Herr Jay-Z , müssen sie unbedingt Latein sprechen, damit wir ihnen glauben, dass sie schlau sind? Magna Carta? Ist das Titel-Konzept nicht von Fard gebitet? Hat das mit dem heiligen Gral eine tiefere Bedeutung oder geht's nur darum, Eindruck zu schinden und sich selbst mal wieder zum Gott zu erklären? Reicht es nicht, dass Kanye West das macht?
Zum Einstieg gab's Businesmoves. Werbespots im NBA -Finale. Die App, die Jay-Z vor Verkaufsbeginn Platin gesichert hätte, wenn die zuständige Stelle nicht entschieden hätte, dass kostenlose App-Downloads nicht als Plattenverkäufe zählen. Dann saß man vor dem Countdown in der App, nur um zu merken, dass die natürlich für 12 Stunden vom Ansturm überlastet ist. Dann konnte man Magna Carta Holy Grail hören ( hier gibts die Tracklist und Featuregäste ).
Viele waren erst mal enttäuscht. Reviews geben oft eine Zwei. Schlechter kann ein Jay-Z Album nicht sein, aber wo ist jetzt die große Überraschung? Man erwartet etwas Weltbewegendes und dann ist es doch nur ein Jay- Z -Album. Dann denkt man sich, "immerhin, ein Jay-Z -Album ist doch auch weltbewegend". Dann sucht man einen tieferen Sinn in der Musik, den man vielleicht noch nicht verstanden hat und der Jay-Z s Rap-Präsidenten-Status gerecht wird.
Dass Jay-Z einer der besten Rapper ist, darf man ja nicht abstreiten, ohne Klassenkeile zu bekommen. Bei Kollegah merkt man leichter, dass das was er rappt, extrem anspruchsvoll ist (schnell, mehrfach Reime, Punchlines durch Wortspielereien, muss krass sein). Jay-Z rappt langsam, setzt auf ausgefallene Reimworte, verschiedene Reimschemata und Flow-Wechsel. Auf Heaven kickt er zwischendurch mal seine Stimme hoch wie Uncle Murda auf No Cake . Ach, was er nicht alles macht, der gute Jigga.... Ja, das ist schon sehr gut.
Aber es geht für Jay-Z nicht mehr darum, zu beweisen, wer hier am besten Rappen kann. Es geht um legendäre Alben, um große Kunst und geistige Elite. Die Süddeutsche Zeitung hatte sich Kommentare zu all dem politischen Weltgeschehen erhofft. Sie stellt schockiert fest, das Album sei "angenehm" "aber eben völlig harmlos". Wo ist denn die Aussage? Wo ist die große Kunst? Der nennt einen Song Picasso Baby und rappt dann nur davon, Gemälde über dem Klo aufzuhängen? Keine Kunst, nur Gemälde als nächster Level nach dem Angeben mit Autos? Ernüchtert stellt der Autor fest, dass es eben "ein altes, verbreitetes Missverständnis" wäre, dass Rap das " CNN der Schwarzen" wäre: "Wer richtig hinhört, sollte erkennen, dass auch die Texte höchst respektierter Hip-Hop-Gestalten in der Regel vom Ruhm ihrer Schöpfer handeln und von wenig anderem."
Wie traurig. Mir gings mit dem Picasso -Song genauso. Ich dachte mir "halt dein Maul, ist mir egal was du für Bilder hast". Aber nachdem ich mich aus Verzweiflung mit den geilen Beats beschäftigt habe, hab ichs doch noch verstanden. Er spricht halt nicht von Politik, er spricht von sich und sieht sich selbst als Beispiel für uns alle. Damit spricht er dann doch von Politik. So haben's die Hip-Hop-Gestalten schon immer gemacht.
Der aktuelle Stand in Rap-USA: Selbst die großen Stars versuchen Kunst zu machen, um maximalen kommerziellen Erfolg und das Prädikat "wichtiger Musiker" zu erhalten. Der Rapper von Welt interessiert sich für Internet-Start-Ups, Gemälde, Haute Couture und ein wenig Politik. Er ist ein exzentrischer intellektueller Künstler, kein Thug. Im Gegenteil zu Kanye , kennt Jay-Z noch andere Zeiten. Deshalb mischt er auch immer ein paar Drogen zwischen die Modemarken. Aber er poppt keine Mollys mehr, er trägt Tom Ford -Anzüge.
Den tieferen Sinn, den der aufgeblasene Titel verspricht, gibt diese kleiner-Finger-abgespreizt-Haltung dem Album noch nicht. Mit Picasso habe ich als Hörer so wenig zu tun, wie mit Drive-Bys. Das Gute an der Haltung: man produziert heute keine Gummibärchenmusik um Platin zu gehen. Die hippen Bohemians wählen Beats, die Anspruch haben. Die man nicht leicht tot hört. Sie experimentieren, anstatt auf Nummer Sicher zu gehen, wie die männliche M.I.A. Kanye , oder setzen auf perfekt ausproduzierte klassische Rap-Beats wie Jay-Z . Timbaland , The-Dream und J-Roc sampeln auf Holy Grail Nirvana . Den Sound des Albums beschreibt aber eher, dass zwei Songs von Timbaland und Freunden auf "großartigen Funk-Samples des eher unbekannten schwarzen Komponisten Adrian Younge basieren" ( Süddeutsche ) . Oder Samples von dem geilen Funk-Freak Johnny "Guitar" Watson . Ganz viel Seele und ganz viel afroamerikanische Musikgeschichte. Klassische Rap Musik. Jay-Z baut was von M.I.A. ein, aber stellt ein Stück A Tribe Called Quest daneben. Notorious B.I.G. und Mase kommen vor. Er imitiert Flows von Uncle Murda und Chief Keef , zitiert dann wieder R.E.M.
Bei dem, was Travis Scott , WondaGurl und Dean mit Solid As A Rock von Raggae-Priester Sizzla anstellen, geht's mir wie Mädchen bei romantischen Filmen. Auch wenn mir schlecht wird, wenn jemand auf Rap-Alben kitschig singt (die Süddeutsche nennt Justin Timberlake s Holy - Grail -Hook zurecht "schlagsahnig"), die Heaven -Hook ist geil. Und btw auch von Justin . Wenn auf MCHG gesungen wird, klingt das gerne leidend. Scheinbar hat der gute Jigga also seelische Schmerzen. Worum gehts? Wo ist der Sinn? Vielleicht geht einem bei Heaven ein Licht auf.