Warum Haiyti im Untergrund hängt, aber für mehr bestimmt ist

Ihr Ruf eilt Haiyti voraus: "Trap Queen" oder "Untergrundweltstar" sind nur einige der Formulierungen, die sie umgeben. Tracks der Hamburgerin werden 2020 von Bonez MC oder Loredana in der Insta-Story geteilt. Von der Reichweite ihrer prominenten Fans ist Haiyti selbst aber Millionen Follower*innen entfernt. Sie hat das Talent, die Songs, den Willen und kann sich dennoch dabei beobachten, wie sie nicht so richtig vom Fleck zu kommen scheint. Im Musikpodcast "Reflektor" von Tocotronic-Bassist Jan Müller sagt sie sehnsuchtsvoll Sätze wie:

"Ich wär gern ein One-Hit-Wonder, aber das glaubt mir keiner. [...] Ich will Geld machen und ich will dann weg."

Haiytis Streben nach Erfolg und die Wirklichkeit befinden sich auf Kriegsfuß. Dabei hat sich Deutschrap in den letzten Jahren spürbar geöffnet. Rappende Frauen sind keine vermarktbare Phase. Rappende Frauen sind endlich Normalität. Haiyti spült diese Entwicklung jedoch kaum in die Riege von Künstler*innen, die im Fokus angesagter Playlists stehen. Sie scheint unter den Jubelarien etlicher Kultur-Journalist*innen hindurchzuhuschen. Der plötzliche Aufschwung bleibt aus. Die steile Karriere ist bisher anderen Spieler*innen im Rap-Game vorbehalten.

"Sui Sui" als Album des Jahres – doch für wen?

Kritiker*innen und das Feuilleton überschlagen sich nach dem Release von Haiytis letztem Album "Sui Sui" mit Lob. Zeit Online zieht direkt Drake als Vergleich heran – noch weiter oben ließe sich kaum ansetzen. Parallel zur Albumveröffentlichung hat sie einen regelrechten Presserun hingelegt. Apple, Spotify, große Tageszeitungen, Wochenmagazine – Haiyti funkt auf allen Sendern. Ein gezielt entworfener Popsong wie "La La Land" wird ihr wohl dennoch auf die Schnelle keinen Golderfolg bescheren und auch die Platte selbst chartet eher solide (#32). Dabei ist der Anspruch ein ganz anderer: "Haiyti will Hollywood", erzählt sie einst in einem Beitrag bei Arte.

Über prominente Features versucht Haiyti nur sehr selten, ihre Reichweite zu pushen. Zugegebenermaßen: Auf "Sui Sui" ist Veysel vertreten und auf dem 2019er Album "Perroquet" gibt sich Milonair beim Track "Droptop" die Ehre. Ansonsten holt sich Haiyti vorwiegend Künstler*innen auf ihre Songs, die statt Streaming-Power oder einer schlagkräftigen Followerschaft andere Qualitäten mitbringen. "Sui Sui" schafft es wohl auch deswegen, Pop- und Straßenrap ohne Reibungsverluste zusammenzubringen. Ihre Kunst inszeniert Haiyti seit Jahren auf ganz unterschiedliche Arten und Weisen. Performance-Videos, animierte Clips, wilde Tanzeinlagen, ausufernde Trash-Ästhetik – im Rahmen des Budgets kann alles passieren. Der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt.

Im Gespräch mit Jan Müller formuliert Haiyti die These, dass sie in Frankreich bereits ein Star wäre. Hierzulande haftet der Stempel des ewigen Geheimtipps an ihr. Manchmal wirkt es gar so, als wolle man sie vor der Welt verstecken. So ist Haiyti auf "Gib Geld" mit Haftbefehl und Xatar auf "Der Holland Job" vertreten. Angezeigt wird dieses Feature auf der Tracklist nicht. Sie genießt Anerkennung, aber schlittert an prestigeträchtigen Chart-Erfolgen zielsicher vorbei. Wer verstehen will, wo Haiytis musikalische Wurzeln liegen, muss ebenso eine Abweichung von der üblichen Strecke in Kauf nehmen. Einfache Annährungen an die großen Fragen des Hiphops führen bei ihr ins Leere. Es gibt kein Entweder-oder: Sie "kann mit 2Pac und mit Biggie nix anfangen". Ihre Faszination für Rap entspinnt sich ausgehend von Dirty South-Rapper Pastor Troy.

Neben diesen Einsichten offenbart sie bei "Reflektor" erneut, welche Ambitionen sie mit sich herumträgt. Sie will vom Mainstream gehört werden, aber fliegt permanent unter dem Radar. Wobei den Mainstream für die Neu-Berlinerin offenbar die Kids abbilden, die dafür sorgen, dass Capital Bra sein Regal weiter regelmäßig mit Chart-Trophäen füllt. Sie hätte selbst herausgefunden, dass diese Zielgruppe dort hinklickt, wo bereits satte Aufrufzahlen vorhanden sind – auf solche Zahlen kann sie nicht verweisen. Auf die Konsequenzen, die mit einer derartigen Schulhof-Prominenz einhergehen, würde sie zudem gerne verzichten: "Ich bin wirklich nicht fame-geil. Ich find das immer noch unangenehm, wenn Leute mich erkennen." Eine gewisse Widersprüchlichkeit zieht sich durch ihre komplette Karriere.

Haiytis Musik muss doch etwas bedeuten

Ist Deutschland vielleicht nicht ready für eine Rapperin, die eine Verniedlichung von Suizid zum Albumtitel erhebt und ein Popstar sein will? Haiytis Kunst entzieht sich den üblichen Rastern. Jegliche Schubladen sprengt sie mit spielerischer Leichtigkeit. Das beginnt schon beim Geschlecht. Sie "spiele diese Frauenkarte nicht", wie sie im Interview bei rap.de erzählt (inzwischen offline).

Haiyti biedert sich nicht an. Sie vermarktet sich nicht als weibliches Role Model für eine Generation Heranwachsender. Sie setzt ihren Hörer*innen kein ausgefeiltes Lifestyle-Paket vor die Nase. Die Posts auf ihren Social-Media-Kanälen folgen kaum einem erkennbaren Schema. Twitter und Instagram öffnen einen Spalt in ein Leben, das von Chaos und unendlichem Ideenreichtum beherrscht scheint.

Dazu kommt, dass Haiyti sich selbst als Gangstarapperin versteht, wie sie nicht zuletzt Fernsehkoch Tim Mälzer im Talk-O-Mat offenbart hat. Doch diese Behauptung wirkt von außen betrachtet nur alle paar Tracks wirklich in sich schlüssig. Zu abgedreht gerät das "Crime Life", das sie präsentiert. Die Gangstaerzählungen sind auch nur ein Teil des Haiyti-Puzzles. Locker platziert sie Großstadtmelancholie neben selbstbewussten Battlerap-Passagen. Hier ist dann gar nichts mehr "Sweet":

"Jede B*tch macht jetzt auf DIY / Doch es gibt auch kein Zurück für Gina Wild"

Optisch gehört der stetige Bruch ebenfalls zum guten Ton. Mit unzähligen Perücken und Kostümen ausgestattet, gibt sich Haiyti betont wandelbar. Dazu sportet sie Marken, die noch nicht tausendfach in Tracks hergebetet wurden. Auf Instagram versucht sie ihre Nose Grills auch als Filter zu etablieren. Haiyti ist mit dem Kopf und ihren Konzepten meist da, wo ein Großteil des Publikums bisher nicht ist und vielleicht niemals hingelangt. Als Trap im Begriff war, die Popmusik zu unterwandern, hatte Haiyti den Sound schon durchgespielt. Ihre unberechenbare Art anzunehmen, ist mit Mühe verbunden. Sich in diese Flut von Codes zu begeben, ist eine Herausforderung. Wie es geradliniger ginge, weiß Haiyti offensichtlich nur allzu gut und eröffnet im rap.de-Interview: "Wenn du verstanden werden willst im Deutschrap, musst du 'ne Rolex und Vetements tragen."

In ihren Lyrics droppt sie neben allerlei Klischees und Überhöhungen aus dem Gangstakosmos auch Namen wie Arthur Rimbaud, Chagall oder Jackson Pollock. Das mag ebenfalls stutzig machen. Französische Lyriker und berühmte Maler sind eher selten in Straßenrap zu finden, der gleichzeitig für sich beansprucht, authentisch zu sein. Die Welt, die Haiyti ausbreitet, ist auffällig mehrdimensional. Die Spannungen zwischen High Society und Ghetto oder Monster-Ego und Schwermut werden Album für Album nicht aufgelöst, sondern intensiviert. Struktur in diese vielfältigen Ausschläge zu bringen, scheint ein großer Spaß von Kultur-Journalist*innen zu sein. Texte über Haiyti gibt es wie Sand am Meer. Vielleicht verlangt ihre Musik aber gar nicht nach einer x-fachen Aufschlüsselung. All diese Ableitungen aus Haiytis Werk mögen stimmig klingen – "Doch es hat nichts zu bedeuten, du weißt"

Die Auszeichnung beim allerletzten Echo für ihr Album "Montenegro Zero" ist wohl auch eine Folge der ständigen Analysen in einer akademischen Blase. Nicht Verkaufszahlen, sondern die Kritiker*innen haben ihr den Preis eingebracht. Haiyti sticht als Vertreterin von avantgardistischem Rap heraus, ohne es je darauf angelegt zu haben. Hinter all dem steckt aber viel weniger Plan, als sich das die meisten offenbar vorstellen wollen. Ihre Kunst versteht sie als instinktiv. Sich in die Gesellschaft mit all ihren Regeln und Normen einfügen zu müssen, ist der tatsächliche Kampf. Gegenüber Jan Müller eröffnet sie, was für sie wirklich Stress bedeutet: "Arbeit ist der Alltag".

Wenn das Schlafen schwer fällt

Haiyti ist in ihr Dasein als Deutschrap-Chamaleon eher hereingestolpert. Sie hat einfach gemacht und gemacht und gemacht. Das abgeschlossene Kunststudium ist ein weiterer Mosaikstein, der stutzig macht. Der Konflikt zwischen der Erzählung eines Gangstalebens und dem Ergattern eines akademischen Grads löst in vielen Köpfen Verwirrung aus. Doch wie bei dem nicht weniger spannenden Kollegen Money Boy ist hier kein am Reißbrett entworfener Masterplan am Werk. Haiyti rappt, weil sie es fühlt und sie rappt, was sie fühlt. Die Leidenschaft für Musik ist für sie mit Leiden verbunden. Wie sehr ihr Leben auch körperlich an ihr zerrt, erzählt sie Jan Müller.

"Das Schwierigste für mich ist zu schlafen. Mein Traum ist es um 12:00 Uhr einzuschlafen und um 09:00 Uhr aufzuwachen und dafür kämpf' ich jeden Tag."

Wie sie selbst ihre Kunst herunterbricht, spiegelt all das wider. Einem angekündigten Dreieck fügt sie eine vierte Komponente hinzu. So ist das "Haiyti-Dreieck: Bisschen Depri, bisschen Proll, bisschen Trap, bisschen Punk", wie sie bei rap.de feststellt. Ihre Welt fällt aus der Norm. Sie ist eventuell zu echt und dadurch kaum greifbar. Eine authentische Rapperin, die bei näherer Betrachtung einen Berg von Fragen aufwirft, mag für manche abschreckend wirken. Das hat die Künstlerin erkannt: Gegengesteuert wird jedoch noch nicht so lange, wie Haiyti der TAZ sagt.

"Ich habe über nichts nachgedacht, nicht über mein Image, nicht über Melodien, nicht über meine Texte, nicht über meine Außendarstellung. Das mache ich erst seit anderthalb Jahren."

Aktuell setzt Haiyti auf permanenten Output, um den Leuten mitzuteilen, dass sie jetzt an der Reihe ist. Mit "Influencer" soll der Nachfolger zu "Sui Sui" schon am 4. Dezember 2020 erscheinen. Vielleicht ist der Durchbruch also nur noch eine Frage der Zeit. Die Selbsterkenntnis, dass es ihr größtes Problem sein könnte, als Person bis in die Köpfe der Leute vorzudringen, hatte Haiyti schon bei ihrem Major-Debüt. Dort rappt sie: Ich hab "100.000 Fans, die mich noch nicht kennen."

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