Eminem kann nur verlieren

Es ist ein undankbares Omen. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten liebt seine unwahrscheinlichen Geschichten. Wenn es jemand aus dem Dreck ins Rampenlicht schafft, ist es der amerikanische Traum, den die Leute lieben. Aber was dann? Was passiert, wenn das Rampenlicht ausgeht und der Vorhang schließt? Scarface hat verloren. Michael Jackson hat verloren. Eminem? Er wehrt sich immer wieder gegen das Post-American-Dream-Syndrom. Das Ergebnis erinnert aber eher an einen Kampf im Treibsand.

Als Eminem in die Szene crashte, ging alles ziemlich schnell. Auf einem trotteligen My Name Is-Beat rammte Em sich schon in der ersten Zeile wortwörtlich Nägel durch die Augenlider und beleidigte Stars, die heute niemand mehr kennt. "My Name Is war mein 'Hallo' und 'F*ckt Euch!' an die ganze Welt gleichzeitig. Ich hab nicht verstanden, warum so viele Leute diesen Song mochten," sagte er selber Jahre später. Dr. Dre  der schon Snoop Dogg zum Weltstar gemacht hatte – sorgte für den nötigen Kickdown und schon gab es einen neuen Klassenclown im Rapgame. Die Slim Shady LP ging anschließend durch die Decke, auf Dres 2001 ratterte Eminem durch Strophen und Hooks wie eine Kreissäge. Sein anschließendes Magnum Opus The Marshall Mathers LP stellte Rekorde auf, die nichtmal Britney Spears knacken konnte. Er war das, was man Genie und Wahnsinn nennt. Alle liebten Eminem. Für Kids war er ihr Spiegelbild auf dem roten Teppich, für die Presse war er die Garantie für Skandale. Der Junge aus der tiefsten Sch*iße in Detroit. So authentisch, als würde er aus deinem TV in dein Wohnzimmer steigen. Ein Typ, der es irgendwie aus dem Wohnwagen auf die MTV-Bühne geschafft hat. Keiner weiß wie, aber Hauptsache, er ist da und macht irgendwas kaputt. Eminem war wie ein Glitch im System. Ein Weißer, der präziser und schärfer rappt als jeder Rapper vor ihm. Ein Superstar, der offenbar das Regelbuch der durchkalkulierten Industrie nicht gelesen hat.

Eminem - My Name Is (Dirty Version)

Playlist Best of Eminem: https://goo.gl/AquNpo Subscribe for more: https://goo.gl/DxCrDV Music video by Eminem performing My Name Is. (C) 2000 Aftermath Entertainment/Interscope Records

Auf drei wahnwitzig gute Platten in vier Jahren folgte ein erstklassiger Kinofilm, in dem er eine überraschend gute Hauptrolle hinlegte. Als Krönung gewann Eminem als erster Rapper aller Zeiten einen Oscar für seinen Soundtrack. "Zu Beginn meiner Karriere sagten Kritiker noch allen möglichen Sch*iß über mich. Für mich war das nur Motivation. Nach The Eminem Show hatte ich aber alles erreicht, was in der Musikwelt möglich gewesen wäre. Ich wusste nicht mehr, wie man einen drauflegt," stellte er fest. Er hatte die schnellsten Raps der Welt gespittet, die kompliziertesten Wörter aufeinander gereimt, jede technische Finesse des Genres bis zum Limit ausgereizt. Man könnte sagen, es gibt keinen Rapper in der Geschichte der Menschheit, der Eminem technisch toppen könnte. Er hatte jeden Rapper bloßgestellt, mit dem er gemeinsam auf einem Song war. Von Jay-Z bis The Game, der die Schmach am ehrlichsten verkraftete indem er einfach auf dem gleichen Song zugab: "Em just killed me on my own sh*t." 

Nach 2002 begann allerdings ein Vakuum für Eminem. Es gab auf den ersten Blick nichts mehr, was er noch beweisen müsste. Auf 8 Mile folgte Encore, sein vielleicht schlechtestes Album. Darauf Relapse, sein neues vielleicht schlechtestes Album. Und so weiter. Er weiß es selber zu gut: "Zu dieser Zeit hatte ich das Gefühl, dass ich mich künstlerisch nicht mehr weiterentwickeln kann." Dazwischen nahm Eminems Leben die private Achterbahnfahrt nach unten: Er heiratete und ließ sich drei Monate später scheiden. Sein bester Freund und Begleiter Proof wurde jäh erschossen. An Weihnachten 2007 schmiss Eminem sich zu viele Pillen ein, wurde bewusstlos gefunden und verbrachte anschließend Jahre im Krankenhaus und der Entzugsklinik. Ärzte erzählten ihm, er sei dem Tod nur um wenige Stunden entkommen. Die gute Nachricht: Er lebt und hat die dunkle Seite des amerikanischen Traumes überstanden. Die schlechte Nachricht: Der authentische Wahnsinn hat sich mit seiner besiegten Drogensucht verabschiedet.

Der Plot der Eminem-Story ändert sich an diesem Punkt drastisch: Sein Comeback Recovery setzt auf nüchterne Inhalte, viele Zugeständnisse und poppige Beats. Dinge, deren Gegenteil Eminem bis dato verkörperte. Garantierte Hits mit Haddaway-Samples und Hooks von Pink und Rihanna sollten zuallererst sicherstellen, dass Eminem weiterhin die Charts dominiert. Es funktionierte phänomenal, aber künstlerisch verabschiedete sich Eminem mit Love The Way You Lie ins gleichgeschaltete Niemandsland der Popindustrie. Revival wird voll von solchen durchkalkulierten Pop-Momenten sein: Unter anderem holte sich Em für sein neues Album Ed Sheeran dazu.

Eminem - Love The Way You Lie ft. Rihanna

Music video by Eminem performing Love The Way You Lie. © 2010 Aftermath Records #VEVOCertified on September 13, 2011. http://www.vevo.com/certified http://www.youtube.com/vevocertified http://www.vevo.com/watch/USUV71001543?utm_source=youtube&utm_medium=description&utm_campaign=ytd

Was tut man, wenn man jahrelang der König einer Disziplin ist und schon alles doppelt und dreifach bewiesen hat? Man kann den Kampf aufgeben und sich ein neues Schlachtfeld suchen. Wie Ice Cube, der jetzt Kinderfilme macht statt die Polizei zu f*cken. Oder wie 50 Cent, der zufrieden auf einen Klassiker zurückblickt und es mehr oder minder dabei belässt. Stattdessen verkauft er Wasser an Coca-Cola, produziert Fernsehserien und promotet Unterhosen. 

Man kann den Kampf auch aufnehmen und gewinnen. Wie Jay-Z, der wieder und wieder bewiesen hat, dass er weiterhin als Musiker den Puls der Zeit trifft. Er entwickelte sich vom wortgewandten, arroganten Angeberrapper zum selbst- und sozialkritischen Consciousrapper. Auch als Fast-Milliardär und Industriemogul.

Man kann den Kampf aber auch aufnehmen und daran zugrunde gehen. Wie DMX. Wie Ja Rule. Wie Nelly. Künstler, die wirtschaftlich oder musikalisch an der absoluten Spitze standen und entweder den Absprung zum neuen Schlachtfeld verpassten oder es versäumten, sich künstlerisch weiterzuentwickeln. Jeder will der Welt zeigen, wie er von unten nach ganz oben aufsteigt. Niemand will dabei gesehen werden, wieder runterzufallen und unten aufzukrachen. Große Künstler laufen Gefahr, irgendwann nur noch wie ein verzweifelter Schatten ihrer Selbst zu wirken.

Seit Eminems Vorherrschaft in den frühen 2000ern erklomm 50 Cent den Thron, gab ihn an Kanye West ab, der gab ihn an Drake ab, der wiederum an Kendrick Lamar. Hiphop sprang von einem Paradigmenwechsel zum nächsten. Wo ist Eminems Platz jetzt? Im Oktagon zwischen den Migos und Lil Pump kennt er sich noch nicht aus. Es passiert das einzig Logische: Wenn alle ihre Texte lallen, macht Em das Gegenteil. Er rappt klarer und deutlicher als je zuvor. Die Konsequenz ist unbequem, denn die drei jüngsten musikalischen Lebenszeichen von Eminem kamen ohne Beat daher. Campaign Speech, seine BET Cypher und Walk On Water sind 17 Minuten akzentuierter Sprechgesang ohne Drums. Anstrengend zu hören, aber eine Standortbestimmung mit Absicht. Man nimmt Eminem wieder verdammt ernst, handwerklich ist er nachwievor eine Bank. Aber besonders musikalisch ist das alles nicht. Das Motto lautet: Wenn alle nur noch Hooks machen, mache ich gar keine mehr. Jetzt ist Eminem nur noch ein Genie ohne Wahnsinn.

Eminem - Walk On Water (Audio) ft. Beyoncé

Eminem's new track "Walk on Water" ft. Beyoncé is available everywhere: http://shady.sr/WOWEminem For more visit: http://eminem.com http://facebook.com/eminem http://twitter.com/eminem http://instagram.com/eminem http://eminem.tumblr.com http://shadyrecords.com http://facebook.com/shadyrecords http://twitter.com/shadyrecords http://instagram.com/shadyrecords http://trustshady.tumblr.com Music video by Eminem performing Walk On Water. (C) 2017 Aftermath Records http://vevo.ly/gA7xKt

Auf der anderen Seite war Eminem nicht nur der verkopfte Techniker, der am Limit der Sprache balanciert. Sondern auch immer ein von Selbsthass geplagter Erzähler: "My life is full of empty promises and broken dreams." Seine Darstellungen von Depressionen und Drogenabhängigkeit in den 2000ern passen nahtlos in die heutige Rapszene zwischen Lil Uzi Vert und XXXTENTACION. Ebenso logisch also, dass die Fassade aus Sarkasmus und Humor, die ihn damals oft bei persönlichen Inhalten schützte, heute verschwindet. Walk On Water ist ein verletzlicher Song. Eminem ist ehrlich mit sich selbst, seinen Fans und Kritikern. Es erinnert im Entferntesten an Jay-Z, der dieses Jahr eine ähnliche Entscheidung treffen musste und weise genug war, sich als 47-Jähriger vom Angeberimage zu distanzieren. Stattdessen transportiert er auf 4:44 gesellschaftlich wertvolle Inhalte, die ihm mittlerweile besser stehen, auf reduzierten Hiphop-Beats.

Der Zeitpunkt würde sich für Eminem anbieten, einen Schlusspunkt für seine alte Inszenierung zu setzen. Er kann auf eine Handvoll der größten Rapsongs aller Zeiten zurückblicken, auf Klassiker, Rekorde, Preise, eine Kein-F*ck-Attitüde wie kaum ein Rockstar und jeden erdenklichen Abgrund, den ein Künstler erleben kann. Walk On Water betrat indes die amerikanischen Singlecharts niedriger als jede Eminem-Leadsingle seit My Name Is. So ist das nunmal, der amerikanische Traum funktioniert nur einmal. Die da oben an der Spitze müssen fallen, damit das System gewinnen kann. Revival wird eine erneute Standortbestimmung für den einst besten Rapper der Welt sein. Aber der hungrige Underdog ist Eminem schon lange nicht mehr.

Aria Nejati

Autoreninfo

Aria Nejati schreibt seit 2013 für Hiphop.de und ist seit November 2017 Teil der Chefredaktion. Er interviewte US-Stars wie 50 Cent und Ice Cube und deutsche Größen wie Kool Savas und Cro. Montags läuft sein Format On Point. Außerdem schreibt er für die GQ.
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