich meine ist das eher eine Einheit, oder jeder gegen jeden?

Tim Taylor: Jeder gegen jeden bedeutet in allen Fällen den Untergang von Allen. Natürlich ist hier nicht alles "Friede-Freude-Eierkuchen". Es gibt immer Leute die die Musik oder die Pieces von den Anderen scheisse finden, aber das ist ja noch lang kein Grund sich die Köpfe einzuschlagen. Ich denke, auf der menschlichen Ebene kommen wir hier alle gut miteinander klar.

Kuma: Manchmal so – manchmal so. Es gibt Freunde und Feinde. Ich habe aber mit niemandem Beef, zumal ich Beef so oder so für Zeitverschwendung halte.

Trotz allem habe ich nach "P at the NYPD" den Eindruck, dass das Clubpublikum in Kassel auch gerne mal zu viel Testosteron schiebt. Muss man sich vor den Kassler Clubs in Acht nehmen bzw. fehlt es in Kassel an Leuten, die einfach auf locker machen können?


Pablow Picasso: Wie in jeder anderen Stadt gibt es hier Leute im Club die feiern und Leute die Stress machen wollen. Wenn man im richtigen Club ist kann man eine gute und meist friedliche Party feiern in Kassel. Im NYTD wird heutzutage gut aufgepasst, da gibt es selten Probleme, es gibt aber auch n paar Clubs in Kassel die würde ich Leuten von außerhalb nicht unbedingt empfehlen.

Kassel war bis dato nicht wirklich auf dem Schirm. Ist das für Euch die Motivation gewesen das Mixtape zu veröffentlichen?

Tim Taylor: Gambit sorgt ja grade ganz gut dafür, dass die Stadt sogar weltweit auf den Schirm kommt. Wenn die so weitermachen, kann ich für nichts mehr garantieren. Die Motivation bei dem Kassel Mixtape war eher den Menschen in Kassel etwas zurück zu geben. Wir haben zu der Zeit ein paar Konzerte hier gegeben, die sehr gut besucht waren. Es ist schön soviel Liebe von den Leuten um einen herum zu bekommen.

Das Mixtape erweckt den Eindruck, als ob es neben den Hyänen, Gambit (vertreten durch Kuma), F.D.W. und Jintanino nicht viel geben würde aus Kassel...

Tim Taylor: Meiner Meinung nach hast du damit auch schon die wichtigsten Leute genannt. Aber es sind ja durchaus noch ein paar andere Künstler auf dem Mixtape vertreten.

Wie seid ihr eigentlich an das Mixtape rangegangen? In einer Kneipe getroffen und das Konzept durchgegangen?

eSKa: Ja so ähnlich, wir haben uns zusammengesetzt und mehr oder weniger
spontan entschlossen, was Neues zu starten. Es gab bereits Mixtapes von
verschiedenen Djs aus Kassel, aber keines das wirklich repräsentativ die
Kasseler Hiphop-Mentalität widerspiegelt, aus unserer Sicht, und einen Bogen
zieht von den Urgesteinen (z.B. Vogelfutter), bis zu dem Nachwuchs (z.B.
Kassel Finest) der hiesigen Szene. Die Arbeit am Kassel Mixtape hat dann
eine Eigendynamik entwickelt und unsere Ansprüche an einem Mixtape fast
schon übertroffen. Letztendlich wird es denk ich mal unserem Ziel gerecht
ein Querschnitt der Kasseler Rapper und DJs zu sein, der wir selbst
angehören.


Die meisten Tracks sind ja eher battlelastig angelegt, weshalb einige aus dem Rahmen fallen: Tim – siehst du jeden Tag als eine neue Chance? Wie kam es zu dem Track?

Tim Taylor: Ich wollte mit dem Track verdeutlichen, wie leicht sich doch scheinbar das Schicksal manipulieren lässt. Oft löst eine kleine Entscheidung eine Kette von Ereignissen aus, die von großer Bedeutung sein kann. Wie oft hat wohl schon der kurze Satz: "Gib noch nicht auf und probier es noch ein letztes Mal" ein ganzes Leben maßgeblich beeinflusst. Wir Menschen bekommen jeden Tag tausende Gelegenheiten die Welt ein kleines Stück zu verändern und zu Entscheiden, ob sich die Dinge zum Guten oder zum Schlechten hin entwickeln. Im Lied sag ich ja auch, dass es wichtig ist dabei auf sein Herz zu hören. Wirkliche Veränderungen lassen sich aber nicht von heute auf morgen herbeiführen und wahrscheinlich wirst du vorerst etliche Male scheitern, aber versuch es weiter, denn jeder Tag bedeutet eine neue Chance.

Sehr unterhaltsam auch die Erkenntnis, dass Jintanino schon immer ein Kopf war. Klingt irgendwie so, als ob du dir da ein wenig Frust von der Seele schreiben musstest...

Jintanino: Eigentlich nicht. Ich hab bei dem Track einfach mal laut über mich selbst nachgedacht. Ich bin eben ein ziemlich kopflastiger, mitunter etwas komplizierter Typ, gerade wenn ich so in die Vergangenheit blicke, stand ich mir selber oft im Weg. Ich glaube, das geht vielen so. Ich find das gar nicht schlimm oder traurig, aber hatte mal Lust drauf, es luftig locker, ohne großartige Gehirnakrobatik, zu thematisieren. Daher der Titel des Tracks.

Wäre noch die Frage, wer hinter "Kassel finest" steckt und warum Tim Taylor nicht dazugehört?

Tim Taylor: Dahinter verbergen sich ein 17jähriger Beatproduzent und zwei 17jährige Rapper, die auf jeden Fall Talent haben. Den Namen "Kassels Finest" haben die sich selber gegeben. Das kann schon mal verwirrend sein. Ich habe vor kurzem Jintanino auf einem Auftritt nach Osnabrück begleitet, wo wir als Kassels Finest angekündigt wurden. Ich finde, wer der Beste ist muss jeder für sich entscheiden, vorrausgesetzt, dass ihm diese Frage überhaupt wichtig ist. Ich stell es mir auf jeden Fall ziemlich stressig vor sich selbst und den anderen ständig etwas vor zu machen. Wenn du mich fragst sind "Kassels Finest" weit davon entfernt Kassels Finest zu sein. Es lohnt sich aber trotzdem die Jungs im Auge zu behalten.

Wie sieht eigentlich Eure eigene musikalische Sozialisation aus? Ich meine wer hat euch beeinflusst?

Jintanino: Früher habe ich sehr viel Rap gehört, im Grunde alles, was damals krass war, also Curse, KKS, R.A.G. u.s.w. Mittlerweile höre ich kaum noch Musik und wenn, dann eher alte Rockgeschichten wie Dire Straits und Jethro Tull. Ein Freund von mir hört viel afrikanische Musik, vornehmlich aus Mali und Kenia, da gefällt mir auch so einiges.

Kuma: Meine Mutter. Sie hat versucht mir Instrumente beizubringen. Sie hat mir eine Gitarre, ein Xylophon, Saxophon und vieles mehr gekauft. Mir hat allerdings am besten das Mic gefallen (lacht).

eSKa: Da gibt es viele verschiedene Menschen, die nicht nur im Bereich der
Musik, aufzufinden sind. Angefangen bei meinen Eltern, über mein
Freundeskreis bis hin zu den Rappern die mich beeinflusst haben. Darunter gehören auf jeden fall "Jeru the Damaja" , "Soul Williams" sowie "Immortal Technique" alles nicht so bekannte Namen, aber jeder für sich ein virtuose darin sich musikalisch gesellschaftskritisch zu äußern.

Gibt es noch Talente in Kassel, von denen wir noch nichts gehört haben und die nicht auf dem Mixtape zu hören waren?

Tim Taylor: Da gibt es auf jeden Fall noch viele: Rekin, ElmStreetKidz, Harry vom Walde von den CUBS, Mc Paul, Curtis Blow, Ghetto Pimps u.v.m. Als lokale Größe sollten auf jeden Fall noch die Raportaz erwähnt werden. Mir ist es aber irgendwie wichtig hier mal klar zu stellen, dass ich kein Fan von ihrer Musik bin. Diese Tatsache hat mich aber nicht daran gehindert ein Feature für ihr nächstes Projekt mit ihnen auf zu nehmen.

Kuma: Es gibt viele Leute in Kassel. Darum ist es auch das Kassel Mixtape Vol. I. Diejenigen, die bisher nicht gehört wurden, wird man in Zukunft hören. Ich will niemanden nennen, weil ich sonst bestimmt sehr gute Leute vergesse, aber lasst Euch auf jeden Fall überraschen und haltet die Ohren nach Kassel gerichtet.

Was kommt in Zukunft aus Kassel? Was können wir erwarten?

Jintanino: Ich sitz grad an meinem zweiten Album. Es wird "Die verlorenen Fäden" heißen. Das Album wird sehr ruhig und tief, ich freu mich schon drauf, es zu releasen.

Kuma: Es kommen viele Projekte in Zukunft. Auch meine EP kommt bald und danach plane ich noch ein Mixtape. Ihr werdet auf jeden Fall viel von mir hören.

Tim Taylor: Ich arbeite gerade an meinem dritten Album und verspreche, dass es die absolute Bombe wird ! Ansonsten versuche ich parallel noch das "Schwarze Hörbuch" zu releasen.

Pablow Picasso: Ich arbeite an meinem strassenmixtape, das wird n schönes ding: sehr battlelastig und viele ami-beats. Danach kommt dann n Album.

Noch ein Schlusswort?

Schönen Dank an Don Corleone von Hiphop.de ! Peace

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