Lil Waynes "Tha Carter V": Der perfekte Abschied?

Einem großartigen Album einen ähnlich guten Nachfolger zu widmen, muss für Künstler unfassbar verlockend sein. Die Vorstellung, dass "Watch The Throne 2", die "Marshall Mathers LP 2" oder "Only Built 4 Cuban Linx Pt. II" die Qualität und mehr noch die Durchschlagskraft ihrer Vorgänger wiederholen könnten, lässt auch den Fans das Wasser im Mund zusammenlaufen. Die Fallhöhe ist dafür bedrohlich, die Dramaturgie perfekt.

Nun hat Lil Waynes "Tha Carter V" nicht nur einen, sondern gleich vier Vorgänger, was nicht unüblich für sein Arbeitsethos ist. Auch wenn "Tha Carter III" in der öffentlichen Wahrnehmung den Status als Weezys Magnum Opus abonniert hat, gehörte nicht jeder Teil der Reihe zu den Glanzstücken von Dwayne Carters Karriere – ein Vorteil für Teil fünf.

Die letzten Werke vergessen lassen

So viel ist klar: "Tha Carter V" kann die hohen Erwartungen, die der Titel des seit Jahren erwarteten Albums mit sich bringt, über weite Strecken erfüllen. Wayne schaltet teils in den Savage-Mode, der ihn ab Mitte der 00er-Jahre regelmäßig und völlig zu Recht zum heißesten Anwärter auf den Titel Best Rapper Alive machte. Das Jonglieren mit Worten, Stimme, Reimen und Flow ist eine Gabe, die er trotz mittelmäßiger bis enttäuschender Releases in den letzten Jahren nie verloren hat.

"I'mma sit in this throne so long / 'Til it's a f*cking rocking chair, n*gga" ("Let It All Work Out")

Bei den Parts in "Let It Fly", "Mess" und weiteren Songs würden die meisten anderen MCs sich einen Knoten in die Zunge rappen. Auf dem furiosen Storyteller "Mona Lisa" spürt man Weezys Einfluss auf den heutigen Best Rapper Alive Kendrick Lamar, der eines seiner offenkundigen Vorbilder im Spiel mit der Stimme zwar alt, aber nicht verrostet aussehen lässt.

Und alt ist Wayne zweifelsohne, wenn man mehr auf seine Diskografie, Probleme, Erlebnisse, Streitigkeiten und seinen Einfluss schaut als auf sein tatsächliches Alter. Dass er fast zehn Jahre jünger ist als etwa Eminem, lässt sich leicht vergessen, aber sein erster Hit "The Block Is Hot" (mit den Hot Boys) datiert aus dem Jahr 1999.

Auf den üppigen 23 Anspielstationen finden die Sounds von der West Coast, der East Coast, aus den Südstaaten, aus den Charts und aus Waynes Herz Platz. Auf "Dope New Gospel" hören wir Gospel-Rap à la Chance, "Open Safe" manifestiert dank DJ Mustard einen jüngeren Vibe von L.A.s Straßen, während "Dope N*ggaz" mit Snoop Dogg und "Xxxplosive"-Sample wie auch andere Titel der Platte in Erinnerungen schwelgen lässt. "Start This Sh*t Off Right" etwa klingt, als würde jeden Moment Biggie um die Ecke geflowt kommen, um wie Weezy über das Leben auf der Überholspur mit einer heißen Begleitung auf dem Beifahrersitz zu referieren.

"Tha Carter V" merkt man auch durch die Überlänge und die Fülle an Styles den unbedingten Willen an, es der Welt noch einmal zu zeigen. Weezy ist hungriger, emotionaler, eindringlicher als bei Teil vier im Jahr 2011. Damals wirkte er, als würde er schlicht dem Erfolg von "Carter III" hinterherjagen. Die (Verkaufs-)Zahlen konnten sich sehen lassen, Hits hatte die Platte auch ("John", "How To Love", "She Will"), aber die Relevanz für Hiphop blieb weit hinter den Erwartungen zurück.

Thank You 4 The Wait

Der Weg bis zum Release des neuen Albums war verdammt steinig für Tunechi, auch weil sein einstiger Mentor und Ziehvater Birdman ihm immer wieder Hindernisse vor die Füße warf. Ursprünglich sollte die Platte 2014 erscheinen. Da die Zeit seitdem zur schwersten in Waynes Leben zählen dürfte, schuldet er dem Cash-Money-Oberhaupt zwar keinen Dank, aber dennoch hat die Wartezeit ziemlich sicher einen positiven Effekt auf das Ergebnis gehabt.

Einen sechsjährigen Reifeprozess – die Aufnahmen und Ideen für "Tha Carter V" sollen 2012 begonnen haben – hat noch kein Wayne-Album zuvor genossen. In seinen 20ern wurde er für die unbedachte, teils manische Art bewundert und gefeiert, mit der er Texte schrieb, Beats zerpflückte und seine Zuhörer immer und immer wieder ins Staunen versetzte. Heute zeigt er mehr als je zuvor, welcher reflektierte Mensch hinter dem Rapwunderkind steckt. Zum 36. Geburtstag hat er sich vielleicht mit seinem besten Werk seit rund neun Jahren beschenkt.

Der perfekte Abschied?

All das macht "Tha Carter V" zu einem guten Album. Ja, es ist ziemlich lang und man wird das Gefühl nicht los, dass Weezy um jeden Preis nochmal seine gesamte Bandbreite präsentieren wollte. Es hätte zweifelsohne ein noch besseres Album werden können. Aber das möchte man dem leidgeprüften Vater der heutigen Rapgeneration nicht zum Vorwurf machen.

"I started this sh*t, they borrowed this sh*t / I thought of this sh*t, they thought it was it" ("Dedicate")

Vielmehr fühlt sich Waynes zwölftes Studioalbum gerade nach dem perfekten Abschluss an. Er könnte die Bühne mit einem Sieg verlassen. Passenderweise hat er auf der LP nicht nur zwei seiner vermeintlichen Rapnachkommen (XXXTentacion und Travis Scott) und enge Vertraute wie Produzent Mannie Fresh oder Nicki Minaj, sondern auch seine Familie an Bord: Seine Ex Nivea darf auf "Dope New Gospel" ran, seine erstgeborene Tochter Reginae unterstützt ihren Dad auf seiner Abrechnung mit Spotlight sowie Luxus ("Famous") und Mama Carter spricht ein berührendes Intro.

Passagen auf dem Album lassen Fans hoffen, dass es nicht Waynes letztes bleiben wird. Nachdem Weezy aber schon häufig mit einem Karriereende mit 35 liebäugelte und wiederholt betonte, "Tha Carter V" würde sein letztes Album werden, wäre jetzt der perfekte Zeitpunkt gekommen, um den Absprung zu schaffen – falls Weezy durch die neue Freiheit ohne Birdmans Repressalien nicht wieder richtig an Fahrt aufnehmen sollte.

Andernfalls besteht das hohe Risiko, auf den letzten Metern doch noch zu fallen. Niemand möchte nach "I Am Not A Human Being 3", "Rebirth 2" oder "Dedication 27" sagen müssen, dass er mal lieber nach "Carter V" Schluss gemacht hätte. Aber Wayne wird immer ein Rap-Maniac bleiben. Sein Karriereende kann sich niemand wirklich wünschen, der Rap liebt. Und die Verlockung von Fortsetzungen kennen wir nur allzu gut.

Tha Carter V

Tha Carter V, an album by Lil Wayne on Spotify

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