OG Keemo, Stormzy & mehr: 7 Persönliche Highlights 2019

Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Das heißt nicht nur, dass es wieder an der Zeit für die Hiphop.de Awards ist, sondern auch, dass wir selbst alle zurückblicken. Dabei kommt auch mir als freier Redakteur die Ehre zu, meine persönlichen Highlights des Jahres zu präsentieren. Die fallen dieses Jahr mannigfaltig aus. Vor allem die Platten von Stormzy, OG Keemo und Dendemann sowie die stetig wachsende Vielfalt haben es mir 2019 angetan.

OG Keemo & Funkvater Frank retten Rap mit "Geist"

OG Keemos erstes richtiges Album "Geist" trifft genau meinen Geschmack. Ich mag das Harte, die raue, direkte Art und das Intelligente. Das gilt sowohl für die inhaltliche Ebene, als auch das Musikalische. Bei diesem Album stimmt fast alles: OG Keemo rappt wie ein junger MF Doom und schreckt nicht davor zurück, den Finger in die Wunde zu legen. Im Gegenteil.

Hier ballern nicht nur die besten und vielleicht experimentierfreudigsten Beats des Jahres aus den Boxen. Auf "Geist" rappt mit OG Keemo auch noch ein wütender Mann, der vom Leben gezeichnet ist. Kein Wunder also, dass es viel um Schicksalsschläge, Hustle, Rassismus und Diskriminierung geht.

Deutschsprachiger Rap braucht Alben wie dieses und die deutsche Gesellschaft erst recht. Ich persönlich habe wohl kein Album seit Haftbefehls "Russisch Roulette" so sehr gefeiert.

Aber zufrieden sein ist allgemein nicht so mein Style und darum habe ich sogar an "Geist" etwas auszusetzen. Lines wie "Zwing mich ja nicht rauszufinden, wie viel Zentimeter in die Kehle von deinem Mädchen passen" finde ich mindestens fragwürdig. Abgesehen von den seltenen Sexismus-Ausfällen halte ich das Album aber schlichtweg für überragend.

Stormzy legt mit "Heavy is the Head" nach

Ich muss gestehen, dass ich Stormzy lange sträflich vernachlässigt habe. So richtig auf dem Schirm hatte ich den Rapper erst seit "Vossi Bop" (dabei ist "Gang Signs & Prayer" aber auch sehr gut!). Mit jeder weiteren neuen Videosingle wuchs die Vorfreude auf das Album – und es hat mich nicht enttäuscht. "Heavy is the Head" zählt auch international einfach zum Besten, was das Jahr 2019 hervorgebracht hat.

So abwechslungsreich wie Stormzys neues Album fallen die wenigsten Platten aus. Stormzy lässt seine Muskeln spielen und zeigt sämtliche Facetten: Er kann nicht nur harten "bad boy"-Grime, sondern beherrscht auch soulige Hymnen mit Gospel-Anleihen wie "Crown". Von lupenreinem Pop über harte Banger bis hin zu todtraurigem Seelenstriptease ist einfach alles dabei.

Dabei bleibt die Qualität stets auf hohem künstlerischen und handwerklichen Niveau. Trotz der Vielfalt in Form so vieler unterschiedlicher Spielarten gibt es auf "Heavy is the Head" keinen Song, den ich nicht mag.

Nichtsdestotrotz stören mich zwei Dinge: Ab und zu blitzt auch hier ein gewisser Sexismus durch und der ganze religiöse Quatsch nervt. Sonst ist aber alles brutal gut.

Dendemanns Comeback war der 1. Volltreffer des Jahres 2019

Dendemann flext vielleicht nicht alles in Grund und Boden. Aber er weiß sehr genau, was er da tut: Fast jede Zeile auf "Da nich für!" entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Wortspiel mit einer doppelten Ebene. Dendemann denkt und rappt quasi ununterbrochen um die Ecke und zeigt, was ihn zu einem der besten Lyricists des deutschsprachigen Raps macht.

"Da nich für!" befriedigt aber nicht nur meine Liebe zu klugen Wortspielen, sondern passt auch inhaltlich perfekt in unsere Zeit. Dendemann setzt klare, intelligente Akzente und gleichzeitig ein Zeichen gegen Nazis, Kapitalismus, Gleichgültigkeit, Ausbeutung, Leistungszwang und Co. Songs wie "Keine Parolen", "Menschine" oder "Zauberland" kann es gar nicht genug geben.

Mindestens genauso positiv fällt bei Dendemanns "Da nich für!" auf, dass es eben sehr wohl auch komplett ohne Sexismus geht. Ich skippe auf diesem Album mittlerweile vielleicht den einen oder anderen Song, aber wenigstens muss ich hier wirklich nie wegen dummen sexistischen Zeilen die Augen verdrehen. Danke dafür!

Zeitlos: Retrogott & Hulk Hodn liefern immer noch die beste Show

Retrogott und Hulk Hodn live zu sehen, stellt immer ein absolutes Highlight dar. Selbst beim gefühlt zwölften Mal funktioniert der Humor, der Spaß an der Sache, die Kritik und Liebe zur Musik auf der Bühne einfach am besten.

Auch wenn sich musikalisch wohl nie groß was ändern wird, gehört Retrogott zu den scharfzüngigsten und selbstironischsten Beobachtern des aktuellen Zeitgeschehens. Das äußert sich live nicht nur in beißenden Scherzen, bei denen dir das Lachen im Hals stecken bleibt. Es wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch jedes Mal so richtig persönlich und politisch.

Dazu brennt Hulk Hodn ein absolut klassisches Hiphop-Feuerwerk ab und scratcht, was die Turntables hergeben. Hiphop to the fullest. Wer die beiden noch nie live gesehen hat, muss das dringend ändern.

Was Lil Nas X mit "Old Town Road" gemacht hat, war genial

Lil Nas X lieferte mit "Old Town Road" einen Song, der unglaubliche Wellen geschlagen hat. Zuerst wurden Genre-Grenzen eingerissen (immer gut!). Was ist schon Country, was Rap, was hat mit Hiphop zu tun und was nicht?

Das alles spielt keine Rolle: Lil Nas X macht einfach, was er will. Dass er zunächst aus den Country-Charts verbannt wurde, dürfte ihn angesichts des darauf folgenden Sommers herzlich wenig gestört haben.

"Old Town Road" vereint nämlich nicht nur Country mit Rap. Der Song sprengt sämtliche Skalen und läuft überall: Wahrscheinlich kennen deine Kinder, Eltern, Nichten, Neffen und Großeltern den Song, du konntest ihn an der S-Bahnhaltestelle und im Supermarkt-Radio hören. Es gab diesen Sommer einfach kein Entrinnen.

Noch besser war eigentlich nur, was Lil Nas X anschließend gemacht hat. Nur die wenigsten Rapper verstehen es, einen so großen Hit noch größer zu machen – beziehungsweise ihn angemessen zu vermarkten. Lil Nas X schon. Er liefert Remix nach Remix, tut sich mit unzähligen anderen Künstlern zusammen und droppt gefühlt 17 Videos zu diesem einen Song. Nebenbei nutzt er auch noch Memes wie den Sturm auf Area 51 für seine Zwecke.

Lil Nas X hat "Old Town Road" so zu einem der am häufigsten gestreamten Songs des Jahres gemacht und damit Eminem-Rekorde gebrochen. Dem Ganzen setzt er dann noch die Krone auf, indem er sich outet. Einer der international erfolgreichsten Rapper des Jahres 2019 ist ganz offiziell nicht heterosexuell. Deal with it!

Lizzo erobert mit "Cuz I love U" die Herzen & die Welt

2018 habe ich einen großen Fehler begangen: Ich habe erst 2019 gecheckt, wie gut das Cardi B-Album eigentlich war. Das passiert mir nicht noch einmal! Lizzos "Cuz I Love U" ist pures Feuer, strotzt nur so vor Hits und gehört eindeutig zu den Highlights des Jahres 2019.

Zum Glück zahlt sich die ganze Body Positivity, Direktheit, der Humor und die Musik auch wirklich aus. Lizzo kann auf ein unglaublich erfolgreiches Jahr zurückblicken, was mich umso mehr freut. Live soll sie ebenfalls eine absolute Wucht sein, habe ich mir sagen lassen.

Wir brauchen noch viel mehr solcher positiver Identifikations-Figuren und Role Models. Vote 4 Lizzo bei den Hiphop.de Awards!

Western-Simulator Red Dead Redemption 2 erfüllt Kindheitsträume

Obwohl ich als freier Autor auch für Gamepro.de schreibe, kommt es eigentlich so gut wie nie vor, dass ich Spiele teste. Umso größer war meine Freude, als ich tatsächlich einen Review-Key für die PC-Version von "Red Dead Redemption 2" bekommen habe und anschließend im Auftrag von Hiphop.de viele, viele Stunden lang durch das Grenzland von "Red Dead Redemption 2" geritten bin (mittlerweile 122 Stunden, um genau zu sein).

Seit einem guten Jahr hatte ich neidisch auf PS4 sowie Xbox One geschielt und darauf gehofft, dass da noch eine PC-Version kommt. Wie der Zufall so spielt, habe ich mir kurz vorher einen neuen Gaming-PC samt 4K-Monitor gegönnt und konnte "Red Dead Redemption 2" dementsprechend dann in seiner ganzen Pracht und vollem Glanz genießen.

Videospiele spielen, meine Meinung dazu kundtun und damit auch noch Geld verdienen – was soll ich sagen? Ein Kindheitstraum geht in Erfüllung. Schon allein deshalb zählt meine Review zu RDR2 und das ganze Drumherum zweifellos zu den absoluten Highlights des Jahres. Für mich fühlt sich das immer noch irgendwie unglaublich an. Wie genau mir das Spiel gefallen hat, könnt ihr hier nachlesen:

Red Dead Redemption 2 ist auf dem PC sogar noch besser

Red Dead Redemption 2 gibt es jetzt auch für den PC. Wer lange neidisch auf PS4 und Xbox One schielen musste, kann die unglaubliche Open World nun endlich auch am Rechner erkunden. Das Warten hat sich gelohnt: Die PC-Version von Red Dead Redemption 2 setzt nochmal einen drauf.

Honorable Mentions: Rapsodys Album "Eve" ist genial, "Grey Area" von Little Simz ebenfalls. Genau wie Slowthais "Nothing Great About Britain". Kalim hat mit "Null auf Hundert" auch ein sehr gutes Album abgeliefert. Von Brother Ali gibt es ein Release nur mit Evidence-Produktionen. Madlib und Freddie Gibbs haben es mit "Bandana" schon wieder getan und ein Bomben-Release gedroppt. Young M.A.s "Herstory" solltet ihr ebenfalls auf dem Schirm haben. Genau wie "Patience" von Ulysse, "Otello" von OG Keemo, "Shackitistan" von Shacke One (bis auf diesen einen Song), Hanybals "Fleisch" und natürlich die bisherigen "Golem"-Auskopplungen von Tarek.

Was waren eure persönlichen Highlights des Jahres 2019?

Sidos Weiterentwicklung, das Phänomen Apache 207 und Grown Man Rap: 7 persönliche Rap-Highlights 2019

Zweitausendneunzehn ist in wenigen Tagen Geschichte. Damit endet nicht nur ein Jahr voller Höhenflüge, Niederlagen und neuen Erkenntnissen im Hiphop, sondern auch eine ganze Dekade. Einer ellenlangen Playlist mit tonnenweise feierbarer Musik steht mindestens eine genauso lange mit ziemlich schwachen Songs gegenüber.

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