"Eko hat sich bushidoisieren lassen" - Thomas Stein im Interview
"Wie kann dieser Thomas Stein sowas signen" . Spätestens seit dieser Line von Eko Fresh , weiß auch der deutsche Rap Fan von Thomas Stein , dem ehemaligen Europa-Chef von Major Label BMG. Erfahre, was der Musik Business Experte rückblickend über seine geschäftliche und persönliche Beziehung mit Eko Fresh sagt, welchen Einfluss Bushido für ihn auf Rap Musik hatte und -last but not least- wie er Hiphop in die deutsche Musikindustrie brachte.

Herr Stein, wenn Sie ihr Leben in eigenen Worten beschreiben wollen, dann schreiben Sie ein ganzes Buch [Die Autobiographie "Gesagt, getan" ist im Lübbe-Verlag erschienen. - Anmerkung des Verfassers] . Wenn Sie es kurz halten, sagen Sie was?
Ich gehöre zu den Generationen, die noch schreiben können - ich sehe, sie haben auch einen Block, normalerweise haben Leute heute einen Laptop auf dem Schoß und bauen damit eine Mauer. Zur Frage: Ich habe viel erlebt und wurde immer wieder danach befragt. Herr Lübbe fragte mich dann ob ich nicht ein Buch schreiben wolle und ich fand die Idee interessant. Meinen beruflichen Werdegang kann man in der Kürze beschreiben, indem man sagt "Chancen erkennen und warhnehmen" .
Im Pressematerial habe ich das Zitat gelesen "Erinnerung ist das einzige Gefängnis aus dem man nicht entlassen wird." Dass ist sehr demütig, sehen Sie das auch in Bezug auf Ihre Karriere so?
Nein, diesen Satz habe ich geschrieben, weil ich zwei Ehefrauen verloren habe. Im Berufsleben findet dieses Zitat keine Anwendung, da hätte ich mir anderes einfallen lassen können, ala "Vorwärts - ich bin vorne" .
Haben Sie in der schweren Zeit der Krankheiten ihrer Frauen Ablenkung im Beruf finden können?
Weniger, weil ich zu der Zeit nicht mehr so aktiv war um meine Frau pflegen zu können. Es kann aber sicherlich ablenken sich in Arbeit zu stürzen. Da meine Frau es ablehnte, ihre Krankheit an die große Glocke zu hängen, waren wir auch leider ziemlich alleine. Viele Leute halten Krebs auch offensichtlich für eine ansteckende Krankheit und bemerken gar nicht, wie sehr sie Betroffene mit ihrer Abgrenzung treffen!
Was hat Ihnen Halt gegeben?
Rückblicken ohne dabei den Blick nach Vorne zu verlieren. Meine jetzige Frau hat mich außerdem sehr unterstützt.
Worauf blicken Sie denn besonders gerne zurück?
Also beruflich auf einige Sachen. Sie sind ja von einem Hiphop-Musikmagazin. In dieser Hinsicht freue ich mich besonders, dass wir damals die erste Hiphop-Single überhaupt nach Deutschland geholt haben.



Rappers Delight ...
Richtig, die Sugarhill Gang hatte ihr eigenes kleines Label und wir haben den Trend in den USA glücklicherweise als Erste bemerkt. Ich erinnere mich gern daran, als der Auftritt in München sein sollte und tausende Menschen nicht mehr reinkamen. Oder wie die Sugarhill Gang als erste im Studio gesprüht hat. Obwohl wir nicht wirklich an einen großen Erfolg geglaubt haben, haben wir diesem neuartigen Sound eine Chance gegeben.
Sie haben nicht daran geglaubt, dass diese -sagen wir- zusammengeschummelte Musik mit den Samples und dem Sprechgesang erfolgversprechend ist und haben trotzdem zugeschlagen?
Dass Musik irgendwie geklaut ist, oder eben zusammengemogelt, ist ja normal. Aber das gerade die Komponente Sprechgesang so einschlagen würde, damit konnte keiner rechnen. Wir wollten etwas wagen. Damals hatte man auch noch leichter die Möglichkeit, derartig neue Sachen auszuprobieren, weil noch Platten gekauft wurden. 
In welcher Position waren Sie damals aktiv?
Ich war bei Teldec Geschäftsführer und wir haben das ganze Label unter Vertrag genommen.
Zumindest dem Sprechgesang sind sie auch treu geblieben, haben später Falco als den ersten deutschsprachigen Sprechsänger betreut...
Vorher haben wir ja auch das erste deutsche Hiphop-Lied raus gebracht... Sie meinen Thomas Gottschalk mit Rappers Delight auf deutsch?
Genau! Wer hätte gedacht, dass musikhistorisch Thommy Gottschalk mit Manfred Sexauer der erste deutschsprachige Rapper war, wenn Sie so wollen... Ich habs damals vom Markt weggekauft, damit die Jungs sich nicht noch mehr blamieren.
Zu Falco kam ich bei seinem zweiten Album und brachte ihn mit den niederländischen Produzenten Rob und Ferdi Bolland zusammen. Daraus entstand eine Traum-Kombination mit zeitlosen Welthits, wie Amadeus , Jeanny etc. Er wusste aber eben auch, wie die Musikszene funktionierte.


Wie würden Sie denn den Einfluss von Falco auf Deutschrap beschreiben? Glaubens sie er hatte Einfluss?
Also Falco war kein Rapper und hatte trotz seiner Deutsch-Englisch-Mischung nie Hiphop-Wurzeln. Er konnte auch nur so einzigartig sein, weil er eben etwas vollkommen Eigenes entwickelt hat.
War er denn ein schwieriger Typ?
Er war halt ein Künstler durch und durch. Dass solche Charaktere ihren eigenen Kopf haben ist unabdingbar.





Der kommerzielle Erfolg von Hiphop in Deutschland zog mit Die Fantastischen Vier ein. Bär Läsker ist Anfang der 90er -nach eigener Aussage- durch die Labellandschaft gerast und hat versucht die Jungs unterzubringen. War er damals auch bei Ihnen?
Nein, interessanterweise nicht. Ich hab später mit ihm ein Label gemacht, was leider nicht so erfolgreich war. Die sind bei...

Fitz Braum, Sony gelandet...
...und das war ja auch eine lange Ehe, die ewig andauerte.
Braum wurde Labelchef von Four Music.
Ja, richtig. Interessante Entwicklungen.
War Eko Fresh dann der nächste Hiphop-Artist, den Sie unter Vertrag hatten?
Ich kann es ihnen, ehrlich gesagt, nicht hundertprozentig sagen. Aber Eko Fresh war dann ja wieder die übernächste Generation. Er und Savas trennten sich damals. Ich sah Eko eher als den positiveren Rapper, der nicht nur Gangsterrap machen konnte. Leider hat er den Pfad verlassen. Er ist aber einer, von dem ich damals wie heute sage, dass er ein genialer Texter ist. Er hat sich leider bushidoisieren lassen. (lacht)
Wie kam Eko denn zu Ihnen?
Einer meiner A&R-Leuten brachte ihn und ich mochte ihn auf Anhieb. Ich mag ihn auch heute noch. Sein Management habe ich auch nach Ausscheiden bei der BMG noch einige Zeit weitergeführt. Er hat dann aber andere Vorstellungen für sich gehabt, als ich es hatte und dann finde ich einen Schnitt auch in Ordnung.
Was waren die unterschiedlichen Vorstellungen?
Diese Bushido -Schiene. Ich sagte immer, dass es als Abiturient schwierig ist den Gangsterrapper zu miemen. Ich glaube, dass er vom Auftreten, Texten und dem Talent her ein ganz eigenes Segment hätte bedienen können. König von Deutschland hatte dies angedeutet. Nur dann wurde er von anderen gedisst und wollte doch lieber dazu gehören.
Im Mainstream interessiert einen aber die Meinung einer Szene eher weniger, oder? Kam vielleicht auch der Misserfolg von LOVE dazu?
Mich hat das nicht wirklich interessiert, aber er wollte eine andere Ausrichtung. Die Szene ist sehr eigen und auch gnadenlos. Eko war ein Außenseiter mit seinen Texten. Aber ich sage, es gibt in jedem Bereich immer drei, vier Facetten. Da ist Bushido , der inzwischen von der intellektuellen Ansicht her Schlagersänger geworden ist. Dann gibt es Peter Fox . Was macht der anders, als die Sachen anders und positiv darzustellen? Dann gab es die Kool Savas -Auseinandersetzung. Ich mag den Kool immer noch - ein toller Typ. Ich hab mit beiden gut gekonnt. Man kann mit beiden gut auskommen - es gibt keine Notwendigkeit das nicht zu tun. Ich glaube er hätte eine längere Chance gehabt, wenn er anders geblieben wäre.




Wie haben Sie diese Auseinandersetzung damals miterlebt?
Ich hätte das als Marketing-Podium genutzt, da bin ich pragmatisch. Da sind zwei unterschiedliche Typen in einer Szene, die sich in verschiedene Richtungen aufteilen kann. Da können beide drin leben. Solange die Disserei nicht dazu führt, dass beide den Respekt voreinander verlieren... Die haben das Video gemacht, immer mit ein bisschen Frotzelei. Langfristig hätte sich da niemand weh getan.
Wie haben Sie den den Status von Eko gesehen, als er noch bei ihnen war - bevor er zu Bushido ging? Scheinbar war er unzufrieden, sonst hätte er nicht gewechselt.
Ich denke, dass er ein toller Texter ist. Auf meine Veranlassung hin hat er damals den größten Hit Du hat mein Herz gebrochen von Yvonne Catterfeld geschrieben. Wenn du heute in diesem Bereich arbeitest, dann musst du eben auch deine Kernkompetenz nutzen. Das war vielleicht für ihn im Ansehen der Szene nicht gut, weil er zu kommerziell war. Aber ein Eminem ist auch kommerziell. Meiner Meinung nach verkauft der 20 Millionen Platten mit Schlagern. Folge dessen hätte Eko das auch machen können!
Man hätte sich damals gut vorstellen können, dass Eko der größte Rap-Mainstream-Artist werden würde. Dass wurde dann Bushido. Warum hat es bei Eko nicht geklappt?
Weil er es nicht wollte. Er wollte eine andere textliche Schiene begehen, die ich nicht mittragen wollte. Wenn man jetzt die wirtschaftliche Seite betrachtet, hat er sicherlich mehr Geld mit der Frau Catterfeld verdient als mit Herrn Bushido !
Wie kann man sich Eko Fresh vorstellen, wenn er bei Ihnen geblieben wäre - so wie König von Deutschland und LOVE ?
Bushido s Texte sind auch anders geworden mit der Zeit. Es findet ja immer eine Entwicklung statt. Das wäre ein dynamischer Prozess gewesen. Nur wollte  ich diese Gangster-Schiene nicht bedienen. Jungs mit Abitur und Intelligenz kann man nicht verbiegen. Er hat sich mehr verbiegen müssen, als er sich bei mir hätte verbiegen müssen, er hätte seinen eigenen Flow gehabt. Er wollte es so...
Inwiefern kann man denn in der Musikbranche generell Menschen verbiegen?
Du musst jemanden die Chance geben das zu leben, was er sagt. Wenn derjenige das nicht lebt, bringt das nichts. Eko kam mit König von Deutschland , niemand hat ihm das aufoptuiert. Ich habe einfach das was er kann optimierter genutzt. Dass er das für sich selbst nicht so empfinden wollte, ist seine eigene Entscheidung. Ich zwinge niemanden zu etwas, kann nur Empfehlungen geben. Er wollte den Rap etwas positiver darstellen.
Einen gewissen Entertainment-Faktor...
Genau. Deshalb hab ich auch mit Roberto Blanco im Video mitgemacht. Mal ehrlich, dass war doch ein genialer Marketinggag - alle sprachen plötzlich von Eko Fresh .
Welcher aktuelle Hiphop-Artist hat Ihrer Meinung nach die Möglichkeit, kommerziell Großes zu erreichen?
Ich habe mich in den letzten Jahren nicht mehr wirklich damit auseinandergesetzt. Natürlich kenne ich die Bushido s und Sido s dieser Welt. Aber ich komme zurück auf das, was ich vorhin sagte: Sugarhill Gang war etwas besonderes. Im Moment sehe ich nichts wo ich sagen würde: da reißt eine Wolkendecke auf. 50 Cent und Eminem haben einen Maßstab gesetzt, der aber auch kommerziell ist. Alles was unter 5.000 Stück verkauft ist Hiphop und alles darüber ist kommerziell.


Da ist die Frage ob das richtig ist?
So ist es. Das ist wie mit Features, die auch keiner hören will, mit denen die Leute aber trotzdem zufrieden sind. Das ist eine Entscheidung, die man für sich treffen muss. Dann muss man auch ehrlich zu sich selbst sein. Das muss man dann auch leben, was ich derzeit nicht sehe. Texlich wurden alle Körperöffnungen berappt und besungen, aber ein intellektueller Ansatz ist nicht da. Rapper könnten sowas wie Liedermacher sein. Die Deutschen waren mal Dichter und Denker, dementsprechend sollten Rapper sich wieder mehr auf die textliche Dichte konzentrieren und auch mal wieder politischer werden. Reine Ich-hau-dir-auf-die-Fresse Tracks sind nicht spannend genug. Bushido hat es ja gut gemacht, ob das jetzt ehrlich oder unehrlich war, das lassen wir jetzt mal dahingestellt. Trotzdem hat er die Leute mit den Texten aufgerüttelt. Ein neues Aufrütteln empfinde ich aber gerade nicht.
Sie sprachen die 5000er Grenze an. Muss sich der Vertrieb verändern?
Der Vertrieb ändert sich ja. Das Internet hat ganz neue Vorausetzungen geschaffen. Viel schlimmer ist, dass das Internet dem Künstler keine Chance mehr gibt sich zu entwickeln. Du hast einen Titel, früher waren von 10 Titeln auch mal 8 schlecht. Aber heute hat ein Künstler keine Möglichkeit mehr sich über ein Album als Gesamtkunstwerk darzustellen. Es gibt einen Titel, den lädt man sich möglichst kostenlos runter, aber der Künstler als Gesamtkunstwerk wird nicht mehr wahrgenommen. Das finde ich schade!
Was waren die Fehler der Plattenindustrie?
Wenn du vom Rathaus kommst, bist du immer schlauer. Kein Mensch hat vor 13 Jahren die Dimensionen absehen können, in denen sich das World Wide Web entwickelt hat. Vor 15 Jahren sind wir noch mit Rollkoffern rumgerannt um zu telefonieren. Das hat sich in einer Form verändert, die keiner in der Dynamik vorraussehen konnte. Es gab Jungs, die haben von einem Ort zum anderen Daten übertragen - der Beginn des Filesharings. Danach hat es in einer Potenzialität stattgefunden, die nicht erkennbar war. Ich habe den ersten Vertrag über digitale Medien 1995 mit der Telekom gemacht. Wir wußten es kommt was, aber wie sich das entwickelt... da kann man niemanden einen Vorwurf machen. Ich mache den Medien einen Vorwurf, weil diese nicht anerkannt haben, dass der Künstler arbeitet und für seine Arbeit auch entlohnt werden muss. Die Idee kam auf, dass Musik kostenfrei im Netz sein muss. Das führte dazu, dass alle zustimmten, weil die Leute ja immer was umsonst haben wollen. Wenn ich euer Angebot nicht bezahlen muss, macht ihr vielleicht tolle Arbeit, sie hilft euch aber nicht, weil ihr nichts verdient.
Tonträger will niemand mehr kaufen weil sie überflüssig geworden sind. Musik braucht kein Meidum mehr auf dem sie transportiert wird, weil man sie digitalisieren kann.
Ja Moment, wenn man mal die Qualität einer Vinyl und einer CD mit einem MP3-File vergleicht, hört sogar ein Laie den Unterschied. Das heißt, man verzichtet heute auf Dinge, die einen früher auch animiert haben etwas zu kaufen. Sound und Klangbilder gehen dabei unter.
Zum Abschluss: Welche Begegnung in Ihrem Leben war für Sie am beeindruckendsten?
Da muss ich länger überlegen... Ich glaube Bill Clinton , mit dem ich eine Stunde alleine redete als er gerade nicht mehr Präsident war. Das war beeindruckend, weil er sich in vielen Themen sehr gut auskannte. In Musik übrigens auch, er war gut mit Kenny G befreundet. Wir redeten über Musik in Schulen, was in Deutschland wie auch in Amerika viel zu kurz kommt. Es war sehr angenehm zu wissen, dass jemand der so weit oben sitzt, trotzdem so viel Verständnis für Menschen hat, die weit unter ihm stehen. Sein Wissen hat mir imponiert.  

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