Videobattles sind tot!

Schon mal was von Herr Kuchen oder Timatic gehört? Nein? Die beiden waren die Finalisten des größten Videobattle-Formats im deutschsprachigen Raum. Wo Battlerap als Live-Event einen fortwährenden Zuspruch erfährt, entwickelt sich die Online-Variante gegenläufig.

Der Clash von zwei Rappern, die mit Punchlines und Bewegtbild in die Schlacht ziehen, scheint kaum noch zeitgemäß. Oder kurz und knapp: Das Konzept des Videobattles hat ausgedient.

Den VBT-Rapper gibt es nicht mehr

Von 2012 bis 2013 war im Nachhinein wohl die Hochphase des VBT. Die Teilnehmer des Turniers strotzten vor Talent und Kreativität. Zusätzlich zur regulären Edition starteten die Verantwortlichen sogar noch eine Splash!-Edition. Das VBT war im allerbesten Sinne large.

Einzelne Battles erreichten Millionen Aufrufe und ganze Touren wurden mit VBT-Runden gespielt. Von den Helden von damals hat jedoch nur ein Bruchteil den Push nutzen können, um sich nachhaltig in der Szene zu etablieren. Heute ist beim VBT alles mehrere Nummern kleiner (hier kommst du zu den gegenwärtigen Halbfinals)

Das hat Gründe. Die Idee des Videobattles ist alles andere als frisch. Die heutigen Beiträge wirken oftmals im Eilverfahren abgedreht. Wirkliche Gedanken über unverbrauchte Konzepte macht sich anscheinend kaum noch jemand. Abgesehen von wechselnden Locations ist wenig Neues zu erkennen.

Viele Battles vermitteln den Eindruck routinierter Fleißarbeit. Es gibt gewohnte Battlekost für übersättigte Zuschauer. Die Battlerap-Community hat in den letzten Jahren schon nahezu alles gesehen, was sich aus diesen Formaten herausholen lässt. Böse Blicke, Entführungen, Posen mit der Squad – ja, das kennt fast jeder, der schon mal auf YouTube unterwegs war, und trotzdem wiederholt es sich. Innovation sucht man meist vergeblich und so stehen die bestgeklicktesten Runden beim allerletzten VBT zumeist im fünfstelligen Bereich.

Charaktere der Sorte Weekend, BattleBoi Basti, 3Plusss, Pimf, Lance Butters sind verschwunden. Das Finale des VBT Elite 2017 bestritten MC Baum und ME-L Techrap. Obwohl die beiden ein durchaus unterhaltsames Battle ablieferten, fiel der Zuschauerzuspruch eher gering aus.

An die vergangenen Helden von damals reicht nichts mehr heran. Auf dem Schulhof sind neue Capital Bra-Tracks Thema und nicht welche Punchline ausreichend Gegnerbezug hat. Der Stempel des VBT-Rappers war früher ein zweischneidiges Schwert für aufstrebende Artists. Er zwängte sie in ein Battlekorsett, aber war zeitgleich eine Würdigung ihrer Leistungen.

Die Gewinner der letzten Turniere schwirren jedoch nicht als VBT-Rapper durch die Szene. Nicht, weil das VBT zwischenzeitlich abgeschafft wurde – das Turnier findet schlichtweg nur vor den Augen von eingefleischten Fans statt. Dieser Wettstreit ist aus der Mode gekommen. In größere Wahrnehmungsbereiche dringt keiner der Teilnehmer mehr vor.

Das Juliensblogbattle verkümmert ohne Turnierleiter

Das seit Jahren populärste Turnier ist das Juliensblogbattle. Wie der Name schon sagt, funktioniert hier viel über das Image des streitbaren Turnierleiters. Was passiert, wenn dieser sich scheinbar überhaupt nicht für seinen eigenen Wettbewerb interessiert, konnte man in den letzten Monaten sehen. Unter der Vorgabe an einem - bis heute nicht erschienenen - Album zu arbeiten, verabschiedete sich Battlechef Julien aka Julien Boss zum ausgiebigen Kippenholen.

Bitte kein Geheule ;-) gracias

8,692 Likes, 326 Comments - Julien Sewering (@juliensewering) on Instagram: "Bitte kein Geheule ;-) gracias"

Im Vergleich zu allen Konkurrenzformaten werden einzelne Runde weiterhin gut geklickt. Die Relevanz, die einst das VBT besaß, übernahm das JBB. Die Aussicht auf Ruhm und Reichweite war hier am größten. Künstler wie SpongeBozz oder Punch Arogunz bauten ihre Karriere auf dem JBB auf. Das Turnier des Analyse-Fans Julien Sewering hat das VBT im Nachhinein bestrachtet mit Unterhaltungselementen ausgestochen. Alle wollten sehen, wie Julien über die Teilnehmer richtet. Durch diese neue Form des Bewertens fühlte sich alte Fans des lyrischen Kampfesports jedoch um ein authentisches Battle betrogen.

Von der (klicktechnischen) Relevanz früherer Tage sind die aktuellen Battles meilenweit entfernt. Zum Vergleich: Die Runden des King-Finals 2018 (quasi das Premium-Finale nach dem Finale) stehen zusammengerechnet bei circa einer Million Klicks (Stand 17. Januar 2019). Das letzte King-Finale aus dem Jahr 2015 steuert der Marke von insgesamt sechs Millionen Aufrufen entgegen (Stand 17. Januar 2019). Selbst wenn man berücksichtigt, dass zwischen den jeweiligen Battles drei Jahre liegen, ist nicht davon auszugehen, dass das jetzige King-Finale in solche Dimensionen vorstoßen wird.

Allein die Kommentare unter den Videos machen deutlich, dass auch die Zeit des Juliensblogbattles vorüber zu sein scheint. Die Community lebt in permanenter Nostalgie. Unter den Videos glorifiziert das Publikum mitunter alte Teilnehmer, wünscht sich nicht minder alte Formate zurück und beschwert sich über ungewöhnliche Uploadzeiten. Die unvorhergesehene sechsmonatige Pause tut ihr Übriges dazu.

Dass während des fortschreitenden Turnierverlaufs das Bewertungssystem auf den Status von 2014 zurückgesetzt wird, verrät sehr viel über das Gesamtpaket Juliensblogbattle an sich. Neue Zuschauer kommen scheinbar nicht hinzu. Alte Fans der Reihe bleiben eher dabei und klammern sich sehnsuchtsvoll an SpongeBozz, Gio, Neo und Erinnerungen an eine Zeit, als die akribische Analyse der Battles zum gewohnten Entertainmentpaket gehörte.

Kaum ein Entrinnen: Die Rapwelt in der Rapwelt

Die kalkulierte Videokonfrontation hat extrem an Attraktivität verloren. Das Sprungbrett in den lukrativen Musikmarkt, den sich viele Teilnehmer von diesen Turnieren erhoffen, ist zutiefst brüchig. Diese Startrampe, auf der man schnell ausrutschen oder sich festklammern konnte, hat ohnehin einen geringeren Stellenwert. Streaming, digitaler Selbstvertrieb und der Boom von Social Media bieten genügend andere Möglichkeiten zum gewünschten Ziel zu gelangen.

Die Abhängigkeit, in die sich der Battleteilnehmer zwangsweise begibt, ist keine Notwendigkeit mehr. Schon zu den ruhmreichen Zeiten hat es nur eine überschaubare Anzahl von Rappern geschafft, sich von der Battlevergangenheit freizumachen. In den meisten Fällen erschließen sich die Rapper eine Zuhörerschaft, die sich an Battleturniere klammert und im Nachgang mit diesen Wettkämpfen ein Teil ihres Erwachsenwerdens verbindet – wirkliches Fantum sieht anders aus.

Geht es nämlich nicht mehr um die kunstvolle Beleidigung verlieren viele der "Fans" an Begeisterung für ihre Künstler. Der Kommentar oder Klick im Internet ist keine sonderlich nachhaltige Unterstützung.

Natürlich hat jede Regel ihre Ausnahmen. Es sind absolut gesehen vielleicht gar nicht so wenige Artists, welche den Battlerapper-Rucksack ablegen konnten. Im Verhältnis zu den all den Hunderten oder gar Tausenden Teilnehmern, die in den Turnieren von sich reden gemacht haben, wirkt die Anzahl jedoch verschwindend gering.

Aufregende Figuren, die so ein Turnier über die gesamte Dauer tragen können, sind weitestgehend verloren gegangen. Ein Greeen beziehungsweise sein Battlecharakter Grinch Hill nutzte das Format letztes Jahr noch einmal, um Promo für seine Tour zu machen. Das eingereichte Video vor dem Ausscheiden erweckte nicht den Eindruck, dass hier jemand tatsächlich an einem Sieg interessiert war.

Er, SpongeBozz, Lance Butters und einige andere können auch losgelöst von Battlerap-Plattformen einen Karriereweg vorweisen. Die Mehrzahl bleibt aber auf ewig mit diesem Formaten verbunden und existiert nur in einem Kosmos zwischen Analysen, Punchlinedichten und Bewertungsbalken. Das soll nicht heißen, dass viele von ihnen keine talentierten Rapper wären. Ganz und gar nicht – nur die Strahlkraft der Rapper aus den ersten Generationen des Videobattles besitzen sie heutigen Teilnehmer nicht mehr.

Mit dem fortschreitenden Untergang dieses Stücks Online-Kultur ist auch ihre eigene Zukunft als Artist bedroht. Der Weg aus der Battleblase ist schwieriger denn je. Die positiven Effekte, die so eine Turnierteilnahme mit sich bringen kann, sind marginal geworden. Alles hatte seine Zeit. Videobattles sind tot!

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