Was ist Beef? oder: Wer kann am ekelhaftesten sein? (Kommentar)

Es gibt keine zwei Meinungen. Ich will niemanden überzeugen. Der Sachverhalt braucht keine moralische Einordnung und allein dieser Umstand zeigt, mit welcher Vehemenz die Grenze jeglichen Geschmacks überschritten wurde.

"Beef ist, wenn ich deine Mutter fick' und du es siehst", rappte Kollegahs damaliger Labelpartner Favorite 2007 auf dem ersten Selfmade-Sampler. Fav rappte mit viel Ironie. Er hätte selbst nie gedacht, dass seine Zeile zwölf Jahre später mal so sehr den Nerv der Zeit trifft. Denn diese Woche schockierte der bei Kollegahs aktuellem Label Alpha Music Empire unter Vertrag stehende Rapper Jigzaw mit einer maßlos asozialen Aktion, um einen vermeintlichen Beef für sich zu gewinnen. Nach den typisch ausufernden Beleidigungen kündigte der gebürtige Hagener an, ein Video zu verbreiten, in welchem er angeblich beim Sex mit der Mutter seines Gegners zu sehen sei.

Leider ließ er seinen Worten Taten folgen. Mittlerweile macht das Video die Runde – und was einmal im Internet ist, wird nie vergessen.

Ob es sich im Video tatsächlich um die Mutter seines Kontrahenten handelt, ist mir erstens egal und zweitens unwichtig für die moralische Einordnung der Aktion. Der Meinung zu sein, zurecht dieses Register in einem Beef ziehen zu dürfen, zeugt von gänzlich irrationalem Verhalten. Es ist nicht männlich, Frauen heimlich beim Sex zu filmen. Es ist nicht krass, einen Beef zu gewinnen indem man die Familie erniedrigt. Es ist auch nicht "Straße", sich so zu wehren.

In Ordnung, wir verstehen, Beef ist eine Art von Krieg. Doch selbst im menschenfeindlichsten Akt der Menschheit – im Krieg – gibt es Grenzen. Als sich Jay-Z vor knapp 18 Jahren öffentlich mitten im Beef bei Nas entschuldigte, ging es noch um weitaus weniger. Er hatte Lines über die Mutter von Nas’ Kind gerappt. Damals musste Jay-Z einen Anruf seiner eigenen Mutter erhalten, um den Ernst der Lage zu realisieren. Er bat live im Radio um Entschuldigung bei seinem Gegner.

Diese Grundlage an Respekt und Fairness, seines eigenen Grenzübertritts bewusst zu sein, scheint bei manchen Rappern allerdings vollkommen verloren gegangen zu sein. Erinnerungen kommen hoch an die abartigen Beef-Taktiken von Al-Gear, der seine Gegner mit ekelerregenden Pranks ins Verderben schickte. Von Einsicht ist bei Jigzaw nicht der Hauch einer Spur. In einem skurrilen Statement versucht er seine Beweggründe darzulegen und bekräftigt sein öffentliches Verhalten stattdessen weiter: "Es wird noch ekliger".

Bereits für seine Straftaten, für die er teilweise jahrelang im Gefängnis saß, scheint keine Läuterung stattgefunden zu haben. Als ich Anfang Juni der Bitte seines mittlerweile Ex-Managements nachging, Jigzaw kurz vor seiner Ausweisung die Möglichkeit zu geben, sich im Interview zu erklären, hatte ich Reue erwartet. Stattdessen wirkte er, als trüge er seine Ausweisung wie ein Abzeichen. Er kündigte an, Kinder "vergiften" zu wollen. In seinem aktuellen Beef drohte er, bei einer körperlichen Auseinandersetzung mit mehr als einer Person wieder eine Machete zu ziehen.

Dieses Spektakel ist peinlich. Für Jigzaw, der damit eine sehr ekelhafte Seite gezeigt hat und sich vermutlich – was seine Verhandlungsbasis für die restliche Karriere angeht – so weit wie nur möglich ins Aus katapultiert hat. Für sein Label und dessen Oberhaupt Kollegah, die Stand jetzt immernoch keine Stellung zu dieser Aktion genommen haben. Und für einen Teil unserer Szene, der scheinbar an einem Punkt angelangt ist, wo Mutterfickerei und Fäkal-Pranks als legitime Mittel gewertet werden, Differenzen zu lösen, für die unsere Kultur normalerweise musikalische Werkzeuge entworfen hat. Dabei gewann gerade in den letzten Jahren gute Musik stetig an Stellenwert, während respektlose Beef-Strategien bei Fans und Rappern immer mehr auf Langeweile stießen.

Jigzaw hat umumkehrbaren Schaden angerichtet. Nicht nur bei seinem Kontrahenten – das wird er wohl leider sogar als Triumph werten, wie damals Al-Gear. Sondern insbesondere auch bei der Frau aus dem Video, die erniedrigt und instrumentalisiert wurde, um einen Deutschrap-Beef zu gewinnen. Schade, dass diese Woche leider eindrucksvoll gezeigt wurde, wie frauen- und menschenfeindlich manche deutsche Rapper noch sein können. Schade, denn deutscher Hiphop ist eigentlich auf einem immer besseren Weg, solche Probleme nicht mehr aufkeimen zu lassen. Wenn Menschenleben im Namen von Hiphop in Mitleidenschaft gezogen werden, macht unsere Kultur keinen Spaß und keinen Sinn mehr.

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