BB.U.M.SS.N hatte deutschen Rap 2013 weggeknistert wie die edelste Königsmische. Als bekennender Fanboy (ja, man darf auch subjektive Artikel schreiben!), hatte ich also hohe Erwartungen an 0,9. Man kennt ja das Phänomen, dass Rapper sich plötzlich neu erfinden müssen und andere Wege austesten. Diese Befürchtung hat SSIO nie aufkommen lassen.
Er wollte die Musik für sich sprechen lassen, anstatt vor dem Release auf diversen Social-Media-Kanälen groß Welle zu machen. Jetzt habe ich mir 0,9 einige Male gegönnt und willkürliche Gedanken und Einschätzungen in Textform verpackt. Wichtige Dinge fallen direkt auf:
Reaf sorgt für homogene Heterogenität, aber lässig. Neue Körperbehaarungstrends für 2016 werden gesettet, aber lässig. Außerdem zeigt SSIO besondere postsexuelle Verhaltensmuster und eins plus eins ist gleich zwei. SSIO macht halt immer noch schlau.
Fangen wir mal mit Reaf an. Ehre, wem Ehre gebührt...
Heterogene Homogenität
Bei BB.U.M.SS.N gab es beattechnisch eigentlich schon nichts zu meckern. Trotzdem hat man sich hier entschieden, auf die Unterstützung von Jungs wie Figub Brazlevic, Gee Futuristic, Maestro oder den Enginearz zu verzichten. Was für viele andere deutsche Rapper ein großer Fehler sein könnte, ist in SSIOs Fall einfach schlau.
Reaf, der hier alles produziert hat, zeigt auf den 14 Tracks, dass er böse Brecher-Beats draufhat, die konsequent nach vorne gehen (z.B. Pibissstrahlen auf 808 Bässe, Halb Mensch, Halb Nase), aber gleichzeitig die hardcore gechillte Kopfnick-Fraktion bedienen kann (z.B. Hör dir nicht dieses Lied an, Bitte keine Anzeige machen). Die Genres, die man in den unterschiedlichen Songs rauszuhören glaubt, reichen von Trap über RnB, Funk und (Neo-)Soul bis hin zu Jazz.
Dabei liegt die ganze Zeit ein Hauch von ins Jahr 2016 übersetztem, authentischem G-Funk in der Luft, ohne dass man sich starr an irgendwelchen Vorbildern festbeißt. Überall hört man – mal mehr, mal weniger offensichtlich – verspielte Kleinigkeiten in den Instrumentals. In diesen Details meine ich, einen gewissen Reaf-Sound zu hören, der sich wie ein roter Faden durch die eigentlich sehr unterschiedlichen Instrumentals zieht. 0,9 ist eher ein SSIO & Reaf-Album als nur ein SSIO-Album.
Mal wuchtiger, mal chilliger, boombapischer, melodischanaboler, deutschsprachiger Kopfnick-G-Funk in modern mit Einflüssen aus diversen Genres und Ohrwurm-Hooks, aber lässig – so in etwa könnte man den Sound beschreiben. Reife Leistung von Brubida Reabif!
Körperbehaarungs-Trendsetterei
Brusthaar feiert sein Comeback! Was maskuline Jungs schon lange wissen, wird jetzt auch standesgemäß im Deutschrap propagiert. Schon der Plusmacher hat uns kürzlich auf Die Ernte in Brusthaare aufgeklärt:
Guck an, wie ich elegant Kush paffe / ein echter Mann trägt Schusswaffe / Brusthaare am Pulli vom Carlo Colucci
SSIO setzt genau da an und bringt das Brusthaar-Game auf nächste Level. Er ist nämlich (nach eigener Angabe) der einzige Mann mit lockigem Brusthaar, dem die glanzvollen und prächtigen Borsten vor lauter Tebistosteron sogar mitten aus den Brustwarzen sprießen.
Ein weiteres Must-Have für den modischen Straßenrap-Fan von heute oder den Romantiker, der seine Freundin mit einem besonderen Erlebnis überraschen will, ist gestylte Intimbehaarung. Immer schön dick Gel reinknallen. Das vom Trödelmarkt in den 1L-Kanistern + drei Schichten Haarlack. Beste Leben!
Von SSIBIO ist der Sippi groß, wie man erkennt an der Nase wie Gargamel / ich trinke abends ein' Nana-Tee und benutz' auch manchmal für mein Schamhaar Gel
Sexuelle Verhaltensmuster
Dass SSIO sexuell sehr schwere Praktiken in Saunaclubs und FFK-Bereichen ziemlich spitze findet, ist keine Neuigkeit. Auf 0,9 erfahren wir wieder neue Details. Wenn der Mann direkt nach der Ausübung des Koitus verschwindet, hat das ganz einfach emotionale Gründe. Macht euch keine Sorgen, Ladies:
Nuttööö, zerkleiner’ meine Grasknospe / bitte weniger reden, Maus, zeig mir deine Arschf*tze / Kanalarbeit, Fresskick und Eistee / doch muss gleich gehen! – (Wieso?) – Nach Sex krieg’ ich Heimweh
Respekt gibt es nur für Redheads, wie wir ebenfalls im Song GoPro lernen. Notwendiges Kriterium, um auf dem Physikgesetze brechenden Genital des Bonner Bauchtaschenrappers landen zu können, ist ein dicker Arsch. Dann gehen sogar Gothic-Weiber.
Nuttööö!
Noch bevor irgendjemand daran denken kann, dass SSIO sich seit BB.U.M.SS.N großartig verändert hat, wird er vom Gegenteil überzeugt.
Im Intro sucht SSIO nach dem richtigen Wort. Es soll für eine Pointe sorgen und den Sinn des Lebens verdeutlichen. Nuttööö. Das bringt die Aussage und den Sound des Albums ganz gut auf den Punkt. Direkt wird die Brücke zum Vorgänger geschlagen. Demonstrativ sagt er mit einem Wort statt mit zig Facebook-Posts in den vergangenen Jahren: Hier bin ich wieder. Du kannst dich auf mich verlassen!
Falls du das Album bisher noch nicht hören konntest, darfst du also beruhigt sein. Der im Hause AON so gerne beschworene Vibe stimmt. Das ist genau der Saunaclubgänger, den die Fans hören wollen – ich weiß, wovon ich da rede.
Musikalisch wirkt 0,9 noch ausgereifter als der Vorgänger, was besonders am großartigen Reaf liegt. Nachschub für diverse Deutschrap-Parties IZ DA.
Gut möglich, dass wir uns am Ende des Jahres wieder über 0,9 unterhalten müssen, wenn es um die Hiphop.de Awards geht. BB.U.M.SS.N wurde 2013 Release des Jahres...
Zusatzbemerkungen
- Bananenweizen ist jetzt auch offiziell uncool.
- SSIO ist nicht der King of Rap. Nenn ihn Kingkong, du Nuttönsohn!
- Alle BigFM-Popsingles sind Pisse!
- Bei Don & Fuß gerät das Bi-Sprachen-Game von SSIO und Xatar komplett außer Kontrolle.
- SSIO kann Kickflip!