Wisst ihr noch, 2016? Fler gegen Kollegah, ein episches Interview, ein epischer Berlin-Tourblog, Live-Performance von "Fanpost" im Tempodrom. Auch wenn Kolle für viele als der Sieger des Social-Media-Beefs dastand, kann man aus heutiger Perspektive sagen, dass beide Seiten mit einem positiven Ergebnis aus der Sache gehen konnten. Kolle durfte Flizzy, bestens inszeniert und dokumentiert, ins Lächerliche ziehen und sich von seinen Fans dafür feiern lassen. Flizzy legte vor der gesamten Szene, meisterhaft inszeniert und dokumentiert, seine Standpunkte zu den Themen Realness, Kollegah und Rakim dar. Wenn man so will, war das Frühjahr 2016 damit ein Wendepunkt für Beef in Deutschland. Es war womöglich der letzte Konflikt, der sich wirklich gelohnt hat.
Manuellsen, Azad, Fler, Bonez MC – Beef ohne Sieger?!
Obwohl es seitdem mehrere Beispiele gab, die zeigten, dass von öffentlichen Streitereien immer weniger hängenbleibt und noch weniger positiv oder unterhaltsam in Erinnerung bleibt, wurde uns diesen Monat gleich zweimal eindrucksvoll demonstriert, dass das Ding eigentlich durch ist. Ich will gar nicht anzweifeln, dass Bonez MC und Flizzy tatsächlich Bock hätten, sich zu kloppen. Ich habe bei KEZ' Intro auch nicht das Gefühl, dass es sich um lieblose Azad-Fronts für mehr Promo handelt, obwohl der Konflikt zwischen Manuellsen und Animus dadurch erst richtig ins Rampenlicht gerückt ist. Echte Abneigung gibt es noch – selbst wenn keiner davon profitiert.
Die Rapper nehmen nach wie vor gerne die mit Beef einhergehende Aufmerksamkeit mit. Auf manch einem YouTube-Kanal kann man minutiös nachverfolgen, wann wer welche Insta-Story gepostet hat. Hunderttausende verfolgen das Treiben und auch 2019 gilt noch die Medienweisheit, schlechte Publicity sei besser als gar keine Publicity. Man merkt aber immer häufiger, wie peinlich diese Geschichten den Protagonisten und den Fans werden. Bonez löscht nicht ohne Grund fast jeden Beitrag zum Thema innerhalb kürzester Zeit. Lange hatte er es sich gespart, wirklich auf Sticheleien einzugehen, und das erscheint wie der klügere Weg. Vor wenigen Jahren, als Facebook noch das wichtigste Social-Media-Portal war, entgegnete er Provokationen fast immer mit Positivität. So oder so ähnlich könnte das damals ausgesehen haben:
"Was sagst du zu Flers Lines gegen euch?"
"Er ist Legende. Soll sein Ding machen genau wie wir."
Parallel dazu prallten Lines von Farid Bang und 18 Karat immer wieder an der KMN Gang ab – Vertretern einer neuen Generation, die Beef nicht mehr als Tool sieht. Dass die Jungs Straße sind, merkte man auch so. In den sozialen Medien wurden die Konflikte aber nie in den Mittelpunkt gerückt. Bei KC und Xatar wurde die Sache 2016 sowohl im Internet als auch auf der Straße ausgetragen. Es gab nur Verlierer. Im letzten Jahr war PAs Disstrack seinem ehemaligen Partner KC nur einen Instagram-Post wert. Stimmen, die KC daraufhin attestierten, keine Eier zu haben, gingen fast schon unter im Gegensatz zu denen, die verständnisvoll reagierten. Es gab Zeiten, in denen die Geschichte anders verlaufen wäre. Zeiten, in denen Rapper mit allen Mitteln für ihr Stück vom Kuchen kämpfen mussten.
Das berüchtigte Stück vom Kuchen
Natürlich gibt es sie auch heute noch: die radikalen Supporter, die die Konflikte ihrer Lieblingsrapper mit beneidenswertem Eifer in die Kommentarspalten auf Facebook, YouTube und Instagram tragen. Meist wirkt dieses Verhalten wie ein Relikt aus einem Land vor unserer Zeit. Am meisten Likes bekommt der ironische Kommentar, dass die verfeindeten Parteien in zwei Monaten ihr Kollaboalbum droppen.
Die Rapper selbst haben offenbar noch viel weniger Drang, diese Kämpfe auszutragen. Eher schadet es dem Business und potenziellen Koops, als dass es ihnen hilft, sich öffentlich mit der Konkurrenz zu fetzen. Durch Raps Eroberung des Mainstreams stehen an jeder Ecke der Party mehrere Stücke des berüchtigten Kuchens, von dem alle ihren Anteil haben wollen. Manche Stücke bleiben sogar liegen, weil zeitgleich Kaviar-Häppchen, teurer Schampus und Gratis-Luxusuhren verteilt werden. Wer zusammenarbeitet, kann sich ohnehin noch geileres Catering leisten.
Vielleicht wirkt auch deshalb die Musik vieler Rapper heute nicht mehr hungrig. Genügsam recyclen sie die immer gleichen Melodien und uninspirierte Texte auf immer besseren Beats. Größere Acts machen in der Regel einen großzügigen Umweg um echte Inhalte. Wozu auch etwas ändern? Es läuft doch.
Deutscher Rap wandelt sich auf vielen Ebenen
Es wird kein Zufall sein, dass Deutschrap genau in der Zeit, in der Beef immer weiter in den Hintergrund gerückt ist, jedes Jahr erfolgreicher wurde. Bis 2017 waren Nummer-1-Hits aus der Szene die Ausnahme. 2018 gab es 14 Stück! Die Entwicklung hatte sich seit 2016 unausweichlich angedeutet.
Parallel zu diesem Trend wurden die klassischen Albumverkäufe von Streaming abgelöst und aufgefressen. Früher ging man als Rapfan in einen Laden und legte für das Album eines Künstlers Geld auf den Tisch. Es ging um das Feiern der Musik, die Unterstützung und eventuell um Identifikation. Das Deluxe-Boxen-Game hat sich ohnehin schon mehrfach selbst persifliert.
Nicht nur neue Hörer organisieren ihre Musik längst in Playlists, in denen zwischen verfeindeten Rappern nur ein Klick liegt. Lokale Konflikte wie in den späten 90ern und frühen 00er-Jahren haben hier genauso wenig zu melden wie ein Beef zwischen Camps, die im Clinch liegen. Dieser Prozess findet zwar subtil statt, aber mit dem neuen Konsumverhalten geht eine veränderte Wahrnehmung einher.
Wisst ihr noch, März 2019? Mero muss sich von Azzi Memo vorwerfen lassen, dass "Wolke 10" gravierende Ähnlichkeiten zu Lil Waynes "Mirrors" aufweist. Aus Meros Camp kommt schnell als Antwort der Hinweis auf Parallelen zwischen einem Song des Franzosen Jul und "BlaBla" von Azzi Memo und Nimo. Wenn die Rapper hierzulande anfangen, konkrete Inspirationen für einzelne Songs der Feinde auszugraben, kann man die Gewinner an wenigen Händen abzählen. Azzi Memo, Nimo, Mero und Eno werden wieder nebeneinander in den großen Playlists landen, sobald sie gleichzeitig Material droppen.
In einer anderen Zeit wären die Social-Media-Kanäle mit Ansagen geflutet worden, es hätte womöglich sogar jemand einen Disstrack geschrieben, eine Antwort bekommen und darauf wäre wieder eine Antwort erfolgt. Heute gibt es einen subtilen Seitenhieb im nächsten Song, weil mehr nicht nötig ist. Die ums x-Fache größere Zielgruppe beinhaltet weniger leidenschaftliche Fans. Es sind mehr Leute, die einfach nur Musik hören wollen. Dass die Rapper durch Sound und Lyrics immer weniger Identifikationspotenzial bieten, wird hier gleichermaßen zu einer Ursache und einem Effekt der Entwicklung.
Frieden war Flers Idee
Es könnte bei manchem für ungläubiges Stirnrunzeln sorgen, wenn ich schreibe, Frieden sei Flers Idee gewesen. Der Fler, der vielleicht demnächst mit Bonez in den Ring steigen will und der uns bei jedem seiner aktuellen Seitenhiebe gegen Bushido seine Genugtuung spüren lässt. Der Fler, der wie kaum ein Zweiter hierzulande Beef zu seinen Steckenpferden zählen kann und problemlos ein Buch mit dem Titel "What's Beef?" füllen könnte.
Als er und Farid sich 2017 nach Jahren der Feindseligkeiten die Hände reichten, gaben sie Beef in Deutschland den Todesstoß. Wenn die beiden, nach allem, was sie sich an die Köpfe geworfen hatten, Freunde werden können, dann kann fast jeder Beef zu einer Freundschaft führen.
Wie Deutschrap auf die Versöhnung von Fler und Farid Bang reagiert
Ein Foto hat gestern hohe Wellen geschlagen: Fler und Farid Bang vereint auf einem Bild.
Auch wenn Flizzy selbst diesen Vibe nicht so richtig zu fühlen scheint und weiterhin von einer Fehde in die nächste rutscht, war sein Verhalten eine Steilvorlage für alle Zweifler und ein Exempel für alle Feinde von Streitigkeiten. Es gab nur Gewinner.
Es gibt nur noch Verlierer
Schaut man sich nun ein bisschen im Internet um, stößt man bei Fler, Bonez, Azad, Manuellsen und KEZ kaum auf positive Reaktionen. Okay, KEZ' Song profitiert nicht nur von der Aufmerksamkeit, sondern hier ergibt es auch für die Dramaturgie des Songs Sinn, den Ghostwriting-Vorwurf gegen Azad und Animus zu veröffentlichen. Darüberhinaus gibt es wieder nur Verlierer. Manuellsen hat den unschönen Titel "König der Ratten" bekommen, Animus bekleckert sich nicht gerade mit Ruhm, wenn er Manu erklärt, was dessen Frau zu tun und zu lassen hätte, Azads Kredibilität bröckelt durch den Ghostwriting-Vorwurf und KEZ wird als Manus Handlanger und erfolgloser Artist dargestellt, der für Aufmerksamkeit ein altes Idol angreift. Keiner gewinnt bei dieser Sache
Bonez wiederum lässt sich zu Posts hinreißen, mit denen er sich über den aufgequollenen Fler von vor einigen Jahren oder ein Lippenlecken aus einer aktuellen Insta-Story lustig macht. Das wirkt weder souverän noch cool – eigentlich zwei von Bonez' Stärken, die er sich über all die Jahre im Rampenlicht bewahren konnte. Fler kontert ähnlich stilvoll mit einem Clip, in dem Bonez beim Crowdsurfen einen Fan schlägt, der ihm die Cap abzieht. Außerdem wollen beide Seiten weitere Insider-Infos und -Stories in der Hinterhand haben. Es gibt weitere Details, die auch hier zeigen: Keiner gewinnt.
So wirkt es fast schon trotzig und ironisch, dass plötzlich echte Kämpfe im Raum stehen – was bei den Franzosen klappt, wurde in der deutschen Rapszene noch nie verschmäht. Die Beteiligten wollen eine Entscheidung und ein positives Ergebnis erzwingen. Bei einem sportlichen Wettkampf muss es nämlich einen Sieger geben – bei Beef nicht.