Wieso Danger Dans "Reflexionen aus dem beschönigten Leben" das bisher beste Release 2018 ist

Am Tag an dem Daniel Pongratz seinen 35. Geburtstag feiert, veröffentlicht sein rappendes Alter Ego Danger Dan mit „Reflexionen aus dem beschönigten Leben“ sein Soloalbum. Die Platte ist unbequem, schön, manchmal lustig, oft ernst und – wie der Name es vermuten lässt – fast immer selbstreflexiv. Vor allem ist es aber ein Werk, das diejenigen bedient, denen Rap 2018 zu monoton ist.

Danger Dan liefert andere Sounds, berappt andere Themen und hat mit dem deutschsprachigen Rap-Mainstream wenig am Hut. Unter anderem deswegen sollte „Reflexionen aus dem beschönigten Leben“ in der Szene gehört werden. Die Themen, die behandelt werden, und die Art und Weise der Auseinandersetzung haben Relevanz weit über die Szene hinaus.

„Eure gutgemeinten Liebeslieder sind das Hinterletzte“

Da ist beispielsweise die erste Singleauskopplung des Albums. „Sand in die Augen“ ist ein feministischer Track. Anders als im öffentlichen Diskurs reicht es Danger Dan allerdings nicht, expliziten S*xismus zu kritisieren, der beispielsweise im Rap immer wieder in bestimmten Begriffen gipfelt, mit denen Frauen herabgewürdigt werden. 

Der Song geht tiefer und prangert Zustände der Gesamtgesellschaft an. Obwohl die Mitte der Gesellschaft offenen S*xismus - den es beispielsweise im Rap unweigerlich gibt – zurecht thematisiert, setzen sich viele Menschen kaum mit den Umständen auseinander, die diese Ausfälle ermöglichen. Dass Kinder in einer Gesellschaft aufwachsen, die Klischees darüber, was „weiblich“ oder „männlich“ sein soll, täglich reproduziert, ist für Danger Dan als Vater einer Tochter das Hauptproblem. Die Probleme im Rap versucht der in Aachen geborene Künstler aber gar nicht zu leugnen. „Gutgemeinte Liebeslieder“ anderer Rapper verachtet er und Themen wie Geschlechterklischees, Gender Pay Gap oder sexuelle Belästigung versucht er im dazugehörigen Video erst gar nicht beschönigend darzustellen. Dass es keine wesentlichen Unterschiede zu vielen anderen Rapvideos gibt, verdeutlicht das Problem einmal mehr: 

Danger Dan - Sand in die Augen (Antilopen Gang)

Offizielles Video zu "Sand in die Augen" vom Danger Dan-Album "Reflexionen aus dem beschönigten Leben", das am 01.06.2018 erscheint.

Dass Danger Dan nicht nur auf andere zeigt, sondern auch eigenes Handeln hinterfragt, zeigte sich im Übrigen im Interview mit Miriam Davoudvandi vom Splash!-Mag. Sie konfrontierte ihn mit dem Vorwurf, das Thema erst zu einem Zeitpunkt zu behandeln, an dem er selbst Vater geworden sei. Das selbstkritische Eingeständnis, dass sein Blick auf das Thema durch die eigene Vaterschaft sich nochmal geändert habe, wirkt offen und ehrlich. So sieht Selbstreflexion ganz ohne Beschönigung aus.

„Hiphop war niemals ein Sprachrohr für Subversion“

Obwohl Danger Dan eine Soloplatte gemacht hat, ist „Reflexionen aus dem beschönigten Leben“ ein Antilopen Gang-Projekt. Panik Panzer hat produziert, Koljah beim Schreiben supportet und beide gemeinsam sind als Feature-Gäste am Start. Und weil ein Antilopen Gang-Projekt ohne Szenekritik und Abgrenzung gegenüber der Szene keines ist, gibt es auf „Drei gegen einen“ Fronts ohne Ende.

Den Antilopen ist es eine Ehre, mit der Szene „befeindet zu sein“. Frauenbilder, die so „fortschrittlich wie Kopftücher“ daherkommen, Rapper die in epischen Interviews „durchgehend den Gesprächsfaden“ verlieren oder Künstler, die „auf Antifa mit Jahresabo ‚Business Punk‘“ machen sind für die Gang die Repräsentanten der Rapszene. Da wollen die drei vieles - nur nicht dazugehören. „Drei gegen einen“ ist Abgrenzung, Szenekritik und einer der besten Tracks der „linksextremen Hass-Band“.

Sand in die Augen

Sand in die Augen, a song by Danger Dan on Spotify

"Oh, Sebastian, Oh Sebastian, mit 14 hab‘ ich dich geliebt“

Als einziger Front gegen Danger Dans alte Lieblingsband Die Prinzen erscheint der Track „Die Prinzentragödie“, auf der Daniel seiner Enttäuschung über die Entwicklung der Prinzen freien Lauf lässt – insbesondere über die Entwicklung des Sängers Sebastian Krumbiegel. Dass ausgerechnet der dann Feature-Gast auf dem Track wurde und sich selbst im eigenen Part selbstironisch volley nimmt, wirkt auf den ersten Blick absurd. Schließlich war Krumbiegel doch einer der prominenten Verteidiger Xavier Naidoos, der wiederholt durch krude Verschwörungstheorien und antisemitische Aussagen auffiel, weswegen Danger Dan dem Mannheimer gar einen Track widmete

Der taz erklärte Danger allerdings, dass er viele Gespräche mit Krumbiegel geführt habe, die ihm gezeigt hätten, dass sie beim Thema Xavier Naidoo zwar nicht auf einen Nenner kämen, Krumbiegel grundsätzlich aber kein verbohrter rechter Ideologe sei. Damit leisten die beiden etwas, das in der heutigen Diskussionskultur immer seltener wird: andere Meinungen anhören, nicht immer einer Meinung sein und trotzdem gegenseitigen Respekt aufbringen. Reflexion durch Austausch. 

Die Prinzentragödie (mit Sebastian Krumbiegel)

Die Prinzentragödie (mit Sebastian Krumbiegel), a song by Danger Dan, Sebastian Krumbiegel on Spotify

„Emotionen sind wie ein Inkassoverfahren …“

„… das immer teurer wird, wenn man es ignoriert“, rappt Danger Dan auf „Private Altersvorsorge 2“ über die eigenen Erfahrungen. Der Track ist eine Fortsetzung des 2008 auf seiner „Coming Out“-EP erschienen ersten Teils, auf dem Danger Dan vor zehn Jahren einen Brief an sich selbst in zehn Jahren (also heute) formuliert. Entstanden ist ein Stück, auf dem Danger auf die Höhen und Tiefen der vergangenen Jahre zurückschaut und sich selbst vor zehn Jahren auf der einen Seite mitteilen darf, dass das letzte Antilopen Gang-Album auf der #1 gechartet ist, aber ihn auch auf den Suizid von NMZS - des vierten Mitglieds der Antilopen Gang - vorbereiten muss. Wer allerdings ein alle Rückschläge romantisierendes Stück erwartet, das den aktuellen Erfolg als unweigerliche Folge zu beschreiben versucht, der wird glücklicherweise eines Besseren belehrt. 

Das persönlichste Stück endet mit einem Bekenntnis des Aacheners, der offen über seine Gesprächstherapie redet, zu der er sich in Folge von NMZS‘ Freitod entschloss, da ihm der Umgang mit an Depression leidenden Menschen in seinem Umfeld immer mehr zusetzte. Den Rat seiner Therapeutin – Abgrenzung zu lernen – befolgt er, indem er sich selbst in zehn Jahren bittet, ihm keine Antwort zu schreiben. 

Private Altersvorsorge 2

Private Altersvorsorge 2, a song by Danger Dan on Spotify

Sollte seine Therapeutin das Album zu hören bekommen, würde sie es vermutlich als persönlichen Erfolg werten. Eine intensive Auseinandersetzung mit sich selbst gepaart mit eindeutiger Abgrenzung zu gewissen Dingen in seiner Umwelt macht „Reflexionen aus dem Alltag“ jetzt schon – auch weit über die vier subjektiv ausgewählten Tracks hinaus – für mich zum bisher interessantesten deutschsprachigen Release des Jahres. 

Soundtechnisch – so könnte die Kritik lauten – gibt es keinen wirklichen roten Faden. Dafür gibt es eben eine extreme Vielfalt in den Sounds, die Rap aktuell in Teilen fehlt. Den roten Faden, den das Ding irgendwie zu einem dieser sagenumwobenen Konzeptalben machen könnte, hat Danger Dan eher durch seine bemerkenswerte Offenheit geliefert. Beim Hören schafft er es, dich 40 Minuten lang in die verschrobene, manchmal eigenwillig traurige, aber stets sehr offene Seele eines empathischen und freiheitlich denkenden Menschen zu entführen. Ein Stück gerappte Gesprächstherapie – für den Künstler aber auch für seine Fans und vielleicht auch für die gesamte Rapszene, der hier gezeigt wird, wie Selbstreflexion und Selbstkritik gehen. 

Wie Danger Dan mit so viel Lob von einem Medium umgeht, das die Szene begleitet, mit der er nichts zu tun haben möchte, können wir nicht sagen. Bestenfalls hören wir es in ein paar Jahren auf dem nächsten Soloprojekt des Rappers. 

Reflexionen aus dem beschönigten Leben

Reflexionen aus dem beschönigten Leben, an album by Danger Dan on Spotify

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