Schüsse und Macheten: Wie Gangsta-Rap eskaliert

In München konfrontieren Kollegah und Begleitung Arafat. In Oer-Erkenschwick fallen Schüsse. Manuellsen droht damit, Bushido umzubringen. Alles nicht mal zwölf Monate nach der blutigen Auseinandersetzung in Köln.

Parallel läuft im Kino der 2Pac-Film All Eyez On Me. Er deutet das Leben der Legende als Geschichte eines Rappers, der sich von Kriminellen helfen lässt. Eines Tages merkt der Film-Pac, dass sein ganzer Besitz eigentlich seinem Gangmember-Labelboss gehört. Er will gehen, kann aber nicht. Stattdessen mischt er in der Welt seines Chefs mit und wird erschossen. Was 2Pacs Stärken angeht, kann vielleicht kein deutscher Rapper mithalten. Aber vielleicht bei seinen Schwächen. Es fällt schwer, den Film zu gucken, ohne Parallelen zur deutschen Gangsta-Rap-Welt zu sehen.

Seit Bushido sich an Arafat wandte, um aus seinem Aggro-Vertrag zu kommen, ist "Rücken" ein Element im deutschen Gangsta-Rap. Nach 2004 bedeutete das: Bushido kann jeden dissen, niemand kann antworten. Arafat hielt sich bis zur berüchtigten #waslos-Folge im Verborgenen und war dadurch eine mystische Figur. Die Wenigsten wussten Genaues, alle hatten Geschichten gehört. Bushido wirkte unantastbar.

Manches hat sich geändert. Bushido disst Moderatoren, Grünen-Politiker, Videoproduktionsfirmen. SpongeBozz disst die halbe Szene und verkauft fast genau so viel. Rücken zu haben, ist so selbstverständlich wie Ghostwriter und gefälschter Schmuck.

Ist die Diktatur vorbei, beginnt der große Krieg. Bis sich ein Gleichgewicht einstellt, passiert vielleicht Schlimmeres. Dann wird zurecht die Empörung groß sein. Wer Rap hört, wird sich rechtfertigen müssen. Viele werden deutlich machen, dass das nicht die Szene ist, von der sie ein Teil sind. Nicht zuletzt wird es das Geschäft Gangsta-Rap um Jahre zurückwerfen. Keiner will dann Schuld haben, jeder einen Schuldigen finden. Dann wird ein Gang zurückgeschaltet, bis der Rauch sich legt und man sich erneut hochschaukeln kann.

Manchmal werden persönliche Differenzen in Songs, Interviews oder Social-Media-Posts thematisiert. Manchmal wird ein anderer für Promo attackiert. Disstracks und Battle-Rap sind Teil der Kultur. Natürlich wird berichtet. Alles, was Rapper betrifft, gehört in ein Rap-Magazin. Trashige Schlammschlachten und Gewaltdrohungen interessieren mehr Menschen als alles andere, was Rap an Themen zu bieten hat. Beef-News-Lesen und Rumtrollen ist wie gemeinsames Trash-TV-Gucken. Es finden sich genug, die die Nachfrage bedienen. Battle funktioniert nur so lange, wie Gewalt Tabu ist. Dass Battle im Gangsta-Rap mit Gewalt ausgetragen wird, ist so absurd wie naheliegend. Der Verein der Rap-Feuilletonisten ist empört, hat aber keine Ideen, außer die eigenen Hände aus der Soße zu ziehen und in Unschuld zu waschen.

Straße heißt nicht zwangsläufig Mord und Totschlag. Straße heißt auch Telefonpolitik und Gespräche an Tischen straßenkredibiler Streitschlichter. Bedingungen einer Einigung werden ausgemacht, man verträgt sich. Die Öffentlichkeit erfährt von den Details der Schlichtung nichts, was für Schaulustige sehr unbefriedigend ist. Dann werden die menschenverachtenden "Jetzt stecht euch auch ab oder haltet die Fr*sse"-Kommentare geschrieben, die grade Früchte tragen.

Rap hat das nicht erfunden. Ohne Gangsta-Rap tragen die gleichen Gruppen andere Konflikte aus. Dealer, Räuber oder Zuhälter können kaum zur Polizei gehen. Sie haben Rücken und Friedensrichter. Gangsta-Rapper gehen auch nicht zur Polizei, sie nutzen und bezahlen parallele Strukturen. Rap hat diese Welt nicht geschaffen, Rap macht sie nur sichtbar. Jetzt siehst du, jetzt kannst du dir eine Meinung bilden, jetzt können wir reden. Jan Böhmermann hat mal bei Rooz gesagt, wenn man einen Stein hochhebt und darunter kommen Asseln hervor, ist das Problem nicht, dass jemand den Stein hochgehoben hat. Die Asseln waren auch vorher da, du hast sie nur nicht gesehen.

Ob ein Mächtegleichgewicht dauerhaft Frieden bringt? Bei Manuellsen und Bushido blieb es bislang – soweit bekannt – bei Worten. SpongeBozz und PA Sports haben ihren Beef sogar mit sehr guten Tracks ausgetragen. Es wäre naiv zu glauben, dass das immer so hiphopig laufen würde. Vielleicht wäre ein Mächtegleichgewicht stabil, aber ab und an wird's knallen.

Manche Gangsta-Rapper sind Gladiatoren, Menschen, die sich zur Unterhaltung anderer die Fresse einschlagen. Rapper sollten Zuhörer als Leute sehen, die etwas von ihnen lernen können sollen; nicht als Leute, für deren Entertainment man jeden Sch**ß machen muss. Manche denken, sie f*cken die Welt, aber f*cken sich nur selbst. Wenn jemand rappt, anstatt zu dealen, sollte das Risiko einer Schießerei für ihn sinken. Es sollte nicht nötig sein, die hart erarbeiteten Millionen für Schutz auszugeben. Kauft euch lieber Lamborghinis von unserem Taschengeld. Berichtet von der Straße, fühlt euch nicht verpflichtet, alles bis ins Letzte durchzuspielen. 

Rapper achten darauf, wie die Öffentlichkeit über sie denkt. Die Öffentlichkeit kann darauf achten, was sie denkt. Jeder Zuschauer zieht sich die Konflikte der Rapper auch rein, um die Ereignisse und Aussagen mit seinen eigenen Einstellungen abzugleichen. Uns beeinflusst, was wir aufnehmen. Jahrelanger, unreflektierter Trash-Konsum geht nicht spurlos an deinem Gehirn vorbei. Sich darauf zu einigen, dass Gewalt sch**ße ist, ist besser, als auf einen Paten zu warten. Gewalt macht einen nicht zum Mann, Gewalt ist Schwäche. Man muss nicht zulassen, dass Rap genau so sch**ße wird, wie alles andere Drumherum.

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