#MeToo, Sexismus, Rap & Hiphop: Wieso uns das Thema alle angeht

Unter dem Hashtag #MeToo wenden sich Betroffene an die Öffentlichkeit, um deutlich zu machen, dass auch sie zum Ziel sexualisierter Gewalt geworden sind. Die massive Aufmerksamkeit verdankt das Ganze unter anderem der Schauspielerin Alyssa Milano: Sie hat in einem Tweet alle dazu aufgerufen, mit #MeToo zu reagieren, denen es auch so ergangen ist. Mit dem Ziel, der Gesellschaft einen Eindruck von der Größe und Tragweite des Problems zu vermitteln.

Alyssa Milano on Twitter

If you've been sexually harassed or assaulted write 'me too' as a reply to this tweet.

Der Rest ist Geschichte: Der Tweet wurde über 50.000 Mal gelikt und über 25.000 Mal retweetet. Seit mehr als zwei Monaten beherrscht das Thema die Medien. In Hollywood hat der Hashtag #MeToo gleich mehrere Karrieren beendet. Und das ist extrem gut so. Aber genau genommen stimmt das gar nicht: Es war nicht der Hashtag. Es waren die Menschen, die ihn benutzen.

#MeToo ist eigentlich viel älter

#MeToo geht aber eigentlich noch viel weiter zurück als bis zu Alyssa Milano. Hinter dem, was wir jetzt vor allem als Internetphänomen kennengelernt haben, steckt weitaus mehr als ein wütender Internet-Mob, eine verschwindend geringe Minderheit oder einfach nur ein Hashtag. MeToo ist eine Bewegung, die schon seit zehn Jahren existiert. Sie geht auf die Aktivistin Tarana Burke zurück, die die Girls for Gender Equity Organisation leitet. Beziehungsweise Tarana Burkes herzzerreißenden Erfahrungsbericht davon, wie sie 1996 Leiterin eines Jugendcamps war und ein Mädchen zu ihr kam, um ihr von den Misshandlungen des Freundes ihrer Mutter zu erzählen. Tarana Burke sagt im Interview mit CNN:

"Ich habe ihr dabei zugesehen, wie sie von mir fortlief, wie sie versucht hat, ihre Geheimnisse wieder einzufangen und sie zurück in ihr Versteck zu verstauen. Ich habe ihr dabei zugesehen, wie sie ihre Maske wieder aufgesetzt hat und zurück in diese Welt ging, als wäre sie ganz allein und ich konnte mich nicht einmal dazu bringen, ihr zuzuflüstern ... ich auch."

"I watched her walk away from me as she tried to recapture her secrets and tuck them back into their hiding place. I watched her put her mask back on and go back into the world like she was all alone and I couldn't even bring myself to whisper ... me too."

An activist, a little girl and the heartbreaking origin of 'Me too'

Ever since the allegations against movie mogul Harvey Weinstein surfaced, those two simple words have become a rallying cry. Women -- and some men -- have used them to share personal stories of sexual harassment and assault.

Was hat das mit Rap zu tun?

Rap und Hiphop finden nicht außerhalb der Gesellschaft statt. Im Gegenteil: Wir alle wiederholen gebetsmühlenartig, wie sehr Rap und Hiphop doch mittlerweile eigentlich im Mainstream angekommen sind – seit Jahren. Wenn die Gesellschaft als Ganzes ein riesengroßes Sexismus-Problem hat, dann ist dieser Teil von ihr selbstverständlich nicht davon ausgenommen. NATÜRLICH haben Rap und Hiphop auch ein Sexismus-Problem. Alles andere wäre zwar schön, ist aber nun mal utopisch. Arschlöcher finden sich immer und überall.

Es gibt unzählige Beispiele, reihenweise Vorwürfe und auch diverse Verurteilungen, wenn es um Rapper und sexualisierte Gewalt geht. Nelly, Chris Brown, Kodak Black, XXXTentacion, The Game, Freddie Gibbs, Big Sean und viele mehr haben sich offenbar sehr viel mehr als ein "Kavaliersdelikt" zuschulden kommen lassen. Auch, wenn es die Meisten nicht gern hören werden: Auch 2Pac wurde wegen Vergewaltigung verurteilt. Zuletzt wurden Vorwürfe gegen Russell Simmons laut. Überraschen sollte das alles eigentlich niemanden. Aber es ist trotzdem wichtig, darüber zu sprechen: Um die Menschen für die Problematik zu sensibilisieren und ihnen einen Eindruck vom Ausmaß zu verschaffen. Was dabei helfen kann, dass sich die Betroffenen mit ihrem Leid weniger alleine fühlen müssen. Es verdeutlicht auch, dass es sich nicht um Einzelfälle, sondern ein strukturelles Problem handelt.

Wie beeinflusst #MeToo Hiphop? Sollte es?

In Hollywood werden die institutionalisierte, sexualisierte Gewalt und das patriarchale, auf Macht basierende System hinter der Fassade der Traumfabrik deutlich. In andere Bereiche dringt zumindest die Debatte, das Hashtag und ein Teil der Bewegung vor. Aber "grab 'em by the p*ssy"-Donald ist immer noch Präsident der Vereinigten Staaten – und damit der mächtigste Mann der Welt. Trotz der massiven und mannigfaltigen Vorwürfe, die ihm gegenüber bestehen. Kritiker fürchten, dass #MeToo bald wieder vergessen sein wird und langfristig nichts bewirkt. Aber das hat es jetzt schon: Harvey Weinstein und Kevin Spacey dürften erstmal eine ganze Weile raus sein. Und plötzlich fällt uns auch das #Aufschrei-Hashtag von 2013 wieder ein. Überhaupt darüber zu reden, ist etwas Positives. Auch Rap und Hiphop sind davon ausdrücklich nicht ausgenommen: Dialog, Diskussionen und öffentliche Debatten können nicht schaden.

Es ist aber zum Glück auch nicht so, als wäre Rap per se sexistisch: Wie die restliche Gesellschaft ist auch unsere Szene mittlerweile sehr divers und vielfältig. Die ganze Bandbreite existiert: Sowohl diejenigen, die das Patriarchat und Macht und Gewalt geil finden, als auch die, denen es anders geht. Weil Hiphop kein abgeschlossenes System und keine homogene Gruppe ist, gibt es selbstverständlich sowohl Rapperinnen und Rapper, die sexistische Inhalte anprangern, als auch diejenigen, die sie verbreiten. Wie auch im gesamtgesellschaftlichen Kontext dauert Fortschritt und Weiterentwicklung ihre Zeit. Es geht langsam, aber sicher voran. Wir können dabei zumindest helfen.

Vor- & Nachteile der öffentlichen Debatte?

#MeToo beziehungsweise sexualisierte Gewalt und Misshandlungserfahrungen sind so ziemlich das heikelste Thema überhaupt. Zum einen natürlich, weil es für die Betroffenen einfach unfassbar schrecklich sein muss. Und ihnen meistens niemand glaubt. Zum anderen aber auch deshalb, weil dadurch Menschen öffentlich an den Pranger gestellt werden, deren Schuld in vielen Fällen (noch) nicht zweifelsfrei bewiesen ist. "Im Zweifel für den Angeklagten" funktioniert hier anders. Aber wieso? Wenn die Polizei auf das Persönlichkeitsrecht scheißt und 100 Fahndungsfotos von mutmaßlichen Randalierern veröffentlicht, macht mich das sauer. Wenn haufenweise mutmaßliche Vergewaltiger ihre Jobs verlieren, finde ich das aber super. Der Vergleich hinkt natürlich, aber das muss trotzdem kein Widerspruch sein.

Den Unterschied machen die ungleichen Machtverhältnisse: Harvey Weinstein, Kevin Spacey, Nelly, Russell Simmons und die anderen stehen bereits im Rampenlicht. Die Randalierer sind keine Personen des öffentlichen Lebens – die Rapper, Schauspieler, Produzenten und so weiter allerdings schon. Andersherum passt der Vergleich sogar: Die Polizei nutzt ihre Macht hier genauso schamlos aus, wie es die Verursacher von #MeToo offenbar getan haben. Die Betroffenen sind beziehungsweise waren genauso machtlos und den Mächtigeren ausgeliefert wie die mutmaßlichen Randalierer.

Und ja, es besteht auch die Möglichkeit, dass sich jemand an einer prominenten Persönlichkeit hochziehen will, um mehr Aufmerksamkeit zu erhalten, und deswegen falsche Behauptungen aufstellt. Die Chancen darauf, überhaupt Gehör zu finden, sind allerdings generell verschwindend gering. Es gibt jede Menge bestürzende Zahlen dazu. Kindern und Erwachsenen, die von ihren Misshandlungs-Erfahrungen erzählen, wird in der Regel erst nach unzähligen Offenbarungen Glauben geschenkt. Wenn jemand überhaupt den Mut aufbringt, so etwas mitzuteilen, verlangt eigentlich schon ein Mindestmaß an Empathie und Menschlichkeit, der Person nicht sofort zu unterstellen, dass sie lügt.

Groove Attack by Hiphop.de