Die Deutschrap-Nationalmannschaft
Es ist soweit. Sommer, Sonne, warmes Bier und Grillen im Freien. Per. Fekt. Und weibliche Geschlechtsteile, die als spontane Aktion im Jubelwahn ausgepackt und durch die Gegend geschleudert werden. Und ganz nebenbei ist halt auch noch ein bisschen Fußball. Ein Haufen überbezahlter Männer mit gegelten Haaren, modischen Tattoos und gezupften Augenbrauen, die Bällen hinterherjagen. Hab ich in ähnlicher Form letztes Jahr am Ballermann miterlebt, allerdings musste man dafür der Dame wenigstens einen Drink spendieren, um auch mal an die Bälle... Aber egal, andere Baustelle. Nicht nur ein Mario Gomez hat die Haare schön, auch Jerome Boateng musste nicht lang schnacken, um Gina Lisa nachts um zwei Uhr auf ihr Zimmer zu begleiten. Aber was hat das mit Fußball zu tun? Nix. Also, Themenwechsel.

Eine ganze Nation im Fußballfieber: Wie jedes zweite Jahr zum großen EM- bzw. WM-Ereignis, packt jeden deutschen Bürger der (vorübergehende) nationale Stolz und so werden fein säuberlich Deutschlandfahnen an Autos befestigt oder im Garten aufgehängt. Und wenn beim Nachbarn schon eine große Flagge weht, dann wird eine noch größere gekauft und nebendran befestigt, damit ja jeder sieht, wer der größere Deutschlandfan ist. Man muss ja zeigen, dass man keine Kosten oder Mühen scheut. Wo sich Pitbull-Jacken und Camouflage-Hosen tragende Glatzen mit sonst eher rational denkenden Managern oder Lehrkräften zur deutschen Nationalhymne verbrüdern und sich weinend in den Armen liegen, herrscht abseits der EM der ansonsten übliche Interessenskonflikt zwischen Hartz-IV-Gesocks und der gehobenen Klasse. Aber nun gibt es auch für Max Mustermann einen Grund, sich schon mittags um 12 Uhr aus der Firma zu schleichen und hemmungslos zu betrinken. Dank literweise Bier und der konventionellen Uniform – sprich obenrum Deutschlandtrikot, untenrum egal und möglichst viel Farbe im Gesicht – existiert eine gemeinsame Liebe, die euphorisch, ja, manchmal geradezu ekstatisch, gefeiert wird.

Stichwort: Public Viewing. Im Wind wehende Deutschlandfahnen, überfüllte Plätze voller Menschen, die nationale Parolen skandieren und ein ganzes Land in Euphorie und Aufbruchsstimmung. Kennt man ja schon alles aus dem Geschichtsunterricht, als ein gewisser Österreicher 1939... Aber vergessen wir das lieber. Dieses Mal blickt die ganze Nation auf einen Miroslav Klose , denn dieser soll es im Sturm richten. Aber Moment mal... Miroslav? Richtig, gebürtiger Pole. Naja gut, dann macht es eben Lukas Podolski . Ach, stimmt ja. Auch gebürtiger Pole. Aber wir haben ja noch genug andere Spieler. Wie Mesut Özil beispielsweise. Wie? Aus der Türkei? Dann eben Cacau ... Ach, ok. Brasilianer. Khedira ? Marin , Gomez , Gündogan ...? Ah, Schweinsteiger . Der Name, den ein Engländer unter Garantie nicht aussprechen kann. Oder Müller . Badstuber . Oder auch Neuer , der Prototyp eines Deutschen. Auch wenn Özil , Boateng und Khedira beim Auftaktspiel gegen Portugal die Nationalhymne boykottierten, vielleicht macht Fußball den Deutschen klar, dass nicht nur Badstuber s Deutsche sind. Und das Özil nicht aus der Türkei, sondern aus Gelsenkirchen kommt. Vielleicht kann man sich sogar das Wort Migrationshintergrund eines Tages sparen, weil jeder Deutsche einen Migrationshintergrund hat, wenn man ausreichend viele Generationen zurück blickt. Dieses National-Ding ist eine irgendwo doch willkürliche Abgrenzung unter Menschen, die einfach alle Menschen sind. Ein gemeinsamer Kulturkreis, eine Schublade, in der die Menschen noch ein wenig mehr gemeinsam haben, als die Menschheit im Allgemeinen. Doch der Bruch geht ja noch weiter. Die Jungs kommen auch noch aus den verschiedensten Vereinen. Da sind wir so daran gewöhnt, Woche für Woche alles außer X Scheiße zu finden, und dann jubeln wir plötzlich für den Feind. Weil wir ja doch alle Deutsche sind.

Seite 2: Was hat das mit Rap zu tun?


Was hat das mit Rap zu tun? So bunt gemischt, wie sich die Nationalmannschaft aktuell zeigt, so facettenreich ist auch die Lage im Rapbereich. Wo sonst könnten Celo & Abdi mit Samy Deluxe oder Cro um die vorderen Chartplatzierungen konkurrieren? Wo sonst wäre ein Jan Delay -Feature auf einem Haftbefehl -Album oder ein MoTrip auf Samy s Schwarz Weiß -Album? Oder ein KC Rebell – seinerseits stolzer Kurde  –, der im Deutschlandtrikot ein Interview mit Visa Vie führt und zeigt, dass es keinen Unterschied mehr macht, woher ein Musiker kommt. Wichtig ist, was er aussagt. Welche Leistung er bringt.

Es bleibt zu hoffen, dass die Grundphilosophie des DFBs – also das Verbünden verschiedener Spieler aus konkurrierenden Vereinen für ein und dieselbe Sache – sich auch auf den Rapbereich überträgt, wo derzeit zu viel gehatet und persönliche Konflikte in aller Öffentlichkeit ausgetragen werden. Man sollte vielleicht mit der deutschen Nationalelf gleichziehen und sich auf die gemeinsame Liebe zur Sache – hier: die Musik – beschränken. Etwas weniger Neid und Hass, etwas mehr Solidarität. Oftmals ist es doch so, dass nach Camps sortiert wird. Jemand, der Bushido feiert, hatet automatisch Kay One . Die deutsche Nationalmannschaft zeigt aber, dass Spieler verschiedener Vereine dennoch zusammenarbeiten können. Ein Ziel, eine Leidenschaft. Ganz Deutschland steht bei der EM hinter der Nationalelf. Warum ist dies im Deutschrap nicht möglich? Wenn eine ganze Nation das DFB-Team anfeuern kann, wieso können das dann nicht auch Rapfans? Warum ist es uncool, wenn man als Kollegah -Fan zugibt, dass man auch Laas Unltd. geil findet?

Ein Grund könnte die tief im Rap verwurzelte Battlementalität sein. Und dennoch, die Parallelen zum Fußball sind auch hier gegeben. Ein Dortmund-Fan würde niemals einen Mario Gomez ausbuhen, der im Nationaldress ein Tor schießt.  Sido wurde dagegen auf dem Splash beworfen. Gut, Gomez wird in Dortmund auch beworfen. Fußball-Fans sind wahrscheinlich nicht vernünftiger als wir. Viele Hiphopper sind nicht umsonst parallel Fußball-Fan. Uns fehlt vielleicht nur die Hiphop-Nationalmannschaft. Die Gelegenheit, wo uns auffällt, dass wir zusammengehören. Es könnte alles so schön sein. Und dennoch ist alles unnötig kompliziert. Die ganzen Journalisten und Integrationsbeauftragten, die anhand der Nationalmannschaft den Zusammenhalt des Landes zeigen wollen, haben vielleicht Recht: Deutschrap, Fußballer und der Rest der Welt können noch viel vom Phänomen Nationalmannschaft lernen. Gerade, was Zusammenhalt und -arbeit angeht. Am Ende des Tages sind wir doch alle Teil einer Sache und ob nun Fußballer oder Rapper – die Liebe zur Sache ist das, was jeden Einzelnen ausmacht. Und verbinden sollte. In diesem Sinne wünsche ich der deutschen Nationalelf nur das Beste, den Fans viel Spaß und noch mehr Bier und Deutschrap eine erwachsenere Haltung gegenüber anderen Musikern. Ich geh jetzt Bratwurst essen. Und kauf mir danach eine Deutschlandfahne. Hiphop-Flaggen sind ja noch nicht erfunden worden.

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