Ein Streit am Gartenzaun: Sido hat ein Reporter-Team der Bild-Zeitung attackiert. Das geht aus einem Video hervor, welches das Springer-Blatt hinter einer Paywall geparkt hat. Es erzählt viel über die angespannte Situation in der Corona-Krise und über die Methoden, um an eine verwertbare Schlagzeile gelangen.
Vor Sidos Grundstück: Was hatte die Bild-Zeitung vor?
In dem Artikel zum Video heißt es: "Das Interview mit Sido sollte für eine Bild-Dokumentation über Verschwörungstheorien in der Corona-Krise stattfinden." Diese Doku soll nächste Woche erscheinen. Die Macher scheinen jedoch entweder nichts davon zu halten, ein Interview anzufragen oder können eine Absage nicht hinnehmen. Stattdessen ziehen die Verantwortlichen es vor, die Privatadresse von Sido anzusteuern, um dort auf eine Reaktion zu hoffen – die sie dann auch erhalten.
Sowohl die Reporterin als auch ihr Kameramann werden kaum davon ausgegangen sein, dass Sido sich als launiger Interview-Partner präsentiert. Das kurze Video beginnt ohne viel Vorlauf mit dem längst getriggerten Rapstar. Was im Vorhinein passiert ist, bekommen die Zuschauer*innen nicht zu Gesicht. Es ist offensichtlich, dass Sido nicht gewillt ist, über Verschwörungstheorien oder irgendein anderes Thema zu sprechen.
Als er sich von der Kamera abwendet, hinterfragt die Reporterin noch einmal die Beleidigungen, die auf sie einprasseln. Das Bild-Team wartet so lange vor dem Grundstück, bis Sido letztendlich seine Beherrschung verliert – Mission erfüllt. Artikel und Video stehen prominent auf der Startseite. Mit unsachlich agierenden Rappern lässt sich hervorragend arbeiten. In unmittelbarer Nähe sind viele polemische Headlines zu sehen, die bei den Demonstranten gegen Staat, Bill Gates und die Kugelform der Erde Anklang finden werden.
Bei der Bild ist davon die Rede, dass die Situation "völlig aus dem Ruder gelaufen" sei. Dabei ähnelt die Konstellation extrem dem Konflikt von Fler und einem Team von RTL. Auch hier wurde Fler in einer privaten Situation samt Kameramann von einer Interview-Anfrage überrumpelt. Bei Sido ist daher nun nichts Unvorhersehbares passiert, sondern genau das, was unter der Abwägung aller Möglichkeiten nicht unwahrscheinlich ist – und von den Beteiligten in Kauf genommen wurde.
Was erwartet man von jemandem, den man mit dem Gesicht zur Wand stellt und in seiner eigentlichen Safe Zone psychisch belästigt wird? Der trotz seiner soften Pophits immer noch eine Straßenvergangenheit hat? Gewalt ist natürlich der falsche Weg. Sie jedoch blind zu provozieren, macht keinen sonderlich smarten Eindruck.
Die Bild wird in der Nachberichterstattung nicht müde, weiter zu skandalisieren. Auch Hitler ist inzwischen Teil des Framings, wenn süffisant die Frage aufgeworfen wird: "Was ist bloß mit Sido los?" Dass Fler für das Verhalten seines Kollegen Beifall klatscht, ist eine Randnotiz, die nur nochmal unterstreicht, wie es um die allgemeine Stimmungslage bestellt ist.
Auf rechtlicher Ebene mag es vertretbar sein, sich vor dem Grundstück von Sido aufzuhalten. Doch auch ein Sido hat ein Recht auf Privatsphäre. Inzwischen hat die Bild die Aufnahmen des Grundstücks unkenntlich gemacht. Mit Respekt oder Anstand vor der Privatperson Paul Würdig hat dieses Lauern am Gartenzaun nichts zu tun. Aus der Emotion heraus unterstreicht Sido nach dem Vorfall noch einmal, dass die Konfrontation auch anders hätte ausfallen können.
Sido grenzt sich von Verschwörungszene ab - und hängt dennoch mit drin
Einige Prominente und auch immer mehr Künstler drehen während der Corona-Pandemie kräftig am Rad. Für die Bild fällt Sido in genau diese Kategorie. Er sei einer derjenigen, die "irre Verschwörungstheorien" verbreiten. Das Springer-Blatt stellt den Berliner in eine Linie mit Xavier Naidoo und all den Gestalten, die hauptsächlich damit beschäftigt sind, der Idee der allumfassenden Weltverschwörung hinterherzujagen.
Sidos Aussagen im Gespräch mit Ali Bumaye sind dahingehend auch keinesfalls komplett unproblematisch. Das Aufgreifen der Rothschild-Theorie und das Fabulieren über Kindesentführungen gepaart mit einem generellen Misstrauen gegen Presseorgane ist wie Wasser unter den Mühlen einer diffusen Widerstandsbewegung. Auf Anfrage stellte Sido jüngst bei uns klar, dass er mit den "Attila Hildmanns und KenFMs dieses Landes" nichts zu tun haben möchte.
Der Aluhut wurde ihm aber bereits aufgesetzt. Er wird schon mit einer Herde durchs Dorf getrieben, mit der er nur wenige Überschneidungspunkte hat. Die aktuelle Entgleisung dürfte dazu beitragen, dass Sido weiter in einer Gruppe mit diesen selbsternannten Freiheitskämpfern Erwähnung findet.
Es bleibt abzuwarten, unter welchen Bedingungen, sich die Bild andere Interview-Gäste für die angekündigte Dokumentation an Land gezogen hat. Der Personenkreis, der daran interessiert ist, dass sich die Verschwörungserzählungen in die Mitte der Gesellschaft vorgraben, wird sich vermutlich bereitwilliger für das eine oder andere Statement zur Verfügung stellen (oder bereits gestellt haben). Die Bild mischt dabei munter mit und liefert ihren Beitrag zu einer gesellschaftlichen Zerreißprobe, indem sie sich effekthascherisch um die jeweiligen Meinungspole herumschlängelt.